Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2022.art08d
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Rezension: Blanck, Jonna M. (2020): Übergänge nach der Schule als „zweite Chance“?
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Carina Hübner
In den Fokus der wissenschaftlichen Publikation rücken die Ausbildungschancen und Übergänge in die berufliche Bildung von Schüler/innen im sonderpädagogischen Schwerpunkt Lernen. Der Übergang von der Schule in den Beruf ist für alle Individuen eine wichtige Entwicklungsaufgabe und zentrale Schnittstelle im Lebensverlauf. Dieser Transitionsprozess stellt viele junge Menschen vor unterschiedliche Herausforderungen.
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VHN 1 | 2022 80 < RUBRIK > < RUBRIK > REZE NSION E N Blanck, Jonna M. (2020): Übergänge nach der Schule als „zweite Chance“? Eine quantitative und qualitative Analyse der Ausbildungschancen von Schülerinnen und Schülern aus Förderschulen „Lernen“ Weinheim: Beltz. 244 S., € 34,95 In den Fokus der wissenschaftlichen Publikation rücken die Ausbildungschancen und Übergänge in die berufliche Bildung von Schüler/ innen im sonderpädagogischen Schwerpunkt Lernen. Der Übergang von der Schule in den Beruf ist für alle Individuen eine wichtige Entwicklungsaufgabe und zentrale Schnittstelle im Lebensverlauf. Dieser Transitionsprozess stellt viele junge Menschen vor unterschiedliche Herausforderungen. Dies gilt insbesondere für Schüler/ innen mit einem sonderpädagogischen Schwerpunkt. Infolge des schulischen Status und ihrer Beeinträchtigungen ist diese Schülerschaft auf Begleitung der Berufs- und Rehaberatung der Agentur für Arbeit in dieser Phase angewiesen. Jonna Blanck rückt diesen Prozess in den Mittelpunkt ihrer Studie. Sie untersucht quantitativ und qualitativ, welchen Einfluss der Besuch einer Förderschule auf den beruflichen Werdegang dieser Schüler/ innen hat, welche Anschlüsse sie wählen und inwiefern sich die Begleitung der Berufs- und Rehaberatung der Arbeitsagentur auf die beruflichen Anschlüsse auswirkt. Der erste Teil der Publikation beschäftigt sich auf einer breiten theoretischen Basis mit der in der Studie beforschten Klientel, dem Beratungssowie den Klassifizierungs- und Zuweisungsprozessen der Agentur für Arbeit im Verlauf des Überganges und erörtert vorrangig den Forschungsstand für den deutschsprachigen Raum. Im zweiten Teil werden Mechanismen für die Ausbildungschancen von Schülerinnen und Schülern mit dem sonderpädagogischen Schwerpunkt Lernen herausgearbeitet, sodass das Zusammenspiel individueller, institutioneller und betrieblicher Merkmale und Prozesse ausführlich erläutert und diskutiert wird. Im empirischen Teil widmet sich die Studie drei empirischen Analysen. In der ersten geht es um die Ressourcen, die Agency sowie die Ausbildungschancen von Schülerinnen und Schülern von Förderschulen im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogischen Schwerpunkt von Hauptschulen. Hierzu zieht die Autorin die verfügbare Datenbasis des Nationalen Bildungspanels (NEPS) heran und identifizierte die entsprechenden Daten der Absolvent/ innen von Förder- und Hauptschulen. In der zweiten empirischen Analyse, einem rekonstruktiven Verfahren, widmet sie sich, mittels der Analyse von 16 Experteninterviews, der Relevanz der Berufsberatung für die Ausbildungschancen von Schülerinnen und Schülern von Förderschulen. In ihrer letzten Analyse wird u. a. die Fragestellung beleuchtet, welche Merkmale die Übergänge in die berufliche Bildung und vor allem die Ausbildungschancen unterstützen. Für die Analyse der Intragruppenvarianz wurden die Daten des NEPS von 670 Absolvent/ innen der Förderschulen einbezogen. Im abschließenden Teil werden die zentralen Befunde diskutiert, der Beitrag für den Forschungsdiskurs eingeordnet und bedeutsame bildungs- und sozialpolitische Implikationen vorgestellt bzw. abgeleitet. Während über den Berufsorientierungsprozess oder die berufliche Wahl, in Abhängigkeit der Schülerschaft von sogenannten Regelschulen, bereits etablierte Studien vorliegen, ist im deutschsprachigen Raum der Forschungsstand zu Übergängen von Schülerinnen und Schülern mit einem sonderpädagogischen Schwerpunkt in die berufliche Bildung als überschaubar zu bezeichnen. Insofern leistet die vorliegende Publikation einen wichtigen Beitrag zum Forschungsstand und markiert, neben den individuellen Merkmalen und Mechanismen, die den Übergang der Individuen tangieren, vor allem die Relevanz der Berufs- und Rehaberatung im Prozess der Begleitung und offenbart die Nutzung von Entscheidungsspielräumen, was bisherige Studien nur in Ansätzen thematisieren. VHN1 | 2022 81 < RUBRIK > < RUBRIK > REZE NSION E N Unter forschungsmethodischer Perspektive birgt die Erhebung von Schüler/ innen mit einem sonderpädagogischen Schwerpunkt in dem hier erfassten Entwicklungsalter unterschiedliche Herausforderungen. Demzufolge ermöglicht die Datenbasis des NEPS den Einbezug der Daten einer sehr großen Stichprobe; auch der Vergleich zur Gruppe von Absolvent/ innen der Hauptschule wird dadurch eingeräumt. Erwähnenswert ist allerdings, dass die Erhebungen der zugrunde liegenden Kohorte vor circa 10 Jahren stattfanden. Die Bundesländer haben sich inzwischen mit der Berufsorientierung befasst und die Konzepte für die allgemeinbildenden Schulen und den Übergang in die berufliche Bildung, gemeinsam mit der Berufs- und Rehaberatung, für alle Schüler/ innen revidiert. Ein Aspekt, der in den Ergebnissen nicht abgebildet werden kann. Dem unbenommen dürften das Anliegen der Publikation und die Ergebnisse für verschiedene wissenschaftliche Disziplinen, für Personen aus dem Bereich der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik sowie für schulpraktische Fachkräfte von Interesse sein. Die quantitativen und qualitativen Befunde liefern wichtige und hochinteressante Hinweise auf Bildungschancen und Gelingensbedingungen für den Einstieg in die berufliche Bildung von (ehemaligen) Schülerinnen und Schülern im sonderpädagogischen Schwerpunkt Lernen, was vor allem für die inklusive Beschulung von Bedeutung sein dürfte. Dr. phil. Carina Hübner D-57068 Siegen DOI 10.2378/ vhn2022.art08d Hehmsoth, Carl (2021): Traumatisierte Kinder in Schule und Unterricht. Wenn Kinder nicht wollen können Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt. utb. 287 Seiten, € 19,90 „Dieses Buch wird nicht sonderlich bequem. Trauma ist nicht gemütlich, nicht gefällig, nicht schön“ (S. 11). Mit diesen einführenden Sätzen bereitet Hehmsoth seine Leser/ innen auf die Lektüre seiner Schrift vor. Das erstaunt: Denn wer sollte zu einem so hochgradig komplexen Thema ein „bequemes“ Lehrbuch erwarten? Doch dazu später mehr. Zunächst zum Autor: Carl-Conrad Hehmsoth ist promovierter Sonder- und Heilpädagoge mit Schwerpunkt in den Fachbereichen Lernen und Emotionale/ Soziale Entwicklung. Empirisch geforscht hat er zu „Vorstellungen von Grundschullehrer/ innen zu Grundlagen der Psychotraumatologie und dem Umgang mit traumatisierten Kindern in der Grundschule“ (2017). In seinem jetzt vorgelegten Werk stellen Vorarbeiten zu dieser Promotionsschrift eine zentrale Referenzquelle dar, die er um internationale Ansätze, wie den in den USA entwickelten Trauma-Informed- Approach (TIA), erweitert. Das Buch gliedert sich in folgende Kapitel: n Traumapädagogik n Welche Akteure sind beteiligt? n Welche Einflüsse wirken auf das Kind? n Traumasensible Hilfen und Unterstützung n Literaturempfehlungen n Abschluss Im ersten Kapitel werden zentrale Konzepte der Traumapädagogik geschildert, dies sehr knapp und bei Referenzquellen aus dem Jahr 2017 stehen bleibend. Hehmsoth schreibt in diesen Ausführungen der Traumapädagogik „Entwicklungsaufgaben“ zu und kritisiert den von der BAG Traumapädagogik verabschiedeten Terminus: „Die Traumapädagogik ist keine solche“ (S. 23f.). Einen besonderen Impetus legt Hehmsoth auf die Darstellung traumasensibler Ansätze aus den USA (s. o.). Er stelltdie aus Aktivitäten derMassachusetts Advocates for Children in Boston (Baldus, 2017 und 2019) hervorgegangene Trauma Learning Policy Initiative (TLPI) vor. Ausgewählte Textpassagen entnimmt er Publikationen der TLPI, übersetzt sie in Eigenleistung und integriert sie an unterschiedlichen Schnittstellen seines Buches. Ein durchgängiges Interesse von Hehmsoth ist es, auf die Notwendigkeit multiprofessioneller Zusammenarbeit hinzuweisen und mögliche Rollendiffusionen zwischen beteiligten Akteur/ innen wie Lehrkraft, Sozialpädagog/ in, Psycholog/ in
