Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2017.art39d
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Aktuelle Forschungsprojekte: Aufbau eines fundierten Bruchzahlverständnisses im Kontext unterrichtsintegrierter Förderung auf der Grundlage tragfähiger Basiskompetenzen
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Ria-Friederike Kirchhof
Ausgangslage Ein mangelndes inhaltliches Verständnis, d. h. das Fehlen sogenannter Grundvorstellungen, wurde mehrfach als Hauptgrund für die großen Schwierigkeiten vieler Lernender im Bereich der Bruchrechnung genannt (Padberg 2009). Inwiefern sich die Schwierigkeiten aber auch auf unzureichend entwickelte mathematische Basiskompetenzen aus dem Bereich der Grundschulmathematik zurückführen lassen, die vor allem bei lernschwachen Schülerinnen und Schülern nicht selten zu schwerwiegenden Lernproblemen bzw. -hürden in weiterführenden Lernbereichen führen, ist bislang wenig erforscht (Wartha / Güse 2009). […]
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343 AK TU E LL E FORSCHUNGSPROJ E K TE VHN, 86. Jg., S. 343 -344 (2017) DOI 10.2378/ vhn2017.art39d © Ernst Reinhardt Verlag Aufbau eines fundierten Bruchzahlverständnisses im Kontext unterrichtsintegrierter Förderung auf der Grundlage tragfähiger Basiskompetenzen Ria-Friederike Kirchhof TU Dortmund Ausgangslage Ein mangelndes inhaltliches Verständnis, d. h. das Fehlen sogenannter Grundvorstellungen, wurde mehrfach als Hauptgrund für die großen Schwierigkeiten vieler Lernender im Bereich der Bruchrechnung genannt (Padberg 2009). Inwiefern sich die Schwierigkeiten aber auch auf unzureichend entwickelte mathematische Basiskompetenzen aus dem Bereich der Grundschulmathematik zurückführen lassen, die vor allem bei lernschwachen Schülerinnen und Schülern nicht selten zu schwerwiegenden Lernproblemen bzw. -hürden in weiterführenden Lernbereichen führen, ist bislang wenig erforscht (Wartha/ Güse 2009). Im Kontext eines verstehensorientierten Mathematikunterrichts wird eine verstärkte und konsequente Einführung des Bruchzahlverständnisses auf der semantischen Ebene des Vorstellungsaufbaus gefordert, um die Entwicklung fundierter Grundvorstellungen zu fördern. Für den inklusiven Mathematikunterricht ergeben sich daraus in Bezug auf die enorme Heterogenität der Lernenden besondere Herausforderungen, aber auch Chancen. Im Unterschied zu den gut erforschten defizitären Lernständen steht die intensivere Beforschung praktischer (inklusiver) Unterrichtsvorschläge sowie individueller Lernprozesse in diesem Bereich noch aus (Prediger 2011). Ziel Das Forschungsprojekt setzt sich mit der Frage auseinander, wie der fachlich anspruchsvolle Lerngegenstand Bruchzahlverständnis in inklusiven Klassen zu Beginn der Sekundarstufe I so vermittelt werden kann, dass die Heterogenität der Lernenden produktiv genutzt wird und alle Kinder gemeinsam lernen und dabei individuelle Lernfortschritte machen können. In Anlehnung an die fachdidaktische Entwicklungsforschung im sog. Dortmunder Modell (Prediger u. a. 2012) verfolgt das Forschungsprojekt das zweifache Ziel der theoriegeleiteten und praxisorientierten Entwicklung sowie der praxisbasierten und theorieorientierten Forschung. Im Zentrum des Forschungsvorhabens steht die Entwicklung, Erprobung und Evaluation einer komplexen Unterrichtseinheit zur anschaulichen Einführung der Zahlbereichserweiterung zu den positiven rationalen Zahlen im fünften Schuljahr sowie die inhaltlich eng verknüpften Förderschleifen für die lernschwächsten Kinder, um die Anschlussfähigkeit an den Klassenunterricht zu unterstützen und Doppelbelastungen zu vermeiden. Exemplarisch soll aufgezeigt werden, wie dieser Inhaltsbereich in enger Vernetzung mit den dafür relevanten mathematischen Basiskompetenzen für alle Kinder vermittelbar ist und wie trotz heterogener Voraussetzungen ein Lernen am gemeinsamen Gegenstand mit individuellen Lernzuwächsen ermöglicht werden kann. Der Fokus liegt auf den lernschwächsten Rechnerinnen und Rechnern. Auf den folgenden drei Ebenen sollen erste grundlegende und richtungsweisende Erkenntnisse für die inklusive Didaktik im Fach Mathematik für die Sekundarstufe I gewonnen werden: n Theoretische Ebene: Entwicklung eines fundierten Unterrichtskonzepts i. S. der unterrichtsintegrierten Förderung (Bartnitzky 2012; Häsel-Weide/ Nührenbörger 2012), das die individuelle Förderung innerhalb und außerhalb des Unterrichts vereint und damit sowohl dem individuellen als auch dem gemeinsamen Lernen Rechnung trägt; n Entwicklungsebene: Konzeption von Materialien für die konkrete Umsetzung der komplexen Unterrichtseinheit für den inklusiven Klassenunterricht sowie für die inhaltlich eng verknüpften Förderschleifen; Entwicklung eines umfangreichen informellen Testverfahrens i. S. einer Lernstandserhebung zur Erfassung individueller verstehensorientierter Leistungen in den relevanten Inhaltsbereichen; n Forschungsebene: Empirische Erprobung der Materialien im Rahmen einer explorativen Interventionsstudie sowie Analyse und Auswertung ihres Potenzials hinsichtlich ihrer Wirksamkeit für den inklusiven Mathematikunterricht, mit besonderem Fokus auf ihre Wirkung für lernschwache Rechnerinnen und Rechner. VHN 4 | 2017 344 AK TU E LL E FORSCHUNGSPROJ E K TE In konzeptioneller Hinsicht wird die Erkenntnis leitende Frage verfolgt, ob die auf die enge Verbindung von Basisförderung und aktuellem Klassenunterricht ausgerichtete Intervention für (schwache) Rechnerinnen und Rechner in Klasse 5 an einer Integrierten Gesamtschule allen Schülerinnen und Schülern lernförderliche Wissenskonstruktionsprozesse ermöglicht. Daran schließt sich unter inhaltlichen Aspekten die Frage an, ob die enge Verzahnung von mathematischen Basiskompetenzen und aktuellem Inhaltsbereich zu einer Verbesserung der individuellen Mathematikleistungen in beiden Bereichen führt. Inhalte und didaktische Gestaltungsprinzipien Die Inhalte einer siebenwöchigen Unterrichtseinheit umfassen folgende Bausteine: n die anschauliche Einführung von Bruchteilen n die erste Grundvorstellung i. S. Anteil(e) eines Ganzen n die zweite Grundvorstellung i. S. Anteil(e) mehrerer Ganzen n Ergebnisgleichheit n Anteile von Mengen n Äquivalenz Fokussiert werden ausgewählte zentrale Kernbereiche, die als bedeutsame Grundvorstellungen für ein fundiertes Bruchzahlverständnis einen zentralen Stellenwert einnehmen (u. a. Padberg 2009; Wartha 2011). Ihre reichhaltige mathematische Substanz und der gewählte strukturfokussierte Zugang sollen das Lernen am gemeinsamen Gegenstand auf unterschiedlichen Bearbeitungsniveaus ermöglichen. Kritische Stellen, wie beispielsweise die Umbrüche, die sich beim Übergang von den natürlichen Zahlen zu den Bruchzahlen ergeben, werden besonders berücksichtigt. Die inhaltlich eng mit dem Klassenunterricht verzahnten Förderschleifen konzentrieren sich zusätzlich auf die folgenden mathematischen Basiskompetenzen aus dem Bereich der Grundschulmathematik, die für den Aufbau eines fundierten Bruchzahlverständnisses als relevante Voraussetzung angesehen werden: n Teil-Ganze-Beziehungen n Halbieren und Verdoppeln n beziehungsreiches 1 × 1 und 1 : 1 n Grundvorstellungen Division (Aufteilen und Verteilen) Die Unterrichtskonzeption ist nach den Prinzipien der unterrichtsintegrierten Klassenförderung gestaltet worden (beziehungsreich und verstehensorientiert, diagnosegeleitet und differenziert, kommunikativ und kooperativ). Dabei wurden zentrale fachliche und fachdidaktische Aspekte mit Aspekten der sonderpädagogischen Förderung vereint, um allen Lernenden ein qualitativ hochwertiges Mathematiklernen zu ermöglichen. Forschungsdesign und Messinstrumente Die primär quantitativ ausgerichtete Beforschung der Wirkungseffekte wird in einer quasiexperimentellen explorativen Interventionsstudie im Prä- / Posttest-Design mit drei Interventionsklassen und einer Vergleichsklasse untersucht (Jahrgang 5, Integrierte Gesamtschule, N = 105). Als Screening wird ein standardisierter Mathematiktest eingesetzt. Um die Mathematikleistungen in den relevanten Inhaltsbereichen zu erfassen, wurde ein informelles Testverfahren i. S. einer Lernstandserhebung entwickelt, das sowohl geschlossene als auch offene, verständnisorientierte Fragen umfasst. Wöchentliche Standortbestimmungen in Form von offenen Aufgabenstellungen sowie die Arbeitsdokumente der Lernenden ergänzen diese Daten aus qualitativer Sicht. Ausblick Die praktische Erprobung wurde vor Kurzem in einem Unterrichtsversuch abgeschlossen. Die Daten werden derzeit aufbereitet und im nächsten Schritt analysiert, um das formulierte Forschungsinteresse zu beantworten. Weitere Informationen und Literaturangaben können eingeholt werden bei Ria.Kirchhof@tu-dortmund.de
