eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 83/4

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2014.art26d
101
2014
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Professionelle Kooperation als wesentliche Bedingung inklusiver Schul- und Unterrichtsentwicklung

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2014
Melanie Urban
Birgit Lütje-Klose
Zusammenfassung: Die Aufgaben und Herausforderungen einer inklusiven Schul- und Unterrichtsentwicklung können nur im Team bewältigt werden. Im zweiten Teil dieses zweiteiligen Beitrags (vgl. Lütje-Klose/Urban 2014) werden auf der Grundlage von Forschungsergebnissen fördernde und hemmende Bedingungen für eine bewusste Ausgestaltung und hohe Wirksamkeit intra- und interprofessioneller Kooperation in inklusiven Schulen diskutiert und reflektiert, um Konsequenzen für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Pädagog/innen abzuleiten.
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283 VHN, 83. Jg., S. 283 -294 (2014) DOI 10.2378/ vhn2014.art26d © Ernst Reinhardt Verlag Professionelle Kooperation als wesentliche Bedingung inklusiver Schul- und Unterrichtsentwicklung Teil 2: Forschungsergebnisse zu intra- und interprofessioneller Kooperation Melanie Urban, Birgit Lütje-Klose Universität Bielefeld Zusammenfassung: Die Aufgaben und Herausforderungen einer inklusiven Schul- und Unterrichtsentwicklung können nur im Team bewältigt werden. Im zweiten Teil dieses zweiteiligen Beitrags (vgl. Lütje-Klose/ Urban 2014) werden auf der Grundlage von Forschungsergebnissen fördernde und hemmende Bedingungen für eine bewusste Ausgestaltung und hohe Wirksamkeit intra- und interprofessioneller Kooperation in inklusiven Schulen diskutiert und reflektiert, um Konsequenzen für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Pädagog/ innen abzuleiten. Schlüsselbegriffe: Inklusive Bildung und Erziehung, professionelle Kooperation, Schulentwicklungsforschung Cooperation as an Essential Condition for Inclusive Education Development Processes - Outcomes of Research Concerning Interand Intraprofessional Cooperation Summary: The tasks and challenges within inclusive schooling can only be mastered as a team effort. The second part of this two part article (Lütje-Klose/ Urban 2014) is based on a review of research literature concerning outcomes, fostering and hindering conditions of interand intraprofessional cooperation in inclusive schools. On this basis, consequences for teacher education and further education are drawn. Keywords: Inclusive education, professional cooperation, collaboration FACH B E ITR AG TH EME NSTR ANG Inklusion und Pädagogische Profession 1 Ebenen kooperativer Prozesse Fragen der inter- und intraprofessionellen Kooperation 1 spielen in der Integrations- und Inklusionsforschung seit jeher eine große Rolle (z. B. Dumke/ Eberl 2002) und werden aktuell mit Blick auf die flächendeckende Umsetzung von Inklusion viel diskutiert und beforscht (Moser u. a. 2011; Arndt/ Werning 2013; Gebhardt u. a. 2014). Die Diskussion empirischer Ergebnisse wird in Anlehnung an die Theorie integrativer Prozesse (Reiser u. a. 1986; Lütje-Klose 1997) gegliedert, indem folgende vier Ebenen unterschieden werden: die interaktionelle, individuelle, sachliche und institutionelle Ebene (vgl. Lütje-Klose/ Urban 2014, 113f). 1.1 Die interaktionelle Ebene: Gestaltung kooperativer Beziehungen Auf der interaktionellen Ebene stellt sich für die intra- und interprofessionelle Kooperation VHN 4 | 2014 284 MELANIE URBAN, BIRGIT LÜTJE-KLOSE Intra- und interprofessionelle Kooperation FACH B E ITR AG die Frage, wie die Beziehungen mit den Kooperationspartner/ innen ausgestaltet werden, welche gemeinsamen oder unterschiedlichen Prinzipien und Strategien das pädagogische Handeln prägen und wie diese in Kommunikationsprozessen ausgehandelt werden. Im Hinblick auf die intraprofessionelle Kooperation von Lehrkräften wurden seit den 1990er Jahren verschiedene Modelle entwickelt, die die Kooperationsbeziehungen auf unterschiedlichen Niveaus beschreiben (Marvin 1990 in Lütje- Klose/ Willenbring 1999; Lütje-Klose/ Urban 2014, 116f; Gräsel u. a. 2006; Steinert u. a. 2006). Die Intensität der Kooperationsbeziehung steht dabei in einem engen Zusammenhang mit dem vorhandenen Vertrauen und der gegenseitigen Wertschätzung sowie gemeinsam geteilten Werten und Normen und drückt sich aus in aufeinander bezogenem Handeln mit einem gemeinsamen Ziel, wie es in sogenannten „professionellen Lerngemeinschaften“ beschrieben wird (Bonsen/ Rolff 2006; Köker 2012). Zudem sind auch die zur Verfügung stehenden Ressourcen der Förderlehrkräfte von entscheidender Bedeutung für die Qualität der Kooperation. In Studien aus den sehr knapp ausgestatteten Modellen der sonderpädagogischen Grundversorgung (Lütje-Klose u. a. 2005) und der sonderpädagogischen Kompetenzzentren (Bischoff 2011; Werning/ Lohse 2011) finden sich deutliche Hinweise auf eine „Problemdelegation“ an die Förderlehrkräfte, die im Unterschied zur Sonderbeschulung in inklusiven Modellen eigentlich vermieden werden soll. So finden Fördermaßnahmen in diesen Modellen vielfach in äußerer Differenzierung statt, und die Kooperation der Lehrkräfte erreicht offenbar seltener ein hohes Niveau im Sinne einer gemeinsamen Verantwortungsübernahme für die Lerngruppe. Das wird von den Befragten auf die geringen Anteile gemeinsam durchgeführten Unterrichts zurückgeführt. Eine gemeinsame Übernahme von Verantwortung für alle Kinder kann in besonders weit entwickelten Schulen - wie z.B. Erfahrungsberichte der Grundschule Berg Fidel (Stähling 2013) und anderer Schulen des Verbundes „Blick über den Zaun“ zeigen - unter den Bedingungen einer relativ geringen sonderpädagogischen Ressourcenausstattung pro Klasse dennoch erreicht werden. Das ist allerdings nur möglich, sofern die Schule ein vom gesamten Kollegium getragenes Förderkonzept entwickelt hat, das die Kooperation aller beteiligten Professionen (neben der Sonderpädagogik auch die Sozialpädagogik und die Eltern) systematisch berücksichtigt und unterstützt (z. B. durch Jahrgangsteams, gemeinsame Planungszeiten, Förderplankonferenzen, Supervisionsangebote). In Bezug auf die interprofessionelle Kooperation liegen in Deutschland Befunde aus dem schulischen Ganztag vor (Böhm-Kasper u. a. 2013). Hier wird der Kategorisierungsansatz von Gräsel u. a. (2006) zugrunde gelegt. Die Fragebogen- und Interviewstudien mit Sozialpädagog/ innen und Lehrkräften in offenen und gebundenen Ganztagsschulen zeigen, dass die Arbeitsstrukturen und Zuständigkeiten der Berufsgruppen deutlich voneinander getrennt sind und nur selten eine intentionale Kooperation stattfindet. Wenn sie vorhanden ist, begrenzt sie sich in den offenen Ganztagsschulen weitgehend auf den Modus des Austausches und damit auf ein relativ niedriges Kooperationsniveau (Böhm-Kasper u. a. 2013). Dabei wird von den Ganztagskräften ein Hierarchiegefälle angesprochen, das sie vonseiten der Lehrkräfte wahrnehmen; die Rede ist von „Arroganz und Überheblichkeit“, und vereinzelt wird Enttäuschung über die geringen Austauschmöglichkeiten zum Ausdruck gebracht. In den Fällen des gebundenen Ganztags, in denen ein intensiverer Austausch berichtet wird, betonen dagegen Ganztagskräfte und Lehrkräfte gleichermaßen die Chancen, die sich vor allem für die Förderung von „Kindern, die Probleme haben“, ergeben: „dass sie merken, das geht alles aus einer Hand“ (ebd.). Die VHN 4 | 2014 285 MELANIE URBAN, BIRGIT LÜTJE-KLOSE Intra- und interprofessionelle Kooperation FACH B E ITR AG unterschiedlichen Sichtweisen auf die Kinder werden dabei als Bereicherung benannt. Böhm-Kasper u. a. (2013) arbeiten einen Zusammenhang zwischen der interprofessionellen Kooperation und den institutionellen Rahmenbedingungen heraus: so ergeben sich in gebundenen Ganztagsformen deutlich ausgeprägtere Formen institutioneller Kooperation als im offenen Ganztag, die sich auch auf die Kooperation der Lehrkräfte und Ganztagskräfte positiv auswirken. Im Hinblick auf die inklusive Beschulung dürfte dies von erheblicher Bedeutung sein. Gemeinsame schulinterne Fortbildungen für alle beteiligten Akteure können einen strukturierten Rahmen bieten, um sich auszutauschen, Vertrauen und Wertschätzung durch Kommunikation auf Augenhöhe zu entwickeln und Kooperationen aufzubauen. 1.2 Die individuelle Ebene: Einstellungen, Bereitschaften und Kompetenzen Individuelle Kompetenzen gelten, ebenso wie die Einstellungen und Bereitschaften von Lehrkräften und anderen pädagogischen Fachkräften, als zentrale Ermöglichungsbedingungen schulischer Kooperation und Inklusion. Auf dieser Ebene ist zu fragen, welche individuellen Voraussetzungen die einzelnen Fachleute in Bezug auf die kooperative Arbeit mit sehr heterogenen Lerngruppen benötigen, um auch für Schüler/ innen mit besonderen Förderbedarfen hohe Partizipationschancen zu ermöglichen. Moser u. a. (2011, 145ff) stellen aufgrund einer inhaltsanalytischen Auswertung sonderpädagogischer Fachliteratur folgende Beliefs zusammen, die neben einem insgesamt inklusionsorientierten Schulklima für inklusive Settings als zentral gelten: Eine individuell förderbezogene und förderdiagnostische Orientierung, eine biografische und lebenslagenorientierte Perspektive auf Schülerinnen und Schüler und eine Orientierung auf soziales Lernen. Von großer Bedeutung ist zudem die Orientierung an kollaborativen Problemlösungen (Snell/ Janney 2000) und die Bereitschaft zur unterrichtsbezogenen Zusammenarbeit (Arndt/ Werning 2013). Eine Fragebogenstudie mit Grund- und Förderschullehrkräften von Kemena/ Miller (2011) zeigt allerdings, dass Vorbehalte gegenüber einer Ausweitung inklusiver und kooperativer Unterrichtung bestehen, die vor allem an die Sorge um eine zu geringe Ressourcenausstattung gebunden und vermutlich auf eigene Ängste vor Überforderung zurückzuführen sind. Aber auch die Sorge um die eigene Autonomie bei geteilter Verantwortung für die Lerngruppe, auf die schon Haeberlin u. a. (1992) im Rahmen einer Interviewstudie hingewiesen haben, spielt hierbei eine wichtige Rolle. Eine Bereitschaft zur „De-Privatisierung“ des Unterrichts (Bonsen/ Rolff 2006), wie sie im Rahmen der intraprofessionellen, vor allem der unterrichtsbezogenen Kooperation zwangsläufig stattfindet und für die kooperative Bewältigung inklusiver Beschulung unumgänglich ist, ist vor dem Hintergrund tradierter schulischer Strukturen und Einstellungen keineswegs trivial (Lütje-Klose/ Urban 2014, 120). Ergebnisse der deutschen (Dumke/ Eberl 2002) wie der internationalen Inklusionsforschung (Meijer u. a. 2003) zeigen, dass die Bereitschaft dazu mit zunehmender Erfahrung im Kollegium steigt: So äußern kooperationserfahrene Lehrkräfte häufiger eine positive Einstellung und hohe Bereitschaft zur inklusiven Kooperation als Lehrkräfte ohne Kooperationserfahrungen. Dabei spielen auch kooperative Strukturen auf institutioneller Ebene eine wichtige Rolle, denn sie sind im Spannungsfeld von einer „losen Kopplung“ bis hin zu einer „professionellen Lerngemeinschaft“ von zentraler Bedeutung für die Handlungsoptionen und Orientierungen der einzelnen Lehrkräfte (Kolbe/ Reh 2008, Kap. 3). VHN 4 | 2014 286 MELANIE URBAN, BIRGIT LÜTJE-KLOSE Intra- und interprofessionelle Kooperation FACH B E ITR AG In Bezug auf die interprofessionelle Kooperation können die genannten Schwierigkeiten verstärkt zutreffen, wenn die beteiligten Pädagog/ innen z. B. unterschiedliche Wert- und Zielvorstellungen mitbringen. So fanden Böhm-Kasper u. a. (2013) in ihrer Studie zur interprofessionellen Kooperation von Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften in Ganztagsschulen vorrangig Kooperationsformen, die dem Modus des Austausches (nach Gräsel u. a. 2006) - und damit einem niedrigen Kooperationsniveau - entsprachen. Allerdings gibt es aus der Geschichte der Integrationsforschung auch Belege für intensivere interprofessionelle Kooperationsformen, z. B. aus einer der ersten integrativen Schulen Deutschlands, der Fläming-Schule Berlin, in der Lehrkräfte und Sozialpädagoginnen und -pädagogen gemeinsam die Klassenführung übernehmen und das Zusammenkommen der unterschiedlichen Sichtweisen als besonders produktiv kennzeichnen (Lütje-Klose 1997, 392). Auch aktuell berichten inklusive Schulen, die mit dem Jakob- Muth-Preis ausgezeichnet wurden, über einen hohen Grad an Vernetzung zwischen Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften des Ganztags und sehen darin eine zentrale Ressource für ihre inklusiven Prozesse (Hollenbach 2012). Interprofessionelle Teams können aufgrund ihrer unterschiedlichen Berufskulturen mit ihren spezifischen Perspektiven und Kompetenzen demnach besonders voneinander profitieren und gemeinsam innovative Problemlösungen finden: „Prozesse kollektiver Wissensproduktion - aus konstruktivistischer Sicht würde man sie mit dem Begriff der Kokonstruktion bezeichnen - führen weiter auf dem Weg der Professionsentwicklung.“ (Horstkemper 2011, 129) Die Entwicklung eines gemeinsam getragenen inklusiven Schulleitbildes und Schulprogramms im Rahmen schulinterner Fortbildungen ist für die Professionsentwicklung daher ebenso bedeutsam wie ein Bewusstsein für die eigenen Ressourcen und Kompetenzen sowie die der Kooperationspartner/ innen. 1.3 Die Sachebene: Klärung von Rollen und Aufgaben 1.3.1 Unterricht Auf der Sachebene inklusiven pädagogischen Handelns ist die Binnenstruktur der inklusiven Schul- und Unterrichtsentwicklung angesprochen, wenn es um Fragen der Aufgabenverteilung, Unterrichtsorganisation und eingesetzten Co-Teaching-Strategien sowie der strukturellen, räumlichen, materialen und personellen Bedingungen von Schulleben, Unterricht und Förderung geht. Das Sachproblem des produktiven Umgangs mit der Heterogenität der Schülerinnen und Schüler wird von den allgemeinen und den Förderlehrkräften, aber auch von den Ganztagskräften vielfach unterschiedlich wahrgenommen, was sich z. B. in unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen im pädagogischen Handeln spiegeln kann (Lütje-Klose u. a. 2005). Inklusive Schulentwicklungsprozesse gehen dabei einher mit veränderten Rollen und Aufgabenbereichen aller beteiligten Berufsgruppen. Aufgabenformen und Zuständigkeiten unterscheiden sich je nach gewähltem Modell, wobei zwischen Modellen der vorrangigen gemeinsamen Unterrichtung (Schwager 2011) und der primär umgesetzten Beratung und individuellen Förderung (Reiser u. a. 2007) unterschieden werden kann 2 . Die gemeinsame Durchführung von Unterricht bezieht sich meistens - allerdings nicht immer - auf die intraprofessionelle Kooperation von allgemeinen und Förderlehrkräften. Aufgabenveränderungen betreffen dabei insbesondere die Förderlehrkräfte, die in inklusiven Settings - anders als in der Förderschule - tendenziell weniger in der Rolle der „Generalistinnen“ (Kretschmann 1993) mit einer Verantwortung für Unterricht, Diagnostik, Förderung und Beratung einer gesamten Lerngruppe gefragt sind, sondern häufig eher als „Spezialistinnen“ für sonderpädagogische Förderung wahrgenommen werden. Das gilt insbesonde- VHN 4 | 2014 287 MELANIE URBAN, BIRGIT LÜTJE-KLOSE Intra- und interprofessionelle Kooperation FACH B E ITR AG re bei geringer sonderpädagogischer Ausstattung mit begrenzten Stundenkontingenten für die Doppelbesetzung im Unterricht (Lütje- Klose u. a. 2005). Mit beiden Schwerpunktsetzungen können sich bestimmte Gefahren verbinden, wie bereits Kretschmann (1993) ausführt und mehrere qualitative Studien mit Gruppendiskussionen bestätigen (Lütje-Klose u. a. 2005; Arndt/ Werning 2013): Während die Übernahme der Generalistenrolle durch die Förderlehrkräfte zu einer geringen Berücksichtigung spezifischer Unterstützungsbedarfe führen kann, besteht bei einer Überbetonung der Spezialistenrolle die Gefahr, dass der Bezug zum Unterricht in der Lerngruppe verlorengeht. Murawski/ Dieker (2004) betonen die Verantwortung beider Lehrkräfte für alle Schülerinnen und Schüler, die die Möglichkeit eines Kompetenztransfers beinhaltet. „One of the major benefits of co-teaching is that teachers bring different areas of expertise.“ (Murawski/ Dieker 2004, 55) Die genannten Studien geben Hinweise darauf, dass eine Unterscheidung zwischen Planungs- und Durchführungsaufgaben günstig ist. Während auf der Planungsebene die unterschiedlichen Kompetenzen der Teampartnerinnen z. B. in Bezug auf Diagnostik, Förderung und Fachdidaktik zum Tragen kommen, arbeiten sie günstigenfalls auf der Durchführungsebene flexibel und gleichberechtigt. So erfolgt in der von Arndt und Werning (2013) beforschten integrierten Gesamtschule die Unterrichtsvorbereitung und -planung in den Fachteams der jeweiligen Jahrgänge gemeinsam. Die konkrete Umsetzung gestaltet sich in den Teams unterschiedlich: von der hauptverantwortlichen Planung durch die Fachlehrkräfte und Differenzierung durch die Förderlehrkräfte über arbeitsteiliges Vorgehen bis hin zur gemeinsamen Unterrichtsplanung. Welches Vorgehen präferiert wird, ist abhängig von zeitlichen Ressourcen sowie von der Bereitschaft, Verantwortlichkeiten abzugeben. Dabei werden längerfristige Unterrichtsplanungen von beiden Seiten positiv bewertet, eine kurzfristige Information über die Unterrichtsplanung stellt für die Förderlehrkräfte dagegen ein Problem für die eigene Vorbereitung dar. Entsprechend besteht der deutliche Wunsch beider Seiten nach mehr Kooperationszeit, um Unterricht intensiver gemeinsam zu planen (Arndt/ Werning 2013, 29ff) 3 . In Bezug auf die gemeinsame Unterrichtsdurchführung werden sechs Co-Teaching-Formen unterschieden, in denen Lehrkräfte unterschiedlicher Profession oder Ausbildung - i. d. R. eine allgemeine Lehrkraft und eine sonderpädagogisch ausgebildete Lehrkraft - den Unterricht in einer Lerngruppe gemeinsam verantworten und durchführen (Friend/ Cook 2010): „One teach, one observe“ (hauptverantwortliche/ r Unterrichtsmoderator/ in und Beobachter/ in); „One teach, one assist“ (hauptverantwortliche/ r Unterrichtsmoderator/ in und Unterstützer/ in für einzelne Schüler/ innen); „Station teaching“ (Aufteilung der Verantwortung auf einzelne Stationen); „Parallel teaching“ (die Lehrkräfte teilen die Lerngruppe gleichberechtigt); „Alternative teaching“ (eine Lehrkraft für die Großgruppe und eine für eine Teilgruppe); „Teaming“ oder „Team teaching“ (beide Lehrkräfte moderieren gleichberechtigt den Unterrichtsprozess). Ein hohes Kooperationsniveau zeichnet sich durch einen flexiblen und situationsangemessenen Umgang mit den verschiedenen Formen aus, wobei meist eine dominiert. Dabei unterscheidet sich ggf. die Einschätzung der Angemessenheit und Effektivität einer Form von ihrem tatsächlichen Einsatz. So wird eine Doppelbesetzung im gemeinsamen Unterricht vielfach mit der anspruchsvollsten Kooperationsform des „Teaming“ assoziiert, welches durch ein hohes Maß an Vertrauen und Wertschätzung gekennzeichnet ist und sich im Modell Marvins auf der Ebene der „Collaboration“ VHN 4 | 2014 288 MELANIE URBAN, BIRGIT LÜTJE-KLOSE Intra- und interprofessionelle Kooperation FACH B E ITR AG einordnen lässt. Scruggs u. a. (2007) kommen aufgrund ihrer Metaanalyse empirischer Studien dagegen zu dem Ergebnis, dass die am häufigsten praktizierte Co-Teaching-Strategie das „one teach, one assist“ ist (vgl. auch Vossenkämper 2010). Diese Diskrepanz ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass „one teach, one assist“ und „one teach, one observe“ mit einer geringeren gemeinsamen Vorbereitungszeit einhergehen und mit einer hohen Autonomie vor allem der durchführenden Lehrkraft verbunden sind. Kritisch ist zu sehen, dass diese Formen nur begrenzt eine effektive Ressourcenausnutzung der Förderlehrkräfte erlauben und ihnen keine gleichberechtigte Verantwortungsübernahme ermöglichen, sondern sie in einer untergeordneten Position verorten (Arndt/ Werning 2013, 16). Die Schülerbefragungen von Arndt/ Gieschen (2013) zeigen, dass Schüler/ innen die Hauptverantwortung für den Unterricht bei einer solchen Rollenverteilung bei der Lehrkraft der allgemeinen Schule sehen und der Förderlehrkraft „nur“ eine unterstützende Funktion zusprechen, wenn die Formen „one teach, one observe“ und „one teach, one assist“ einseitig eingesetzt werden. Auch wird die Nutzung eines Differenzierungsraumes primär mit der Förderschullehrkraft verbunden (ebd., 50ff). Das Co-Teaching bewerten die Schüler/ innen mit Blick auf individuelle Hilfestellungen und die Lernatmosphäre weit überwiegend positiv (ebd., 52). Neben (oftmals fehlenden) zeitlichen Ressourcen zur gemeinsamen Planung wirken sich die Einstellungen und Erfahrungen der beteiligten Lehrkräfte und das gegenseitige Vertrauen darauf aus, welche Co-Teaching-Formen gewählt werden. Lehrpersonen ohne oder mit geringen Kooperationserfahrungen wählen demnach eher Formen, die ein höheres Maß an Autonomie ermöglichen, wie etwa das „Station teaching“ oder „Parallel teaching“, während Lehrkräfte mit Kooperationserfahrungen das „Teaming“ bevorzugen (Lütje-Klose/ Willenbring 1999, 16f). Unterschiedliche Erwartungen der Beteiligten in Bezug auf die Kooperationsformen können zu Enttäuschungen auf beiden Seiten führen, wenn sie nicht offengelegt und vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Schulkonzepts im Team diskutiert werden, und münden nicht selten in äußere Differenzierungsformen (Lütje-Klose u. a. 2005). Im Interesse einer gleichwertigen Kooperationsbeziehung mit höheren Synergieeffekten sollten die Rollen zwischen den Lehrkräften wechseln, sodass beide in der unterrichtenden und der unterstützenden Funktion tätig sind (Löser 2013, 117). 1.3.2 Beratung Auch bei der zweiten Variante inklusiver Kooperation, der Beratung, spielt die Klärung der wechselseitigen Erwartungen und Kooperationsfomen eine zentrale Rolle. Bei den Beratungsmodellen ist vor allem die interprofessionelle Kooperation mit Sozialpädagoginnen und Schulpsychologinnen, aber auch mit solchen Förderlehrkräften angesprochen, die eine entsprechende Zusatzqualifikation erworben haben. Sie wurden in den letzten Jahren vor allem für den Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung etabliert, wie im Modell des Hamburger Regionalen Beratungs- und Unterstützungssystems REBUS (Reiser u. a. 2007) oder im Modell des Kompetenzzentrums für sonderpädagogische Förderung (Werning/ Lohse 2011). Zunehmend bedeutsam sind dabei systemische, lösungsorientierte Beratungsformen (z. B. Mutzeck 2014; Palmowski 2011), die - im Unterschied zu einer Expertenberatung - auf einem kooperativen Beratungsverständnis gemeinsamer Problemlösung auf der Grundlage einer gleichwertigen und wechselseitigen Beziehung basieren. Die verschiedenen Kompetenzen und Sichtweisen der Kooperationspartnerinnen und -partner werden auf Augenhöhe ausgetauscht, um gemeinsam zu Entscheidungen über angemessene adaptive Maßnahmen zu gelangen (ebd.). VHN 4 | 2014 289 MELANIE URBAN, BIRGIT LÜTJE-KLOSE Intra- und interprofessionelle Kooperation FACH B E ITR AG Auch für die Kooperation im Rahmen von Beratung ist es notwendig, die Rollen und Erwartungen der beteiligten Lehrkräfte und pädagogischen Fachkräfte z. B. in Form eines Kontraktes im Rahmen schulinterner Fortbildungen zu klären, sodass institutionelle Strukturen dies unterstützen und ermöglichen. 1.4 Institutionelle Ebene: Kooperation im Kontext inklusiver Schulentwicklung Auf der institutionellen Ebene ist in Bezug auf die Einzelschule als Organisation und ihre regionale Einbindung zu fragen, unter welchen strukturellen Bedingungen pädagogisches Handeln in inklusiven Settings als erfolgreich erlebt wird und inwieweit entsprechende Bedingungen in den allgemeinen Schulen hergestellt werden (Heinrich u. a. 2013). Insbesondere an weiterführenden Schulen ist die Koordination der Förderlehrkräfte und der Lehrkräfte der allgemeinen Schule deutlich schwieriger als an Grundschulen, wenn nicht im gesamten Kollegium Teamstrukturen etabliert sind (Werning/ Lohse 2011, 11). Diese Ebene bezieht sich auf die intra- und interprofessionellen Kooperationsstrukturen innerhalb der Schule ebenso wie auf die Kooperation mit anderen Institutionen wie der Jugendhilfe. Eine erfolgreich etablierte kollegiumsinterne Kooperationskultur hat, wie Haenisch (2010, 50) zeigt, eine positive Wirkung auf die Kooperation mit externen Kooperationspartnern. Die Vielfalt der Entwicklungs-, Planungs- und Problemlösungsaufgaben in inklusiven Settings erfordert neben der Kooperation in Klassenteams eine solche Ausweitung kooperativer Strukturen auf weiteren Ebenen. Mit der Etablierung von Schulleitungs-, Steuerungs-, Fach-, Jahrgangs- und Klassenteams sowie Projektteams, die Köker (2012, 17f) auf der Grundlage einer Interviewstudie als bedeutsamste Teams einer Schule herausarbeitet, ist zugleich eine hohe Komplexität in den schulischen Strukturen verbunden, die im Kollegium transparent kommuniziert werden muss, um wirksam werden zu können. Während Schulleitungs- und Steuerungsteams einen besonderen Stellenwert für die Initiierung, Reflexion und Evaluation von inklusiven Schulentwicklungsprozessen einnehmen, sind Jahrgangsteams vor allem relevant für Unterrichtsentwicklung und schülerbezogenen Austausch etwa in Form kollegialer Fallberatung. Da die Qualität des Unterrichts von entscheidender Bedeutung für die Möglichkeiten sonderpädagogischen Handelns und inklusiver Förderung ist, wird dabei eine inklusive Unterrichtsentwicklung, die etwa kooperatives Lernen oder Classroom-Management systematisch berücksichtigt, zu einem zentralen Thema. Kooperationsprobleme in der intraprofessionellen Kooperation der Lehrkräfte zeigen sich besonders dann, wenn Erwartungen und Aufgabenzuschreibungen nicht transparent thematisiert und institutionelle Rahmenkonzepte nicht gemeinsam entwickelt werden. Wenn die Kooperation aufgrund geringer zeitlicher Ressourcen und unklarer Aufgabenverteilung oder aufgrund von Konflikten zwischen den Kooperationspartnerinnen auf einem niedrigen Niveau angesiedelt ist, finden Fördermaßnahmen durch die Förderlehrkraft überwiegend kindbezogen in äußerer Differenzierung statt (Anliker 2008, 227ff; Arndt/ Werning 2013, 28). Diese Praxis einer separierenden Förderung führt vielfach zur Unzufriedenheit vor allem der Förderlehrkräfte, beinhaltet sie doch die Gefahr der Stigmatisierung und entspricht damit nicht dem inklusiven Grundgedanken (Lütje-Klose u. a. 2005, 85ff). Als Gegenmodell kann die Praxis inklusiver Reformschulen (z. B. der Laborschule Bielefeld) gelten, in der die Förderlehrkräfte als „Begleiter von Entwicklungsprozessen“ (Begalke u. a. 2011, 76) beschrieben werden. Ihre Aufgaben sind im Schulkonzept fest verankert und VHN 4 | 2014 290 MELANIE URBAN, BIRGIT LÜTJE-KLOSE Intra- und interprofessionelle Kooperation FACH B E ITR AG im Wesentlichen auf die Unterstützung der Lehrkräfte der allgemeinen Schule beim Unterrichten einer heterogenen Lerngruppe ausgerichtet. Die primäre Verantwortung für alle Kinder der Lerngruppe bleibt in diesem Modell, ähnlich wie bei den kanadischen „support teachers“ (Löser 2013), bei der Lehrkraft der allgemeinen Schule, und sie erhält Unterstützung im Unterricht in Form von kooperativer Beratung und/ oder bei der Unterrichtsvorbereitung und Differenzierung. Dabei wird betont, dass die Förderlehrkräfte ihre Stundenplangestaltung im Wesentlichen selbst verantworten, um bei der Ausgestaltung ihrer pädagogischen Arbeit den individuellen Bedürfnissen der Kinder und Lerngruppen flexibel gerecht werden zu können. Dementsprechend stellen sich die Aufgabenfelder der Förderlehrkräfte je nach Klassenstufe und anstehenden Entwicklungsaufgaben unterschiedlich dar. So ist die Schuleingangsphase oftmals geprägt durch diagnostische Tätigkeiten und Kooperation mit Kindertagesstätten, während zum Ende der Schulzeit ein erhöhter Beratungsbedarf zur Berufsorientierung, Kooperation mit Betrieben und anderen außerschulischen Kooperationspartnern besteht (Begalke u. a. 2011). Auch eine interprofessionelle Kooperation ist mit deutlichen Erschwernissen verbunden, wenn schulische Rahmenkonzepte fehlen. Obwohl beispielsweise mit den Kompetenzzentren in NRW die Idee verbunden ist, Ressourcen zu bündeln und Netzwerke in Form von interprofessioneller Kooperation auszubauen, zeigte sich im Rahmen von Gruppendiskussionen, dass die Kooperation oft als wenig produktiv erlebt wird - auch aufgrund der „Intransparenz der schulischen Tätigkeiten“ (Werning/ Lohse 2011, 12). Gemeinsamen Vereinbarungen und Transparenz über Verfahren und Funktionen der verschiedenen Institutionen und Professionen kommt daher eine besondere Relevanz zu, wenn Kooperationsstrukturen langfristig etabliert und der Kontakt nicht erst in Krisensituationen hergestellt werden soll. Regionale und überregionale Arbeitskreise können dabei eine enge Verzahnung innerhalb einer Region unterstützen (Erbring/ Amrhein 2009). Ein in allen Studien benanntes und von unterschiedlichen inklusiven Modellen unabhängiges Thema ist die Bereitstellung von Ressourcen für Kooperation, insbesondere der Faktoren Zeit und personelle Ausstattung. Auf der institutionellen Ebene sind demnach feste Zeiten für Dienstbesprechungen, Teamsitzungen, Planungs- und Reflexionszeiten sowie Supervision und Fortbildungen erforderlich (Anliker 2008; Lütje-Klose u. a. 2005; Erbring/ Amrhein 2009; Lindmeyer/ Beyer 2012; Arndt/ Werning 2013; Werning/ Lohse 2011). Als zentrale Gelingensbedingungen werden darüber hinaus die Zugehörigkeit der Förderschullehrkraft zum Kollegium der Schule benannt sowie ein Arbeitszeitmodell, welches Kooperationszeiten berücksichtigt und sich nicht auf die Unterrichtsverpflichtung beschränkt. Für die weiterführende Schule wird zudem oftmals das Fachlehrerprinzip als Erschwernis genannt, da Förderlehrkräfte, die sich auf verschiedene Klassen aufteilen, entsprechend viele Kooperationspartner/ innen haben und nicht mit allen immer in gleicher Intensität arbeiten können. Unterstützend wirkt hier ein veränderter Stundenrhythmus, der die Anzahl der Lehrkräftewechsel verringert, und eine Organisation, in der der Unterricht in einem Jahrgang möglichst vom Jahrgangsteam abgedeckt wird (Werning/ Lohse 2011, 11; Arndt/ Werning 2013, 21). Mit Blick auf räumliche Ressourcen können Teamzimmer für jeden Jahrgang bzw. Jahrgangsgebäude den Austausch im Jahrgangsteam unterstützen. Stähling (2004, 54) benennt als Schulleiter der inklusiven Grundschule Berg Fidel in Münster folgende institutionelle Bedingungen für eine erfolgreiche Kooperation in multiprofessionellen Teams: „feste Teams, die für die Klassen über VHN 4 | 2014 291 MELANIE URBAN, BIRGIT LÜTJE-KLOSE Intra- und interprofessionelle Kooperation FACH B E ITR AG mehrere Jahre zuständig sind“, „Zeit für wöchentliche Teamsitzungen in jeder Klasse“, „alle 6 bis 8 Wochen Team-Supervision“, ein „Leitfaden für die Team-Erarbeitung eines individuellen Förderplanes für jedes förderbedürftige Kind“. Auch das Schulleitungshandeln ist für die Entwicklung kooperativer Strukturen von entscheidender Bedeutung. Harazd und Drossel (2011, 149ff) stellen als Ergebnis einer online- Befragung heraus, dass Schulleitungen sowohl direkt als auch indirekt auf die Kooperation zwischen Lehrkräften Einfluss nehmen können: Direkt, indem sie strukturelle Rahmenbedingungen schaffen, wie beispielsweise durch die Etablierung gemeinsamer Freistunden im Stundenplan der Klassenteams oder Supervisionsgutscheine für Jahrgangsteams. Indirekt, indem sie Wertschätzung für die Kooperation der Lehrkräfte zum Ausdruck bringen. Anspruchsvollere Kooperationsformen, die über den Modus des Austausches (nach Gräsel u. a. 2006) hinausgehen, sind demnach stärker an direkte Einflussnahme gebunden, während indirektes Leitungshandeln die Entwicklung einer Kooperationskultur in der Schule unterstützt (Harazd/ Drossel 2011, 156f). 2 Schlussfolgerungen: Kooperation als Professionalisierungsaufgabe Die Kooperation von Lehrkräften der allgemeinen Schulformen und Förderlehrkräften ist, so lässt sich aus den berichteten Untersuchungsergebnissen schlussfolgern, für eine inklusive Schul- und Unterrichtsentwicklung hoch bedeutsam und eng verbunden mit einer kollegialen Professionsentwicklung (Hirschhauer/ Kullmann 2010). Entsprechende Fort- und Weiterbildungen der Lehrkräfte, pädagogischen Fachkräfte und Schulleitungen sind für diese Professionalisierungsprozesse besonders wichtig. Eine quantitative Analyse zu Angeboten in der Lehrerfort- und Weiterbildung von Amrhein/ Badstieber (2013) zeigt allerdings, dass dies bislang noch ein Desiderat darstellt. Fortbildungen werden demnach überwiegend eintägig angeboten und sind vorrangig an einzelne Lehrkräfte gerichtet, seltener an ganze Kollegien und Schulleitungen (ebd., 12ff). Die dargestellten Forschungsergebnisse machen deutlich, dass der Aufbau kooperativer Strukturen eine bewusste Gestaltung erfordert, die aufgrund ihres prozessualen Charakters auf regelmäßige Reflexion angewiesen ist. Reflexionsinstrumente (z. B. Lütje-Klose/ Willenbring 1999) können die kooperativen Prozesse unterstützen, indem sie von den Teams zur Evaluation hinzugezogen werden. So ermöglicht es der Index für Inklusion (Booth/ Ainscow 2011), Schulentwicklungsprozesse mit ihren inner- und außerschulischen Kooperationen und regionalen Vernetzungsmöglichkeiten zu evaluieren. Eine weitere Möglichkeit bietet der Zusammenschluss verschiedener Schulen, um sich gegenseitig anzuregen und inklusive Schulentwicklung als „bottom-up“- Prozesse zu initiieren, wie es im Schulverbund „Blick über den Zaun“ verfolgt wird. Konsequenzen ergeben sich weiterhin auf der Ebene der Ausbildung von Lehrkräften. Die streng abgegrenzten, am segregativen Schulsystem orientierten Lehramtsstudiengänge, in denen Studierende der allgemeinen Stufenlehrämter nur durch Zufall auch mit sonderpädagogischen Fragestellungen konfrontiert werden und Studierende der sonderpädagogischen Fachrichtungen nur begrenzt fachdidaktische Angebote bekommen, stehen derzeit auf dem Prüfstand. Modelle einer integrierten Ausbildung (z. B. Lütje-Klose/ Miller 2012), die Fragen der Kooperation systematisch berücksichtigen, werden nach Jahren der Erprobung nun auf eine breitere Basis gestellt. Heinrich u. a. (2013, 108ff) plädieren dabei für ein Stufenlehramt, das nicht nach Schulform unterscheidet, und entwerfen Modelle mit einer engen Verzahnung von Sonderpädagogik und VHN 4 | 2014 292 MELANIE URBAN, BIRGIT LÜTJE-KLOSE Intra- und interprofessionelle Kooperation FACH B E ITR AG Allgemeiner Pädagogik. Auch wenn solche Modelle einer inklusiven Lehramtsausbildung unterschiedlich ausgestaltet werden können, so wird auf Ebene der Hochschule deutlich, dass sie auf die Kooperation von Bildungswissenschaften und Fachdidaktiken angewiesen sind. Weiterhin ist für eine kooperationssensible Ausbildung auch die Zusammenarbeit zwischen Studienseminaren, Hochschule und Schule notwendig, wie sie aktuell im Rahmen der einzurichtenden Praxissemester in mehreren deutschen Bundesländern auf den Weg gebracht wird. Anmerkungen 1 Unter intraprofessioneller Kooperation verstehen wir Kooperationsprozesse innerhalb der Profession der Lehrkräfte, zu der wir Lehrkräfte der allgemeinen Schulformen ebenso wie sonderpädagogisch ausgebildete Lehrkräfte zählen. Im Unterschied dazu verstehen wir die Zusammenarbeit von Lehrkräften und anderen pädagogischen Fachkräften (z. B. Sozialpädagog/ innen, Logopäd/ innen usw.) als interprofessionelle Kooperation (vgl. Lütje-Klose/ Urban 2014). 2 Im anglo-amerikanischen Raum, wo sich diese Modelle ebenfalls finden, werden das classroom based model und das collaborative consultation model unterschieden (vgl. Lütje-Klose 1997). 3 Eine aktuell durchgeführte Studie von Kreis u. a. (2014) in der Schweiz wird durch ihr innovatives Forschungsformat des täglichen Online-Journals voraussichtlich genaueren Aufschluss darüber geben, welche Aufgaben die beforschten Regel- und Förderlehrkräfte tatsächlich in welchem Umfang wahrnehmen. Literatur Amrhein, B.; Badstieber, B. 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