Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2015.art40d
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2015
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Rezension: Göppel, Rolf (2014): Gehirn, Psyche, Bildung. Chancen und Grenzen einer Neuropädagogik
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Markus Dederich
Das 2014 erschienene Buch des Erziehungswissenschaftlers Rolf Göppel ist eine kritische Auseinandersetzung mit einer Reihe von prominenten deutschen Neurowissenschaftlern und deren breit rezipierten pädagogischen Publikationen. Einige von ihnen haben sich vor allem im öffentlichen Diskurs als die wahren Experten für Bildungsfragen in Stellung gebracht und profilieren sich mit weitreichenden Thesen sowie mit der Verheißung, eine neurowissenschaftlich fundierte Pädagogik werde die notorischen Technologiedefizite dieses Feldes endlich überwinden. Es ist ein Vergnügen, dem Autor bei seiner Dekonstruktionsarbeit zu folgen.
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VHN 4 | 2015 357 REZE NSION E N Göppel, Rolf (2014): Gehirn, Psyche, Bildung. Chancen und Grenzen einer Neuropädagogik Stuttgart: Kohlhammer. 216 S., € 24,99 Das 2014 erschienene Buch des Erziehungswissenschaftlers Rolf Göppel ist eine kritische Auseinandersetzung mit einer Reihe von prominenten deutschen Neurowissenschaftlern und deren breit rezipierten pädagogischen Publikationen. Einige von ihnen haben sich vor allem im öffentlichen Diskurs als die wahren Experten für Bildungsfragen in Stellung gebracht und profilieren sich mit weitreichenden Thesen sowie mit der Verheißung, eine neurowissenschaftlich fundierte Pädagogik werde die notorischen Technologiedefizite dieses Feldes endlich überwinden. Es ist ein Vergnügen, dem Autor bei seiner Dekonstruktionsarbeit zu folgen. Göppel klärt zu Beginn, dass seine Untersuchung der neurowissenschaftlichen Argumentationsmuster und Positionen von einer psychoanalytisch grundierten Erziehungswissenschaft aus erfolgt. Hierbei werden einige thematische Schwerpunktsetzungen vorgenommen. Zunächst wird die von den Neurowissenschaftlern vertretene These, eine ‚hirngerechte‘ Frühpädagogik sei entscheidend für die Ausschöpfung kindlicher Bildungspotenziale, kritisch reflektiert (Kap. 1). In Kapitel zwei steht das von der Hirnforschung propagierte neurowissenschaftliche Bild vom Kind im Zentrum der Aufmerksamkeit, während sich das dritte Kapitel der neurowissenschaftlichen Konstruktion bestimmter Entwicklungscharakteristika des Jugendalters zuwendet. Das umfangreichste Kapitel des Buchs (Kap. 4) ist dem ADHS und den problematischen Engführungen des diesbezüglichen neurowissenschaftlichen Diskurses gewidmet. Kapitel 5 befasst sich mit dem aus erziehungswissenschaftlicher Sicht insgesamt eher oberflächlichen Bildungsverständnis führender deutscher Popularisierer der Hirnforschung. Kapitel 6 schließlich rekapituliert die z. T. vernichtende Kritik der Hirnforscher an der Institution Schule und unterzieht diese ihrerseits einer kritischen Prüfung. Obwohl Göppel den pädagogischen Versuchen führender deutscher Neurowissenschaftler eindeutig skeptisch gegenüber steht, ist er um eine differenzierte Darstellung und Bewertung bemüht. So betont er an vielen Stellen den pädagogischen Nutzen neurowissenschaftlicher Erkenntnisse. Zugleich macht er in aller Deutlichkeit auf methodische Probleme, den unreflektierten Gebrauch von Metaphern und eine bisweilen haarsträubende Praxis des Schlussfolgerns und der Verallgemeinerung von Forschungsbefunden aufmerksam. Göppel lässt kaum Zweifel daran, dass diese und andere Probleme die wissenschaftliche Seriosität z. B. der Texte von Manfred Spitzer ernsthaft in Mitleidenschaft ziehen. Darüber hinaus wird deutlich, dass es zwischen den besonders exponierten Vertretern der Neurowissenschaft in Deutschland nicht nur Differenzen in Detailfragen gibt, sondern auch handfeste Widersprüche. Allein hierdurch wird der Anspruch auf Deutungshoheit in das Zwielicht einer längst noch nicht abgeschlossenen Wahrheitssuche gerückt. Leserinnen und Lesern, die sich zugleich kritisch und konstruktiv mit neurowissenschaftlichen Beiträgen zur Pädagogik befassen wollen, sei das Buch ausdrücklich empfohlen. Prof. Dr. Markus Dederich D-50931 Köln DOI 10.2378/ vhn2015.art40d
