Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2018.art24d
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Fachbeitrag: Herausforderungen im Schulalltag mit Lernenden mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) aus Sicht von Lehrpersonen
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Carla Canonica
Andreas Eckert
Karolin Ullrich
Reinhard Markowetz
Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich und der Ludwig-Maximilians-Universität München wurden 213 in inklusiven und separativen Settings tätige – überwiegend sonderpädagogische – Lehrpersonen aus der deutschsprachigen Schweiz zu Herausforderungen im schulischen Alltag mit Kindern und Jugendlichen mit ASS befragt. Die Teilnehmenden schilderten 451 herausfordernde Situationen, welche in 40 Kategorien eingeteilt werden konnten, die wiederum unter die übergeordneten Bereiche „Soziale Interaktion und Kommunikation“, „Lehren, Lernorganisation und Lernverhalten“ sowie „Rahmenbedingungen“ subsumiert werden konnten. Der Artikel schließt mit der Darstellung einer aus den Forschungsergebnissen entwickelten Systematik von Herausforderungen in der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS, welche für analytische Zwecke verwendet werden kann. Schließlich werden verschiedene Implikationen für weitere Forschungsarbeiten benannt.
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232 VHN, 87. Jg., S. 232 -247 (2018) DOI 10.2378/ vhn2018.art24d © Ernst Reinhardt Verlag Herausforderungen im Schulalltag mit Lernenden mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) aus Sicht von Lehrpersonen Carla Canonica, Andreas Eckert Hochschule für Heilpädagogik Zürich Karolin Ullrich, Reinhard Markowetz Ludwig-Maximilians-Universität München Zusammenfassung: Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich und der Ludwig-Maximilians-Universität München wurden 213 in inklusiven und separativen Settings tätige - überwiegend sonderpädagogische - Lehrpersonen aus der deutschsprachigen Schweiz zu Herausforderungen im schulischen Alltag mit Kindern und Jugendlichen mit ASS befragt. Die Teilnehmenden schilderten 451 herausfordernde Situationen, welche in 40 Kategorien eingeteilt werden konnten, die wiederum unter die übergeordneten Bereiche „Soziale Interaktion und Kommunikation“, „Lehren, Lernorganisation und Lernverhalten“ sowie „Rahmenbedingungen“ subsumiert werden konnten. Der Artikel schließt mit der Darstellung einer aus den Forschungsergebnissen entwickelten Systematik von Herausforderungen in der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS, welche für analytische Zwecke verwendet werden kann. Schließlich werden verschiedene Implikationen für weitere Forschungsarbeiten benannt. Schlüsselbegriffe: Autismus-Spektrum-Störung, Herausforderungen, Schule Teachers’ Perspectives on Challenges in Everyday School Life with Pupils with Autism Spectrum Disorder Summary: As part of a research project at the University of Applied Sciences of Special Needs Education in Zurich, Switzerland, and the Ludwig-Maximilians-University in Munich, Germany, 213 teachers from the German-speaking part of Switzerland working in inclusive or segregating settings - mainly teachers for special needs education - completed an online-questionnaire about challenges in their everyday school life with pupils with ASD. The participants described 451 challenging situations, which were classified into 40 categories in the three main areas “social interaction and communication”, “teaching, learning methods and learning behavior” and “framework conditions”. The article ends with the presentation of a classification of challenges in teaching pupils with ASD based on the research results - which can be used for analytical purposes - and draws attention to a number of implications for future research. Keywords: Autism spectrum disorder, challenges, school FACH B E ITR AG 1 Ausgangslage In den letzten Jahren sind vermehrt Praxis- und Forschungsbemühungen zu Herausforderungen in der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störung festzustellen. Während viele Studien sich der Konzeption und Evaluation von Interventionen zur Verringerung herausfordernden Verhaltens im Unterricht widmen, fokussiert die vorliegende empirische Studie die Betrachtung von Herausforderungen aus VHN 3 | 2018 233 CARLA CANONICA ET AL. ASS aus Sicht von Lehrpersonen FACH B E ITR AG Sicht von Lehrpersonen. Die Studie ist Teil eines Pilotprojekts zur Erweiterung autismusspezifischer Kompetenzen in Regel- und Sonderschulen und zielt darauf ab, vertiefende Erkenntnisse zur Wahrnehmung von Herausforderungen aus der Perspektive von Lehrpersonen zu gewinnen. Im Folgenden werden der Forschungsstand sowie die theoretischen Grundlagen dargestellt, woraus die Fragestellungen der Studie abgeleitet werden, bevor zur Darstellung des methodischen Vorgehens und der Ergebnisse übergegangen wird. Nach der Diskussion der Ergebnisse folgt abschließend eine Auseinandersetzung mit den Limitationen der Studie sowie ein Ausblick mit Forschungsimplikationen. 2 Theoretischer Hintergrund Eine Autismus-Spektrum-Störung wird gemäß der fünften Version des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSM-5) durch das Vorliegen von Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie durch eingeschränkte, repetitive Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten definiert. Beide Bereiche können dabei in sehr unterschiedlicher Intensität betroffen sein (APA, 2015). Es ist anzunehmen, dass Herausforderungen im Schulalltag mit Kindern und Jugendlichen mit ASS auch unmittelbar in Zusammenhang mit gewissen störungsspezifischen Charakteristika wie den Auffälligkeiten im Bereich der Kommunikation (z. B. eingeschränkte Verbalsprache, missverständliche verbale und nonverbale Kommunikation) und im Sozialverhalten (z. B. Schwierigkeiten in der Kontaktaufnahme zu Gleichaltrigen, eingeschränktes Regelverständnis) stehen können. Dasselbe lässt sich auch für Auffälligkeiten im Bereich eingeschränkter und repetitiver Interessen und Aktivitäten (z. B. stereotype Verhaltensweisen, geringe Flexibilität) vermuten (Eckert & Gruber, 2016; Schirmer, 2013). Das dieser Studie zugrunde liegende Verständnis von Herausforderungen im Schulalltag mit Lernenden mit Autismus-Spektrum-Störung basiert auf der Annahme, dass eine Störung des Verhältnisses von Person und Umwelt die Ursache von entstehenden Herausforderungen ist. Diese Herausforderungen können sich in Verhaltensweisen der Person mit ASS manifestieren, die beispielsweise von der Lehrperson oder den Mitschülerinnen und Mitschülern als sozial unerwünscht betrachtet werden. Das Verständnis von Herausforderungen im Schulalltag mit Lernenden mit ASS schließt konzeptionell aber auch das Unvermögen des Umfelds mit ein, ein ausgewogenes Verhältnis zur Person herzustellen. Daher sind unter Herausforderungen im Schulalltag im Folgenden nicht allein auffällige Verhaltensweisen der Schülerinnen und Schüler zu verstehen, sondern es werden ebenso Wechselwirkungen mit Umgebungsfaktoren (z. B. sensorische Reizüberflutungen) sowie den institutionellen Gegebenheiten fokussiert (Eckert & Gruber, 2016; Lindsay, Proulx, Thomson & Scott, 2013; Theunissen, Kulig, Leuchte & Paetz, 2015). 3 Herausforderungen in der schulischen Förderung von Lernenden mit ASS In den letzten Jahren wurden viele internationale Praxis- und Forschungsbemühungen um die Thematik Herausforderungen im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen mit ASS in der Schule unternommen. Dabei setzt sich die bisherige Forschung einerseits verstärkt mit Herausforderungen im Kontext inklusiver Settings auseinander und basiert meist auf kleinen Stichproben. Andererseits konzentriert sich bisherige Forschung in erster Linie auf Möglichkeiten der Verringerung von herausfordernden Verhaltensweisen durch gezielte Interventionen (u. a. VHN 3 | 2018 234 CARLA CANONICA ET AL. ASS aus Sicht von Lehrpersonen FACH B E ITR AG Koegel, Matos-Freden, Lang & Koegel, 2012; Machalicek, O’Reilly, Beretvas, Sigafoos & Lancioni, 2007; Montgomery, Martin, Shooshatari, Stoesz & Heinrichs, 2013; Rispoli et al., 2013). Diese lösungsorientierte Perspektive nehmen auch diverse Praxisbücher für Lehrpersonen ein, die zu dieser Thematik erschienen sind (z. B. Aune, Burt & Gennaro, 2010; Delmolino, 2015; Häußler, Tuckermann & Kiwitt, 2014). Die Orientierung an Lösungen und Interventionen ist durchaus berechtigt und zu begrüßen, da herausfordernde Verhaltensweisen von Schülerinnen und Schülern - und dabei insbesondere aggressive Verhaltensweisen - einen starken Stressor für Lehrpersonen darstellen: So zeigen Studien zur Situation von Lehrpersonen, dass sich diese besonders stark durch herausfordernde Verhaltensweisen wie Aggressionen oder Unterrichtsstörungen beansprucht fühlen (Boujut, Dean, Grouselle & Cappe, 2016; Hastings & Brown, 2002). Das auf die Schule bezogene Wohlbefinden von Lehrpersonen ist eng mit der Häufigkeit verknüpft, mit der herausforderndes Verhalten in der Arbeit erlebt wird. Erleben Lehrpersonen also häufig herausforderndes Verhalten und tendieren außerdem zu fehlangepassten Bewältigungsstrategien, wie z. B. Selbstvorwürfen, Gefühlsausbrüchen oder der Vernachlässigung der Personen, welche herausforderndes Verhalten zeigen, steigt das Risiko in Bezug auf die Entwicklung eines Burnouts (Boujut et al., 2016; Hastings & Brown, 2002). Bisher weisen verschiedene Studien darauf hin, dass herausforderndes Verhalten in Form von aggressiven oder störenden Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen mit ASS häufiger vorkommt als in Vergleichsgruppen (Hill et al., 2014; Matson, Wilkins & Macken, 2009). Die Befunde zum Vorkommen von aggressiven Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen mit ASS variieren je nach Definition der Verhaltensmerkmale sowie den eingesetzten Instrumenten sehr, weshalb diese Befunde mit Vorsicht zu interpretieren sind (Hill et al., 2014). Während soziodemografische Faktoren kaum Einfluss auf das Vorkommen herausfordernden Verhaltens haben, scheinen Faktoren wie die kognitive Funktionsfähigkeit, die Schwere der autistischen Symptomatik oder Aufmerksamkeitsprobleme mit diesen Verhaltensweisen zusammenzuhängen (Hill et al., 2014; Matson et al., 2009). Insbesondere in inklusiven Settings fühlen sich Lehrpersonen oft nicht genügend vorbereitet, um das Verhalten von Lernenden mit ASS zu verstehen und zu regulieren (Lindsay et al., 2013). Sowohl Lehrpersonen als auch Schulassistentinnen und -assistenten fühlen sich in der Unterrichts- und Förderplanung für Lernende ohne ASS sicherer als für Lernende mit ASS (Corkum, Bryson & Smith, 2014). Oftmals erwerben Lehrpersonen und Assistenzpersonal ihr Wissen „on the job“, d. h. über den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen oder mit den Eltern der Kinder mit ASS sowie nur bei Bedarf, etwa wenn ein Kind mit ASS neu in die Klasse eintritt (Corkum et al., 2014). Dies weist darauf hin, dass ein Mangel an Aus- und Weiterbildung des Schulpersonals große Herausforderungen nach sich ziehen kann. Damit ist einerseits der erschwerte Zugang zu Expertise und Fachwissen für die Lehrpersonen und das fehlende Bewusstsein für den Förderbedarf von Lernenden mit ASS angesprochen. Andererseits wird der Prozess der Bewusstseinsförderung der Lehrpersonen maßgeblich von der Kommunikationskultur der Schule (Symes & Humphrey, 2011) beeinflusst und ist nicht zuletzt davon abhängig, ob eine Schule die notwendigen personellen und infrastrukturellen Ressourcen bereitstellt (Corkum et al., 2014; Lindsay et al., 2013; Symes & Humphrey, 2011). Dies spricht einerseits die Betreuungsintensität und die sensorische Sensibilität vieler Lernenden mit ASS an, andererseits aber auch die Verfügbarkeit schulinterner Unterstützungs- und Bera- VHN 3 | 2018 235 CARLA CANONICA ET AL. ASS aus Sicht von Lehrpersonen FACH B E ITR AG tungsmöglichkeiten. Ebenfalls auf einer eher organisatorischen Ebene befinden sich Herausforderungen, die mit der Klassengröße zusammenhängen: Vielen Lehrpersonen fällt es schwer, den heterogenen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen mit ASS in großen Klassen gerecht zu werden, und es fehlt ihnen die Zeit für die Unterrichts- und Förderplanung (vgl. Corkum et al., 2014). Auf konkreter auf den Unterricht bezogene Herausforderungen gehen lediglich Lindsay et al. (2013) ein; sie nennen neben der schwierigen Zusammenarbeit mit den Eltern auch das fehlende Verständnis bzw. die fehlende Akzeptanz der Gleichaltrigen. Von Lindsay et al. (2013) stammt auch eine der wenigen Systematiken typischer Herausforderungen bei inklusiver Beschulung. In einer ersten Kategorie fokussieren die Autoren das Verstehen und Regulieren des Verhaltens der Lernenden mit ASS (understanding and managing behaviour). Die zweite Kategorie, sociostructural barriers, umschreibt u. a. die auftretenden schulpolitischen Probleme und die fehlende Aus- und Weiterbildung des betroffenen Lehrpersonals. Die dritte Kategorie mit der Bezeichnung creating an inclusive environment beinhaltet u. a. die Aufklärung und Einbeziehung der Peers und Eltern. Ziel dieser Studie war es herauszufinden, welche Herausforderungen betroffene Lehrpersonen konkret mit dem Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit einer ASS verbinden. Dieses Ziel wurde im Sinne einer vertiefenden Fragestellung zur Ergänzung des Forschungsdiskurses verfolgt. In diesem Zusammenhang wurde einerseits erwartet, die Bedeutung einzelner Faktoren, die zu gewissen Herausforderungen führen können, besser nachvollziehen zu können. Andererseits wurde angestrebt, nicht nur Lehrpersonen zu fokussieren, die im Kontext der Regelschule arbeiten, sondern auch die Sichtweise derjenigen Lehrpersonen einzuholen, die Kinder und Jugendliche mit ASS im Rahmen der Sonderschulung fördern, womit der aktuelle Forschungsdiskurs ebenfalls ergänzt werden kann. Es ist davon auszugehen, dass Lehrpersonen, die in Sonderschulen tätig sind, qualitativ und quantitativ andere Herausforderungen in ihrem Schulalltag mit Lernenden mit ASS erleben als Lehrpersonen, die in Regelschulen tätig sind, da sie mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer anderen Gruppe von Lernenden konfrontiert sind. So ist davon auszugehen, dass in Sonderschulen eher Kinder und Jugendliche mit geringeren kognitiven Fähigkeiten sowie einer ausgeprägteren Symptomatik 1 (z. B. größere Kommunikationsschwierigkeiten und häufiges repetitives Verhalten) unterrichtet werden (vgl. White, Scahill, Klin, Koenig & Volkmar, 2007). 4 Fragestellungen Ausgehend von den oben formulierten Annahmen waren für unsere Erhebung folgende Fragestellungen leitend: 1. Welche Situationen aus dem Schulalltag mit Schülerinnen und Schülern mit ASS erleben Lehrpersonen als besonders herausfordernd? 2. Wie schätzen Lehrpersonen Herausforderungen ein, die ausgehend vom Fachdiskurs häufig im Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit ASS auftreten können? 3. Wird das Unterrichten von Kindern und Jugendlichen mit ASS von Lehrpersonen als besonders herausfordernd erlebt, verglichen mit Kindern und Jugendlichen mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf ohne ASS-Diagnose? 4. Lassen sich Unterschiede in der Wahrnehmung von Herausforderungen in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit ASS je nach Setting, in welchem die Lehrperson arbeitet, feststellen? VHN 3 | 2018 236 CARLA CANONICA ET AL. ASS aus Sicht von Lehrpersonen FACH B E ITR AG 5 Methodisches Vorgehen Im Dezember 2015 wurde an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich eine Online-Befragung durchgeführt, die sich an Lehrpersonen mit praktischen Erfahrungen in der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS richtete. 5.1 Stichprobe Für die Untersuchung wurden die Absolventinnen und Absolventen sowie Studierende des schulischen Master-Studiengangs der Sonderpädagogik der Jahre 2010 bis 2015 (ca. 2100 Personen) elektronisch angeschrieben und mit dem Zugang zur Online-Umfrage beliefert. Aufgrund der Studienvoraussetzung eines Lehrdiploms sowie des berufsbegleitenden Charakters des Studiums verfügten alle Angeschriebenen zum Untersuchungszeitpunkt über mehrjährige Lehrerfahrungen, überwiegend im sonderpädagogischen Bereich. Beantwortet wurde der Online-Fragebogen von 288 Personen mit Schülerinnen und Schülern mit ASS. Nach Ausschluss der unvollständigen Antworten konnten 213 Fragebögen in die Auswertung einfließen. Da wir explizit nur Personen ansprachen, welche bereits Erfahrungen mit Kindern oder Jugendlichen mit ASS im schulischen Alltag sammeln konnten, ist der Rücklauf von rund zehn Prozent vor dem Hintergrund zu interpretieren, dass der Großteil der angeschriebenen Personen in ihrer bisherigen Tätigkeit wohl noch nicht mit Kindern und Jugendlichen mit ASS gearbeitet hat. 59.9 % der Teilnehmenden gaben an, zum Untersuchungszeitpunkt an Regelschulen bzw. an integrativen Schulen zu arbeiten. An Sonderschulen bzw. heilpädagogischen Schulen verschiedener Förderschwerpunkte sowie an sonderpädagogisch ausgerichteten Kleinbzw. Sonderklassen arbeiteten 40.1 % der Teilnehmenden. 90.6 % der Studienteilnehmenden sind weiblich, während lediglich 20 Männer an der Umfrage teilnahmen (9.4 %). 55.4 % der Befragten sind jünger als 45 Jahre, ein weiteres Drittel ist 46 bis 55 Jahre alt. Die Stichprobe weist eine hohe Quote an Teilzeitbeschäftigten auf, so sind mehr als 60 % mit einem Arbeitspensum von 80 %oderwenigerangestellt.DieBerufserfahrung in der aktuell ausgeübten Tätigkeit liegt bei knapp 80 % der Befragten bei zehn Jahren oder weniger. Die abgefragten Erfahrungen in der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS weisen eine Spanne von einem bis über 20 betreuten Schülerinnen und Schülern mit einer Diagnose aus dem Autismus-Spektrum auf. 44.1 % der Befragten haben bislang erst mit ein bis zwei Kindern oder Jugendlichen spezifische Erfahrungen sammeln können, 38.9 % bei drei bis fünf, 17 % mit mehr als fünf. 5.2 Erhebungsinstrument Der eingesetzte Online-Fragebogen basiert auf den vier Fragestellungen, die oben beschrieben wurden. Im Sinne der ersten Fragestellung werden die Teilnehmenden gebeten, subjektiv als herausfordernd erlebte Situationen oder Verhaltensweisen aus dem schulischen Alltag mit Kindern und Jugendlichen mit ASS zu beschreiben: Schildern Sie uns bitte eine oder mehrere Situationen mit einem Kind oder Jugendlichen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS), die Sie als besonders herausfordernd erlebt haben. Von den 213 Datensätzen beinhalteten 93 % (N = 199) Antworten auf diese Aufforderung. Im Sinne der zweiten Fragestellung beinhaltet der Online-Fragebogen weiter eine Auflistung von typischerweise im Zusammenhang mit ASS beschriebenen herausfordernden Verhaltensweisen und Situationen aus dem schulischen Alltag, bestehend aus dreizehn Items. Die VHN 3 | 2018 237 CARLA CANONICA ET AL. ASS aus Sicht von Lehrpersonen FACH B E ITR AG formulierten Items sind nicht mit der autismusspezifischen Symptomatik gleichzusetzen, sondern orientieren sich an den häufig von Lehrpersonen wahrgenommenen und in einschlägiger Fachliteratur rezipierten Herausforderungen (Bernard-Opitz, 2015; Delmolino, 2011; Schirmer, 2013). Die Frage an die Teilnehmenden lautet: Welches sind die aus Ihrer Sicht als Lehrperson zentralen Herausforderungen im professionellen Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit ASS? Bitte wählen Sie alle zutreffenden Antworten aus. In Bezug auf die dritte Fragestellung, die auf die Wahrnehmungen von Lehrpersonen im Hinblick auf spezifische Herausforderungen im Unterrichten von Kindern und Jugendlichen mit ASS abzielt, wird den Teilnehmenden folgende Frage gestellt: Erleben Sie die Arbeit mit Schüler/ innen mit Autismus-Spektrum-Störung insgesamt als herausfordernder als die Arbeit mit anderen Schüler/ innen mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf 2 ? Schließlich werden im Hinblick auf die vierte Fragestellung auch personenbezogene Angaben zum schulischen Arbeitsfeld, der aktuell ausgeübten beruflichen Tätigkeit, Alter, Geschlecht, Beschäftigungsgrad und der eigenen allgemeinen sowie autismusbezogenen Berufserfahrung erfasst. Ausgehend von der Forschung lässt sich annehmen, dass, je nachdem, ob eine Lehrperson in der Regelschule oder in der Sonderschule arbeitet, sie tendenziell auch mit Lernenden mit unterschiedlichen Ausprägungen von ASS und daher vermutlich auch mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert ist (vgl. White et al., 2007). 5.3 Auswertung Die Auswertung des Online-Fragebogens erfolgte mit SPSS 24 mittels deskriptiver Statistik. Signifikanzwerte wurden anhand des Chi-Quadrat-Tests bei einem Signifikanz-Niveau von p < .05 berechnet. Zur Auswertung der von den Teilnehmenden als herausfordernd erlebten Situationen, die formal aus wenigen, stichwortartigen Sätzen bis hin zu ausformulierten Beschreibungen bestanden, wurde die Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring mit der Technik der zusammenfassenden Inhaltsanalyse (Flick, 2011; Mayring, 2013) gewählt. Alle Äußerungen wurden auf wenige Sätze reduziert und zu Überbegriffen zusammengefasst bzw. paraphrasiert. Diese Paraphrasierungen wurden fortlaufend revidiert, am Material überprüft und schließlich auf Kategorien hin verdichtet. Die induktive Kategorienbildung wurde von der Erstautorin vorgenommen und von Autor A. E. an 20 % des Materials überprüft. Das gesamte Datenmaterial wurde den gebildeten Kategorien zugeteilt, um Aussagen zu den Häufigkeiten der vorkommenden Kategorien treffen zu können. 6 Ergebnisse 6.1 Einschätzung zentraler Herausforderungen durch Lehrpersonen Ausgehend von der Einschätzung der dreizehn Items herausfordernder Verhaltensweisen und Situationen durch die Lehrpersonen wurde ein Ranking der zentralen Herausforderungen im professionellen Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit ASS erstellt. Die Häufigkeiten der Nennungen sowie ein Vergleich hinsichtlich des Arbeitsortes („Integration“ bzw. Regelschule/ integrative Schule vs. „Separation“ bzw. Sonderschule/ Heilpädagogische Schule/ Sonderklasse) können Tabelle 1 entnommen werden. Die Teilnehmenden äußern sich mit Abstand am häufigsten (76.6 %) zum „Umgang mit neuen Situationen oder unvorhergesehenen Änderungen“. An zweiter und dritter Stelle folgen Items zur sozialen Kommunikation und Interaktion, die sich auf Schwierigkeiten mit der Kontaktaufnahme und Kontaktgestaltung sowie die Zusammenarbeit mit Gleichaltrigen VHN 3 | 2018 238 CARLA CANONICA ET AL. ASS aus Sicht von Lehrpersonen FACH B E ITR AG beziehen (63.4 % vs. 55.6 %). Ebenfalls von mehr als der Hälfte der Befragten (54.1 %) wird das „fehlende oder unzureichende Verständnis von verbalen Anweisungen oder Aussagen“ als besonders herausfordernd benannt. Die vorliegenden Ergebnisse weisen auf einzelne Unterschiede in der Einschätzung und im Erleben von Herausforderungen bei Lehrpersonen je nach Arbeitsort in einem integrativen oder separativen Setting hin. Der Umgang mit neuen Nennungen Zustimmung in % (N = 205) Integration in % (N = 123) Separation in % (N = 82) p Reaktion auf neue Situationen/ Änderungen 157 76.6 71.5 84.1 χ = 4.016 p < 0.05* Kontaktaufnahme und -gestaltung mit Mitschüler/ innen 130 63.4 63.4 63.4 χ = .001 p > 0.05 Kooperation mit Gleichaltrigen (z. B. in Gruppenarbeiten) 114 55.6 58.5 51.2 χ = 1.119 p > 0.05 Fehlendes Verständnis von verbalen Anweisungen 111 54.1 53.7 54.9 χ = .020 p > 0.05 Selbstund/ oder Fremdaggression 87 42.4 38.2 48.8 χ = 2.161 p > 0.05 Sensorische Überempfindlichkeiten (Geräusche, Gerüche usw.) 82 40.0 37.4 43.9 χ = .819 p > 0.05 Gestaltung der Pausensituation 68 33.2 32.5 34.1 χ = .049 p > 0.05 Fehlende Akzeptanz durch die Mitschüler/ innen 47 22.9 26.8 17.1 χ = 2.691 p > 0.05 Weglaufen 46 22.4 17.1 30.5 χ = 5.001 p < 0.05* Angst- und Panikattacken 44 21.5 19.5 24.4 χ = .668 p > 0.05 Stereotypien 41 20.0 15.4 26.8 χ = 3.915 p > 0.05 Mobbing 38 18.5 19.5 17.1 χ = .205 p > 0.05 Auffälliges Sexualverhalten 23 11.2 12.2 9.8 χ = .304 p > 0.05 Tab. 1 Ranking von 13 häufig auftretenden Herausforderungen bei Lernenden mit ASS 3 VHN 3 | 2018 239 CARLA CANONICA ET AL. ASS aus Sicht von Lehrpersonen FACH B E ITR AG Situationen oder unvorhergesehenen Änderungen (χ = 4.016; p < 0.05) sowie das Weglaufen von Kindern und Jugendlichen mit ASS (χ = 5.001; p < 0.05) werden von Lehrpersonen aus separativen Settings signifikant häufiger genannt. Auch die Einschätzung betreffend Stereotypien im Verhalten wird von Lehrpersonen aus der Separation deutlich häufiger geteilt als von Lehrpersonen aus der Integration. Dieser Unterschied ist jedoch nicht signifikant (χ = 3.915; p > 0.05). Als lediglich deskriptives Ergebnis kann einerseits festgehalten werden, dass Lehrpersonen aus separativen Settings häufiger von aggressivem Verhalten von Lernenden mit ASS gegenüber Gleichaltrigen oder sich selbst berichten (Item „Selbst- und Fremdaggression“: 48.8 % der Lehrpersonen in der Separation vs. 38.2 % in der Integration). Andererseits scheinen Lehrpersonen aus integrativen Settings häufiger mit fehlendem Verständnis bzw. einer fehlenden Akzeptanz durch die Gleichaltrigen konfrontiert zu sein als Lehrpersonen aus separativen Settings (Item „Fehlende Akzeptanz“: 26.8 % der Lehrpersonen aus der Integration vs. 17.1 % der Lehrpersonen aus der Separation). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich zwar einige Unterschiede in der Einschätzung von Lehrpersonen aus integrativen und solchen aus separativen Settings zeigen, sich aber durchaus auch viele Gemeinsamkeiten in ihren Einschätzungen feststellen lassen. Die Schwierigkeiten im Umgang mit neuen Situationen oder unvorhergesehenen Änderungen sowie auch das Weglaufen von Kindern und Jugendlichen mit ASS werden in separativen Settings offensichtlich häufiger erlebt. Die erlebten Herausforderungen in den integrativen Settings jedoch weisen eher auf einen Bedarf an Sensibilisierung hin (vgl. Item „Fehlende Akzeptanz“). Im Hinblick auf die Frage, ob das Unterrichten von Kindern und Jugendlichen mit ASS von den teilnehmenden Lehrpersonen als besonders herausfordernd erlebt wird, verglichen mit Kindern und Jugendlichen mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf ohne ASS-Diagnose, äußerte sich die Mehrheit zustimmend (63.8 %, „Ja“ und „Eher Ja“) und 36.2 % ablehnend („Nein“ und „Eher nein“). Signifikante Zusammenhänge dieser Einschätzung mit Faktoren wie der (autismusspezifischen) Berufserfahrung, dem Alter oder dem Arbeitsort konnten dabei nicht gefunden werden. 6.2 Herausforderungen im Schulalltag Durch eine zusammenfassende Inhaltsanalyse nach Mayring können die insgesamt 451 subjektiven Schilderungen von Herausforderungen im Schulalltag der teilnehmenden Lehrpersonen in 40 Kategorien eingeteilt werden, die wiederum den drei übergeordneten Bereichen „Soziale Interaktion und Kommunikation“, „Lehren, Lernorganisation und Lernverhalten“ sowie „Rahmenbedingungen“ zugewiesen werden können. Die Grobstruktur des Kategoriensystems wird in Tabelle 2 ersichtlich 4 . Aufgrund ihrer inhaltlichen Fülle und Komplexität wird die übergeordnete Kategorie „Soziale Interaktion und Kommunikation“ auf drei Ebenen beschrieben. Auf einer ersten Ebene steht das kommunikative und interaktive Verhalten des Lernenden mit ASS (z. B. Kontaktaufnahme, verbale Kompetenzen) im Vordergrund. Auf einer zweiten Ebene werden Herausforderungen in der Interaktion von Lehrperson und dem Kind oder Jugendlichen mit ASS (z. B. Beziehungsaufbau zum Kind, Vermeidung von Missverständnissen) zusammengetragen. Die dritte Ebene fokussiert schließlich Herausforderungen in der Gestaltung von Situationen und Beziehungen in der Gleichaltrigengruppe (z. B. Sensibilisierung der Klasse, Umgang mit Mobbing). Unter die übergeordnete Kategorie „Lehren, Lernorganisation und Lernverhalten“ werden Herausforderungen subsumiert, die in Zusammenhang mit der Unterrichtsgestaltung und dem Lernen der Schülerinnen und Schüler mit ASS stehen. VHN 3 | 2018 240 CARLA CANONICA ET AL. ASS aus Sicht von Lehrpersonen FACH B E ITR AG Anhand ausgewählter Beispiele, die entlang der Grobkategorien vorgestellt werden, soll die Qualität der subjektiven Schilderungen ersichtlich werden. 6.2.1 Herausforderungen im Bereich „Soziale Interaktion und Kommunikation“ Dieser Bereich umfasst verschiedenste Herausforderungen, die sich auf die Interaktion und Kommunikation des Kindes oder Jugendlichen mit ASS im schulischen Alltag beziehen. Die von den Lehrpersonen am häufigsten beschriebene Herausforderung bezieht sich auf das aggressive Verhalten des Kindes bzw. Jugendlichen mit ASS, das gegen andere Personen oder sich selbst gerichtet ist: „Das Kind arbeitet intensiv und konzentriert für ca. 10 Minuten. Plötzlich wirft es seine Stifte quer durchs Zimmer, rennt herum, schreit, kreischt, nimmt einen Gegenstand und wirft ihn nach einem anderen Kind. Das Kind ist nicht ansprechbar, scheint weit weg zu sein. Später erinnert es sich kaum mehr daran.“ (Sonderpädagogin in der Integration). „Ein Jugendlicher mit einer ASS wirft Sachen herum und schmeißt ein Pult um; er wirkt in diesem Moment sehr wütend. Kann sich nicht ausdrücken, was vorgefallen ist oder wie er sich fühlt. Dies kommt sehr selten vor und meist überraschend.“ (Sonderpädagogin in einer Sonderschule). Häufig genannt werden ebenso kommunikative Probleme, wie beispielsweise die Kontaktaufnahme eines Kindes mit ASS, die als unangemessen erlebt wird. „Das Kind ruft mich bei Schwierigkeiten stets in einem forschen und auffordernden Tonfall, sodass andere Kinder sich melden und den Ton als unanständig bezeichnen.“ (Sonderpädagogin in der Integration). „Das Kind kommentiert andauernd Anweisungen der Lehrperson, will darüber diskutieren, stellt intelligente, aber auf Nebenschauplätze ablenkende Fragen.“ (Sonderpädagogin in der Integration). „Das Kind textete im Klassenlager alle Mitschüler/ innen mit Monologen über sein Spezialgebiet Autos zu.“ (Lehrperson Regelschule). Eine Beeinträchtigung der Sprache bis zu einem Fehlen der Sprache kann für die Lehrpersonen ebenso eine große Herausforderung darstellen, wie die folgenden Beispiele zeigen: „Besonders herausfordernd finde ich die Tatsache, dass er vermutlich viel weiß und viel mitbekommt, sich aber nur sehr minim ausdrücken und mitbestimmen kann.“ (Sonderpädagogin in einer Sonderschule). „Ich weiß nicht, was in dem Kind vorgeht, was es denkt, fühlt, kann, will, weil es oft nicht redet I. Soziale Interaktion und Kommunikation 22 Kategorien I.1 Herausforderungen im Klassenbzw. Gruppenkontext I.2 Lehrpersonbezogene Herausforderungen I.3 Peerbezogene Herausforderungen 11 Kategorien 6 Kategorien 5 Kategorien II. Lehren. Lernorganisation und Lernverhalten 12 Kategorien III. Rahmenbedingungen 6 Kategorien Tab. 2 Grobkategorien der zusammenfassenden Inhaltsanalyse VHN 3 | 2018 241 CARLA CANONICA ET AL. ASS aus Sicht von Lehrpersonen FACH B E ITR AG bzw. seine Meinung, seine Gefühle nicht mitteilen kann.“ (Sonderpädagogin in der Integration). 6.2.2 Herausforderungen im Bereich „Lehren, Lernorganisation und Lernverhalten“ Herausfordernde Aspekte werden insbesondere in Bezug auf die individuelle Lernorganisation und das Arbeitsverhalten genannt. Am häufigsten treten Herausforderungen in Gruppensituationen im Unterricht (z. B. Morgenkreis) oder bei Gruppenarbeiten auf. „Beim Morgenkreis, bei dem die Kinder am Montag vom Wochenende erzählen, nimmt das Kind nicht teil und bewegt sich auf dem Boden im Schulzimmer. Manchmal verkriecht es sich mit einem Kuscheltier.“ (Sonderpädagogin in der Integration). Beispiele von intensiven Reaktionen auf unvorhergesehene Änderungen im Stundenplan bzw. eine gewisse Inflexibilität im Handeln und Denken, z. B. bei der Einführung neuer Arbeitsschritte werden ebenfalls häufig geschildert. „Bei spontanen Programmänderungen, neuen Projekten und Spezialtagen kommt der Schüler in eine riesige Stresssituation und verweigert somit oft die Teilnahme. Vor allem das für uns ‚sture‘ Verhalten bringt mich/ uns an ernsthafte Grenzen.“ (Lehrperson Regelschule). Auch die Förderung der Motivation des Kindes sowie das Befolgen von Anweisungen der Lehrperson werden häufig als Herausforderungen genannt. In diesem Zusammenhang werden unter anderem eine kurze Konzentrationsspanne und die eingeschränkte Fähigkeit zur Initiierung von Arbeiten hervorgehoben. Eine Lehrperson beschreibt die diesbezüglichen Herausforderungen folgendermaßen: „Es war eine große Herausforderung, ihn dazu zu bringen, sich an einen Tisch zu setzen und einen Auftrag auszuführen. (…) Er stand innert Sekundenschnelle vom Platz auf und lief durchs Zimmer davon hinaus in die Garderobe. Er musste von der Schulischen Heilpädagogin mehrmals pro Arbeitsauftrag wieder zurückgeholt werden. Ohne Betreuung blieb er nicht von sich aus am Tisch sitzen, sondern war sofort weg.“ (Sonderpädagogin in der Integration). Als herausfordernd werden schließlich oft auch Arbeitsverweigerungen und Unterrichtsstörungen bezeichnet, die z. B. durch unaufgefordertes Melden, rastloses Umhergehen oder laute Geräusche entstehen. Oft wird dies auch als Provokation verstanden: „Der Schüler mit ASS meldet sich im Unterricht immer wieder unaufgefordert mündlich zu Wort, z. B. während Stillarbeiten oder wenn andere etwas sagen. (Er, CC) verhält sich auffällig, wenn es ihm im Unterricht langweilig ist, z. B. stört Banknachbarn, kriecht unter den Tisch.“ (Sonderpädagogin in der Integration). „Wird er nicht beachtet, schlägt er mit Gegenständen auf den Boden. Er provoziert und lacht dann, wenn er Reaktionen damit auslöst.“ (Sonderpädagogin in einer Sonderschule) 6.2.3 Herausforderungen im Bereich „Rahmenbedingungen“ Im Zusammenhang mit strukturellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen im Schulalltag werden am häufigsten der hohe Bedarf an personellen Ressourcen und deren teils eingeschränkte Abdeckung in den Schulen als herausfordernd benannt. „In der 1 : 1-Situation war ein gezieltes Arbeiten möglich, ohne Begleitung arbeitete der Schüler kaum, sondern tauchte in seine Welten ab, legte sich auf den Boden, verweigerte die Mitarbeit.“ (Sonderpädagogin in der Integration). Als besonders herausfordernd erweisen sich des Weiteren die Gestaltung von Pausen sowie die Durchführung von besonderen Anlässen, VHN 3 | 2018 242 CARLA CANONICA ET AL. ASS aus Sicht von Lehrpersonen FACH B E ITR AG wie Klassenlagern oder Ausflügen, bei denen offenbar ein hoher Planungs- und Betreuungsaufwand besteht. Das Fehlen von räumlichen Rückzugsmöglichkeiten sowie die Überflutung durch Sinnesreize werden im Kontext der bei zahlreichen Kindern und Jugendlichen mit ASS vorliegenden sensorischen Überempfindlichkeit ebenfalls wiederholt als herausfordernd benannt: „Der Kindergarten bietet sehr viel Material, was für das Kind teilweise zu viel ist. Zu viele Eindrücke wirken auf das Kind ein, es beginnt unruhig zu werden oder Dinge zu nehmen, Materialien wegzuwerfen usw.“ (Sonderpädagogin in der Integration). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich die subjektiven Beschreibungen der teilnehmenden Lehrpersonen teilweise mit Items aus dem „Ranking herausfordernder Situationen“ (vgl. Kap. 5.1) überschneiden. So werden alle aus dem Fachdiskurs antizipierten Herausforderungen tatsächlich auch von vielen Lehrpersonen erlebt, wie sich besonders anhand der Beschreibungen zu den Kategorien „unangemessene Kontaktaufnahme und -gestaltung“, „Reaktionen auf Änderungen des Stundenplans und Routinen“ oder „aggressives Verhalten“ zeigt. Schilderungen zu letzterer Kategorie werden mit Abstand am häufigsten gemacht (43 Nennungen). Akzentuierungen durch die Schilderungen der Lehrpersonen ergeben sich hinsichtlich der Kategorien „Beeinträchtigung der Sprache und Kommunikation“, womit die expressiven Kommunikationsschwierigkeiten von Lernenden mit ASS angesprochen sind, „Arbeitsverhalten“ und „Konzentrationsfähigkeit“ von Lernenden mit ASS sowie hinsichtlich der „Förderung der Motivation“. Eine wichtige Ergänzung ergibt sich schließlich im Hinblick auf die übergeordnete Kategorie „Rahmenbedingungen“, worunter Herausforderungen subsumiert sind, die sich auf organisatorische, strukturelle und finanzielle Rahmenbedingungen beziehen. 7 Diskussion Die erste Fragestellung zu besonders herausfordernden Situationen aus dem Schulalltag mit Schülerinnen und Schülern mit ASS aus Sicht von Lehrpersonen ist in 93 % der Fälle beantwortet worden (N = 199), insgesamt liegen 451 Situationsbeschreibungen vor. Interessanterweise werden Schilderungen zur Kategorie „aggressives Verhalten“ mit Abstand am häufigsten gemacht (43 Nennungen), was ein Hinweis auf die subjektive Bedeutung dieser Art Herausforderungen für Lehrpersonen darstellen könnte. Da das häufige Erleben aggressiver Verhaltensweisen das Wohlbefinden von Lehrpersonen stark beeinträchtigen und das Risiko, ein Burnout zu entwickeln, erhöhen kann, ist diesen Äußerungen besondere Beachtung zu schenken (Boujut et al., 2016; Hastings & Brown, 2002). Der Charakter der ausführlicher beschriebenen Situationen zu dieser Kategorie deutet darauf hin, dass die Ursachen für das plötzlich auftretende aggressive Verhalten für die Lehrpersonen oftmals im Verborgenen bleiben. Dies wiederum weist auf einen dringenden Bedarf an spezifischen Professionalisierungsprozessen bei den Lehrpersonen hin im Sinne einer Entwicklung bzw. Erweiterung von autismusspezifischem Wissen sowie der Vermittlung wirksamer Strategien zum Umgang mit herausforderndem Verhalten, wie beispielsweise der funktionellen Verhaltensanalyse 5 . Im Ranking herausfordernder Situationen werden der „Umgang mit neuen Situationen oder unvorhergesehenen Änderungen“, die „Schwierigkeiten mit der Kontaktaufnahme und Kontaktgestaltung“, die „Zusammenarbeit mit Gleichaltrigen“ und das „fehlende oder unzureichende Verständnis von verbalen Anweisungen oder Aussagen“ am häufigsten genannt. Während „Selbst- und Fremdaggressionen“ erst an fünfter Stelle im Ranking benannt werden, sind sie mit Abstand Gegenstand der meisten Beschreibungen von Herausforderungen im Schulalltag. VHN 3 | 2018 243 CARLA CANONICA ET AL. ASS aus Sicht von Lehrpersonen FACH B E ITR AG Tendenziell bewerten Lehrpersonen die schulische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS als herausfordernder als die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit einem anderen Förderbedarf (63.8 %). Diese Tendenz findet sich beispielsweise auch in der Untersuchung von Corkum et al. (2014), die u. a. die von Lehrpersonen sowie Schulassistentinnen und -assistenten wahrgenommene Kompetenz und Sicherheit bei der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS erfasste. In der vorliegenden Studie konnte - wie bereits in vorangehenden Studien (Lindsay et al., 2013; Corkum et al., 2014) - diesbezüglich kein Zusammenhang mit der Berufserfahrung in der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS gefunden werden. Jedoch stellten Corkum et al. (2014) signifikante Zusammenhänge zwischen der empfundenen Sicherheit der Lehrpersonen und ihrem Wissen über Autismus fest; dieser Befund müsste in einer weiteren Untersuchung mit dieser Fragestellung berücksichtigt werden. Bezüglich der Frage, ob Unterschiede in der Wahrnehmung von Herausforderungen in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit ASS je nach Setting, in welchem die Lehrperson arbeitet, festzustellen sind, zeigten sich neben einigen Unterschieden durchaus auch viele Gemeinsamkeiten in den Einschätzungen von Lehrpersonen aus integrativen und separativen Settings. Die Ergebnisse zum Ranking häufig auftretender Herausforderungen weisen darauf hin, dass Lehrpersonen, die in separativen Settings unterrichten, häufiger Schwierigkeiten im Umgang mit neuen Situationen oder unvorhergesehenen Änderungen sowie auch das Weglaufen von Kindern und Jugendlichen mit ASS erleben. Dieser Befund könnte durchaus damit zusammenhängen, dass die Kinder und Jugendlichen mit ASS, die in einer Sonderschule bzw. einer Heilpädagogischen Schule unterrichtet werden, in den Bereichen soziale Interaktion und Kommunikation sowie restriktive Verhaltensmuster stärker beeinträchtigt sind (White et al., 2007). Die erlebten Herausforderungen in den integrativen Settings weisen jedoch tendenziell auf einen Bedarf an Sensibilisierung hin (vgl. Item „Fehlende Akzeptanz“). Auf jeden Fall sind die Ergebnisse zu den Unterschieden in den Herausforderungen je nach Schulform mit Vorsicht zu betrachten, da sie teilweise auf kleinen Fallzahlen beruhen. In der Einschätzung von Kindern und Jugendlichen mit ASS als herausfordernder im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne ASS konnten keine Unterschiede je nach Arbeitsort gefunden werden. Es ist zu vermuten, dass weniger das Setting bzw. der Arbeitsort und die damit verbundene Konfrontation mit einer je unterschiedlichen Zielgruppe als die Einstellungen und die Sicherheit von Lehrpersonen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit ASS maßgebend sind, wenn es um die Einschätzung von Herausforderungen geht. Außerdem tragen wahrscheinlich auch personelle und strukturelle Rahmenbedingungen dazu bei, wie Herausforderungen von Lehrpersonen wahrgenommen und bewältigt werden. Eine Zusammenführung der oben dargestellten Ergebnisse zeigt, dass ein Großteil der von Lehrpersonen wahrgenommenen Herausforderungen im (fehlenden) Verständnis für ASS und im (fehlenden) Knowhow im Umgang mit besonderen Verhaltensweisen des Kindes oder Jugendlichen mit ASS begründet liegt. Viele der subjektiven Schilderungen von Herausforderungen im Schulalltag bezogen sich auf diese Ebene, was mit den Ergebnissen von Lindsay et al. (2013) hinsichtlich der Kategorie „understanding and managing behaviour“ übereinstimmt. Zur Kategorie „socio-structural barriers“ (Lindsay et al., 2013) bzw. der Rahmenbedingungen werden in der vorliegenden Untersuchung vergleichsweise wenige Herausforderungen benannt, vorwiegend im Zusammenhang mit personellen Ressourcen. Eine ebenfalls untergeordnete Rolle nimmt VHN 3 | 2018 244 CARLA CANONICA ET AL. ASS aus Sicht von Lehrpersonen FACH B E ITR AG hier die Entwicklung einer inklusiven Umgebung („creating an inclusive environment“; ebd.) ein. Dieser Aspekt wird von den Teilnehmenden primär in Bezug auf die geschilderten peerbezogenen Herausforderungen genannt. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung heben die Bedeutsamkeit verhaltensbezogener Aspekte hervor. Die Schilderungen der Lehrpersonen zeigen, dass die Herausforderungen zum einen mit dem Fokus auf das Verstehen des Verhaltens im Kontext der autismusspezifischen Besonderheiten benannt werden (Warum verhält sich das Kind so? ), zum anderen mit dem Fokus auf den Umgang mit dem herausfordernden Verhalten (Wie reagiere ich darauf ? ). Die Einstellungen, das spezifische Fachwissen, aber auch die eigene Sicherheit beeinflussen das Verständnis für besondere Verhaltensweisen und den Umgang mit ihnen. Dieser Prozess wird als Wechselwirkung verstanden und wird maßgeblich auch durch die Schule als Ganzes, mit ihren personellen und strukturellen Rahmenbedingungen, mitgestaltet, aber auch durch die Mitschülerinnen und Mitschüler des Kindes/ Jugendlichen mit ASS. Ausgehend von den Erkenntnissen aus der Auswertung der von Lehrpersonen beschriebenen Herausforderungen wird in Abbildung 1 eine Systematik für die Beschreibung von Herausforderungen in der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS dargestellt. Diese Systematik betont die Wechselwirkungen zwischen den Besonderheiten im Verhalten von Kindern und Jugendlichen mit ASS mit dem Umgang der Lehrpersonen mit diesem Verhalten auf verschiedenen Ebenen. Zudem deutet sie darauf hin, dass diese Wechselwirkungen in einem größeren Kontext entstehen, der durch strukturelle und personelle Rahmenbedingungen der jeweiligen Schule gegeben ist und wiederum Auswirkungen auf die konkrete Situation haben kann. Umgang der Lehrperson mit Verhaltensbesonderheiten des Kindes mit ASS Besonderheiten im Verhalten des Kindes mit ASS Interaktionsunabhängiges Verhalten Verhalten in der Lehrer-Schüler-Interaktion Verhalten in der Schüler-Schüler-Interaktion Strukturelle Rahmenbedingungen (Räume, Klassengröße, Material, Konzept…) Personelle Rahmenbedingungen (Fachwissen, Ausbildung, Haltungen, Erwartungen …) Abb. 1 Systematik für die Beschreibung von Herausforderungen in der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS VHN 3 | 2018 245 CARLA CANONICA ET AL. ASS aus Sicht von Lehrpersonen FACH B E ITR AG Die dargestellte Systematik soll die Möglichkeit bieten, wahrgenommene Herausforderungen im schulischen Kontext mit Blick auf ihr Auftreten, einflussnehmende Faktoren sowie bestehende Wechselwirkungen beschreiben, einordnen, analysieren und reflektieren zu können. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit besteht in der Entwicklung möglicher Handlungsschwerpunkte, -optionen und -strategien. 8 Limitationen und Ausblick Neben Limitationen, die sich aus der Beschränkung der Stichprobe auf Absolventinnen und Absolventen sowie Studierende der Sonderpädagogik an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik ergeben, soll abschließend auch auf weitere zukünftig zu berücksichtigende Faktoren hingewiesen werden. Gemäß konservativer Schätzungen liegt die Prävalenz für eine Autismus-Spektrum-Störung in der Schweiz zwischen 0.6 und 0.8 % (Gundelfinger, 2013). Deshalb sind, insbesondere für Lehrpersonen in inklusiven Schulen, u. U. sehr viele Jahre Berufserfahrung erforderlich, bis genügend praktische Erfahrungen mit verschiedenen Kindern und Jugendlichen mit einem besonderen Förderbedarf - und unter diesen mit ASS - gesammelt werden konnten, um einschätzen zu können, ob der pädagogische Alltag mit Schülerinnen und Schülern mit ASS besonders herausfordernd ist oder nicht. Ein Großteil der Stichprobe hat bisher lediglich mit einem bis drei Kindern bzw. Jugendlichen mit ASS gearbeitet, was auf eine eher geringe autismusspezifische Berufserfahrung hinweist. Die Einschätzung der autismusspezifischen Besonderheit von Herausforderungen („Schüler/ innen mit ASS sind herausfordernder als andere“) ist vor diesem Hintergrund mit Vorsicht zu interpretieren, da es gut sein könnte, dass die von den Lehrpersonen erlebten und genannten Herausforderungen tatsächlich nicht etwa autismusspezifisch, sondern kindspezifisch sind. Um zu überprüfen, ob die schulische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS von Lehrpersonen in der Schweiz tatsächlich als herausfordernder angesehen wird als die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit einem anderen Förderbedarf, ist die Berufserfahrung der Lehrpersonen in der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ (z. B. Intensität des Kontakts, Schweregrad ASS) zu erfassen. Zudem sind zusätzlich das Wissen der Lehrperson sowie die wahrgenommene Kompetenz und Sicherheit in der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS zu erheben. Mit Blick auf bisherige Studienergebnisse ist davon auszugehen, dass sich zwischen Lehrpersonen mit stark und solchen mit gering ausgeprägter Autismuskompetenz Unterschiede bezüglich der wahrgenommenen Herausforderungen zeigen können (Corkum et al., 2014; Lindsay et al., 2013; Symes & Humphrey, 2011). Schließlich sollten die Herausforderungen im schulischen Alltag auch in Bezug gesetzt werden zu Persönlichkeitsmerkmalen der Lehrperson (Selbstwirksamkeitserleben, Bewältigungsverhalten, Haltung) oder zur vorherrschenden Schulkultur (Führungsverhalten der Schulleitung, Haltung zu Inklusion). Viele der beschriebenen Herausforderungen lassen sich den vielfach beschriebenen autismusspezifischen Charakteristika zuordnen. Qualitative Daten zur Fragestellung hinsichtlich der erlebten Herausforderungen im Schulalltag von Lehrpersonen könnten aus Einzelinterviews, Gruppendiskussionen oder ethnografischen Beobachtungen gewonnen werden und genauer Aufschluss darüber geben, welche Aspekte der geschilderten Herausforderungen die Lehrpersonen am stärksten belasten und wie diese mit der Selbstwahrnehmung der Lehrpersonen zusammenhängen. Die vorliegende Untersuchung fokussiert bewusst die Herausforderungen der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS. In einem weiteren Schritt wäre es angezeigt, im Sinne einer Ressourcenorientierung auch Erfolgsfaktoren der schulischen Förde- VHN 3 | 2018 246 CARLA CANONICA ET AL. ASS aus Sicht von Lehrpersonen FACH B E ITR AG rung und damit Formen der wirksamen Bewältigung von Herausforderungen im schulischen Alltag zu thematisieren. Da die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung Hinweise darauf enthalten, dass Lehrpersonen unterschiedliche Arten von Herausforderungen in der inklusiven verglichen mit der separativen Beschulung benennen, sollten künftige Studien auch separative Kontexte miteinbeziehen. Für die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen im Hinblick auf eine angemessene schulische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS ist es wichtig herauszufinden, welche Einflussfaktoren bezüglich der aufkommenden Herausforderungen im schulischen Alltag maßgeblich sind. Anmerkungen 1 Damit ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass diese Schülerinnen und Schüler in den Bereichen Kommunikation und Sozialisation hohe Werte im ADOS (Lord, Rutter, Di Lavore & Risi, 1999), einem standardisierten Beobachtungsinstrument, das für die Autismus-Diagnostik verwendet wird, erreichten (vgl. White et al., 2007). 2 Die Begrifflichkeit „sonderpädagogischer Förderbedarf“ wurde mit dem Ziel der Allgemeinverständlichkeit für die Teilnehmenden an der Studie gewählt. Damit wird eine Vergleichsgruppe an Lernenden konstituiert, die durch eine schulpsychologische Abklärung einen besonderen bzw. sonderpädagogischen Förderbedarf attestiert bekommen haben. 3 Die im Online-Fragebogen verwendeten Formulierungen sind länger und wurden aus Platzgründen für diese Publikation abgekürzt. Sie können bei den Autoren angefragt werden. 4 In diesem Artikel wird nur beschreibend auf die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse eingegangen. Eine vertieftere Analyse dieser reichhaltigen Ergebnisse wird zurzeit vorgenommen. Bei Interesse können die Detailkategorien bei den Autoren angefragt werden. 5 Unter „Funktionelle Verhaltensanalyse“ wird in diesem Kontext die Analyse der Funktion von herausfordernden Verhaltensweisen und der darauffolgenden Erarbeitung von Handlungsalternativen verstanden. Literatur APA / American Psychiatric Association (Hrsg.) (2015). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen (DSM-5). Deutsche Ausgabe. Göttingen: Hogrefe. Aune, B., Burt, B. & Gennaro, P. (2010). Behavior Solutions for the Inclusive Classroom. Arlington: Future Horizons. Bernard-Opitz, V. (2015). Kinder mit Autismus- Spektrum-Störungen (ASS). Ein Praxishandbuch für Therapeuten, Eltern und Lehrer. Stuttgart: Kohlhammer. Boujut, E., Dean, A., Grouselle, A. & Cappe, E. (2016). 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Karolin Ullrich Prof. Dr. Reinhard Markowetz Ludwig-Maximilians-Universität München Department Pädagogik und Rehabilitation Leopoldstr. 13 D-80802 München E-Mail: karolin.gruber@edu.lmu.de markowetz@lmu.de
