eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 92/1

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2023
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Aktuelle Forschungsprojekte: Forschungsprojekt „Effekte der Entwicklungspsychologischen Sprachtherapie (E-EST)“

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2023
Mirja Bohnert-Kraus
Martina Vetsch Good
Anna Zimmermann-Stübe
Seit mehreren Jahrzehnten bewährt sich in der Schweiz die Entwicklungspsychologische Sprachtherapie (EST) für die Behandlung kleiner Kinder mit Spracherwerbsverzögerungen und -störungen. Dabei ist es das Ziel, dass die Kinder Sprache als bedeutungsvolles Kommunikationsinstrument und Symbolsystem entdecken (Dürmüller, 2020, Zollinger, 2015). Die wissenschaftliche Beschreibung von Einzelfällen (Bürki, 2007, Zollinger, 2015, Vetsch Good et al., 2021) liefert Hinweise darauf, dass die Entwicklungspsychologische Sprachtherapie nach Zollinger die Sprachentwicklung der Kinder positiv beeinflusst. Das vorliegende Projekt knüpft an die Pilotstudie W-EST (Vetsch Good et al., 2021) an und hat zum Ziel, die Effekte der EST erstmals an einer größeren Stichprobe (n=30) aufzuzeigen. Die vorliegende Studie untersucht Kinder, welche die Sprache in ihrer kommunikativen und repräsentativen Funktion noch nicht erworben haben. Dabei wird der Frage nachgegangen, inwiefern sich während einer dreimonatigen Therapiephase mit EST Veränderungen in folgenden Bereichen festhalten lassen: Rezeptive Sprachleistungen, Produktive Sprachleistungen, Kommunikative Teilhabe, Kompetenzen im Symbolspiel und der Individuationsentwicklung.
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VHN 1 | 2023 65 AK TU E LL E FORSCHUNGSPROJ E K TE Durchgang wurde die Geschwindigkeit des „springenden Rechtecks“ erhöht und die Kinder damit zu einer höheren Verarbeitungsgeschwindigkeit gezwungen. Ergebnisse Die Auswertung der Pilotstudie ergab, dass sich die Kinder über die gesamte Trainingsdauer beim schnellen Benennen von Buchstaben um durchschnittlich 28,38 %, von Ziffern um durchschnittlich 20,3 % und von Farben um 12,96 % verbesserten (Abb. 1). Diskussion und Ausblick Die Ergebnisse der Pilotstudie deuten darauf hin, dass es mithilfe des Trainings möglich ist, die Benennungsgeschwindigkeit von Buchstaben, Ziffern und Farben zu erhöhen. Mithilfe der Pilotstudie konnten die Tauglichkeit des Trainingsprogramms überprüft und notwendige Nachbesserungen am Programm sowie dessen Manual vorgenommen werden. Im kommenden Schuljahr wird das Training an einer deutlich größeren Stichprobe (ca. 100 Kinder) an süddeutschen Grundschulen und Förderzentren durchgeführt. Die Ergebnisse der geplanten Trainingsstudie - insbesondere zur Frage nach der Stabilität der Trainingseffekte und der Auswirkungen auf die Leseflüssigkeit - bleiben gespannt abzuwarten. Literatur Berglez, A. (2002). Prävention von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten: Ein Training der Benennungsgeschwindigkeit. Dissertation. Universität Bielefeld. Bowers, P. G. & Newby-Clark, E. (2002). The role of naming speed within a model of reading acquisition. Reading and Writing, 15 (1 -2), 109 -126. Conrad, N. J. & Levy, B. A. (2011). Training letter and orthographic pattern recognition in children with slow naming speed. Reading and Writing, 24 (1), 91 -115. https: / / doi.org/ 10.1007/ s11145- 009-9202-x Jong, P. F. de & Vrielink, L. O. (2004). Rapid automatic naming: easy to measure, hard to improve (quickly). Annals of Dyslexia, 54 (1), 65 -88. https: / / doi.org/ 10.1007/ s11881-004-0004-1 Landerl, K., Freudenthaler, H. H., Heene, M., Jong, P. F. de, Desrochers, A., Manolitsis, G., Parrila, R. & Georgiou, G. K. (2019). Phonological awareness and rapid automatized naming as longitudinal predictors of reading in five alphabetic orthographies with varying degrees of consistency. Scientific Studies of Reading, 23 (3), 220 - 234. https: / / doi.org/ 10.1080/ 10888438.2018.15 10936 Mayer, A. (2021). Lese-Rechtschreibstörungen (LRS). 2. Auflage. München: Ernst Reinhardt Verlag. Weitere Auskünfte und Literaturhinweise können eingeholt werden bei Frau Dr. Joana Wolfsperger Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Sprachheilpädagogik (Förderschwerpunkt Sprache und Sprachtherapie), LMU München, E-Mail: Joana.Wolfsperger@edu.lmu.de DOI 10.2378/ vhn2023.art07d Forschungsprojekt „Effekte der Entwicklungspsychologischen Sprachtherapie (E-EST)“ Mirja Bohnert-Kraus, Martina Vetsch Good, Anna Zimmermann-Stübe Schweizer Hochschule für Logopädie Rorschach Hintergrund und Ziel der Studie Seit mehreren Jahrzehnten bewährt sich in der Schweiz die Entwicklungspsychologische Sprachtherapie (EST) für die Behandlung kleiner Kinder mit Spracherwerbsverzögerungen und -störungen. Dabei ist es das Ziel, dass die Kinder Sprache als bedeutungsvolles Kommunikationsinstrument und Symbolsystem entdecken (Dürmüller, 2020; Zollinger, 2015). Die wissenschaftliche Beschreibung von Einzelfällen (Bürki, 2007; Zollinger, 2015; Vetsch Good et al., 2021) liefert Hinweise darauf, dass die Entwicklungspsychologische Sprachtherapie nach Zollinger die Sprachentwicklung der Kinder positiv beeinflusst. Das vorliegende Projekt knüpft an die Pilotstudie W-EST (Vetsch Good et al., 2021) an und hat zum Ziel, die Effekte der EST erstmals an einer größeren Stich- VHN 1 | 2023 66 AK TU E LL E FORSCHUNGSPROJ E K TE probe (n = 30) aufzuzeigen. Die vorliegende Studie untersucht Kinder, welche die Sprache in ihrer kommunikativen und repräsentativen Funktion noch nicht erworben haben. Dabei wird der Frage nachgegangen, inwiefern sich während einer dreimonatigen Therapiephase mit EST Veränderungen in folgenden Bereichen festhalten lassen: n Rezeptive Sprachleistungen n Produktive Sprachleistungen n Kommunikative Teilhabe n Kompetenzen im Symbolspiel und der Individuationsentwicklung Design Das Projekt wird als randomisierte kontrollierte Studie mit Interventions- und Wartekontrollgruppe durchgeführt. Bei der Interventionsgruppe werden die Fähigkeiten in der Sprachrezeption und -produktion, die kommunikative Teilhabe und die Kompetenzen der Spiel- und Individuationsentwicklung zu drei Messzeitpunkten erfasst. T1 stellt dabei den Beginn der Therapiephase, T2 das Ende der Therapiephase und T3 die Kontrolluntersuchung nach einer dreimonatigen Therapiepause dar. Bei der Wartekontrollgruppe umfasst die Erhebung vier Messzeitpunkte. T1 ist bei dieser Gruppe die Abklärung, der eine ca. dreimonatige Wartephase folgt, bevor die Therapie startet. T2 stellt bei dieser Gruppe den Therapiestart, T3 das Ende der Therapiephase und T4 die Kontrolluntersuchung nach einer dreimonatigen Therapiepause dar. Um mögliche Effekte der EST zu untersuchen, werden die Entwicklungsschritte, welche sich bei den Kindern der Interventionsgruppe über die Therapiephase abzeichnen, mit den Entwicklungsschritten der Kinder der Wartekontrollgruppe über die Wartephase verglichen. Neben dem Vergleich der Zunahme der Fähigkeiten während der Wartebzw. der Therapiephase wird für beide Gruppen zusätzlich untersucht, ob die Therapiephase zu Verbesserungen in den verschiedenen Bereichen führt und ob bei den Kindern auch über die Konsolidierungsphase (Phase zwischen Ende der Therapiephase und Kontrolluntersuchung) weitere Fortschritte zu beobachten sind. Das Design der Studie ist an den natürlichen Abklärungs- und Therapieprozess angepasst. In den Praxisabläufen entsteht aus organisatorischen Gründen zwischen Abklärung und Therapiebeginn eine Wartephase. Die Einplanung einer Therapiepause im Anschluss an eine dreimonatige Therapie ist Teil des zyklischen Therapiekonzeptes der EST. Diese natürlich entstehende Konsolidierungsphase und die daran anschließende Kontrolluntersuchung werden für die wissenschaftliche Untersuchung genutzt. Methodik Um die sprachlichen Fähigkeiten zu den verschiedenen Testzeitpunkten zu erfassen, wird der SETK-2 (Grimm, 2016) resp. der SETK 3 -5 (Grimm et al., 2015) eingesetzt. Veränderungen in den sprachlichen Fähigkeiten werden durch Vergleiche der T-Werte, die die Kinder in den Tests erzielen, erfasst. Um die Veränderungen in der kommunikativen Teilhabe zu erfassen, wird der Elternfragebogen FOCUS©-34-G (Thomas-Stonell et al., 2018) eingesetzt, und die erzielten Werte werden zu den verschiedenen Testzeitpunkten miteinander verglichen. Die Erfassung der Kompetenzen in der Spiel- und Individuationsentwicklung geschieht anhand des Entwicklungsprofils (Zollinger, 2015). Zur Beschreibung der Veränderungen in der Spiel- und Individuationsentwicklung werden die erzielten Kompetenzen im Entwicklungsprofil zu den verschiedenen Testzeitpunkten miteinander verglichen. Die Datenerfassung anhand der genannten Methoden erfolgt innerhalb des natürlichen Abklärungs- und Therapieprozesses und findet während den regulären Sitzungen statt. Weder für die Teilnehmenden noch für die behandelnden logopädischen Fachpersonen sind zusätzliche Termine erforderlich. Stichprobe Die Stichprobe der vorliegenden Studie sind kleine Kinder mit Spracherwerbsverzögerungen und -störungen, die eine logopädische Therapie nach EST besuchen. Folgende Bedingungen sind für den Einschluss der Kinder festgelegt und müssen zu T1 (Wartekontrollgruppe: Zeitpunkt der Abklärung; Interventionsgruppe: Zeitpunkt des Therapiebeginns) erfüllt sein: VHN 1 | 2023 67 AK TU E LL E FORSCHUNGSPROJ E K TE n Alter zu Studienbeginn zwischen 24 und 36 Monaten n altersentsprechende praktisch-gnostische Kompetenzen und Verzögerungen in den Bereichen Spiel und/ oder Individuation im Entwicklungsprofil n repräsentative und/ oder kommunikative Funktion von Sprache noch nicht entdeckt n keine Hörstörungen oder Syndrome n Mindestmaß an Deutschinput von drei Halbtagen pro Woche n keine zusätzlichen Therapien (z. B. Ergotherapie, Physiotherapie, heilpädagogische Früherziehung). Verantwortung und Umsetzung Die Studie wird von der SHLR organisiert und verantwortet. Die Datenerhebung geschieht durch die logopädischen Fachpersonen, welche die Teilnehmenden abklären und behandeln. Die logopädischen Fachpersonen führen die Datenerhebung innerhalb des regulären Abklärungsbzw. Therapieablaufes durch. Somit entstehen für die Eltern keine Zusatztermine. Sie füllen dreiresp. viermal den Elternfragebogen FOCUS©-34-G aus, was während den Therapiestunden des Kindes erfolgen kann. Für die Studie liegt ein positives Ethikvotum der Ethikkommission Ostschweiz vor (ID 2022-00044). Die Studie wurde beim Deutschen Register klinischer Studien (WHO-Primärregister) registriert (ID DRKS00028191). Für weitere Informationen sowie Literaturangaben können Sie sich sehr gerne bei uns melden: Martina Vetsch Good E-Mail: martina.vetsch@shlr.ch Anna Zimmermann-Stübe E-Mail: anna.zimmermann@shlr.ch DOI 10.2378/ vhn2023.art08d