Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2015.art36d
101
2015
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Differenzierung und Klassenführung
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2015
Barbara Baumann
Claudia Henrich
Michaela Studer
Die Wahrnehmung von Schülerinnen und Schülern von Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation zwischen Heilpädagoginnen/Heilpädagogen und Lehrpersonen ist ein bisher wenig erforschtes Gebiet. Im vorliegenden Beitrag wird eine explorative Studie vorgestellt zur Frage, wie Schülerinnen und Schüler den Unterricht mit und ohne unterrichtsbezogene Kooperation in Bezug auf Aspekte der Klassenführung und der Differenzierung wahrnehmen. In die Studie wurden 20 Klassen (N = 381) einbezogen. Die Daten wurden mittels Fragebogen erhoben und statistisch ausgewertet. Insgesamt zeigt sich, dass die Schülerinnen und Schüler kaum einen Unterschied zwischen dem Unterricht mit und ohne Kooperation wahrnehmen. Die Ergebnisse stellen eine Grundlage dar, um über den weiteren Forschungsbedarf auf dem Gebiet der Schülerinnen- und Schülerwahrnehmung von Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation nachzudenken.
5_084_2015_4_0006
320 VHN, 84. Jg., S. 320 -332 (2015) DOI 10.2378/ vhn2015.art36d © Ernst Reinhardt Verlag Differenzierung und Klassenführung Die Sicht der Schülerinnen und Schüler im integrativen Setting Barbara Baumann, Claudia Henrich, Michaela Studer Hochschule für Heilpädagogik, Zürich Zusammenfassung: Die Wahrnehmung von Schülerinnen und Schülern von Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation zwischen Heilpädagoginnen/ Heilpädagogen und Lehrpersonen ist ein bisher wenig erforschtes Gebiet. Im vorliegenden Beitrag wird eine explorative Studie vorgestellt zur Frage, wie Schülerinnen und Schüler den Unterricht mit und ohne unterrichtsbezogene Kooperation in Bezug auf Aspekte der Klassenführung und der Differenzierung wahrnehmen. In die Studie wurden 20 Klassen (N = 381) einbezogen. Die Daten wurden mittels Fragebogen erhoben und statistisch ausgewertet. Insgesamt zeigt sich, dass die Schülerinnen und Schüler kaum einen Unterschied zwischen dem Unterricht mit und ohne Kooperation wahrnehmen. Die Ergebnisse stellen eine Grundlage dar, um über den weiteren Forschungsbedarf auf dem Gebiet der Schülerinnen- und Schülerwahrnehmung von Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation nachzudenken. Schlüsselbegriffe: Integrativer Unterricht, Kooperation zwischen Lehrpersonen und Heilpädagoginnen/ Heilpädagogen, Schülerwahrnehmung des integrativen Unterrichts Adaptive Teaching and Classroom Management - The Pupils’ View Within the Inclusive Classroom Summary: The pupils’ perception of teaching with teaching-related collaboration between special education teachers and general education teachers is a field hardly studied so far. This paper presents a study on the question of how pupils perceive teaching with and without teaching-related collaboration connected to aspects of classroom management and adaptive teaching. In the study 20 classes (N = 381) were involved. The data are based on a questionnaire, which was statistically analysed. Generally it can be stated that the pupils hardly perceive a difference between teaching with or without collaboration. The results form a basis to reflect on the demand for further research in the field of how pupils perceive teaching with teaching-related collaboration. Keywords: Inclusive teaching, collaboration between general education teachers and special education teachers, pupils’ perception of inclusive teaching FACH B E ITR AG 1 Forschungsstand und theoretische Einbettung In der Schweiz wurden in den letzten Jahren in vielen Kantonen die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, um Kinder mit besonderem Bildungsbedarf in Regelklassen zu integrieren. Unterrichtsbezogene Kooperation wird dabei als eine der Maßnahmen angesehen, dass Integration gelingen kann. Scruggs u. a. (2007) stellen in einer Metaanalyse von 32 qualitativen Untersuchungen fest, dass die unterrichtsbezogene Kooperation (englisch: co-teaching) zwischen Heilpädagoginnen/ Heilpädagogen (HP) und Lehrpersonen (LP) als vorteilhaft sowohl für alle Regelklasseschülerinnen und -schüler VHN 4 | 2015 321 BARBARA BAUMANN, CLAUDIA HENRICH, MICHAELA STUDER Differenzierung und Klassenführung FACH B E ITR AG als auch für die meisten Schülerinnen und Schüler mit besonderem Bildungsbedarf angesehen wird. Unter unterrichtsbezogener Kooperation zwischen LP und HP wird in dieser Arbeit in Anlehnung an Thommen u. a. (2008) eine Arbeitsform verstanden, bei welcher die gemeinsame Entwicklung eines integrativ-differenzierten Unterrichts angestrebt wird, die unterrichtsintegrierte Förderung im Zentrum steht und die HP ihr Fachwissen so einbringen, dass nachhaltige Veränderungen im Unterricht eintreten. Die integrative Förderung wird in der Schweiz unterschiedlich umgesetzt und auch verschieden benannt. Dieser Artikel geht vom Modell integrierter Förderung (IF-Modell) aus, welches in den untersuchten Kantonen Zug und Zürich zu finden ist. In diesem Modell ist eine HP von einer Schulgemeinde in der Regel für einen oder auch mehrere Standorte angestellt und betreut dort in Kooperation mit mehreren Lehrpersonen integrierte Kinder in verschiedenen Klassen. Im Folgenden werden einerseits Forschungsergebnisse und andererseits theoretische Erkenntnisse vorgestellt, welche zur Herleitung der Fragestellung dieses Artikels dienen. Verschiedene Autoren nennen ausreichende Ressourcen als wichtig für die Organisation und Durchführung der unterrichtsbezogenen Kooperation. Dabei stechen das Vorhandensein von Zeitgefäßen für die Planung des Unterrichts bzw. genügend Planungszeit hervor, die in fast allen Untersuchungen genannt werden (Baumann u. a. 2012; Häberlin u. a. 1992; Kunz u. a. 2013; Pugach/ Winn 2011; Scruggs u. a. 2007; Thommen u. a. 2008). Aber auch räumliche Ressourcen (Baumann u. a. 2012; Kunz u. a. 2013), begünstigende Schulstrukturen wie Größe der Schule, Überschaubarkeit des Kollegiums (Kunz u. a. 2013) und unterstützende Schulleitungen und/ oder Kollegien (Baumann u. a. 2012; Kreis u. a 2013; Scruggs u. a. 2007) wurden in den verschiedenen Untersuchungen als kooperationsförderlich herausgeschält. Thommen u. a. (2008) stellten fest, dass die Rahmenbedingungen zwar eine wichtige, aber nicht die alles entscheidende Grundlage darstellen. Sie betonen in ihrer Untersuchung die Wichtigkeit der Übernahme einer gemeinsamen systemischen Perspektive für die Unterrichtssituation. Die Ausgestaltung der unterrichtsbezogenen Kooperation wurde von Baumann u. a. (2012) untersucht. Sie fassen diese in den vier Dimensionen „Gegenseitige Anerkennung und Vertrauen“, „Voneinander Lernen durch Beobachtung, Reflexion und Feedback“, „Flexibilität in der Rollenausführung“ sowie „Didaktisch-methodische Positionierung“ zusammen. Zudem identifizieren sie drei Kooperationstypen, die sich in der Ausprägung ihrer Zustimmung zu den vier Dimensionen und der Qualität ihrer Kooperation unterscheiden. Nach Kreis u. a. (2013) erleben die LP und HP die schulischen und individuellen Kontextbedingungen (z. B. Arbeitsaufwand/ Belastung oder Engagement) als positiv. Sie weisen darauf hin, dass die Aktivitäten der Kooperation von den LP als weniger entlastend und nutzbringend erlebt werden als von den HP. Vorsichtig schließen sie, dass LP eher mit HP kooperieren, wenn sie für sich einen fachlichen Nutzen und/ oder eine Entlastung sehen und dass eine Klärung des sonderpädagogischen Arbeitsfeldes notwendig ist. Insgesamt lässt sich für die Deutschschweiz eine tendenziell positive Bilanz ziehen in Bezug auf die Umsetzung der unterrichtsbezogenen Kooperation (Zufriedenheit und Gestaltung der Kooperation) (vgl. Baumann u. a. 2012; Kreis u. a. 2013; Maag Merki u. a. 2010). Dies ist insofern erwähnenswert, weil die Kooperation durch gesetzliche Rahmenvorgaben von oben herab implementiert wurde. VHN 4 | 2015 322 BARBARA BAUMANN, CLAUDIA HENRICH, MICHAELA STUDER Differenzierung und Klassenführung FACH B E ITR AG Die im angloamerikanischen Raum am häufigsten verwendete Kooperationsform im Unterricht ist „one teach one assist“, wobei die HP meist in der Assistentenrolle verbleibt (Scruggs u. a. 2007). Als Grund vermuten Scruggs u. a. (2007), dass die LP im Vergleich zur HP eine deutlicher auf Fachdidaktik ausgerichtete Ausbildung absolviert hat. Sie stellen ebenso fest, dass die LP meist instruktiv und wenig individualisierend unterrichtet und die HP, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ihre Assistentenrolle hauptsächlich gegenüber den Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf einnimmt, was bedeutet, dass sie meist mit einzelnen Schülerinnen oder Schülern mit besonderem Förderbedarf arbeitet. Auch Solis u. a. (2012) stellen in ihrer Untersuchung fest, dass „one teach one assist“ die am meisten verwendete Unterrichtsform in der Kooperation zwischen LP und HP ist. Sie bezeichnen diese Unterrichtsform als wenig effizient und schlagen vor, dass die HP den Lernstoff für die Schülerinnen und Schüler verändert bzw. anpasst. Solis u. a. (2012) nennen zur Optimierung der Effizienz z. B. unterschiedliche Formen von Gruppenarbeiten, damit die akademischen und sozialen Ziele erreicht werden können. Einschränkend muss erwähnt werden, dass sich die Ergebnisse der angloamerikanischen Studien nur teilweise auf Schweizer Verhältnisse übertragen lassen. Der Grund dafür ist der, dass eine Schweizer HP in der Regel vor der Ausbildung zur HP eine LP-Ausbildung absolviert. Dies im Gegensatz zu den anglo-amerikanischen Ländern, in denen die Ausbildung zur HP nicht an eine LP-Ausbildung gebunden ist. Dies zeigt sich auch in der in dieser Arbeit verwendeten Definition von unterrichtsbezogener Kooperation, in der die HP explizit ihr Fachwissen im Hinblick auf die Unterrichtsveränderung im Sinne einer integrativen Gestaltung einbringt (s. o.). In der Schweiz sollte die HP folglich das didaktische Rüstzeug mitbringen, um die Lehrperson bei der Planung und Durchführung eines integrativen Unterrichts zu unterstützen. Dies zeigt sich in den Curricula verschiedener schweizerischer Hochschulen, welche HP ausbilden (vgl. z. B. Hochschule für Heilpädagogik 2014; Pädagogische Hochschule Bern 2013; Pädagogische Hochschule Luzern 2012). Zu den Kernkompetenzen im Unterricht mit IF gehören u. a. die Differenzierung und die Klassenführung. Differenzierung wird nach Klafki (2007) gefordert, wenn es um Chancengleichheit durch das Herstellen von optimalen Lernmöglichkeiten von allen Kindern geht. Sie stellt also eine wichtige Voraussetzung dar zur Integration von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Bedürfnissen (vgl. Joller-Graf 2004). Bönsch (2004) beschreibt innere Differenzierung als alle Maßnahmen, die helfen, mit den unterschiedlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Interessen und Lernbedürfnissen der Schülerinnen und Schüler einer Klasse umzugehen und deren Lernprozesse optimal zu unterstützen. Klassenführungsaspekte beinhalten Maßnahmen, die den Unterricht klar regeln und die es ermöglichen, dass die Lernzeit effektiv genutzt werden kann (Schönbächler 2008). In Bezug auf Kooperation stellt die Projektgruppe emsoz (2005) fest, dass verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler in Unterrichtsstunden, die in Kooperation durchgeführt werden, in geringerem Maße störendes Verhalten zeigen und deutlich aufgabenbezogener arbeiten, als wenn die Lehrperson alleine vor der Klasse steht. Die Differenzierung ist zentral bei der Integration von Kindern mit Lernschwierigkeiten, die Klassenführung bei der Integration von Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten. Zur Frage, ob es den HP gelingt, die Lehrpersonen in der Differenzierung des Unterrichts und in der Klassenführung zu unterstützen, liegen in der Schweiz erste Ergebnisse vor. Thommen u. a. (2008) berichten, dass die untersuchten Teams die unterschiedlichen Lern- und Leistungsvoraussetzungen durch eine methodische oder mediale Differenzierung berücksichtigt haben. Dieses Resultat wird eingeschränkt durch die Feststellung, dass für differenziertere Aussagen VHN 4 | 2015 323 BARBARA BAUMANN, CLAUDIA HENRICH, MICHAELA STUDER Differenzierung und Klassenführung FACH B E ITR AG längere Beobachtungen nötig wären. In der Studie von Baumann u. a. (2012) wurden Aspekte der Differenzierung erfragt, und zwar so, dass die LP angeben mussten, wie ihnen die Differenzierung im Unterricht in Kooperation oder ohne Kooperation gelingt. Es zeigte sich, dass es den LP im Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation signifikant besser gelingt, die Differenzierungsaspekte der Lehrpersonenzuwendung und der Zeitdifferenzierung umzusetzen. Bei der Ziel- und Aufgabendifferenzierung und der Lernbegleitung ist die Einschätzung abhängig von der Qualität der Kooperation. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Klassenführung. Die LP geben an, dass es ihnen im Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation signifikant besser gelingt, die Klassenführungsaspekte der Regelklarheit und der Störungsprävention umzusetzen und sie weniger ineffiziente Interventionen machen, als wenn sie allein sind. Bei den Klassenführungsaspekten Unterrichtsstörung und Zeitverschwendung ist die Einschätzung der LP abhängig von der Qualität der Kooperation. Es kann also nicht gesagt werden, dass sich die unterrichtsbezogene Kooperation generell positiv auf den Unterricht auswirkt, sondern es besteht auch ein Zusammenhang zur Qualität der Kooperation. Wenn man den Forschungsüberblick zur Kooperation zwischen HP und LP betrachtet, fällt auf, dass die Sicht der Schülerinnen und Schüler noch wenig erforscht ist. In dieser Untersuchung steht, analog zur Untersuchung bei den Lehrpersonen von Baumann u. a. (2012), die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler zu Aspekten der Klassenführung und Differenzierung im Unterricht mit und ohne unterrichtsbezogene Kooperation im Zentrum. Die Frage, welche in diesem Artikel beantwortet wird, lautet: Wie werden Klassenführungs- und Differenzierungsaspekte von Schülerinnen und Schülern im Unterricht mit und ohne Kooperation wahrgenommen? 2 Methodisches Vorgehen 2.1 Erhebungsinstrumente und Durchführung Die Daten wurden mit einem Fragebogen erhoben. Als Vorlage für den Schülerinnen- und Schülerfragebogen diente der Fragebogen für Lehrpersonen aus der Forschungsarbeit von Baumann u. a. (2012), der sich eng an denjenigen von Gruehn (2000) anlehnt. Die Fragen, welche für die Schülerinnen und Schüler beantwortbar sind, wurden aus dem Erwachsenenfragebogen übernommen und in eine stufengerechte Sprache übersetzt (Trautmann 2010). Das integrative und kooperative Setting wurde in dem Sinne berücksichtigt, als die betreffenden Fragen zunächst zum Unterricht ohne Kooperation und dann zum Unterricht mit Kooperation gestellt wurden. Die Daten wurden durch Merkmale ergänzt, welche durch die Lehrpersonen ausgefüllt wurden (vgl. Tab. 1). Der Fragebogen wurde im Rahmen eines Pretests erprobt und weiter angepasst. Der Pretest und die Erhebung in den einzelnen Klassen wurden von Studierenden der Hochschule für Heilpädagogik durchgeführt. Um die Durchführungsobjektivität zu gewährleisten, wurden die Studierenden für die Befragung mündlich und schriftlich angeleitet. Die Schülerinnen und Schüler füllten den Fragebogen unter Anleitung der Studierenden im Klassenverband aus. Die Daten wurden von den Forschungsleitenden gesammelt, kontrolliert und im SPSS zusammengeführt. 2.2 Stichprobe Insgesamt wurden 381 Schülerinnen und Schüler (= SuS) aus 20 dritten bis sechsten Primarklassen aus den Kantonen Zug und Zürich VHN 4 | 2015 324 BARBARA BAUMANN, CLAUDIA HENRICH, MICHAELA STUDER Differenzierung und Klassenführung FACH B E ITR AG schriftlich befragt (davon 3. Klasse: 120 SuS; 4. Klasse: 19 SuS; 5. Klasse: 224 SuS; 6. Klasse: 18 SuS) (vgl. Tab 1). In den 20 Klassen wurden insgesamt 76 Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf unterrichtet (vgl. Tab. 1, 4. Spalte). Folglich sind pro Klasse durchschnittlich vier IF-Lernende integriert. Die Unterschiede zwischen den Klassen sind beträchtlich. Während es in der Klasse B keine Kinder mit ausgewiesenem Förderbedarf gibt, haben in der Klasse K sieben von 19 Lernenden den IF-Status. Zwölf der 20 HP haben eine Ausbildung in Schulischer Heilpädagogik absolviert, eine Person ist noch in Ausbildung. Von den sieben Personen ohne Ausbildung in Schulischer Heilpädagogik haben zwei keine Ausbildung, bei drei Personen konnten die Angaben nicht mehr eruiert werden, und je zwei Personen geben an, eine andere Ausbildung zu haben. Die HP haben pro Klasse drei bis zehn Lektionen zugesprochen, davon werden zwischen einer bis acht Lektionen gemeinsam im Klassenzimmer unterrichtet. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Anzahl der zugesprochenen HP-Lektionen und der Anzahl IF-Schülerinnen und Schüler einer Klasse. Drei HP unterrichten alle zugesprochenen Lektionen integrativ im Klassenzimmer (Klassen D, J, P), die anderen unterrichten die Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf zeitweise auch außerhalb des Klassenzimmers. Niemand gibt an, die Schülerinnen und Schüler nur außerhalb des Klassenzimmers zu fördern. Klasse Schulstufe Anzahl SuS Anzahl IF-SuS/ Prozent Hat „HP“ eine Ausbildung als HP? Zugesprochene HP-Lektionen pro Klasse Davon Anzahl Lektionen gemeinsamer Unterricht im Klassenzimmer A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T 3 3 3 3 3 3 3 4 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 6 19 18 19 20 17 11 23 12 19 23 19 18 22 24 21 20 20 20 18 18 2/ 10.5 0/ 0 2/ 10.5 3/ 15 3/ 17.5 2/ 18 6/ 26 3/ 25 5/ 26.5 3/ 13 7/ 37 4/ 22 3/ 13.5 6/ 25 7/ 33.5 4/ 20 3/ 15 3/ 15 4/ 22 6/ 33.5 k. A. ja anderes ja ja In Ausbildung k. A. ja ja ja nein ja ja ja ja nein ja anderes k. A. ja k. A. 5 k. A. 4 4 3 k. A. k. A. 10 4 k. A. 4 3 3 4 4 3 6 k. A. 3 6 3 5 -6 2 -4 4 2 -3 1 6 8 4 3 4 2 -3 1 -3 2 4 1 -2 1 2 2 Total 20 Klassen 381 SuS 76 IF-SuS Tab. 1 Merkmale der Stichprobe VHN 4 | 2015 325 BARBARA BAUMANN, CLAUDIA HENRICH, MICHAELA STUDER Differenzierung und Klassenführung FACH B E ITR AG 2.3 Datenauswertung Einige Items wurden nach der Dateneingabe zunächst umkodiert (etwa: „Im Unterricht ohne/ mit unterrichtsbezogene(r) Kooperation dauert es zumeist sehr lange, bis alle zur Arbeit bereit sind“). Damit konnte erreicht werden, dass eine höhere Zustimmung jeweils auch mit einer Erhöhung dieser Unterrichtsqualitätsaspekte korrespondiert (1 = sehr falsch, 2 = eher falsch, 3 = eher richtig, 4 = sehr richtig). Die Items des Fragebogens wurden einer Hauptkomponenten- und darauf einer Reliabilitätsanalyse unterzogen (vgl. Tab. 2). Einige Items wurden in der Hauptkomponentenanalyse ohne unterrichtsbezogene Kooperation nicht denselben Faktoren zugewiesen wie in der Faktorenanalyse mit unterrichtsbezogener Kooperation. Aufgrund dieses Umstandes und aufgrund der Reliabilitätsanalyse (Cronbachs Alpha) wurden die vier Faktoren „Lernbegleitung“, „Zeitgewinn“, „Störungsfreies Arbeiten“ und „Time on Task“ weiter in die Analyse einbezogen. Diese vier Faktoren vermögen um die 47 % (mit unterrichtsbezogener Kooperation) respektive 44 % (ohne unterrichtsbezogene Kooperation) der Varianz zu erklären. Drei Skalen gehören zur Klassenführung: „Zeitgewinn“, „Time on Task“ und „Störungsfreies Arbeiten“, eine gehört zur Differenzierung im Unterricht: „Lernbegleitung“. Die Skalen „Zeitgewinn“ und „Time on Task“ enthalten Items, die auf eine effektive Nutzung der Lernzeit hinweisen. In der Skala „Störungsfreies Arbeiten“ sind Items enthalten, die darauf hinweisen, ob die Lehrpersonen Störungen frühzeitig erkennen. In der Skala „Lernbegleitung“ befinden sich Items zur diagnostischen Fähigkeit der Lehrpersonen. „Lernbegleitung“ (mit und ohne unterrichtsbezogene[r] Kooperation) korreliert bis auf „Zeitgewinn“ mit allen Skalen signifikant. Lernbegleitung und die anderen Skalen beeinflussen sich positiv, das heißt, je stärker differenziert unterrichtet wird, desto höher werden auch der „Zeitgewinn“, das „Time on Task“ und das „Störungsfreie Arbeiten“ eingeschätzt. Und „Time on Task“ zeigt zu allen Skalen sowohl mit wie ohne unterrichtsbezogene(r) Kooperation signifikante Ergebnisse. Die Mittelwerte der Skalen (Tab. 3) zeigen, dass die Einschätzungen der Schülerinnen und Schüler sowohl mit wie auch ohne unterrichtsbezogene(r) Kooperation kaum differieren. Alle Skalen haben leicht höhere Werte im Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation als ohne unterrichtsbezogene Kooperation. Die höchste Zustimmung sowohl mit wie ohne unterrichtsbezogene(r) Kooperation erhält die Skala „Störungsfreies Arbeiten“. Die Skala „Zeitgewinn“ zeigt den größten Unterschied der Mittelwerte. Da davon auszugehen ist, dass die Einschätzungen der Schülerinnen und Schüler vom jeweiligen Setting abhängig sind (zu erwähnen sind etwa die Qualität der Kooperation zwischen HP und LP oder die Anzahl Lektionen, welche die HP in der Klasse ist), sollten die Daten nicht unabhängig von der Klasse analysiert werden. Somit wäre eigentlich das Vorgehen einer Mehrebenenanalyse indiziert. Mit insgesamt 20 Klassen sind aber die statistischen Vorgaben, um eine Mehrebenenanalyse durchzuführen, nicht gegeben. Daher wurde jede Klasse einzeln angeschaut (quantitative Einzelfallanalyse). Dazu wurde zunächst für jeden Schüler und jede Schülerin die Differenz (zwischen mit und ohne unterrichtsbezogene[r] Kooperation) berechnet und pro Klasse aggregiert. Der Vergleich zwischen Unterricht mit und ohne unterrichtsbezogene(r) Kooperation wurde anschließend auf Klassenebene mit einer einfaktoriellen Varianzanalyse mit Messwiederholung berechnet (vgl. Diehl/ Staufenbiel 2007; Tabachnick/ Fidell 2007). Dann wurden aufgrund der einfaktoriellen Varianzanalyse mit Messwiederholung die Effektstärken (Cohens D) der Klassen mit unterrichtsbezogener Kooperation und ohne unterrichtsbezogene Kooperation verglichen (Ellis 2012). VHN 4 | 2015 326 BARBARA BAUMANN, CLAUDIA HENRICH, MICHAELA STUDER Differenzierung und Klassenführung FACH B E ITR AG Items Zeitgewinn Lernbegleitung Differenzierung Time on Task Störungsfreies Arbeiten Regelklarheit Kommunalität Mit ubK / ohne ubK … dauert es meistens sehr lange, bis alle zur Arbeit bereit sind. (umkodiert) .811 / .710 .590 / .477 … wird immer Blödsinn gemacht. (umkod.) .769 / .783 .685 / .677 … wird immer wieder laut geschwatzt. (umkod.) .756 / .783 .651 / .642 …fehlt meistens bei irgendjemandem etwas, wenn wir / ich anfangen wollen/ will. (umkod.) .751 / .699 .699 / .571 … merkt die LP / merken die LP sofort, wenn ich etwas nicht richtig verstanden habe. .803 / .706 .668 / .509 … weiß die LP / wissen die LP sofort, bei welchen Aufgaben ich Schwierigkeiten habe. .798 / .737 .674 / .642 … weiß die LP / wissen die LP genau, was ich mache. .641 / .656 .319 / .554 / .589 … können schnellere SuS schon zur nächsten Aufgabe gehen. / .314 .741 / / .656 .598 / .543 … hat die LP / haben die LP Zeit, mir etwas nochmals zu erklären. .667 / / .639 .496 / .474 … können wir mit verschiedenen Büchern, Arbeitsblättern oder anderen Materialien arbeiten. .594 / .597 .470 / .449 … können langsamere SuS noch üben und wiederholen. .541 / .532 .504 / .343 … wissen wir, an welchen Zielen wir arbeiten. .351 / .397 / .709 .319 / .576 Tab. 2 Faktorenanalyse zu den Klassenführungs- und Differenzierungsaspekten Den Schülerinnen und Schülern wurden folgende Fragen gestellt: Im Unterricht ohne Teamteaching, also nur mit Frau/ Herrn X … Im Unterricht mit Teamteaching, also mit Frau/ Herrn X und Frau/ Herrn Y … u VHN 4 | 2015 327 BARBARA BAUMANN, CLAUDIA HENRICH, MICHAELA STUDER Differenzierung und Klassenführung FACH B E ITR AG … bin ich in Gedanken oft woanders. (umkod.) .793 / .721 .657 / .618 … mache ich oft andere Dinge, wenn es die LP nicht sieht / sehen. (umkod.) .773 / .721 .691 / .612 …arbeite ich meistens sehr konzentriert und fleißig mit. .657 / .683 .573 / .535 … greift die LP / greifen die LP sofort ein, bevor Unruhe und Störungen überhaupt erst entstehen. .776 / .694 .624 / .534 … schaut die LP / schauen die LP sehr darauf, dass wir aufpassen. .738 / .651 .655 / .573 … merkt die LP / merken die LP sofort, wenn SuS beginnen, etwas anderes zu machen. .470 / .343 .482 / .649 .505 / .560 … sind die Regeln, die man einhalten muss, allen bekannt. / .379 / .534 .740 .625 / .497 … weiß ich, was passiert, wenn ich die Regeln verletze. / .392 .729 / .605 .647 / .606 Erklärte Varianz 19.3 / 17.1 15.4 / 7.9 7.0 / 5.5* 6.4 / 13.0 6.0 / 6.2 5.3 / 5.4* Cronbach Alpha .72 / .77 .72 / .63 .63 / .49 .70 / .67 .65 / .54 .43 / .20 Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation (n = 381). Kaiser-Meyer-Olkin für die Angemessenheit der Stichprobe: .781 / .754. Zur besseren Lesbarkeit wurden lediglich Faktorenladungen über .3 in die Tabelle aufgenommen. * Einige der Items werden in der Hauptkomponentenanalyse ohne ubK nicht den Faktoren wie mit ubK zugewiesen. u Skala Anz. Items Mit unterrichtsbezogener Kooperation Ohne unterrichtsbezogene Kooperation M SD Cronbach Alpha M SD Cronbach Alpha Lernbegleitung Zeitgewinn Störungsfreies Arbeiten Time on Task 3 4 3 3 3.04 2.25 3.15 2.93 .57 .69 .58 .67 .72 .72 .65 .70 2.99 2.15 3.14 2.91 .58 .66 .53 .65 .63 .77 .54 .67 Tab. 3 Skalenübersicht zu Klassenführung und Differenzierung mit und ohne ubK über alle Schülerinnen und Schüler VHN 4 | 2015 328 BARBARA BAUMANN, CLAUDIA HENRICH, MICHAELA STUDER Differenzierung und Klassenführung FACH B E ITR AG 3 Ergebnisse In Tab. 4 sind die Effektstärken der Skalen (Cohens D) auf Klassenebene zu sehen. Werden die Unterrichtsaspekte über alle Klassen (over all) separat betrachtet, kann man sagen, dass der größe Unterschied bei „Zeitgewinn“ wahrgenommen wird (0.18). Darauf folgen die „Lernbegleitung“ (0.06), „Time on Task“ (0.05) und „Störungsfreies Arbeiten“ (0.02). Nach Ellis (2012, 41) wird ab 0.2 von kleinen, ab 0.5 von mittleren und ab 0.8 von großen Effekten gesprochen. Beim Zeitgewinn kann man über alle Klassen gesehen also einen kleinen Effekt feststellen. Das heißt, im Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation wird effizienter gearbeitet. Bei den anderen Aspekten wird, über alle Klassen betrachtet, kein Unterschied wahrgenommen. Alle Effekte liegen jedoch im positiven Bereich. Positiver Effekt bedeutet, dass der Aspekt im Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation besser eingeschätzt wird als im Unterricht ohne unterrichtsbezogene Kooperation. Beim negativen Effekt schätzen die Schülerinnen und Schüler den Aspekt im Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation tiefer ein als im Unterricht ohne unterrichtsbezogene Kooperation. Das bedeutet, dass im Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation etwas effizienter gearbeitet wird. Betrachtet man die Ergebnisse auf Klassenebene, gibt es bei einzelnen Aspekten Klassenunterschiede. Geht man mit Hattie (2013) davon aus, dass ein Unterschied in der Praxis ab .40 wahrgenommen wird, kann man sagen, dass es Klassen gibt, die in Bezug auf einzelne Unterrichtsaspekte einen positiven oder negativen Effekt wahrnehmen (in der Tab. 4 kursiv). So nehmen etwa beim Aspekt des Zeitgewinns die Klasse Zeitgewinn Lernbegleitung Time on Task Störungsfreies Arbeiten A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T 0.43 0.16 0.09 0.09 0.09 0.10 0.38 0.18 0.12 0.25 -0.27 0.30 0.20 0.14 0.42 -0.13 0.30 0.48 0.18 -0.14 0.40 0.03 0.23 0.32 0.18 0.16 -0.03 -0.67 0.00 0.44 -0.10 0.26 0.15 0.31 -0.31 0.04 0.31 -0.23 -0.51 -0.17 0.10 -0.08 0.26 0.01 0.08 0.21 0.12 -0.28 0.14 0.43 -0.48 0.02 0.08 0.05 -0.12 0.14 0.13 0.06 0.17 -0.30 0.36 -0.28 0.13 0.35 0.20 0.25 -0.03 -0.29 0.08 0.01 -0.38 -0.20 0.18 -0.13 -0.23 0.00 0.26 0.32 -0.11 -0.04 over all 0.18 0.06 0.05 0.02 Tab. 4 Effektstärke (Cohens D) der Skalen auf Klassenebene VHN 4 | 2015 329 BARBARA BAUMANN, CLAUDIA HENRICH, MICHAELA STUDER Differenzierung und Klassenführung FACH B E ITR AG Klassen A, G, O und R einen Zeitgewinn im Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation wahr. Die Lernbegleitung wird in den Klassen A und J im Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation besser und in den Klassen H und S negativer eingeschätzt. Die Klasse J arbeitet im Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation konzentrierter (Time on Task), die Klasse K hingegen ist weniger konzentriert. In den Klassen A und D wird im Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation störungsfreier gearbeitet (Störungsfreies Arbeiten). In der Klasse K hingegen gibt es mehr Störungen. Es gibt zwei Klassen, welche bei mehreren Aspekten einen positiven Unterschied wahrnehmen (A, J), und eine Klasse, welche bei mehreren Aspekten einen negativen Unterschied wahrnimmt (K). 4 Diskussion der Ergebnisse und weiterer Forschungsbedarf Im Artikel wurde der Frage nachgegangen, wie Klassenführungs- und Differenzierungsaspekte von Schülerinnen und Schülern auf Klassenebene im Unterricht mit und ohne Kooperation zwischen LP und HP wahrgenommen werden. Betrachtet man die Ergebnisse der Schülerauswertung über alle Klassen, stellt man fest: Der Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation wird von den Schülerinnen und den Schülern leicht besser eingeschätzt, wenngleich die Effektstärken tief sind. Auf Klassenebene wird von wenigen Klassen ein positiver Unterschied (im Unterricht mit unterrichtsbezogener Kooperation wird diese Skala höher/ besser eingeschätzt) oder ein negativer Unterschied (im Unterricht ohne unterrichtsbezogene Kooperation wird diese Skala tiefer/ schlechter eingeschätzt) wahrgenommen. Die Daten lassen es nicht zu, Erklärungsmuster auf Klassenebene zu erkennen (z. B.: In allen Klassen, die eine positive Einschätzung des Unterrichts mit unterrichtsbezogener Kooperation haben, sind der HP besonders viele Lektionen zugesprochen). Diese Ergebnisse sind insofern erstaunlich, da sie sich von der Wahrnehmung der LP und HP zu Unterricht mit und ohne unterrichtsbezogene(r) Kooperation unterscheiden. So schätzen LP und HP ihre Kooperation als effizient, zufriedenstellend und entlastend ein (Baumann u. a. 2012). Bezogen auf die bei den Schülerinnen und Schülern untersuchten Aspekte nehmen LP eine störungsfreiere Unterrichtssituation wahr (Baumann u. a. 2012). Bei den Aspekten Lernbegleitung, Störung und Zeitverschwendung fällt die Einschätzung der Lehrpersonen zwar positiv für den Unterricht zu zweit aus, der Unterschied ist aber nicht signifikant (ebd.). Aufgrund der theoretischen Annahme, dass die HP einen Mehrwert für den Unterricht bringen sollte, stellt sich die Frage, weshalb dies in dieser Untersuchung von den Schülerinnen und Schülern anscheinend nicht wahrgenommen wird. Dazu gibt es verschiedene Vermutungen: n Die HP trägt in der Klasse die Hauptverantwortung für die Schülerinnen und Schüler mit besonderem Bildungsbedarf. In einer Klasse erhalten in der Regel also nicht alle Schülerinnen und Schüler eine Unterstützung durch die HP. Schülerinnen und Schüler, denen die Unterstützung der HP besonderes zugute kommt, nehmen im Gegensatz zu den anderen Schülerinnen und Schülern einen Unterschied wahr. Mit dem gewählten Forschungsdesign konnten keine Aussagen dazu gemacht werden. Dies wäre aber ein zentraler Ansatz, um den Unterricht mit und ohne unterrichtsbezogene(r) Kooperation zu analysieren. Zukünftige Forschung müsste sich auf Wahrnehmungsunterschiede dieser Gruppe fokussieren. VHN 4 | 2015 330 BARBARA BAUMANN, CLAUDIA HENRICH, MICHAELA STUDER Differenzierung und Klassenführung FACH B E ITR AG n Die Aufgabe der HP ist es, die gesamte Unterrichtsentwicklung zu unterstützen. Wenn ihr das (trotz zum Teil geringer Ressourcen) gelingt, ist der Unterschied mit und ohne unterrichtsbezogene(r) Kooperation für die Schülerinnen und Schüler nicht mehr spürbar. Wenn ihr die Aufgabe grundlegend misslingt und sie sich auch sonst nicht einbringen kann, ist der Unterschied ebenso wenig spürbar. Dann trägt die LP den Unterricht. n Es gibt außerdem einige Punkte, die bei der Befragung selbst hätten berücksichtigt werden müssen. Die Beantwortung der Fragebogen dauerte insgesamt eher lang (eine Lektion). Dies könnte insbesondere die jüngeren Schülerinnen und Schüler an die Grenzen ihrer Aufmerksamkeit gebracht haben. Zudem könnte die Beantwortung der gleichen Frage für den Unterricht mit und ohne unterrichtsbezogene(r) Kooperation zu Verwirrung geführt haben. Kloss (2014) stellt zudem fest, dass der Umstand beachtet werden muss, dass, wenn die Schülerinnen und Schüler zum ersten Mal einen Fragebogen sehen, sie mit zwei Anforderungen gleichzeitig konfrontiert sind: Der Logik des Fragebogens und derjenigen, den Inhalt der Items zu verstehen. n In der theoretischen Diskussion zur Wahrnehmung von Schülerinnen und Schülern von Unterricht (vgl. z. B. Ditton 2002; Faut u. a. 2014; Kloss 2014) wird die grundsätzliche Frage gestellt, ob jüngere Schülerinnen und Schüler (also Primarschülerinnen und -schüler, wie sie in dieser Untersuchung befragt wurden) überhaupt in der Lage sind, Urteile zur Unterrichtsqualität abzugeben. Aufgrund entwicklungspsychologischer Theorien muss angenommen werden, dass sich die Beurteilungsfähigkeit erst im Alter zwischen 12 bis 14 Jahren herausbildet und die Urteile aus entwicklungspsychologischen Gründen differenzierter ausfallen. In Bezug auf das in dieser Studie befragte Unterrichtsmerkmal der Klassenführung lässt sich empirisch eine verhalten optimistische Einschätzung der Beurteilungsfähigkeit von jungen Kindern geben. Wie Faut u. a. (2014) feststellen, ergibt sich bei der Einschätzung zur Klassenführung auch bei Kindern des 3. Grundschuljahres eine relativ hohe Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Beobachterperspektiven (Lehrpersonen, externe Beobachter), was mit dem Vorhandensein verhaltensnaher Indikatoren erklärt wird. Kloss (2014) zeigt in ihrer Studie, dass auf der dritten und vierten Jahrgangsstufe der Zusammenhang zwischen Fähigkeitseinschätzung der Schülerinnen und Schüler und ihrer Unterrichtsbeurteilung moderat, der Zusammenhang zwischen ihrer Sympathie zur Lehrperson und ihren Interessen im Fach und ihrer Unterrichtsbeurteilung stark ist, was für eine eher geringere Validität ihrer Einschätzung sprechen würde. Kloss präzisiert hingegen diese allgemeinen Ergebnisse. So steigt der Zusammenhang zwischen Sympathie und Unterrichtsbeurteilung mit dem Alter der Schülerinnen und Schüler an. In diesem Bereich scheinen die jüngeren Schülerinnen und Schüler eine validere Einschätzung zu geben als ältere. Für die anderen beiden Punkte gibt es keine altersspezifischen Unterschiede. Kloss (2014) stellt hingegen fest, dass je unterrichtszentrierter (statt lehrerzentriert), sachlicher beschreibend (statt evaluativ) und klassenbezogener (statt selbstbezogen) die Items formuliert werden, desto geringer der Zusammenhang zwischen Fähigkeitsbeurteilung, Sympathie und Interesse zur Unterrichtsbeurteilung ist. Dadurch steigt die Validität des Urteils, und wenn diese Vorgaben bei der Fragebogenkonstruktion beachtet werden, können auch Grundschülerinnen eine relativ valide Unterrichtsbeurteilung abgeben. Im Hinblick auf eine Folgestudie müssten diese Vorgaben bei der Fragebogenkonstruktion besser beachtet werden. In Bezug auf diese Untersuchung ebenfalls kritisch anzumerken ist, dass die VHN 4 | 2015 331 BARBARA BAUMANN, CLAUDIA HENRICH, MICHAELA STUDER Differenzierung und Klassenführung FACH B E ITR AG Schülerinnen und Schüler die Fragen bezogen auf „den Unterricht der letzten beiden Wochen“ beantwortet haben. Eine Spezifizierung der Fragestellung auf eine bestimmte Lektion in einem bestimmten Fach (z. B. Mathe oder Deutsch), wie das in den oben erwähnten Studien gemacht wurde, wäre gewinnbringender gewesen. Ein weiteres Argument für eine Einschränkung auf diese beiden Leistungsfächer ist, dass die HP in der Regel in diesen beiden Fächern für die Differenzierung und Klassenführung mitverantwortlich ist. Dies ist eine erste Untersuchung der Wahrnehmung von Schülerinnen und Schülern von Unterricht mit und ohne unterrichtsbezogene(r) Kooperation. Im Hinblick auf die Erklärung des Phänomens konnten aufgrund der erhobenen Daten keine schlüssigen Hypothesen generiert werden. Der Forschungsbedarf in Bezug auf die Einschätzung von Schülerinnen und Schülern von Unterricht mit und ohne unterrichtsbezogene(r) Kooperation bleibt bestehen. Ein erster Schritt wird in einer qualitativen Untersuchung gesehen: Welche Kriterien guten Unterrichts werden von den Schülerinnen und Schülern im Unterricht mit Kooperation wahrgenommen? In einem weiteren Schritt könnten die daraus generierten Hypothesen in einer größeren Stichprobe getestet und es könnte abgeklärt werden, ob es Unterschiede in der Wahrnehmung von Schülerinnen und Schülern mit IF in Bezug auf diese Unterrichtsaspekte gibt. Es kann angenommen werden, dass die Schülerinnen und Schüler diese Unterschiede stärker wahrnehmen, da sie im Fokus der Förderung stehen. Spannend wäre auch eine Untersuchung der Befindlichkeit der IF-Schülerinnen und Schüler bei Anwesenheit/ Abwesenheit der HP mit der ESM-Methode, ähnlich wie das Bischofberger u. a. (2009) im Rahmen einer Masterthese an der Hochschule für Heilpädagogik im Hinblick auf die allgemeine Befindlichkeit im integrativen Unterricht getan haben. Literatur Baumann, B.; Henrich, C.; Studer, M. 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