Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2016.art15d
5_085_2016_2/5_085_2016_2.pdf41
2016
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Fachbeitag: Soziale Peer-to-Peer-Unterstützung im Jugendalter
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2016
Marius Metzger
Andreas Meili
Sandra Wyss
Die vorliegende Studie geht der Frage nach, welche Formen sozialer Unterstützung gleichaltrige Jugendliche für die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben als besonders bedeutsam erachten. Hierzu wurden insgesamt 272 Mädchen und 242 Jungen im Alter von 12 bis 20 Jahren (N = 514) befragt. Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass über alle Adoleszenzphasen hinweg für beide Geschlechter Beratung die meist genannte verhaltensbezogene Form der sozialen Unterstützung darstellt. Während dies bei Mädchen weitgehend uneingeschränkt gilt, nimmt die Bedeutung der Beratung bei Jungen mit Eintritt in die mittlere Adoleszenzphase zugunsten der Unterstützungsform Geselligkeit ab.
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140 VHN, 85. Jg., S. 140 -147 (2016) DOI 10.2378/ vhn2016.art15d © Ernst Reinhardt Verlag Soziale Peer-to-Peer-Unterstützung im Jugendalter Marius Metzger, Andreas Meili, Sandra Wyss Hochschule Luzern - Soziale Arbeit Zusammenfassung: Die vorliegende Studie geht der Frage nach, welche Formen sozialer Unterstützung gleichaltrige Jugendliche für die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben als besonders bedeutsam erachten. Hierzu wurden insgesamt 272 Mädchen und 242 Jungen im Alter von 12 bis 20 Jahren (N = 514) befragt. Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass über alle Adoleszenzphasen hinweg für beide Geschlechter Beratung die meist genannte verhaltensbezogene Form der sozialen Unterstützung darstellt. Während dies bei Mädchen weitgehend uneingeschränkt gilt, nimmt die Bedeutung der Beratung bei Jungen mit Eintritt in die mittlere Adoleszenzphase zugunsten der Unterstützungsform Geselligkeit ab. Schlüsselbegriffe: Soziale Unterstützung, Adoleszenz, Entwicklung Social Peer-to-Peer Support During Adolescence Summary: This study investigates which form of peer support is particularly prevalent for coping with challenges during adolescent development. A sample of 272 girls and 242 boys between the ages of 12 and 20 were interviewed face-to-face (N = 514). Throughout all phases of adolescence, the results show clearly for both sexes that advice is the most frequently cited behavioral form of peer support. While, for girls, this result was consistent throughout all phases of adolescence, the frequency of advice for boys decreases as the boys reach later adolescence. As boys pass into the middle phase of adolescence, sociability replaces advice as the dominant component of social interaction. Keywords: Social support, adolescence, development FACH B E ITR AG 1 Soziale Unterstützung Das Jugendalter gilt weitgehend unbestritten als eine besonders herausfordernde Zeit, während derer Weichen für die weitere Entwicklung gestellt werden. Jugendlichen gelingt die Bewältigung der anstehenden Entwicklungsaufgaben dann am besten, wenn sie hierfür von verschiedenen Seiten soziale Unterstützung erfahren (Yu Rueger u. a. 2010). Soziale Unterstützung kann mit Diewald und Sattler (2010, 689) als Bezeichnung für zumeist positive Auswirkungen sozialer Beziehungen auf das individuelle Wohlergehen definiert werden. Zwischen einem Empfänger und einem Geber werden dabei unterschiedlich ausgestaltete soziale Unterstützungsleistungen ausgetauscht. Soziale Unterstützung findet innerhalb eines Netzwerkes statt, bezieht sich aber nicht auf strukturelle Eigenschaften, sondern vielmehr auf Inhalte. Diese Unterstützungsleistungen können mit Diewald (1991), in Anlehnung an Caplans (1979) funktionale Konzeption sozialer Unterstützung, als verhaltensbezogene Form sozialer Unterstützung im Sinne von konkret beobachtbaren Interaktionen und als psychische Form sozialer Unterstützung im Sinne von Vermittlungsleistungen von Bewusstseins- und Gefühlszuständen verstanden werden. Im Gegensatz zu den ebenfalls geläufigen Sozialkapital- Konzepten bleibt das Verständnis von sozialer Unterstützung indessen weitgehend auf den persönlichen Nahbereich beschränkt. Diese Beschränkung auf den persönlichen Nahbereich VHN 2 | 2016 141 MARIUS METZGER, ANDREAS MEILI, SANDRA WYSS Soziale Peer-to-Peer-Unterstützung FACH B E ITR AG darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass letztlich das vorhandene respektive nicht vorhandene soziale Kapital über den Zugang zur sozialen Unterstützung entscheidet. Eine Unterschlagung dieses Zusammenhanges wäre als problematisch zu werten, da sich damit die vorhandene respektive nicht vorhandene soziale Unterstützung zur persönlichen Angelegenheit erklären ließe. Treffend sprechen Opp und Fingerle (2007, 16) in diesem Zusammenhang von der Gefahr einer Re-Individualisierung von Lebensrisiken in der Postmoderne, welche sich durch eine neoliberale Verschiebung in der sozialpolitischen Bearbeitung von Risikolagen erklären lässt. Zur Erklärung der Wirkweise sozialer Unterstützung existieren verschiedene Modelle, wobei insbesondere die Vorstellung von Direkt- und Puffereffekten die fachliche Diskussion dominiert. Von einem Direkteffekt geht man dann aus, wenn soziale Unterstützung generell das Wohlbefinden des Empfängers steigert. Von einem Puffereffekt spricht man dagegen, wenn aufgrund der sozialen Unterstützung die negativen Folgen von aktuell wirksamen Stressoren gemildert werden. Von empirischer Seite blieb lange Zeit weitgehend unklar, welches Modell die Wirkweise sozialer Unterstützung besser erklärt, da Studien entweder das eine oder das andere Modell untersucht haben - mit zum Teil widersprüchlichen Ergebnissen. Neuere Forschungen versuchen Interaktionen zwischen beiden Modellen herauszuarbeiten oder streben einen Direktvergleich beider Modelle an. So konnten etwa Kraaij u. a. (2003) zeigen, dass bei Jugendlichen stabile Bindungen über ein höheres Vertrauen in das eigene Bewältigungsvermögen sowohl einen Direkteffekt als auch, über erhöhte Resistenz gegenüber zu bewältigenden Stresssituationen, einen Puffereffekt entfalten. Marion u. a. (2013, 1300) konnten in einem vielversprechenden Direktvergleich beider Wirkmodelle zeigen, dass die längsschnittlichen Wirkungen sozialer Unterstützung von der Adoleszenz bis ins mittlere Erwachsenenalter zuverlässig über das Puffermodell, nicht aber über das Direkteffektmodell erklärt werden können. Möglicherweise lässt sich hierbei die Überlegenheit des Puffermodells über eine Beseitigung persistierend-infektiöser Problemlagen erklären: „A buffered-effects model suggests that friends help adolescents overcome difficulties that would otherwise metastasize. Mechanisms that explain this influence involve those that provide immediate protection against problems that have potential long-term consequences, as when friends intervene against victimization perpetuated on youth with peer troubles, and those that provide sustained protection against problems, as when friends help socially unskilled youth modify behaviors in ways that improve prospects for future peer and romantic relationships […].“ (Ebd.) 2 Unterstützungsbedürfnisse Jugendlicher Ungeachtet der andauernden Unklarheiten der Wirkweise sozialer Unterstützung besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass soziale Unterstützung bei Jugendlichen mit bedeutsamen Auswirkungen auf die eigene Entwicklung einhergeht (Yu Rueger u. a. 2010). Der Bedarf an sozialer Unterstützung von Mädchen und Jungen ist allerdings erwiesenermaßen unterschiedlich (Rose/ Smith 2009). So zeigen sich etwa bei der Vermittlung von Gefühlszuständen als auch beim prosozialen Verhalten geschlechtsspezifische Unterschiede. Mädchen scheinen der Vermittlung von Gefühlszuständen und dem prosozialen Verhalten größere Bedeutung zuzumessen als Jungen. Bei der Vermittlung von Bewusstseinszuständen zeigen sich zwischen Mädchen und Jungen dagegen keine Unterschiede (Lafferty 2004; Garaigordobil 2009). Gemeinsam ist Mädchen und Jungen jedoch der geberspezifische Umgang mit Unterstützungsangeboten. Je nach Art des Bereitstellens von Unterstützungsangeboten besteht eine un- VHN 2 | 2016 142 MARIUS METZGER, ANDREAS MEILI, SANDRA WYSS Soziale Peer-to-Peer-Unterstützung FACH B E ITR AG terschiedliche Bereitschaft zur Annahme von Unterstützungsangeboten. Trotz einer latent vorhandenen Bedürftigkeit an Unterstützungsleistungen werden nämlich entsprechende Angebote von Erwachsenen im Unterschied zu solchen von Jugendlichen häufig zurückgewiesen (Boulton 2005). Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich dahingehend erklären, dass das in der Jugendphase typische Streben nach Unabhängigkeit dazu führt, dass sich Jugendliche nicht gerne von anderen abhängig erleben und sich generell stärker an Gleichaltrigen als Unterstützer der Autonomiebemühungen orientieren. Das vordergründig unvernünftige Zurückweisen von Unterstützungsangeboten Erwachsener lässt sich also mit der subjektiv höher gewichteten Demonstration eigener Unabhängigkeit von erwachsenen Einflussbemühungen mit der Folge einer potenziell weniger effektiven Problembearbeitung begründen. Die Intensität einer ablehnenden Haltung gegenüber den Unterstützungsangeboten Erwachsener nimmt dabei mit zunehmender Autonomie der Jugendlichen nachgewiesenermaßen zu, wie Keijsers u. a. (2009) in ihrer Studie zeigen konnten. Spätestens in der mittleren Adoleszenz haben Erwachsene damit nur noch begrenzte Möglichkeiten, Jugendliche bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben zu unterstützen. Im Bewusstsein um diese entwicklungstypische Eigenheit muss sich der Fokus zur Konzeption aussichtsreicher Unterstützungsangebote daher von den Erwachsenen weg und hin zu den Jugendlichen selbst verschieben. Konsequenterweise sind in den letzten Jahren hierzu verschiedene praktische Ansätze zur Förderung der Unterstützungsleistungen von Jugendlichen für Jugendliche im Rahmen eines sogenannten Peer-Involvement entwickelt und umgesetzt worden (Kästner 2003). Über die Rede eines „Involvements“ soll die Beteiligung der Jugendlichen in den Vordergrund gerückt werden, wobei dieses Peer- Involvement als Sammelbegriff verschiedener Handlungskonzepte zur Beratung, Erziehung und Bildung von Jugendlichen für Jugendliche fungiert. Hinsichtlich deren Wirkung kann zwischen Peer-Involvement-Ansätzen unterschieden werden, die sich relativ spezifisch auf ein konkretes Problem wie beispielsweise Schuldenprävention richten, und Peer-Involvement-Ansätzen, die unspezifisch auf das psychische und physische Wohlbefinden von Jugendlichen einwirken wollen. Es zeigen sich hier also interessante Entsprechungen zu den Überlegungen zur Wirkweise sozialer Unterstützung via Direkt- und Puffereffekte. Leider ist solchen Peer-Involvement-Ansätzen allerdings ein generelles Theorie- und Empiriedefizit zu eigen (Heyer 2010), welches sich besonders deutlich bei jenen Ansätzen zeigt, die unspezifisch das psychische und physische Wohlbefinden Jugendlicher verbessern wollen. Problematisch erscheint dabei weniger die Wirkungsoffenheit der unspezifischen Peer- Involvement-Ansätze, da deren (Un-)Wirksamkeit über empirische Ergebnisse zu Effekten sozialer Unterstützung zumindest indirekt erschlossen werden kann. Vielmehr muss unseres Erachtens die weitgehend fremdbestimmte Ausgestaltung der Förderung von ausgewählten Unterstützungsleistungen als problematisch bewertet werden. In der Regel bleibt bei solchen Angeboten nämlich meistens unklar, welche Unterstützungsformen überhaupt gefördert werden sollen respektive aus Sicht der Jugendlichen auch Förderung verdienen. Die vorliegende Studie will hier Abhilfe schaffen und einen Beitrag dazu leisten, aus Sicht der betroffenen Jugendlichen aussichtsreiche Unterstützungsformen herauszuarbeiten. Aus diesem Grund wurden Jugendliche danach befragt, wie andere Jugendliche bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben am besten unterstützen können. 3 Methode Um die Varianz im Sample zu maximieren, haben wir insgesamt 257 Studierende des Departementes Soziale Arbeit der Hochschule VHN 2 | 2016 143 MARIUS METZGER, ANDREAS MEILI, SANDRA WYSS Soziale Peer-to-Peer-Unterstützung FACH B E ITR AG Luzern zur Mitarbeit gewinnen und schulen können, die in Face-to-Face-Befragungen verschiedene Jugendliche zu Unterstützungsformen bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben befragt haben. Studierende Sozialer Arbeit wurden zur Mitarbeit rekrutiert, da sie sich die unterschiedlichen Handlungszusammenhänge Jugendlicher wie beispielsweise Freizeit, Politik, Sport, Schule usw. vergleichsweise leicht erschließen können. Nach einer jugendgerechten Klärung des Konzeptes von Entwicklungsaufgaben wurden die Jugendlichen in den Face-to-Face-Befragungen daraufhin befragt, inwiefern sie bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben durch andere Jugendliche unterstützt werden können. Das Sample von insgesamt 514 Jugendlichen umfasste 272 Mädchen und 242 Jungen im Alter von 12 bis 20 Jahren. Die offenen Antworten der Jugendlichen wurden unter Zuhilfenahme der Typologie sozialer Unterstützung nach Diewald (1991) codiert, wobei aufgrund deren Bedeutsamkeit auf Erstnennungen fokussiert wurde. Hierbei haben wir uns auf verhaltensbezogene Formen sozialer Unterstützung beschränkt, da die Anwendbarkeit der Ergebnisse im Vordergrund stand und die Förderung psychischer Formen sozialer Unterstützung Jugendliche potenziell eher überfordern dürfte. Darüber hinaus sind wir davon ausgegangen, dass Jugendliche ebenfalls verhaltensbezogene Formen sozialer Unterstützung für aussichtsreicher einschätzen dürften als psychische Formen sozialer Unterstützung. Theoretisch wäre aber selbstverständlich ebenso denkbar, dass verhaltensbezogene und psychische Formen der Unterstützung zu etwa gleichen Teilen genannt werden. Unsere erste Null- und Alternativhypothese formulierten wir daher wie folgt: In der Nullhypothese H0 wurde angenommen, dass die beobachteten absoluten und theoretisch zu erwartenden Häufigkeiten der verhaltensbezogenen und psychischen Formen der sozialen Unterstützung voneinander unabhängig sind. In der Alternativhypothese Ha wurde dagegen angenommen, dass die beobachteten absoluten und theoretisch zu erwartenden Häufigkeiten der verhaltensbezogenen und psychischen Formen der Unterstützung voneinander abhängig sind. Mit Blick auf das Alter der Jugendlichen wurde eine weitere Unterteilung in frühe Adoleszenz (12 - 14 Jahre), mittlere Adoleszenz (15 - 17 Jahre) und späte Adoleszenz (18 - 20 Jahre) vorgenommen. Anschließend wurde die nach Geschlechtern getrennte Nennung von Unterstützungsformen ausgezählt und dargestellt. Gerechnet wurde mit dem exakten Fisher-Test, da sich dieser vergleichsweise konservative Signifikanztest als äußerst robust erweist. In diesem Test konnte die Hypothese zweiseitig geprüft werden, ob zwischen Mädchen und Jungen adoleszenzphasenspezifische Unterschiede bestehen. Unsere zweite Null- und Alternativhypothese lautete daher wie folgt: In der Nullhypothese H0 wurde angenommen, dass sich Geschlecht und Unterstützungsformen als unabhängig erweisen. In der Alternativhypothese Ha wurde dagegen angenommen, dass sich Geschlecht und Unterstützungsformen als abhängig erweisen. 4 Ergebnisse 436 Erstnennungen an Unterstützungsformen ließen sich der verhaltensbezogenen Unterstützung zuordnen, wobei hier 237 auf Mädchen und 199 auf Jungen entfielen. 78 Erstnennungen an Unterstützungsformen ließen sich der psychischen Unterstützung zuordnen, wobei hier 35 auf Mädchen und 43 auf Jungen entfielen. Es zeigt sich, dass die beobachteten absoluten Häufigkeiten und die theoretisch zu erwartenden Häufigkeiten der verhaltensbezogenen und der psychischen Formen der Unterstützung für Mädchen und Jungen im Chi- Quadrat-Test auf einem Niveau von .05 signifikant voneinander abhängig sind (FG = 1, p = < 0.0001). Die Nullhypothese H0 muss damit verworfen und die Alternativhypothese Ha angenommen werden. VHN 2 | 2016 144 MARIUS METZGER, ANDREAS MEILI, SANDRA WYSS Soziale Peer-to-Peer-Unterstützung FACH B E ITR AG Aufgrund der eindeutigen Dominanz der verhaltensbezogenen gegenüber den psychischen Formen der Unterstützung haben wir die 436 Erstnennungen unter Zuhilfenahme der Diewaldschen Typologie (1991) weiter in die drei Unterstützungsformen Beratung, Geselligkeit und Intervention unterteilt. 307 Erstnennungen mit 185 Mädchen und 122 Jungen entfielen auf die Unterstützungsform Beratung, 89 Erstnennungen mit 30 Mädchen und 59 Jungen entfielen auf die Unterstützungsform Geselligkeit, und 40 Erstnennungen mit 22 Mädchen und 18 Jungen entfielen auf die Unterstützungsform Intervention. Frühe Adoleszenz (n = 99): In der frühen Adoleszenz zeigt sich, dass Unterstützungsformen und Geschlecht in den Kontingenztafeln im exakten Fischer Test auf einem Niveau von .05 nicht signifikant voneinander abhängig sind (FG = 2, p = .235). Die Nullhypothese H0 muss damit angenommen und die Alternativhypothese Ha abgelehnt werden. Dieser Befund lässt sich mit der visuellen Inspektion der relativen Häufigkeiten gut nachvollziehen, anhand derer deutlich wird, dass sowohl Mädchen als auch Jungen in der frühen Adoleszenz die Beratung gegenüber der Geselligkeit und Intervention höher schätzen. Mittlere Adoleszenz (n = 208): In der mittleren Adoleszenz zeigt sich, dass Unterstützungsformen und Geschlecht in den Kontingenztafeln im exakten Fischer Test auf einem Niveau von .05 signifikant voneinander abhängig sind (FG = 2, p = .001). Die Nullhypothese H0 muss damit abgelehnt und die Alternativhypothese Ha angenommen werden. Dieser Befund lässt sich mit der visuellen Inspektion der relativen Häufigkeiten gut nachvollziehen, anhand derer deutlich wird, dass zwar auch in der mittleren Adoleszenz die Beratung aus Sicht beider Geschlechter am höchsten gewichtet wird, aber geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen: Jungen nennen Geselligkeit und Interventionen als wichtige Unterstützungsformen häufiger, als dies Mädchen tun. Späte Adoleszenz (n = 129): In der späten Adoleszenz zeigt sich, dass Unterstützungsformen und Geschlecht in den Kontingenztafeln im exakten Fischer Test auf einem Niveau von .05 signifikant voneinander abhängig sind (FG = 2, p = .008). Die Nullhypothese H0 muss damit abgelehnt und die Alternativhypothese Ha angenommen werden. Dieser Befund lässt sich mit der visuellen Inspektion der relativen Häufigkeiten gut nachvollziehen, anhand derer deutlich wird, dass zwar auch in der späten Adoleszenz die Beratung aus Sicht beider Geschlechter am höchsten gewichtet wird, aber geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen: Jungen nennen Geselligkeit als wichtige Unterstützungsform häufiger, als dies Mädchen tun. Frühe Adoleszenz Beratung Geselligkeit Intervention Mädchen Jungen 45 (75 %) 27 (69 %) 8 (13 %) 10 (26 %) 7 (12 %) 2 (5 %) Mittlere Adoleszenz Beratung Geselligkeit Intervention Mädchen Jungen 84 (78 %) 54 (54 %) 17 (16 %) 33 (33 %) 7 (6 %) 13 (13 %) Späte Adoleszenz Beratung Geselligkeit Intervention Mädchen Jungen 56 (81 %) 41 (68 %) 5 (7 %) 16 (27 %) 8 (12 %) 3 (5 %) Tab. 1 Adoleszenzphasenspezifische Unterstützungsformen VHN 2 | 2016 145 MARIUS METZGER, ANDREAS MEILI, SANDRA WYSS Soziale Peer-to-Peer-Unterstützung FACH B E ITR AG Mädchen nennen dagegen Interventionen als wichtige Unterstützungsform etwas häufiger, als dies Jungen tun. 5 Diskussion Es zeigt sich, dass verhaltensbezogene und psychische Formen der sozialen Unterstützung nicht gleich verteilt sind, sondern verhaltensbezogene Formen der sozialen Unterstützung von den Jugendlichen eindeutig häufiger genannt werden. Der Befund bestätigt damit wenig überraschend unsere erste Hypothese, wonach Jugendliche verhaltensbezogene gegenüber psychischen Formen der sozialen Unterstützung als bedeutsamer einschätzen. Kritisch muss hierbei allerdings auch darauf hingewiesen werden, dass verhaltensbezogene Formen der sozialen Unterstützung möglicherweise auch schlicht aufgrund ihrer Salienz häufiger genannt werden. Auf jeden Fall stützt dieser Befund unseres Erachtens aber die Entscheidung zur Fokussierung auf verhaltensbezogene Formen der sozialen Unterstützung, da diesen ein höheres Potenzial zum Transfer in die Praxis zukommen dürfte. Schließlich müssen sich Jugendliche von einem Angebot überhaupt erst angesprochen fühlen, um es in Anspruch nehmen zu wollen. Es erscheint daher nur folgerichtig, auf verhaltensbezogene Formen sozialer Unterstützung zu fokussieren. Selbstverständlich kann und soll bei der Realisierung von solchen Angeboten immer auch geprüft werden, inwiefern Jugendliche auch über die Vermittlung von Bewusstseins- und Gefühlszuständen Unterstützung von anderen Jugendlichen erfahren können. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sprechen aber dafür, dass diese Vermittlungsleistungen eher nachrangig behandelt werden sollten. Aufgrund der vorrangigen Bedeutung der verhaltensbezogenen Form der sozialen Unterstützung wurde unter Zuhilfenahme der Diewaldschen Typologie (1991) diese daher weiter in die drei Unterstützungsformen Beratung, Geselligkeit und Intervention unterteilt und ausgewertet. Gemäß der Diewaldschen Typologie (1991, 72f) ist unter „Beratung“ sowohl die sachbezogene als auch die persönliche Beratung zu verstehen, wohingegen unter „Geselligkeit“ gemeinsame Unternehmungen verstanden werden, die zu einer positiven Gemütslage beitragen, und unter „Interventionen“ ein Eintreten füreinander, also ein Eintreten für den jeweiligen Jugendlichen innerhalb oder außerhalb seines Netzwerkes. Über alle drei Adoleszenzphasen hinweg und für beide Geschlechter zeigt sich, dass Beratung die meistgenannte verhaltensbezogene Form der sozialen Unterstützung darstellt. Während dies bei Mädchen im Verlauf der gesamten Adoleszenz weitgehend uneingeschränkt gilt, nimmt die Bedeutung der Beratung bei Jungen mit Eintritt in die mittlere Adoleszenzphase zugunsten der Unterstützungsform Geselligkeit ab und bleibt in der späteren Adoleszenz stabil. Einen vergleichsweise geringen Stellenwert nimmt demgegenüber die Unterstützungsform Intervention ein, deren Verlauf über die verschiedenen Adoleszenzphasen hinweg keine eindeutigen geschlechtsspezifischen Besonderheiten zeigt. Aufgrund der hohen subjektiven Bedeutung von Beratung scheinen insbesondere Peer- Counseling-Ansätze besonders dazu geeignet zu sein, Jugendlichen soziale Unterstützung durch andere Jugendliche angedeihen zu lassen. Beim Peer-Counseling werden gezielt geeignete Jugendliche so gefördert, dass sie potenziell gefährdete Jugendliche im Rahmen einer sekundär präventiven Strategie beraten können. Während einzelne Studien einen generell positiven Effekt solcher Peer-Counseling-Ansätze nachweisen (Cowie u. a. 2002), ermöglichen andere Studien differenziertere Einsichten. So konnte beispielsweise Salmivalli (2001) zeigen, dass sich zwar bei Mädchen, nicht aber bei Jungen als Adressaten der Beratungsangebote positive Wirkungen einstellten. Darüber hinaus besteht bei Jungen auch eine gerin- VHN 2 | 2016 146 MARIUS METZGER, ANDREAS MEILI, SANDRA WYSS Soziale Peer-to-Peer-Unterstützung FACH B E ITR AG gere Bereitschaft zur Nutzung von Peer-Counseling-Angeboten als bei Mädchen (Boulton 2005). Diese geschlechtsspezifischen Einschränkungen der Reichweite entsprechender Angebote könnten im Spiegel der Ergebnisse der vorliegenden Studie dazu genutzt werden, Überlegungen darüber anzustellen, wie Jungen auch in ihrem Bedürfnis nach Geselligkeit angesprochen und dadurch besser erreicht werden könnten. Da auch bei Jungen der Unterstützungsform Beratung hohe Bedeutung zukommt, dürften hierzu etwa in Vereinen gute Möglichkeiten bestehen, Peer-Counseling-Ansätze zu implementieren: Deren Integration in Vereinsstrukturen hätte den Vorteil, dass sich Peer-Counselors im geselligen Rahmen bewegen und gezielt mit potenziell gefährdeten Jugendlichen ins Gespräch kommen könnten. Die Orientierung an außerschulischen Kontexten würde zudem die Möglichkeit eröffnen, die bis anhin stark am schulischen Rahmen orientierten Peer-Counseling-Ansätze entsprechend weiterzuentwickeln. Peer-Counseling-Ansätze könnten sich zur Förderung der sozialen Unterstützung von Jugendlichen für Jugendliche also als besonders aussichtsreich erweisen. Im Spiegel der bisherigen empirischen Befunde der Jugendforschung muss diese Aussage allerdings dahingehend relativiert werden, dass sich soziale Unterstützung durch Gleichaltrige insbesondere in der mittleren Adoleszenzphase für das Wohlbefinden der Jugendlichen am wichtigsten erwiesen hat (Bukowski u. a. 2011) und nachgewiesenermaßen die spätere Entwicklung bis weit ins Erwachsenenalter beeinflusst (Marion u. a. 2013). Theoretisch werden diese empirischen Befunde durchaus plausibel dahingehend interpretiert, dass die mittlere Adoleszenzphase auf Individualebene mit einer labilisierten Selbstregulation einhergeht, welche auf Sozialebene aufgrund der emotionalen Distanzierung zu den Eltern primär durch die Gleichaltrigen stabilisiert werden muss (Streeck-Fischer 2004, 153). Interessanterweise scheinen hier die Einflüsse der Gleichaltrigen so stark zu sein, dass sich sogar Effekte der sozialen Ungleichheit in der mittleren Adoleszenz verringern, um in der späten Adoleszenz dann allerdings wieder anzusteigen (Richter 2008, 375). Es wird davon ausgegangen, dass diese Angleichungstendenzen explizit auch durch die Einflüsse der Sozialisationsinstanz Peergroup erklärt werden können, wodurch weitgehend unabhängig von der jeweiligen sozialen Herkunft traditionelle Schichtgrenzen durchbrochen oder zumindest relativiert werden können. Hinsichtlich der Anwendungsorientierung können die Ergebnisse der vorliegenden Studie im Kontext der bisherigen Erkenntnisse zusammenfassend dahingehend interpretiert werden, dass sich sowohl Mädchen als auch Jungen von Peer-Counseling-Ansätzen zur Förderung der sozialen Unterstützung von Jugendlichen für Jugendliche besonders gut ansprechen lassen und davon profitieren dürften. Um diese Peer-Counseling-Ansätze allerdings besser an den Jungen ausrichten zu können, besteht ein Bedarf an Weiterentwicklungen insbesondere im außerschulischen Bereich. Nicht vergessen werden darf dabei, dass diese Weiterentwicklungen nicht über die Bedürfnisse der Jugendlichen hinweg, sondern unter deren konsequentem Einbezug vorangetrieben werden sollen. Literatur Boulton, M. J. (2005): School peer counselling for bullying services as a source of social support: An interview study with secondary school pupils. 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