eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 88/2

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2019
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Rezension: Hänsenberger-Aebi / Schäfer, Eltern sein plus! Begleitung von Kindern mit Unterstützungsbedarf

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2019
Dagmar Orthmann Bless
Rezension Hänsenberger-Aebi, Franziska; Schäfer, Urs (Hrsg.) (2017): Eltern sein plus! Begleitung von Kindern mit Unterstützungsbedarf Zürich: Seismo Verlag. 172 S., € 26 ,- / CHF 29,-
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VHN 2 | 2019 161 REZE NSION E N Hänsenberger-Aebi, Franziska; Schäfer, Urs (Hrsg.) (2017): Eltern sein plus! Begleitung von Kindern mit Unterstützungsbedarf Zürich: Seismo Verlag. 172 S., € 26,-/ CHF 29,- Im Fokus des im Seismo Verlag in der Reihe Teilhabe und Verschiedenheit erschienenen Herausgeberbandes stehen Eltern von Kindern mit besonderem Förderungsbedarf. Es geht um aktuelle Herausforderungen bei der Umsetzung familienorientierter Hilfestrukturen und Konzepte im Bereich der Frühförderung bzw. der Frühen Hilfen. Die Publikation, Quintessenz einer nationalen Fachtagung der Stiftung Arkadis aus dem Jahr 2015, richtet sich an die „interessierte Öffentlichkeit“ und will Brücken bauen zwischen Forschung und Praxis. Das Kernstück bilden sieben Fachbeiträge, welche neben Vorwort und Einleitung von neun durch Therapeutinnen kommentierte Kinderzeichnungen eingerahmt werden. Für die Fachbeiträge konnte ein recht illustrer interdisziplinärer Autorenkreis verpflichtet werden: die Soziologie-Ikone Elisabeth Beck-Gernsheim, der Soziologe Martin Hafen, die Psychologen und Professoren für Frühförderung Klaus Sarimski und Manfred Pretis, die Heilpädagogin Franziska Hänsenberger-Aebi, die Psychologinnen Isabella Bertschi und Claudia Ermert, die Gesundheitswissenschaftlerin Diana Sahrai sowie die Humangenetikerin Suzanne Braga. Exemplarisch ein paar Worte zu ausgewählten Artikeln: Der erste Fachbeitrag (Beck-Gernsheim: Elternsein heute - zwischen pädagogischem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit) beleuchtet Widersprüchlichkeiten bei der Wahrnehmung von Erziehungsaufgaben, wie etwa die Anforderung an Eltern, nicht nur für das Gedeihen des Kindes zu sorgen, sondern seine Fähigkeiten bestmöglich zu fördern bei gleichzeitigem Anspruch, die Fähigkeiten des Kindes und seine eigenen Wünsche bewusst zu respektieren. Wenn man bedenkt, dass es sich um eine kaum veränderte Zusammenfassung eines Beitrages von 1990 handelt, die geschilderten Probleme auch 27 Jahre später noch ungelöst sind, dann muss man die „aktuellen Herausforderungen“ wohl eher als „Dauerbrenner“ einordnen. Martin Hafen (Stärkung von Lebenskompetenzen in der frühen Kindheit - ein Weg zur Reduktion sozialer Ungleichheit) schafft mit seinem Beitrag eine differenziert-fundierte, aktuelle theoretische Argumentationsbasis für die Frühe Förderung als bedeutsame Investition sowohl in die individuelle Entwicklung des einzelnen Kindes als auch (gleichzeitig) in die Gesellschaft als Ganzes. Im Fokus stehen dabei die Konzepte der Resilienz, der Gesundheitskompetenz sowie der Lebenskompetenzen. Klaus Sarimski (Beziehungs- und Bindungsaufbau unter erschwerten Bedingungen) zeigt unter Bezugnahme auf zahlreiche empirische Forschungsergebnisse, dass die frühe Beziehungsentwicklung zwischen Eltern und Kind bei Behinderungen des Kindes sowohl durch psychische, dabei vor allem emotionale Belastung der Eltern als auch durch spezifische Merkmale des kindlichen Verhaltensrepertoires gefährdet ist. Als Ansatzpunkte einer ressourcenorientierten Frühförderung diskutiert er eine emotionale Entlastung der Eltern, die Stärkung ihrer Interaktionskompetenz und ihrer Zuversicht in die eigenen Bewältigungskräfte sowie die Mobilisierung sozialer Unterstützung. Franziska Hänsenberger-Aebi (Begleitung von Eltern von sehr kleinen Frühgeborenen) beleuchtet in ihrem Beitrag speziell die Situation von Eltern sehr kleiner Frühgeborener, stellt Unterstützungsangebote für diese Familien vor und schildert dann ein konkretes Projekt in der Schweiz. Dessen Innovation besteht darin, dass eine Heilpädagogische Begleitung der Familien bereits während des Aufenthaltes der frühgeborenen Kinder (und ihrer Eltern) auf der Neonatologie einsetzt und dann, mit personeller Kontinuität, weit über den Klinikaufenthalt hinausgeht. Den Abschluss der Fachbeiträge macht Susanne Braga (Elternbegleitung aus der Erfahrungswelt einer Fachärztin für medizinische Genetik). Dabei handelt es sich weniger um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung im klassischen Sinne, sondern eher um die Quintessenz, man möchte VHN 2 | 2019 162 REZE NSION E N fast sagen: eine Art Vermächtnis der (lebens-)erfahrenen Fachfrau. Sie spannt den Bogen von der Beratung bei der Familienplanung über die Begleitung bei pathologischen Befunden, bei der Geburt eines Kindes mit besonderen Bedürfnissen usw. bis hin zur klugen Sorge um sich selbst. Letztere versteht sie als eine ethische Pflicht für Fachpersonen, um sich der anspruchsvollen Aufgabe der Unterstützung von Menschen mit speziellen Bedürfnissen langfristig stellen zu können. Fazit: Der in Vorwort (Remo Ankli, Regierungsrat des Kantons Solothurn) und Einleitung (Hänsenberger-Aebi und Urs Schäfer, Stiftung Arkadis) formulierte Anspruch, einen wissenschaftlich abgestützten, interdisziplinären, praxisrelevanten und fachlich kompetenten Diskurs zu lancieren, wird durch diesen engagierten, reflektierten und gleichzeitig pragmatischen Herausgeberband in die Tat umgesetzt. PD Dr. Dagmar Orthmann Bless CH-1700 Freiburg DOI 10.2378/ vhn2019.art23d