Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
5
0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
41
2021
902
Aktuelle Forschungsprojekte: CI-Versorgung von hochaltrigen Personen
41
2021
Inken Grabbert
Der Personenkreis, der für eine Cochlea-Implantat(CI)-Versorgung infrage kommt, erweitert sich stetig. Aufgrund des technischen Fortschrittes und des demografischen Wandels lassen sich in jüngerer Zeit immer mehr hochaltrige Menschen mit diesem Hörsystem versorgen. Hieraus eröffnete sich ein neues Forschungsgebiet. Die Mehrheit der Studien aus den Bereichen Medizin und Audiologie stellen die gesundheitsbezogene Lebensqualität in Zusammenhang mit audiologischen Tests und Komorbiditäten wie Tinnitus und Demenz dar oder befassen sich mit dem Zusammenhang von Sprachperzeption und Lebensqualität. Diese positive Wechselbeziehung ist zumindest in Bezug auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität eindeutig belegt.
5_090_2021_002_0150
150 AK TU E LL E FORSCHUNGSPROJ E K TE VHN, 90. Jg., S. 150 -151 (2021) DOI 10.2378/ vhn2021.art20d © Ernst Reinhardt Verlag CI-Versorgung von hochaltrigen Personen Inken Grabbert Ludwig-Maximilians-Universität München Forschungshintergrund Der Personenkreis, der für eine Cochlea-Implantat(CI)-Versorgung infrage kommt, erweitert sich stetig. Aufgrund des technischen Fortschrittes und des demografischen Wandels lassen sich in jüngerer Zeit immer mehr hochaltrige Menschen mit diesem Hörsystem versorgen. Hieraus eröffnete sich ein neues Forschungsgebiet. Die Mehrheit der Studien aus den Bereichen Medizin und Audiologie stellen die gesundheitsbezogene Lebensqualität in Zusammenhang mit audiologischen Tests und Komorbiditäten wie Tinnitus und Demenz dar oder befassen sich mit dem Zusammenhang von Sprachperzeption und Lebensqualität. Diese positive Wechselbeziehung ist zumindest in Bezug auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität eindeutig belegt. Die hier vorgestellte Studie ist eine der ersten, die dieses Thema im (rehabilitations-) pädagogischen Kontext betrachtet. Die Besonderheiten des Alterns und des Alters sind bei einer CI-Versorgung hochaltriger Personen von essenzieller Bedeutung. Dabei sind gerontologische Aspekte wie die degenerativen Prozesse des Alterns, sowohl physisch als auch psychisch, die Multimorbidität und die verschiedenen Lebenswege sowie die Entwicklungsaufgaben im Alter zu beachten. Letztere beinhalten u. a. die Auseinandersetzung mit dem Tod, den schwindenden körperlichen Kräften, dem geringeren Einkommen und mit dem Annehmen neuer sozialer und gesellschaftlicher Rollen. Die erfolgreiche Bewältigung der Entwicklungsaufgaben spiegelt sich in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität als ein auf Erkrankungen fokussierter Begriff nicht wider. Daher soll die Lebensqualität nun als Wahrnehmung und Bewertung des einzelnen Individuums und dessen subjektiver Ansichten, mehrdimensional auf verschiedene Lebensbereiche angewandt, erhoben werden, ohne den Lebensstandard oder den materiellen Wohlstand einzubeziehen. Da es aber ein internales und individuelles Konstrukt ist, müssen die objektiven Lebensbedingungen subjektiv bewertet werden. Forschungsziel und -fragen Aus der Abgrenzung zum bisherigen Forschungsfeld ergeben sich neue Perspektiven. Vor allem gerontologische Aspekte, die Beweggründe hochaltriger Menschen, sich mit einem CI versorgen zu lassen, und der Zusammenhang zwischen Lebensqualität und den subjektiven, im Alltag wahrgenommenen audiologischen Kompetenzen sollen in den Fokus genommen werden. Ziel der Forschung ist ein besseres Verständnis für die Lebenssituation dieser Personengruppe, ihrer Bedürfnisse und vor allem ihrer Ziele und Wünsche an das CI, um somit auch zu einem besseren Gelingen und einer besseren (Hör-)Rehabilitation beizutragen. Daraus ergeben sich drei Forschungsfragen: 1) Besteht ein Zusammenhang zwischen der Lebensqualität Hochaltriger, der Zufriedenheit mit der CI-Versorgung und dem subjektiv empfundenen Hörvermögen? 2) Wie verändert sich die Lebensqualität hochaltriger mit CI versorgter Menschen? 3) Welche Beweggründe haben Hochaltrige, sich mit CI versorgen zu lassen? Forschungsdesign Methodisches Vorgehen: Die Lebensqualität und auch die Beweggründe können weder durch eine ausschließlich qualitative noch eine rein quantitative Studie erhoben werden. Daher wird das Mixed-Methods Design als Vertiefungsmodell angewandt. Vor allem die erste Fragestellung nach einer Verbesserung der Lebensqualität erfordert eine Untersuchung zu zwei Erhebungszeitpunkten (kurz vor der Implantation mit einem CI und ein Jahr danach). Beides erfolgt durch jeweils einen auf die Situation angepassten Fragebogen. Um auch die Beweggründe für das CI und die Zufriedenheit mit der Versorgung ergründen zu können, wird zusätzlich eine weitere Stichprobe befragt. Es handelt sich hierbei um Personen, die bereits mit VHN 2 | 2021 151 AK TU E LL E FORSCHUNGSPROJ E K TE einem CI versorgt sind. Sie erhalten den gleichen Fragebogen wie die erste Gruppe zum postoperativen Zeitpunkt. Da das Hauptaugenmerk der Studie auf diesem Personenkreis liegt, wird zusätzlich ein leitfadengestütztes narratives Interview geführt. Dieses thematisiert die Beweggründe und den Entscheidungsprozess. Durch die Corona-Pandemie wurde inzwischen ein alternatives Forschungsdesign entwickelt, um die Studie fortführen zu können. Dabei wurden das ursprüngliche Design und die Fragestellungen so weit wie möglich beibehalten. Statt des face-to-face-Interviews wurde eine offene Frage nach den Beweggründen in den Fragebogen integriert. Die erarbeiteten Fragebögen bestehen aus mehreren bereits validierten Fragebögen, die im Folgenden kurz vorgestellt werden. Der World Health Organization Quality of Life (WHOQOL)-OLD ist in der von der WHO vorgeschlagenen Kombination mit dem WHOQOL- BREF (Kurzform des WHOQOL-100-Fragebogens) aufgrund seiner spezifischen Fragen zu vielen Facetten des Alterns ein geeignetes Instrument zur Erhebung der Lebensqualität. Um einen Zusammenhang zwischen der Lebensqualität und der CI-Versorgung erkennen zu können, wird zudem das Göteborger Profil, modifiziert nach dem Tinnitustherapie- und Hörzentrum (TTHZ), verwendet. Dieses untersucht die subjektive Erfahrung mit der eigenen Hörschädigung. Bei der präoperativen Befragung der Probanden sind die Erwartungen an das CI von Interesse, um diese später mit der Zufriedenheit zu vergleichen. Hierfür bietet sich der Expected Consequences of Hearing Aid Ownership (ECHO) an. Dieser ursprünglich für künftige Hörgeräteträger entwickelte Fragebogen wurde auf die Situation einer CI-Versorgung adaptiert. Ein weiterer Vorteil des ECHO ist die inhaltliche Übereinstimmung der Domänen mit dem Satisfaction with Amplification in Daily Live (SADL), der die Zufriedenheit mit einer Hörgeräteversorgung thematisiert. Angepasst auf hochaltrige mit einem CI versorgte Menschen wird der SADL in der postoperativen Befragung verwendet sowie für die bereits zu Beginn der Datenerhebung mit einem CI versorgten Probanden. Eine weitere Komponente dieser beiden Fragebögen ist die Erhebung der subjektiv empfundenen Qualität des Hörens in Ruhe und in Störschall sowie die des Richtungshörens mithilfe des Oldenburger Inventars zweireihig. Eine Modifizierung war hier notwendig, sodass die Personen ihre Hörkompetenzen mit Hörgeräten und mit CI vergleichen. Zusätzlich wurden Fragen zur Musikwahrnehmung und zum Führen von Telefonaten eingefügt. Ergänzt werden diese Fragebögen durch demografische Angaben wie das Alter sowie die Hörsysteme- und CI-Versorgung. Stichprobe: Durch das Mixed-Methods-Forschungsdesign ergeben sich zwei Stichproben. Zum einen jene Hochaltrigen, die kurz vor der Implantation eines CIs stehen, und zum anderen jene, die bereits mit dem Implantat versorgt sind. Es besteht weder eine Einschränkung hinsichtlich einer bilateralen, bimodalen oder unilateralen Versorgung. Auch die vorherige Versorgung, die Dauer einer möglichen Ertaubung o. Ä. sind nicht vorgegeben. Einziges Kriterium ist, dass sich die Studienteilnehmer*innen erst im hohen Alter mit einem CI versorgen ließen. Da gemäß der gängigen Definition der Hochaltrigkeit (ab 80 Jahren) jedoch die Gefahr einer zu geringen Stichprobengröße besteht, wird die Altersgrenze auf 75 Jahre abgesenkt. Ausblick Im nächsten Schritt erfolgt nun die Datenerhebung. Begonnen wird mit der Probandensuche über Selbsthilfegruppen, Vereine und Verbände. Ab Januar 2021 und sofern die Kliniken aufgrund der aktuellen Situation personell dazu in der Lage sind, beginnt die Probandenakquise an CI-Kliniken. Sollte eine Durchführung von Interviews wieder möglich sein, ist beabsichtigt, zum ursprünglichen Forschungsdesign zurückzukehren, um über eine größere Datenmenge zu neuen Erkenntnissen in der CI-Versorgung hochaltriger Menschen beitragen zu können. Weitere Informationen und Literaturangaben können eingeholt werden bei i.grabbert@edu.lmu.de
