Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2018.art36d
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2018
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Fachbeitrag: Naturwissenschaftliche Inhalte für Schülerinnen und Schüler mit kognitiven Beeinträchtigungen aufbereiten
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Markus Scholz
Christine Dechant
Christoph Dönges
Björn Risch
Ziel des vorgestellten Projekts „Umweltbildung und Inklusion“ ist es, Lernmodule für ein inklusives Bildungssystem zu Schlüsselthemen der nachhaltigen Entwicklung zu entwickeln und so das Verstehen von Umweltprozessen zu fördern. In einem Teil des Projekts wird mithilfe eines Design-Based Research-Ansatzes der Frage nachgegangen, welche Anforderungen Lernsettings und Lernmaterialien, insbesondere Versuchsanleitungen, für Schülerinnen und Schüler mit kognitiven Beeinträchtigungen erfüllen müssen, um eigenständiges Arbeiten und nachhaltiges Lernen zu ermöglichen. Aus den mit qualitativen Methoden (Videoanalysen, teilnehmende Beobachtungen) erhobenen Informationen in zwei Projektphasen und einer Follow-up-Befragung (materialgestützte Interviews) werden Hinweise zur Gestaltung von Lernmaterialien und Lernsettings für naturwissenschaftlichen Unterricht abgeleitet.
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318 VHN, 87. Jg., S. 318 -335 (2018) DOI 10.2378/ vhn2018.art36d © Ernst Reinhardt Verlag Naturwissenschaftliche Inhalte für Schülerinnen und Schüler mit kognitiven Beeinträchtigungen aufbereiten Entwicklung und Evaluation von Lernmaterialien für den Bereich Umweltbildung mithilfe eines Design-Based Research-Ansatzes Markus Scholz PH Ludwigsburg Christine Dechant, Christoph Dönges, Björn Risch Universität Koblenz-Landau, Campus Landau Zusammenfassung: Ziel des vorgestellten Projekts „Umweltbildung und Inklusion“ ist es, Lernmodule für ein inklusives Bildungssystem zu Schlüsselthemen der nachhaltigen Entwicklung zu entwickeln und so das Verstehen von Umweltprozessen zu fördern. In einem Teil des Projekts wird mithilfe eines Design-Based Research-Ansatzes der Frage nachgegangen, welche Anforderungen Lernsettings und Lernmaterialien, insbesondere Versuchsanleitungen, für Schülerinnen und Schüler mit kognitiven Beeinträchtigungen erfüllen müssen, um eigenständiges Arbeiten und nachhaltiges Lernen zu ermöglichen. Aus den mit qualitativen Methoden (Videoanalysen, teilnehmende Beobachtungen) erhobenen Informationen in zwei Projektphasen und einer Follow-up-Befragung (materialgestützte Interviews) werden Hinweise zur Gestaltung von Lernmaterialien und Lernsettings für naturwissenschaftlichen Unterricht abgeleitet. Schlüsselbegriffe: Naturwissenschaftlicher Unterricht, kognitive Beeinträchtigung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Design-Based Research, Lehr-Lern-Materialien Science Education for Students with Intellectual Disabilities Development and Evaluation of Learning Materials for Environmental Education Using a Design-Based Research Approach Summary: The project “environmental education and inclusion” aims to generate learning units for key topics of sustainable development for inclusive classrooms. One part of the project utilizes a design-based research approach to investigate how learning settings and materials must be designed to enable students with intellectual disabilities to work independently and learn effectively. Information from qualitative methods (video analysis, participatory observation) assessed in two phases of the project and one follow-up survey (material supported interviews) provide hints to design settings and materials for science education in general. Keywords: Science education, intellectual disabilities, education for sustainable development, design-based research, learning materials FACH B E ITR AG VHN 4 | 2018 319 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG 1 Das Projekt Umweltbildung und Inklusion Durch sozial-ökologische Entwicklungen beeinflusste globale Veränderungen (Umweltbelastung durch Schadstoffe, Ressourcenverknappung usw.) werden lokale Umgebungen in absehbarer Zukunft merklich beeinträchtigen. Das Wissen um Zusammenhänge und Konsequenzen des eigenen Tuns für die Umgebung ist Grundvoraussetzung für nachhaltiges Handeln. Daher gilt es kommende Generationen für die in der Umwelt ablaufenden Prozesse zu sensibilisieren, um sie langfristig zu einem Denken und Handeln im Sinne nachhaltiger Entwicklung anzuregen. Hier setzt das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) finanzierte Forschungsprojekt „Umweltbildung und Inklusion“ an. Ziel dieses Projekts ist es, Lernmodule für ein inklusives Bildungssystem zu entwickeln, die Schlüsselthemen der nachhaltigen Entwicklung beinhalten, so das Verstehen von Umweltprozessen zu fördern und Kindern und Jugendlichen gleichzeitig grundlegende naturwissenschaftliche Konzepte (z. B. Energie) näherzubringen. Dazu arbeiten Fachwissenschaftler (Umweltwissenschaften), Fachdidaktiker (Chemiedidaktik) und Sonderpädagogen zusammen. Die Themen des Projekts (Lebensgrundlage Boden, Kraftwerke der Natur, Sonnen mit Verstand und nachhaltiger Weinbau) versuchen naturwissenschaftliche Inhalte und Arbeitsweisen mit der lokalen Lebens- oder Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler zu verknüpfen. Bei drei Modulen werden globale Umweltprozesse thematisiert, sodass die ausgearbeiteten Materialien und Methoden nahezu an jedem Standort authentisch einsetzbar sind. Das Modul nachhaltiger Weinbau hat einen vom Projektträger geforderten lokalen Bezug zum Projektstandort, steht aber dennoch exemplarisch für zentrale Fragen der Landwirtschaft an sich (konventionelle vs. ökologische Methoden) und ihre Auswirkungen auf die Umwelt. Aus sonderpädagogischer Perspektive ist eine zentrale Aufgabe des Projekts, Schülerinnen und Schülern mit kognitiven Beeinträchtigungen und reduzierter oder gar fehlender Lesefähigkeit einen Zugang zu den Inhalten und Zusammenhängen zu ermöglichen. Dabei werden in mehrfacher Weise aktuelle Herausforderungen für die Entwicklung inklusiven Unterrichts im naturwissenschaftlichen Bereich in den Blick genommen: (1) Schülerinnen und Schüler mit kognitiven Beeinträchtigungen befinden sich in Bildungsgängen, die sich innerhalb des hierarchisch gegliederten Schulsystems am unteren Ende befinden. Das hat zur Folge, dass ihnen möglicherweise als zu anspruchsvoll angesehene Bildungsinhalte vorenthalten werden. Klauß und Lamers (2010) sprechen in diesem Zusammenhang von einem reduzierten Bildungsverständnis. Auch wenn sie dabei in erster Linie Schülerinnen und Schüler mit schweren kognitiven Beeinträchtigungen im Blick haben, gilt ihre Kritik für den Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit kognitiven Beeinträchtigungen ganz allgemein. Bei den Themen und Inhalten des Projekts handelt es sich dagegen um anspruchsvolle Bildungsinhalte, die den epochaltypischen Schlüsselproblemen im Sinne Klafkis (Klafki & Braun, 2007, S. 168f.) zuzurechnen sind. Die Projektarbeit kann Erfahrungswerte liefern, wie solche Inhalte für diese Schülergruppe grundsätzlich und in einem gemeinsamen Unterricht zugänglich gemacht werden können. (2) Das Fehlen von geeigneten Lernmaterialien für Schülerinnen und Schüler mit kognitiven Beeinträchtigungen stellt ein grundsätzliches und auch international wahrgenommenes Problem dar (Bancroft, 2002, S. 168). Insbesondere weil viele bestehende Materialien oder Konzepte bestimmte Fähigkeiten wie z. B. grundlegende Lesekompetenzen voraussetzen (vgl. Villanueva, Taylor, Therrien & Hand, 2012, S. 190f.). Dies gilt vor allem für naturwissenschaftliche Themen. Zwar ist dieser Bereich im deutschsprachigen Raum VHN 4 | 2018 320 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG in den letzten Jahren durch wichtige Publikationen (u. a. Ratz, 2011; Riegert & Musenberg, 2015) verstärkt ins Blickfeld geraten. Ein Großteil der im Kontext von Kindern mit kognitiven Beeinträchtigungen veröffentlichten Beiträge beschäftigt sich mit konzeptionellen oder auch theoretisch-didaktischen Fragen im Zusammenhang mit (gemeinsamem) Unterricht aus didaktischer und sonderpädagogischer Perspektive (u. a. Hoffmann & Menthe, 2015; Goschler & Heyne, 2011; Scholz, 2015; Menthe & Hoffmann, 2015). Konzeptionen und Lernmaterial werden aus diesen Grundfragen heraus exemplarisch thematisiert beziehungsweise entwickelt (u. a. Dönges, 2015; Breyer, Dreßler, Häußler & Trefzger, 2011). Eine weiterführende Systematisierung, Erprobung oder (empirische) Evaluation wird allerdings noch nicht verfolgt, bildet also ein bestehendes Desiderat. Vorliegendes Projekt versucht den genannten Aspekten gerecht zu werden. Forschungsmethodisch erfolgt eine Orientierung am Design-Based Research-Ansatz (Wang & Hannafin, 2005, S. 6, bzw. Collins, Joseph & Bielaczyc, 2004). Diese Zugangsweise zeichnet sich insbesondere durch einen zyklischen, nicht linearen Verlauf aus. Auf eine Phase der Problemanalyse folgt die Entwicklung eines Designs - in unserem Fall Lerneinheiten mit differenzierten Materialien. Es schließt sich eine Erprobung und Evaluation an. Die Erkenntnisse der Evaluation können einerseits zu generalisierbaren Gestaltungsprinzipien, andererseits zu einem Re-Design führen. Der gesamte Zyklus kann mehrere Male durchlaufen werden. Zwischen den einzelnen Phasen bestehen Wechselwirkungen (vgl. Reinmann, 2016, S. 5). Nachfolgend werden zwei zentrale Phasen des Projekts (Konzeption und singuläre Erprobung sowie die systematische Evaluation) beschrieben und anschließend Konsequenzen für die Gestaltung von Lernmaterialien und Lernsituationen abgeleitet. Die Ausführungen orientieren sich im Aufbau an anderen Publikationen mit einem derartigen Ansatz (u. a. Knogler & Lewalter, 2014; Palincsar, Magnusson, Collins & Cutter, 2001; Rott & Marohn, 2015). 2 Phase 1 - Konzeption und singuläre Erprobung Die erste Phase fand im Rahmen der Landesgartenschau in Landau statt. Innerhalb des Grünen Klassenzimmers gab es in einem Freilandlabor für Schulklassen buchbare Angebote zu den Projektthemen. Diese Einheiten im Umfang von 90 Minuten wurden im Rahmen eines Universitätsseminars von Studierenden speziell für Schülerinnen und Schüler aus Förderschulen oder für inklusive Klassen modifiziert und im Sommer 2015 mit insgesamt sechs sehr unterschiedlichen Schulklassen praktisch erprobt (vgl. Tab. 1). Im Vorgang und parallel dazu wurden mithilfe einer breiten Literaturrecherche Erkenntnisse zur Gestaltung von Lernmaterialien für den Personenkreis gesammelt, singulär für die Projektphase genutzt und anschließend gemeinsam mit den eigenen Erkenntnissen synthetisiert. 2.1 Zentrale Fragestellung (Phase 1) Ziel der ersten Phase war es, in Einzelerprobungen in unterschiedlichen Kontexten systematische Erkenntnisse in Bezug auf Lehrmethodik, Materialgestaltung und Inhalte für den weiteren Projektverlauf zu generieren. Folgende Fragen waren dabei leitend: 1. Welches Projektthema eignet sich vor allem für inklusive Klassen bzw. Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf ? 2. Wie müssen Materialien und Versuche gestaltet sein, damit die Schülerinnen und Schüler möglichst selbstständig daran arbeiten können? VHN 4 | 2018 321 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG Datum Thema der Unterrichtseinheit/ wesentliche Inhalte Klassenstufe/ Schulart Datenerhebung 30. 6. 2015 Ökosystem Boden (Eigenschaften von Boden) Bestimmung von Bodenarten und Bodenbestandteilen (Versuche: Fingerprobe, Siebprobe, Schlämmprobe); Boden fühlen (Barfußpfad); Bodentierbestimmung Grundschule Klassenstufe 2 16 SuS TB; Protokoll 01; Rückmeldebogen 01 30. 6. 2015 Ökosystem Boden (Eigenschaften von Boden) Siehe oben Grundschule Klassenstufe 2 15 SuS TB; Protokoll 02; Rückmeldebogen 02 1. 7. 2015 Ökosystem Boden (Funktionen von Boden) Boden als Nährstoff- und Rohstoffquelle (Plakat); Boden als Lebensraum; Säuberungsfunktion des Bodens (Versuch); Boden als Wasserspeicher (Versuch) Förderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung Oberstufe 8 SuS TB; Protokoll 03; Rückmeldebogen 03 16. 7. 2015 Kraftwerke der Natur (Photosynthese und Farbstoffsolarzelle) Sonnenenergie (Rally mit Quiz); Erarbeitung Photosynthese (Informationstext und Bauteile einer Solarzelle); Bau einer Farbstoffsolarzelle in Gruppen Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen Klassenstufe 9 7 SuS TB; Protokoll 04; Rückmeldebogen 04 16. 7. 2015 Kraftwerke der Natur (Photosynthese und Farbstoffsolarzelle) Erarbeitung Photosynthese (Film, Pantomime, Quiz); Bau einer Farbstoffsolarzelle in Gruppen Fachwerkerschule Gartenbau 2. Lehrjahr 15 SuS TB; Protokoll 05; Rückmeldebogen 05 23. 7. 2015 Sonnen mit Verstand (Wirkung von Sonneneinstrahlung auf die Haut) Aufbau der Haut (Film und Visualisierung), Wirkung von UV-Strahlen (Versuche: Einfluss von Stoffen, Sonnenschutzfaktoren, Hauttypen) Integrierte Gesamtschule Klassenstufe 5 -8 15 SuS TB; Rückmeldebogen 06 23. 7. 2015 Sonnen mit Verstand Klasse ist nicht erschienen - Tab. 1 Überblick über die durchgeführten Unterrichtseinheiten in Projektphase 1 VHN 4 | 2018 322 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG 2.2 Datenerhebung Zur Beantwortung der Fragen gab es drei wesentliche Informationsquellen, die nachfolgend kurz erläutert werden. Teilnehmende Beobachtung (TB): Jede durchgeführte Einheit wurde von einem Projektmitarbeiter (CDö oder MS) beobachtet. Wichtige Erkenntnisse auf Basis der Fragestellung wurden zusammenfassend notiert. Die Erkenntnisse wurden induktiv durch Bilden struktureller Kategorien zusammenfassend ausgewertet (→ TB). Rückmeldebogen - Halboffene schriftliche Befragung (RB): Die an den Einheiten beteiligten Lehrkräfte wurden mithilfe eines Fragebogens zur beobachteten Unterrichtseinheit befragt. Der Fragebogen enthielt insgesamt 12 Fragen zu Aufgaben und Lernmaterialien, zur Lernumgebung, zur Mitarbeit der Schülerinnen und Schüler, zur Passung der Aufgaben usw. und war fünfstufig skaliert. Zusätzlich gab es die Möglichkeit einer offenen schriftlichen Rückmeldung (→ RB 01 bis 06). Protokoll des Feedbacks der Studierendengruppen (P): Mit den Studierendengruppen fand im Anschluss an die Einheit ein Reflexionsgespräch (bei einer Gruppe eine schriftliche Reflexion) statt, in dem sie die Eindrücke von der jeweils gehaltenen Einheit artikulieren konnten. Zentrale Ergebnisse der Gespräche wurden in einem Protokoll zusammengefasst (→ P 01 bis 05). 2.3 Ergebnisse der ersten Phase Durchgängig wurde festgestellt, dass die Schülerinnen und Schüler an den Themen der einzelnen Einheiten interessiert waren und große Freude an den Aktivitäten hatten (vgl. P 02, RB 02, RB 03, RB 05). Schwierigkeiten in der Planung und bei der Passung des Materials (vgl. RB 04) ergaben sich einerseits aus den Gegebenheiten des außerschulischen Lernorts (unbekannte Zielgruppe, unbekanntes Alter, unbekanntes Vorwissen usw.) (vgl. P 04), andererseits aus den textlichen Barrieren insbesondere bei schriftgeleiteten Lernangeboten (Quiz, Plakat erstellen usw.). Einschränkungen in der Bearbeitungsmöglichkeit insbesondere bei Kindern mit Förderbedarf waren durch schriftliche Informationen oder eher kognitiv-abstrakte Aufgaben gegeben. Ein grundlegendes Problem der Einheiten war zudem die Herstellung eines Bezugs der einzelnen Lernstationen zu einer Gesamtthematik (vgl. TB). Die Notwendigkeit der Lösung von Aufgaben war bei einzelnen Angeboten eine relativ abstrakte Tätigkeit und nicht klar genug an den Problemen und dem Alltag der Schülerinnen und Schüler orientiert. Die Zahl der Aktivitäten innerhalb der Zeiteinheit war auch für Schülerinnen und Schüler ohne sonderpädagogischen Förderbedarf zu umfangreich (RB 02). Die Zusammenstellung der Inhalte wurde als zu beliebig und wenig nachhaltig beschrieben, obwohl die grundsätzlichen Ideen der Lerninhaltsvermittlung gelobt wurden (vgl. RB 01). Vor allem Aufgaben mit der Möglichkeit, eigenständig handelnd tätig zu sein, führten zu einer hohen Motivation der Schülerinnen und Schüler (z. B. Boden als Filter; P 03). Die Bearbeitung einzelner Stationen durch Zweierteams wurde durch den hohen Aktivitätsanteil und die leicht erfolgende Kooperation als sehr gewinnbringend beschrieben (vgl. RB 02; TB). 2.4 Ableitungen für das Re-Design und theoretische Überarbeitung Die Auswertung der ersten Phase zeigte, dass das Lernmaterial an sich eine der grundsätzlichen Herausforderungen für erfolgreiches Unterrichten naturwissenschaftlicher Themen bildet (vgl. auch Villanueva et al., 2012, S. 190). Zugänge und Material müssen unabhängig von der jeweiligen Lesekompetenz funktionieren. VHN 4 | 2018 323 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG Dies kann dadurch realisiert werden, dass man die Notwendigkeit für Lesefähigkeiten grundsätzlich umgeht (vgl. Brooke & Solomon, 2001), die Informationsdarbietung an die jeweiligen Schülerinnen und Schüler anpasst (vgl. McGinnis, 2013, S. 45) oder auch verschiedene Strategien zur Erleichterung des Verständnisses von schriftlichen Informationen nutzt (vgl. Metaanalyse von Mason & Hedin, 2011). Ein erstes zentrales Ziel des Re-Designs war daher die Gestaltung von Lernangeboten, die schriftsprachliche Barrieren noch systematischer vermeiden. Die eigenen Erfahrungen aus der ersten Phase wurden hierzu mit praktischen (vgl. u. a. Schmitt-Sody & Kometz, 2013), theoretischen (vgl. u. a. Krauß & Woest, 2013; Küm- Differenzierungsstufe Beispiel Standardsprache Nehmt den leeren Blumenkastenuntersetzer und belegt ihn über die ganze Fläche mit Boden. Vereinfachte Sprache (1) Fülle den Boden in die leere Schale. Symbolunterstützung (2) Fülle den Boden in die Schale. Bildbzw. Symbolschrift (3) Sequenzierter fotografischer Handlungsablauf (3) Video (3) + ➝ Tab. 2 Differenzierungsstufen für die Gestaltung von Versuchsanleitungen (vgl. Scholz, Dönges, Dechant & Endres, 2016) VHN 4 | 2018 324 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG merling-Meibauer & Pompe, 2015) und empirischen Erkenntnissen (u. a. Alberto, Cihak & Gama, 2005; Poncelas & Murphy, 2007; Zentel, 2010) unterfüttert. Ergebnis der Überlegungen waren insgesamt fünf Vereinfachungsstufen für schriftliche Elemente der Lerneinheiten (z. B. Versuchsanleitungen) (vgl. Tab. 2), die sich in drei Bereiche kategorisieren lassen (vgl. Scholz, Dönges, Dechant & Endres, 2016). Auch die Lernaktivität an sich kann eine Barriere darstellen. Aufgaben, die den Lerninhalt abstrakt und ohne lebensweltlichen Bezug vermitteln und Schülerexperimente, die dem Lernenden die Übertragung eines isolierten abstrakten Inhalts auf den Gesamtkontext abverlangen, eignen sich weniger. Aufgaben oder Versuche sollten möglichst konkret handelnd erlebbar und das Ergebnis direkt wahrnehmbar sein. Diese Erfahrung aus der ersten Phase bestätigt sich auch durch zahlreiche Empfehlungen oder Studien. Material, welches direktes Handeln oder direkte Erfahrungen ermöglicht, wird als gewinnbringend beschrieben und liefert im Vergleich zum Lernen auf textlicher Ebene (z. B. durch Lehrbücher) auch bessere Lernergebnisse (vgl. Brigham, Scruggs & Mastropieri, 2011; Irving, Nti & Johnson, 2007; Mastropieri et al., 1998; McCarthy, 2005; Scruggs, Mastropieri & Okolo, 2008; Scruggs & Mastropieri, 1995). Zweites Ziel des Re-Designs war es daher, Materialien zu entwickeln, die direktes Handeln ermöglichen und ein unmittelbar erfahrbares Ergebnis liefern. Aus den Rückmeldungen ließ sich zudem ein weiterer wichtiger Aspekt schließen. Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler und der Kontext, in den die Einheiten eingebunden sind, werden als Voraussetzung für nachhaltiges Lernen gesehen. Fehlt dies, kann es Lernprozesse erschweren. Notwendige weitere Anpassungen der Lerneinheiten beinhalteten die Nutzung von Alltagsmaterialien für Versuche und den weitgehenden Verzicht auf spezifische Chemikalien (vgl. auch Lück, 2000, S. 130). Um für außerschulische Lernorte und Schulen gleichermaßen einsatzfähig zu sein, schien zudem eine altersneutrale Gestaltung prototypischer Aufgaben und Versuche sinnvoll, welche es erlaubt, flexibel Bezüge und Kontexte in Abhängigkeit der jeweiligen Schülerschaft herzustellen. Der Schwerpunkt im weiteren Projektverlauf wurde auf die Bearbeitung des Themas Boden gelegt. Hier waren die Möglichkeiten zur Gestaltung handelnder Aktivitäten im Vergleich zu den anderen Themen des Projekts am größten. Inhaltlich bietet der Bereich auch sehr viele konkrete, mit der Erfahrungswelt aller Schülerinnen und Schüler verknüpfbare Aktivitäten. Viele der Inhalte und Versuche kommen zudem ohne Verwendung spezifischer Chemikalien aus. Der Themenbereich wurde gegliedert in die Unterthemen Bodeneigenschaften, Bodengenese, Bodenvielfalt, Bodenfunktionen und Bodengefahren (vgl. Blum, 2007; Scheffer et al. 2010). Als Zielgruppe für die systematische Materialerprobung wurden Schülerinnen und Schüler mit kognitiven Beeinträchtigungen gewählt, da so ein sehr breites Spektrum an Materialdifferenzierungsmöglichkeiten erprobt werden konnte. 3 Phase 2 - Systematische Materialerprobung Basis für die systematische Materialerprobung bildete das Thema Bodengefahren. Es wurde eine Unterrichtseinheit mit differenzierten Materialien und Versuchen entwickelt, die sich mit Erosionsprozessen auseinandersetzte. Dabei sollten die Phänomene Wassererosion (Vergleich eines bepflanzten [Kresse] und eines unbepflanzten Hangs bei starkem Regen, simuliert durch eine Gießkanne), Winderosion (Erdabtrag durch Wind [simuliert durch einen Föhn] und mögliche Gegenmaßnahmen - Modell einer Hecke, Bewässerung mit einer Sprühflasche) und Tröpfchenwirkung 1 (mit Wasser aus einer Pipette wird die Zerstörung des Bodengefüges durch den Splasheffekt erfahrbar gemacht) handelnd bearbeitet werden. VHN 4 | 2018 325 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG 3.1 Zentrale Fragestellung Die Einheit und die begleitende Datenerhebung dienten dazu, das Material, die Versuche, das Lernsetting und die Inhalte zu evaluieren. Es stellten sich folgende zentrale Fragen: 1. Ermöglichen die Differenzierungen eine weitgehend selbstständige Durchführung der Versuche? Welche Faktoren tragen hierzu bei (Gestaltungsaspekte, Setting usw.)? 2. Welche Faktoren (Gestaltungsaspekte, Setting usw.) verhindern eine selbstständige Durchführung? 3. Wie nachhaltig sind die in der Einheit erworbenen Inhalte verankert? Können sich Schülerinnen und Schüler an Aufbau, Ablauf und Ergebnis der Versuche erinnern? 4. Können Schülerinnen und Schüler die Inhalte auf reale Kontexte übertragen? 3.2 Ablauf und Setting An der Evaluation nahmen zwei Klassen teil. In einer Klasse aus einer Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen (S1) waren sechs Schülerinnen und Schüler im Alter von 7; 1 bis 11; 5 Jahren, in der anderen Klasse aus einer Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (S2) sieben im Alter von 12; 6 bis 14; 7 Jahren. Die Lesekompetenzen wurden von den jeweiligen Klassenlehrkräften mithilfe eines Fragebogens in Anlehnung an Schneider (2008) eingeschätzt, der unterteilt war in Lesefertigkeit (Phonem-Graphem-Korrespondenz bis automatisiertes Erfassen von Wörtern) und Leseverständnis (Informationsentnahme von abbildhaften Darstellungen bis zu fortgeschrittenem Lesen von Texten). Auf dieser Basis kam es zur Zuweisung einer Differenzierungsstufe des Materials (vgl. Tab. 3). Die Erhebung bestand aus zwei Teilen, einer Unterrichtseinheit über ca. 75 Minuten (Fragen 1 und 2) und einer Follow-up-Befragung jedes einzelnen Schülers nach mehreren Wochen (Fragen 3 und 4). Als Lerneinheit wurde eine Stationenarbeit bestehend aus drei thematischen Bereichen mit jeweils einem Versuch konzipiert. An jeder Station gab es eine entsprechende differenzierte Versuchsanleitung. Aufgrund der Erfahrungen aus der ersten Phase arbeiteten die Schülerinnen und Schüler mit einer Ausnahme 2 im Team (vgl. Tab. 3). Die Stationen wurden von Studierenden bzw. Projektmitarbeitern betreut. Die Stationenarbeit war eingebettet in eine thematische Einführung und ein abschließendes Gespräch über die Versuchsergebnisse. Als Lernort diente das Schülerlabor der Universität Koblenz-Landau. Die Follow-up-Befragung fand in der jeweiligen Schule statt und wurde durch jeweils zwei Personen (Klassenlehrkraft und CDe oder CDe und CDö) durchgeführt. 3.3 Methoden der Datenerhebung und -auswertung Zur Datenerhebung kamen folgende Methoden zum Einsatz: Notizen aus teilnehmender Beobachtung (NTB): Auffälligkeiten in Bezug auf die selbstständige Umsetzung der Versuche und die Passung der eingesetzten Materialien während der Unterrichtseinheit wurden von den Projektmitarbeiterinnen (CDe, AE, KK) und einer studentischen Hilfskraft (DT) in einem Beobachtungsprotokoll festgehalten (→ NTB 01 bis 04). Lehrerfeedback (LF): Die Klassenlehrkräfte der beiden Klassen waren während des Besuchs des Lernlabors weitgehend in der Rolle der passiven Beobachter. Ihre Eindrücke der Unterrichtsstunde (Material, Schülerverhalten, Passung der Differenzierung usw.) wurden schriftlich zusammengefasst und nach dem Besuch an das Projektteam übersendet (→ LF S1 und S2). Videos (V), Transkripte (T) und Kurzzusammenfassungen (K) der Lernstationen: Die Aktivitäten jedes Schülerteams an jeder Station wurden videografiert. Insgesamt wurden für Schule 1 (FSL) neun Sequenzen mit einer Länge VHN 4 | 2018 326 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG Pseudonym Vorerfahrungen Experimente Alter Differenzierungsstufe Datengrundlage Follow-up Datengrundlage Versuchsdurchführung Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen (S1) David Selten 7; 9 Sequenzierter fotografischer Handlungsablauf V-FU 05; T-FU 05 V 03; V 04; K 03; K 04 T 03; T 04 Marc Selten 7; 1 Sequenzierter fotografischer Handlungsablauf V-FU 06; T-FU 06 Anne Selten k. A. Vereinfachte Sprache V-FU 01; T-FU 01 V 02; V 06; K 02; K 06 T 02; T 06 Jana Selten k. A. Vereinfachte Sprache V-FU 02; T-FU 02 Lars Selten 11; 5 Symbolunterstützter Text V-FU 04; T-FU 04 V 01; V 05; K 01; K 05 T 01; T 05 Martina Keine 10; 9 Symbolunterstützter Text V-FU 03; T-FU 03 Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (S2) Andrea Regelmäßig 12; 6 Vereinfachter Text V-FU 04; T-FU 04 V 03; V 05; K 03; K 05 T 03; T 05 Moritz Regelmäßig 14; 3 Vereinfachter Text V-FU 03; T-FU 03 Frederik Regelmäßig 13; 5 Bildbzw. Symbolschrift V-FU 05; T-FU 05 V 02; T 02; K 02 Julia Regelmäßig 14; 7 Bildbzw. Symbolschrift/ Symbolunterstützter Text V-FU 06; T-FU 06 Thomas Regelmäßig 13; 2 Symbolunterstützter Text V-FU 02; T-FU 02 Konstantin Regelmäßig 13; 9 Sequenzierter fotografischer Handlungsablauf V-FU 06; T-FU 06 V 01; V 06; K 01; K 06 T 01; T 06 Oskar Regelmäßig 13; 7 Sequenzierter fotografischer Handlungsablauf V-FU 01; T-FU 01 Tab. 3 Übersicht über die Schülerteams und die Datengrundlage für die Auswertung aus Phase 2 Anmerkung: Schülerteams, die im Rahmen der Versuchsdurchführung gemeinsam agiert haben, sind jeweils durch dieselbe Hintergrundschattierung gekennzeichnet. Die Vorerfahrung mit naturwissenschaftlichen Experimenten wurde von den Lehrkräften auf Basis einer vierstufigen Skala eingeschätzt (keine, selten, öfters, regelmäßig). VHN 4 | 2018 327 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG von 08: 10 bis 14: 25 Minuten (→ V 01 bis 09 S1) und für Schule 2 (FSgE) acht Sequenzen mit einer Länge von 02: 15 bis 19: 57 Minuten aufgezeichnet (→ V 01 bis 09 S2) 3 . Für jedes Video wurde zusätzlich ein Transkript erstellt. Es enthielt eine Beschreibung der Tätigkeiten und eine dialektbereinigte Dokumentation der wörtlichen Kommunikation zwischen den Schülerinnen und Schülern und der Person, die den Versuch betreute, wobei gestische Elemente berücksichtigt wurden (→ T 01 bis 06 S1; T 01 bis 06 S2). Die inhaltliche Auswertung der Videos und Transkripte erfolgte überwiegend deduktiv auf Basis eines Codebuchs. Der Ablauf des Versuchs wurde zunächst strukturell (vgl. Structured Coding; Saldaña, 2016) mithilfe der Kategorien Handeln (alle Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf den Ablauf des Versuchs), Schülerfragen (alle Fragen der Schülerinnen und Schüler verbal oder nonverbal an eine beliebige Person gerichtet), Schüleraussagen (alle verbalen und nonverbalen Äußerungen untereinander oder Antworten auf Fragen der Versuchsbetreuer) und Äußerungen der Betreuer (alle verbalen und nonverbalen Äußerungen der Lehrkraft, die keine Fragen sind) codiert, wobei für jeden Code zusammenfassend angegeben wurde, was passiert. Anschließend wurde interpretiert, welchen Grund es für die Handlung oder Äußerung gab. Schließlich wurde bewertend codiert (Evaluative Coding; Saldaña, 2016), ob die Handlung oder Äußerung darauf zurückzuführen ist, dass die Differenzierung des Materials effektiv (in der Szene wird deutlich, dass die Schülerinnen und Schüler auf einen Aspekt der Vereinfachung zurückgreifen 4 ) oder ineffektiv (hierunter fallen alle Situationen, in denen es zu Verständnisschwierigkeiten oder Barrieren kam 5 ) war. Alle Videos wurden zunächst durch Rater 1 (CDe) codiert. Rater 2 (MS) nahm nur noch die Interpretation sowie die Bewertung effektiv bzw. ineffektiv in den Blick. Im Ergebnisteil werden nur Situationen als Beleg angeführt, bei denen Einigkeit in der inhaltlichen Bewertung bestand. Auf Basis der Codierungen wurden zusätzlich der Ablauf jeder Sequenz sowie der Umgang mit der Anleitung in einem Kurzprotokoll zusammengefasst (→ K 01 bis 06 S1; K 01 bis 06 S2). Videografiertes leitfaden- und materialgestütztes Interview (V-FU) mit Transkript (T-FU): Mit jeder Schülerin und jedem Schüler aus den beiden Klassen wurde ein leitfaden- und materialgestütztes Interview nach 10 (Schule 1) bzw. 16 Wochen (Schule 2) geführt, um zu sehen, wie nachhaltig die Inhalte in Erinnerung geblieben sind. Das Interview begann mit einer übergeordneten Erinnerungsfrage als Impuls und war anschließend für jeden Versuch in die Bereiche Aufbau und Ablauf erinnern, Ergebnis erinnern, Ergebnis erklären und Ergebnis übertragen gegliedert. Die bevorzugte Ausdrucksform aller beteiligten Kinder und Jugendlichen war Lautsprache. Um dennoch bekannte Schwierigkeiten bei Interviews mit Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen zu umgehen (u. a. Schäfers, 2009; Sigelman, Budd, Spanhel & Schoenrock, 1981), wurden verschiedene Maßnahmen getroffen (vgl. Niediek, 2016). Es gab unterstützendes Bildmaterial (Fotos von den Versuchsmaterialien, Symbole für Regen, Wind und Sonne aus der Metacom Symbolsammlung [vgl. Kitzinger, 2015], Videos von einzelnen Teilen der Versuche, Fotos von korrekten und inkorrekten Versuchsergebnissen). Die ebenfalls interessante Frage des Übertrags der erlernten Inhalte auf reale Situationen wurde mithilfe von Fotos abgefragt. Als Impulse dienten eine bepflanzte und eine unbepflanzte Böschung (2 Fotos), eine Ackerfläche (1 Foto) und ein Sandsturm über einer Ackerfläche (1 Foto). Zudem wurden alle Interviews durch zwei Personen (Klassenlehrerin und CDe oder CDe und CDö) durchgeführt und videografiert. So ergaben sich insgesamt 13 Videos mit einer Länge von 09: 44 bis 25: 15 Minuten (V-FU 01 bis 06 S1; V-FU 01 bis 07 S2; V-FU 07 und das entsprechende Transkript T-FU 07 liegen aufgrund eines Aufnahmefehlers nur unvollständig vor, die Auswertung der ersten Teile bezieht sich daher auf das Gedächtnisprotokoll der Interviewerin CDe). Alle Interviews VHN 4 | 2018 328 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG wurden wörtlich dialektbereinigt transkribiert, wobei kommunikative Gesten im Transkript berücksichtigt wurden (→ T-FU 01 bis 06 S1; T-FU 01 bis 07 S2). Die Auswertung der Videos und Transkripte erfolgte unabhängig voneinander durch zwei Rater (CDe und MS) anhand der festgelegten Bereiche (Aufbau und Ablauf erinnern, Ergebnis erinnern, Ergebnis erklären und Ergebnis übertragen) mithilfe einer vierstufigen Skala („Ja“ - selbstständige und korrekte Beantwortung der Frage; „Ja, mit Hilfe“ - korrekte Beantwortung mit zusätzlicher Unterstützung; „zum Teil“ - auch mit Unterstützung ist das Ergebnis nicht vollständig richtig oder Teile werden verwechselt, und „Nein“ - keine Erinnerung oder komplett falsches Ergebnis) auf Basis eines Codebuchs für jeden einzelnen Versuch. Als Übereinstimmungskoeffizient wurde Cohens Kappa genutzt (vgl. Wirtz, 2002, S. 55ff.). Alle nicht übereinstimmend bewerteten Ausschnitte wurden anschließend kommunikativ zwischen den beiden Ratern validiert. Aus Ressourcengründen musste hier im Gegensatz zu den Empfehlungen von Kvale (1995) auf den Einbezug anderer Wissenschaftler verzichtet werden. Situationen oder Aussagen innerhalb der Interviews, die Rückschlüsse auf die Eignung der Versuche oder die Materialgestaltung zuließen (Frage 1 und Frage 2), wurden in der Analyse zusätzlich offen codiert. In der Auswertung werden nur Belege herangezogen, in denen sich beide Rater einig waren. 3.4 Ergebnisse: Materialevaluation Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die eingesetzten Differenzierungsstufen angenommen und größtenteils erfolgreich genutzt wurden (LF S2). Die Anleitungen ermöglichten für einzelne Teams eine weitgehend eigenständige und erfolgreiche Versuchsdurchführung (NTB 04; LF S2; V 01 S1; V 03 S1; V 04 S1; V 01 S2). Schriftersetzende Anleitungen, egal ob als sequenzierte Bildfolge oder in Bildbzw. Symbolschrift, waren zeitlich schneller durchführbar. Dies zeigte sich insbesondere in der einzigen Gruppe mit gemischten Versuchsanleitungen (V 02 S2, 03: 33, 06: 38). Fotografische Abbildungen halfen in vielerlei Hinsicht. Sie ermöglichten eine Einszu-eins-Zuordnung von Fotos und den Versuchsmaterialien (V 03 S1, 00: 06; V 04 S1, 00: 49, 05: 38; V 05 S1, 00: 11; V 01 S2, 00: 52, 01: 44; V 02 S2, 0: 55; V 06 S2, 01: 04), verdeutlichten, wie der Schritt auszusehen hat, erlaubten einen direkten Abgleich zwischen gewolltem und tatsächlichem Zustand (V 04 S1, 07: 49; V 01 S2, 04: 56, 06: 32; V 05 S2, 00: 12) oder zeigten eindeutig, wie einzelne Handlungsschritte kombiniert werden sollen (V 02 S2, 03: 32, 08: 33). Auch die Art der Präsentation der Informationen (untereinander oder sequenziert) hatte Auswirkungen. Während die Gruppen mit schriftersetzenden, insbesondere sequenzierten, bildlichen Anleitungen weniger Schwierigkeiten hatten, führte die Darstellung aller Schritte untereinander bei Anleitungen in vereinfachter Sprache oder symbolunterstütztem Text vereinzelt zu Orientierungsproblemen. Die Schülerinnen und Schüler wussten nicht mehr, wo sie im Versuch waren (V 02 S1, 04: 49, 09: 36), übersprangen Schritte (V 05 S1, 02: 45) oder nahmen fälschlicherweise das Versuchsende an (V 05 S1, 03: 38). Weitere Umsetzungsprobleme ergaben sich durch fehlende oder ungenaue Angaben von Quantitäten (Dauer, Stärke, Menge), z. B. wie viel Boden muss in die Schachtel oder den Untersetzer (V 01 S1, 01: 39; V 03 S1, 02: 02, 05: 11), wie stark muss der Boden nass gemacht werden (V 02 S1, 12: 12; V 03 S1, 08: 05; V 01 S2, 07: 35; V 02 S2, 10: 10), wie lange bzw. wie viel Wasser muss über die Untersetzer gegossen werden (V 04 S1, 09: 18; V 05 S2, 01: 23). In diesen Situationen wurde von den Schülerinnen und Schülern teilweise nachgefragt („Langt des“, T 05 S1, 01: 18; „Ganze? “, T 06 S1, 06: 50) oder der Versuchsbetreuer gab die notwendigen Zusatzinformationen („Gieß ruhig alles raus“, T 06 S2, 03: 54). Fehlende oder versehentlich falsch gegebene Hinweise an derartigen Stellen z. B. durch eine zu hohe Stufeneinstel- VHN 4 | 2018 329 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG lung des Föhns (V 02 S1, 12: 56), führten zu ungewollten Versuchsergebnissen. Sowohl in der schriftlichen Entnahme von Informationen als auch in der direkten Kommunikation wurden Probleme mit einzelnen Begriffen ersichtlich. Komplexe oder längere Wörter führten zu Lese- und Verständnisschwierigkeiten. Ein Beispiel waren die Überschriften ‚Wassererosion‘ bzw. ‚Winderosion‘ in den Versuchsanleitungen (V 02 S1, 00: 27; V 06 S1, 00: 07). Die Wörter konnten gelesen, aber ihre Bedeutung nicht eingeordnet werden. Weitere Begriffe wie ‚Hecke‘ (V 02 S1, 03: 23; V 03 S1, 00: 14) oder ‚Kresse‘ („I: Das da! Weißt du, was das ist? K: Gras! “ - T 06 S2, 00: 39) waren den Schülerinnen und Schülern ebenfalls nicht durchgängig bekannt. Zudem führte das Wort ‚Boden‘, welches aus inhaltlicher Sicht statt Erde verwendet wurde, zu Verwirrung. Boden war vereinzelt als Fußboden begrifflich fest verankert und konnte nicht auf die den Boden simulierende Blumenerde übertragen werden (V 02 S1, 02: 35; V 02 S2, 01: 13; V 03 S2, 02: 15). Verstärkt wurde dies dadurch, dass in der direkten Interaktion zwischen Versuchsbetreuer und den Teams, anders als in den Anleitungen, der Begriff Erde anstatt Boden verwendet wurde. In der Bearbeitung wählten die Teams unterschiedliche Formen von Kooperation: In einzelnen Teams wurde arbeitsteilig (V 01 S1, 07: 02) oder gemeinsam agiert (V 06 S1, 07: 17), in anderen übernahm eine Schülerin oder ein Schüler die leitende Rolle (V 05 S2; V 01 S2; V 06 S2; BP 04). Insbesondere bei den Schülerinnen und Schülern des Förderschwerpunkts geistige Entwicklung bestand in einzelnen Gruppen das Problem „echter Teamarbeit“ (LF S2). In den 2er Teams waren alle Beteiligten aktiver. Im einzigen Dreierteam war ein Schüler sehr unbeteiligt (V 02 S2). Insgesamt zeigte sich auch, dass die Motivation zur Durchführung in vereinzelten Situationen nicht gegeben war. Fragen zum Versuch und Aufforderungen des Versuchsbetreuers lösten dies aber auf (V 06 S1, 11: 31; V 03 S2, 01: 56). 3.5 Ergebnisse: Follow-up Die Ergebnisse der Nachhaltigkeitsprüfung sind für den Versuch Wassererosion in Tabelle 4 und für den Versuch Winderosion in Tabelle 5 zu sehen. Als Interraterübereinstimmung wurde Cohens κ (kappa) mithilfe von SPSS 23 berechnet. Für 169 Einzelkodierungen ergab sich bei einer unabhängigen Einschätzung durch zwei Rater (CDe und MS) ein Wert von κ = 0,823. Alle nicht exakt übereinstimmenden Bewertungen wurden kommunikativ validiert. FSL Schule 1 FSgE Schule 2 Gesamt Wassererosion Aufbau und Ablauf erinnern Ja Ja, mit Hilfe zum Teil Nein 2 3 1 0 2 1 3 1 4 4 4 1 Richtiges Ergebnis erinnern Ja Ja, mit Hilfe zum Teil Nein 4 1 1 0 2 2 1 2 6 3 2 2 Erklären Ja Ja, mit Hilfe zum Teil Nein 4 2 0 0 1 1 1 4 5 3 1 4 Übertragen Ja Ja, mit Hilfe zum Teil Nein 4 1 1 0 1 2 3 1 5 3 4 1 Tab. 4 Ergebnisse des Follow-up zum Thema Wassererosion VHN 4 | 2018 330 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG Insgesamt zeigt sich ein Unterschied zwischen den Schülerinnen und Schülern aus dem Förderschwerpunkt Lernen (Schule 1) und aus dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (Schule 2). Erstere konnten sich etwas besser an die Versuche erinnern, die Ergebnisse häufiger erklären und schafften auch den Übertrag der Erkenntnisse auf eine Realsituation öfter. Dies könnte darin begründet sein, dass den Schülerinnen und Schülern aus dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung die Orientierung an konkret wahrnehmbaren Handlungen (Erinnerung der Tätigkeit) leichter gelingt als komplexere Gedächtnisleistungen wie Erinnerung von Erklärungen und deren Übertragung. Bei der Interpretation muss jedoch auch der aus organisatorischen Gründen entstandene längere Zeitraum zwischen der Durchführung der Einheit und dem Follow-up bei Schule 2 (FSgE) beachtet werden. Die Ergebnisse sprechen für die grundsätzliche Eignung der ausgewählten handelnd zugänglichen Versuche. Ein Großteil der Schülerinnen und Schüler konnte sich an Aufbau, Ablauf und Ergebnis erinnern. Hierbei halfen sicherlich die bei korrekter Durchführung klar sichtbaren Versuchsergebnisse. Diese waren anschaulich, FSL Schule 1 FSgE Schule 2 Gesamt Winderosion Aufbau und Ablauf erinnern (trocken) Ja Ja, mit Hilfe zum Teil Nein 6 0 0 0 4 2 0 1 10 2 0 1 Richtiges Ergebnis erinnern (trocken) Ja Ja, mit Hilfe Nein 6 0 0 6 1 0 12 1 0 Versuch erinnern (Gegenmaßnahme Hecke) Ja Ja, mit Hilfe zum Teil Nein 4 1 1 0 2 1 1 3 6 2 2 3 Richtiges Ergebnis erinnern (Gegenmaßnahme Hecke) Ja Ja, mit Hilfe zum Teil Nein 3 1 1 1 2 0 2 3 5 1 3 4 FSL Schule 1 FSgE Schule 2 Gesamt Versuch erinnern (Gegenmaßnahme Wasser) Ja Ja, mit Hilfe zum Teil Nein 4 1 1 0 5 0 1 1 9 1 2 1 Richtiges Ergebnis erinnern (Gegenmaßnahme Wasser) Ja Ja, mit Hilfe zum Teil Nein 3 2 0 1 3 0 0 4 6 2 0 5 Übertragen (Wind weht Erde weg) Ja Ja, mit Hilfe Nein 3 3 0 3 2 2 6 5 2 Übertragen (Gegenmaßnahmen nennen) Ja Ja, mit Hilfe zum Teil Nein Nicht abgefragt 2 2 1 0 1 1 2 1 2 1 3 4 2 2 2 Tab. 5 Ergebnisse des Follow-up zum Thema Winderosion Anmerkung: In den Bereichen „Richtiges Ergebnis erinnern (trocken)“ und „Übertragen (Wind weht Erde weg)“ gibt es theoretisch keine teilweise richtige Lösung, weshalb diese Kategorie nicht aufgeführt ist. VHN 4 | 2018 331 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG unmittelbar und konnten so leicht wahrgenommen und beschrieben werden (V 05 S1, 06: 58; V 06 S1, 12: 59; V 01 S2, 08: 00; V 02 S2, 06: 01). Über die Hälfte der Schülerinnen und Schüler schaffte mit einem Impuls durch die Interviewer sogar den Übertrag des erworbenen Wissens auf Basis von Fotos in eine neuen Realsituation. Dies ist insofern erstaunlich, da innerhalb der Unterrichtseinheit sehr viele Inhalte in kurzer Zeit vermittelt wurden, die in einer Lehrerrückmeldung als zu komplex und abstrakt für die Kinder beschrieben wurden (vgl. LF S1). In Bezug auf die Materialien gab es auch in den Follow-up-Interviews Anhaltspunkte zu Verbesserungen. Die bereits erwähnten Probleme mit den Begriffen ‚Hecke‘ und ‚Kresse‘ können auch hier aufgrund von Schüleraussagen belegt werden (u. a. V-FU 02 S1; V-FU 02 S2; V-FU 03 S2; V-FU 04 S2). Die Länge und Struktur des Versuchs zur Winderosion führte bei einzelnen Schülerinnen und Schülern in der Rückschau zu einer Verwechslung der einzelnen Versuchsabschnitte (V-FU 02 S1, 10: 00; V-FU 04 S1, 11: 18; V-FU 02 S2, 10: 16). Die Interviews lieferten auch Belege dafür, dass die Begleitung durch Versuchsbetreuer während der Unterrichtseinheit mit einer ausführlichen Klärung der Sachverhalte dazu beitragen kann, dass Dinge besser in Erinnerung bleiben (V 06 S1, 13: 50 - V-FU 02 S1, 6: 22; V 04 S1, 10: 45 - V-FU 06 S1, 2: 28). An wenigen Stellen war erkennbar, dass bei der Besprechung der Versuche von den Schülerinnen und Schülern geäußerte, aber von den Versuchsbetreuern nicht korrigierte Fehlvorstellungen im Followup wiederholt wurden. So beschrieb eine Schülerin im Versuch Wassererosion, dass sich Erde durch das Wasser verflüssigt (V 05 S2, 01: 35 führt zu V-FU 04 S2, 01: 39). Für unbekannte Phänomene werden Begriffe des Alltags verwendet, z. B. Nebel als Bezeichnung für aufgewehte Erde (V-FU 05 S1, 12: 59; V-FU 06 S1, 09: 27), die zu Fehlvorstellungen führen können, wenn sie nicht korrigiert werden. 4 Konsequenzen und Perspektive Aus den Ergebnissen lassen sich unterschiedliche Konsequenzen für die Gestaltung von Lernmaterial und Lernsettings für naturwissenschaftliche Themen ableiten. Diese Thesen sind aufgrund der Art des Projektdesigns (starker Praxisbezug, Anwendung mit einer insgesamt kleinen Gruppe, Anwendung in bisher nur einem Kontext - Lehr-Lernlabor) nicht als generalisierbare Erkenntnisse zu interpretieren (vgl. auch Limitierungen von Design- Based Research; Collins et al., 2004; Reinmann, 2005), können aber dennoch wichtige Anhaltspunkte liefern. 1. Abbildungen unterstützen das Verständnis und erleichtern die Umsetzung von Handlungsanweisungen in vielfältiger Art und Weise. Für wichtige Schritte sollten sie daher auch in überwiegend schriftlichen Anleitungen genutzt werden. 2. 2er Teams agieren in den offenen Situationen leichter kooperativ als größere Gruppen. 3. Sequenzierte Anleitungen (1 Schritt pro Seite) ermöglichen eine schnelle und, aufgrund der erleichterten Orientierung im Prozess, korrekte Durchführung von Handlungsfolgen. 4. Nicht in Einzelschritte sequenzierte Anleitungen brauchen Orientierungshilfen. Möglichkeiten hierfür wären z. B. Checkboxen nach der jeweiligen Zeile zur Kennzeichnung abgeschlossener Schritte und/ oder abwechselnde Hintergrundschattierungen der einzelnen Schritte. 5. Für Versuchsergebnisse wichtige Quantitäten (Mengen, Stärken, Zeiten) müssen eindeutig festgelegt werden. Hilfslinien z. B. zur Anzeige des Füllstandes eines Gefäßes ermöglichen eine Orientierung auch bei Schwierigkeiten in der Mengenerfassung mittels Ziffern. Bei nicht optisch visualisierbaren Quantitäten bleibt die Unterstützung durch die Lehrkraft notwendig. VHN 4 | 2018 332 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG 6. Auch anspruchsvolle naturwissenschaftliche Themen können von Schülerinnen und Schülern mit kognitiven Beeinträchtigungen erinnert und inhaltliche Konzepte auf reale Kontexte übertragen werden. 7. Mehrteilige Versuche sollten in kleinere, voneinander klar abgegrenzte Sequenzen zerlegt werden, um Vermischungen in der Erinnerung zu vermeiden. 8. Wortschatzarbeit (z. B. mithilfe eines Glossars) ist wichtig, um Verständnis zu ermöglichen. Fachbegriffe sind bedeutsam und lassen sich in naturwissenschaftlichen Kontexten nicht generell vermeiden oder ersetzen; zudem können auch vermeintliche Alltagsbegriffe nicht Teil des mentalen Lexikons der Kinder und Jugendlichen sein. 9. Versuche mit (visuell) klar wahrnehmbaren und eindeutigen Ergebnissen erleichtern die Erinnerung. 10. Für nachhaltige Lerneffekte bleibt die Lehrkraft der zentrale Faktor. Nicht alle Versuche lassen sich so gestalten, dass sie von den Schülerinnen und Schülern mit kognitiven Beeinträchtigungen vollständig selbstständig umgesetzt werden können. Zudem sind Lernmaterialen nur ein Baustein von Vermittlung. Wichtig oder vielleicht sogar wichtiger sind Erläuterungen und Hilfen z. B. zur Klärung elementarisierter Analogien (Föhn = Wind, Sprühflasche = Regen, Gießkanne = Regen) oder die Besprechung von Ergebnissen (z. B. unterstützt durch bildliche Darstellungen). Die Lehrkraft ist auch dafür verantwortlich, Bezüge zu den Ideen der Schülerinnen und Schüler herzustellen oder durch geschickte Fragestellung Denkprozesse anzuregen (vgl. auch Mastropieri et al., 1998; Scruggs et al., 2008). Bisher wurde im Projekt der Fokus auf die Entwicklung von Versuchen und Materialien für Kinder mit Förderbedarf gelegt. Ziel war es, Erkenntnisse zu sammeln, wie Lernmaterialien und Lernsituationen für diese Schülerinnen und Schüler gestaltet sein sollten, wobei in erster Linie die Ebene des Zugangs zu den Inhalten (selbstständige Umsetzung durch Differenzierung des Versuchsablaufs) betrachtet wurde. Mit Blick auf die Herausforderungen heterogener Settings ist dies jedoch noch nicht ausreichend. Auch die Komplexität der inhaltlichen Ebene muss beachtet werden, um eine notwendige Variation der in den Experimenten liegenden Schwierigkeiten auf unterschiedlichen Niveaus zu ermöglichen. Hierzu werden im Augenblick Aktivitäten entwickelt. Um die aufgestellten Thesen zu untermauern und zur Verdichtung der Erkenntnisse ist eine Anwendung in anderen Kontexten notwendig. Ein nächster Schritt ist die Erprobung der Versuche und Materialien in als inklusiv bezeichneten Klassen in Schulen. Erkenntnisse aus einem Projekt von Palincsar et al. (2001) legen nahe, dass hier die Rolle der Lehrkraft entscheidend ist, um Kooperation zwischen den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen und dabei den inhaltlichen Bedürfnissen unterschiedlicher Gruppen gerecht zu werden. Anmerkungen 1 Die detaillierte Auswertung der Tröpfchenwirkung erfolgt im Rahmen einer gesonderten Abschlussarbeit, weshalb für diesen Bereich innerhalb dieser Zusammenstellung keine Transkripte, Zusammenfassungen oder Followup-Befragungen berichtet werden. 2 Aufgrund der ungeraden Anzahl an Schülerinnen und Schülern in der Klasse. 3 Aufgrund des Ausfalls einer Kamera gibt es nur acht Videos. V 04 S2 fehlt ebenso wie das entsprechende Transkript (T 04 S2) und die Kurzzusammenfassung (K 04 S2). 4 Hierunter fallen z. B. die Identifikation eines für sie unbekannten Gegenstandes durch die entsprechende Abbildung; die Eins-zu-eins-Zuordnung eines Gegenstands zu der entsprechenden fotografischen Abbildung oder durch den direkten Abgleich der eigenen Tätigkeit mit dem Foto usw. VHN 4 | 2018 333 MARKUS SCHOLZ, CHRISTINE DECHANT, CHRISTOPH DÖNGES, BJÖRN RISCH Naturwissenschaftliche Inhalte aufbereiten FACH B E ITR AG 5 Dies beinhaltet zum Beispiel die Verwendung von Wörtern oder Symbolen in der Versuchsanleitung, die den Schülerinnen und Schülern nicht bekannt sind, fehlende Unterstützungshinweise zur Verwendung des Materials (z. B. kein Zeichen für Umblättern) usw. Literatur Alberto, P. A., Cihak, D. F. & Gama, R. I. (2005). Use of static picture prompts versus video modeling during simulation instruction. Research in Developmental Disabilities, 26 (4), 327 -339. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.ridd.2004.11.002 Bancroft, J. (2002). 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Dr. Christoph Dönges Universität Koblenz-Landau Institut für Sonderpädagogik Pädagogik bei geistigen und körperlichen Behinderungen Xylanderstraße 1 D-76829 Landau E-Mail: dechantch@uni-landau.de doenges@uni-landau.de Prof. Dr. Björn Risch Universität Koblenz-Landau Institut für naturwissenschaftliche Bildung (InB) AG Chemiedidaktik Fortstraße 7 D-76829 Landau E-Mail: risch@uni-landau.de
