eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 86/4

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2017.art40d
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2017
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Rezension: Siegemund, Steffen (2016): Kognitive Lernvoraussetzungen und mathematische Grundbildung von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung Oberhausen: Athena. 33

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2017
Holger Schäfer
Veröffentlichungen zur Mathematik im Kontext der schulischen Geistigbehindertenpädagogik, die sich sowohl an den sonderpädagogischen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler orientieren als auch den fachlichen Zugang an den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Mathematikdidaktik ausrichten, sind eher selten. Umso mehr verdient die Publikation von Steffen Siegemund Beachtung, der in seiner theoretisch dicht wie sprachlich pointiert dargelegten Dissertation aktuelle fachrichtungsbezogene und förderschwerpunktspezifische Erkenntnisse sy-noptisch zusammenführt.[…]
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VHN 4 | 2017 357 REZE NSION E N Siegemund, Steffen (2016): Kognitive Lernvoraussetzungen und mathematische Grundbildung von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung Oberhausen: Athena. 330 S., € 34,50 Veröffentlichungen zur Mathematik im Kontext der schulischen Geistigbehindertenpädagogik, die sich sowohl an den sonderpädagogischen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler orientieren als auch den fachlichen Zugang an den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Mathematikdidaktik ausrichten, sind eher selten. Umso mehr verdient die Publikation von Steffen Siegemund Beachtung, der in seiner theoretisch dicht wie sprachlich pointiert dargelegten Dissertation aktuelle fachrichtungsbezogene und förderschwerpunktspezifische Erkenntnisse synoptisch zusammenführt. So lassen sich nach dem Grundlagenkapitel 2 (mit Einbezug auch internationaler Forschungslagen) die Heterogenität der kognitiven Lernvoraussetzungen der Schülerschaft im FgE im Allgemeinen sowie aus syndromspezifischer Perspektive feststellen, dahingehend die Bedeutsamkeit von Differenzierung und individueller Hilfestellung schlussfolgern und die notwendige (auch umgekehrte) Annäherung von Mathematikunterricht an die (kognitive) Gesamtentwicklung unterstreichen. Darüber hinaus sind die Rolle der direkten Instruktion im Kontext passiven Lernverhaltens, daraus hervorgehende Folgerungen hinsichtlich Aktivierung (Stichwort Produktives Üben) sowie „Sprachliche Steuerung und Reflexion der eigenen Lerntätigkeit“ (S. 116) zu nennen. Schließlich wird für diesen Personenkreis das sensible Eintauchen in die Welt der Symbolik und abstrakter mathematischer Modelle (Zahlenstrahl) betont. Darauf aufbauend beschäftigt sich Siegemund mit der Entwicklung mathematischer Basiskompetenzen und zieht sachlogische Schlussfolgerungen für den FgE. Individualisierung als unterrichtlicher Zugang bspw. beruht auf dem Anbieten verschiedener Lösungswege und der parallelen Darbietung von Hilfsmitteln. In diesem Kontext stellt er positionierend fest, dass „die Unterteilung der basalen mathematischen Unterrichtsinhalte in einen pränumerischen und einen numerischen Bereich (…) nicht aufrechtzuerhalten“ ist (S. 203) und demzufolge „logische Grundstrukturen (…) von Beginn an mit numerischen Übungen kombiniert werden“ sollten (ebd.). Ebenfalls sind das isolierte Darbieten und das beschränkte Nutzen einzelner Repräsentationsebenen zur Vermeidung (zusätzlich) behindernder Lernumgebungen zu vermeiden. Mit Bezug auf die empirische Forschung zur evidenzbasierten Förderung resümiert der Autor große Effektstärken für Formen systematischer Instruktion, die zugleich (und perspektivisch) „entdeckende Lernformen (und) Möglichkeiten zur variablen Aufgabenlösung“ (S. 205) berücksichtigen sollten. Schließlich stellt er mit dem Produktiven Üben einen methodischen Zugang vor, der das „Zählen in Verbindung mit analogen Zahlrepräsentationen und logischen Operationen“ (ebd.) als vielversprechenden Lerngegenstand für den arithmetischen Anfangsunterricht beschreibt. Auf dieser Basis schließt die Beurteilung von Frühförderprogrammen hinsichtlich einer Passung für den FgE an. Das darauffolgende Kapitel 5 skizziert (auch mit sehr ansprechenden farbigen eigenen Illustrationen) Entwürfe alternativer Methoden und Aufgabenformate für den FgE und mündet in die Zusammenfassung und einen konkreten Ausblick. Durch die Darlegung der aktuellen (auch internationalen) Forschungsstände mit disziplinärem Blick auf die schulische Geistigbehindertenpädagogik und einem Einbezug der Fachwissenschaft Mathematik legt Steffen Siegmund für die mathematische Grundbildung im FgE ein gleichermaßen fachrichtungsbezogenes und förderschwerpunktspezifisches Grundlagenwerk vor, das als zukünftiger Maßstab für Lehre, Studium und Praxis (bspw. innerhalb der Fachkonferenzen Mathematik) gelten darf. Dr. phil. Holger Schäfer D-54470 Bernkastel-Kues DOI 10.2378/ vhn2017.art40d