eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 84/2

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Rezension: Burgener Woeffray, Andrea (2014): Entwicklungsgefährdung früh erkennen. FegK 0-6: Ein Verfahren zur Früherkennung entwicklungsgefährdeter Kinder bis 6 Jahre und

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Hans Weiß
Kinder, die früh in psychosozialen Risikosituationen aufwachsen, sind inzwischen verstärkt in die fachliche Aufmerksamkeit insbesondere auch der Interdisziplinären Frühförderung bzw. Heilpädagogischen Früherziehung gerückt. Dank der Risiko- und Resilienzforschung und zahlreicher Längsschnittstudien wissen wir auch mehr über die spezifischen Entwicklungsbedingungen dieser Kinder, deren Entwicklung häufig (potenziell) gefährdet ist. Dennoch sind für sie und ihre Familien die Zugangswege zu geeigneten professionellen Hilfen oftmals eingeschränkt, gerade für jene, die solche Hilfen besonders bräuchten. Zudem mangelt es bislang auch an geeigneten Instrumentarien zur Früherkennung (potenziell) entwicklungsgefährdeter Kinder und zur Ermittlung ihres Unterstützungsbedarfs.
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VHN 2 | 2015 176 REZE NSION E N Rezensionen Burgener Woeffray, Andrea (2014): Entwicklungsgefährdung früh erkennen. FegK 0 -6: Ein Verfahren zur Früherkennung entwicklungsgefährdeter Kinder bis 6 Jahre und zur Ermittlung ihresUnterstützungsbedarfs Bern: Edition SZH/ CPS. CHF 79,- Kinder, die früh in psychosozialen Risikosituationen aufwachsen, sind inzwischen verstärkt in die fachliche Aufmerksamkeit insbesondere auch der Interdisziplinären Frühförderung bzw. Heilpädagogischen Früherziehung gerückt. Dank der Risiko- und Resilienzforschung und zahlreicher Längsschnittstudien wissen wir auch mehr über die spezifischen Entwicklungsbedingungen dieser Kinder, deren Entwicklung häufig (potenziell) gefährdet ist. Dennoch sind für sie und ihre Familien die Zugangswege zu geeigneten professionellen Hilfen oftmals eingeschränkt, gerade für jene, die solche Hilfen besonders bräuchten. Zudem mangelt es bislang auch an geeigneten Instrumentarien zur Früherkennung (potenziell) entwicklungsgefährdeter Kinder und zur Ermittlung ihres Unterstützungsbedarfs. Der FegK 0 -6 soll dazu beitragen, diese Lücke zu schließen. Das Verfahren wurde von Andrea Burgener Woeffray, einer ausgewiesenen Expertin der Heilpädagogischen Früherziehung, an der Hochschule für Heilpädagogik in Zürich in Kooperation VHN 2 | 2015 177 REZE NSION E N mit 74 Früherzieherinnen und Früherziehern an Heilpädagogischen Diensten in der deutschsprachigen Schweiz entwickelt. Es besteht aus einem Handbuch mit instruktiven Informationen zu Grundlagen, Zielsetzung und Aufbau, einem Gesprächsleitfaden, dem dazugehörigen Begleitheft, dem Protokollblatt zum Gesprächsleitfaden sowie einem Protokollbogen. Der Komplexität einer möglichen Entwicklungsgefährdung bei Kindern von 0 bis 6 Jahren im Geflecht ihrer jeweiligen Risiko- und Schutzfaktoren versucht der FegK 0 -6 mit vier Verfahrensschritten gerecht zu werden: A. Vorabklärung: Anlass, Einholung der elterlichen Zustimmung, Klärung der Kommunikationsmöglichkeiten z. B. bei Migrantenfamilien B. Erfassung des kindlichen Entwicklungsstandes in den Bereichen Kognition, Motorik und sozialemotionales Verhalten mithilfe ausgewählter vorliegender standardisierter Tests C. Einschätzung der Risiko- und Schutzfaktoren eines Kindes mithilfe des für den FegK 0 -6 entwickelten Gesprächsleitfadens D. Zusammenführung der Ergebnisse zur Bestimmung des Unterstützungsbedarfs und der Maßnahmenempfehlung Das Innovative am FegK 0 -6 liegt in seinem „Herzstück“, der Einschätzung der personalen und psychosozialen Risiko- und Schutzfaktoren (Schritt C). Andrea Burgener Woeffray hat die oftmals artikulierte Forderung, die Kontextbedingungen von Kindern ins Zentrum eines Verfahrens zur Abklärung ihres Förderbzw. „Unterstützungsbedarfs“ zu rücken, auf der Grundlage des Risiko- und Resilienzkonzepts konsequent und theorieorientiert umgesetzt. Empirisch stützt sie sich dabei insbesondere auf die Ergebnisse der bekannten Mannheimer Längsschnittstudie. Die Ausrichtung auf personale und psychosoziale Risiko- und Schutzfaktoren ermöglicht eine im besten Sinne ganzheitlich orientierte vierdimensionale Perspektive der Betrachtung, nämlich auf Probleme bzw. Defizite und Stärken/ Ressourcen, und zwar sowohl beim Kind wie seinem Umfeld. Diskussionsbedürftig erscheint mir jedoch angesichts des Alters der Zielgruppe die Zweckmäßigkeit der dichotomen Aufteilung in kindorientierte Maßnahmen und umfeldorientierte Maßnahmen. Ist Heilpädagogische Früherziehung/ Frühförderung als rein kindorientierte Maßnahme überhaupt denkbar? Personale Schutzfaktoren wie Intelligenz, Sozialverhalten, Kompetenz und Temperament (vgl. Protokollbogen) werden bei allen angeborenen Potenzialen immer auch sozial überlagert und weiterentwickelt, ihr Fehlen bedarf daher auch umfeldbedingter Maßnahmen. Auch weitere terminologische Differenzierungen (z. B. Entwicklungsverzögerung versus Entwicklungsabweichung) sind zu diskutieren, und vielleicht hätte es zur leichteren Handhabbarkeit des Verfahrens beigetragen, den doch relativ aufwendigen Begriffsapparat (Handbuch, Kap. 4) etwas zu reduzieren. Nichtsdestotrotz verdient der FegK 0 -6 eine große Aufmerksamkeit und Verbreitung. Er vermag die differenzierte Wahrnehmung für Risiko- und Schutzfaktoren von Kindern in konkreten Praxisfeldern zu schärfen, fordert im Umgang mit Eltern und Familien eine „Kultur der Anerkennung“ (Handbuch, S. 25) und leistet damit einen wichtigen und wertvollen Beitrag zur angemessenen Umsetzung kontextbezogener Förderansätze bei Kindern in Risikosituationen. Prof. i. R. Dr. Hans Weiß D-93326 Abensberg DOI 10.2378/ vhn2015.art19d