eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 86/3

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2017.art30d
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2017
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Rezension: Zimmermann, David (2016): Traumapädagogik in der Schule: Gießen: Psychosozial-Verlag. 200 S., € 24,90

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2017
Thomas Müller
Rezension Zimmermann, David (2016): Traumapädagogik in der Schule Gießen: Psychosozial-Verlag. 200 S., € 24,90
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VHN 3 | 2017 273 REZE NSION E N Zimmermann, David (2016): Traumapädagogik in der Schule Gießen: Psychosozial-Verlag. 200 S., € 24,90 Spätestens seit mehr und mehr unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Europa kommen, ist ‚Trauma‘ in pädagogischen Fachkreisen in aller Munde. Bisweilen gewinnt man den Eindruck, ‚Trauma‘ werde zu einer Kategorie, die so inflationär gebraucht wird wie ADHS. Zudem fällt auf, wie der pädagogisch angehauchte Ratgebermarkt Buch um Buch zu Traumata, meist im Zusammenhang mit minderjährigen Flüchtlingen, erzeugt. David Zimmermanns Buch gehört keinesfalls in diese Kategorie, sondern hebt sich durch Fachlichkeit und forschungsbasierte Aussagen deutlich ab. Der Verfasser forschte zu Trauma und Migration schon lange bevor diese medial und pädagogisch zum Thema wurden. Das Buch folgt einem roten Faden: der Frage nach der Gestaltbarkeit pädagogischer Beziehungen mit stark belasteten Kindern und Jugendlichen. Dafür werden soziale Rahmenbedingungen erörtert, und über diese wird deutlich, wie zusätzlich zu den biografischen Erfahrungen der Betroffenen gesellschaftliche Entwicklungen die institutionelle pädagogische Arbeit belasten. Dies mündet unweigerlich in die Frage, wie emotional hoch belastete Kinder ausgehalten werden können. Schließlich wird die Kategorie Trauma mit Blick auf eine Pädagogik bei emotional-sozialer Beeinträchtigung gefasst, um sie als Form der Beziehungsstörung zu bedenken. Beachtenswert ist dabei die Auseinandersetzung um das Verhältnis von Pädagogik und Therapie, die auch über das Buch hinaus für die Teildisziplin bedeutsam ist. Die folgenden Kapitel widmen sich der traumatisch beeinflussten Beziehungsgestaltung in der Schule anhand eines auf Interaktionsgeschichten beruhenden Forschungsprojektes. Über vier Geschichten eröffnen sich zwölf Themenfelder, die zeigen, was pädagogische Reflexivität und Beziehungsgestaltung in der Schule ausmacht. Seine Erkenntnisse überführt der Autor in die Konzeptualisierung einer intensivwie inklusivpädagogischen Förderung. Der Begriff ‚Förderung‘ erscheint dabei fast zu schwach, denn es bilden sich zwei zentrale Aspekte heraus: zum einen die Auseinandersetzung mit bedrohlicher Beziehungsgestaltung und der Wahrscheinlichkeit der Nicht-Integrierbarkeittraumatischer Erfahrungen und zum anderen emotionale Belastungen, die zu Grenzverletzungen führen. Daher ist es richtig, dass der Verfasser nicht scheinbar Hilfreiches aus seinen Erkenntnissen heraus operationalisiert, sondern die Reflexionsfähigkeit als zentralen Aspekt pädagogischer Professionalisierung thematisiert. Hoch anzurechnen ist ihm, dass er diese nicht nur einfordert, sondern durch seine Forschungzutraumapädagogischer Lehrerfortbildung auch fundiert: Ob Fortbildung hilfreich ist, lässt sich mit Blick auf eine inklusive Schule schließlich nicht einfach bejahen, sondern zeigt, wie lange VHN 3 | 2017 274 REZE NSION E N der Weg zu einer traumasensiblen Arbeit ist; sein muss - in Verantwortung für die subjektiven Verstehens- und Erlebenslogiken betroffener Kinder und Jugendlicher. PD Dr. phil. Thomas Müller D-97074 Würzburg DOI 10.2378/ vhn2017.art30d