eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 92/2

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2023.art14d
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2023
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Fachbeitrag: Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich

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2023
Andreas Wepfer
Carmelo Campanello
Andreas Andreae
Eine Analyse der Bedarfsentwicklung und der Umlagerungen in der Versorgungslandschaft der letzten 20 Jahre im Kanton Zürich belegt den gesteigerten Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme. Eine bedeutende Zunahme psychiatrischer Störungen von jungen Menschen zusammen mit einer zunehmenden Tendenz der Psychiatrisierung adoleszentärer Dissozialisation führte zu einem hohen Anstieg kurzfristiger und serieller psychiatrisch-stationärer Akut- und Therapieinterventionen. Diese werden nur auf den ersten Blick den entwicklungspsychologischen Dimensionen dieser Transitionsphase gerecht, vermögen sie doch die sozialisatorischen Herausforderungen für eine längerfristige stabilisierende Identitätsentwicklung, Persönlichkeitsformung sowie die soziale und Berufsintegration nur ungenügend zu berücksichtigen. Die Berufswahl und die Entwicklung einer Berufsidentität sind nach wie vor wesentliche Elemente dieses Lebensabschnitts - und grundlegend für ein autonomes Leben in unserer Gesellschaft. Deshalb braucht es im Anschluss an stationäre klinische Aufenthalte heute vermehrt tragfähige sozialpädagogische Berufsintegrationsprogramme mit psychiatrisch-therapeutischer Nachsorgemöglichkeit. Damit könnten längerfristig erhebliche Kosten eingespart werden durch Verhinderung einer Chronifizierung von schwierigen Verläufen und durch Verhinderung von verpasster Berufsintegration.
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127 VHN, 92. Jg., S. 127 -143 (2023) DOI 10.2378/ vhn2023.art14d © Ernst Reinhardt Verlag Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich Andreas Wepfer, Carmelo Campanello, Andreas Andreae Burghof Pestalozzi-Jugendstätte, Dielsdorf Zusammenfassung: Eine Analyse der Bedarfsentwicklung und der Umlagerungen in der Versorgungslandschaft der letzten 20 Jahre im Kanton Zürich belegt den gesteigerten Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme. Eine bedeutende Zunahme psychiatrischer Störungen von jungen Menschen zusammen mit einer zunehmenden Tendenz der Psychiatrisierung adoleszentärer Dissozialisation führte zu einem hohen Anstieg kurzfristiger und serieller psychiatrisch-stationärer Akut- und Therapieinterventionen. Diese werden nur auf den ersten Blick den entwicklungspsychologischen Dimensionen dieser Transitionsphase gerecht, vermögen sie doch die sozialisatorischen Herausforderungen für eine längerfristige stabilisierende Identitätsentwicklung, Persönlichkeitsformung sowie die soziale und Berufsintegration nur ungenügend zu berücksichtigen. Die Berufswahl und die Entwicklung einer Berufsidentität sind nach wie vor wesentliche Elemente dieses Lebensabschnitts - und grundlegend für ein autonomes Leben in unserer Gesellschaft. Deshalb braucht es im Anschluss an stationäre klinische Aufenthalte heute vermehrt tragfähige sozialpädagogische Berufsintegrationsprogramme mit psychiatrisch-therapeutischer Nachsorgemöglichkeit. Damit könnten längerfristig erhebliche Kosten eingespart werden durch Verhinderung einer Chronifizierung von schwierigen Verläufen und durch Verhinderung von verpasster Berufsintegration. Schlüsselbegriffe: Versorgungsangebot, Adoleszenz, Berufsintegration, Prävalenz psychischer Störungen, Neuberentung The Current Demand of Postclinical Job Integration Programs in the Canton of Zurich Summary: An analysis of the changing needs and the rearrangements of the care landscape in the last 20 years in the canton of Zurich (Switzerland) proves an increased demand of postclinical job integration programs. A considerable increase of mental diseases of young people, in combination with a growing trend of psychiatrization of adolescent dissocialisation lead to a high increase of short-term and serial psychiatric-inpatient acute and therapeutic interventions. At first sight they seem to meet the requirements of the developmental dimensions of this transition phase but do not take into account socialisational challenges concerning long-term stabilizing identity and personality development as well as social and job integration well enough. The choice of profession and the development of a professional identity are still key elements of this stage of life - fundamental for an autonomous life in our society. Therefore, following an inpatient clinic hospitalization, it takes increased sustainable educational job integration programs with psychiatric-therapeutic aftercare possibilities. Thereby, considerable long-term costs could be saved by prevention of chronification of difficult cases and the prevention of missed job integration. Keywords: Supply of care, adolescence, job integration, prevalence of mental diseases, pension in adolescence FACH B E ITR AG VHN 2 | 2023 128 ANDREAS WEPFER, CARMELO CAMPANELLO, ANDREAS ANDREAE Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich FACH B E ITR AG 1 Ausgangslage und Fragestellung Ausgehend von den gegenwärtig schweizweit vieldiskutierten Kapazitätsgrenzen psychiatrischer Versorgung im Jugendbereich (Berger et al., 2021) stellt sich die Frage nach der Entwicklung der Inanspruchnahme psychiatrischer Dienstleistungen im Verhältnis zur Entwicklung der Prävalenz psychischer Störungen im Jugend- und jungen Erwachsenenalter (Schuler, Tuch & Peter, 2020). Mit Fokus auf die stationäre psychiatrische Versorgung steht dabei wegen systemischer Fall- und Versorgungsüberschneidungen parallel dazu die Untersuchung der wesentlichen Entwicklungslinien der stationären Jugendhilfe an (Schmid, Kölch, Fegert & Schmeck, 2013). Die parallele Nachzeichnung dieser beiden Entwicklungstendenzen soll sodann die zu vermutenden größeren Verschiebungen in der Versorgungslandschaft untersuchen und darüber hinaus Hinweise liefern, wie sich die Schnittstellen zwischen Psychiatrie und Sozialpädagogik entwickelt haben könnten und welchen Beitrag die Sozialpädagogik zu einer Glättung systembedingter Übergänge leisten könnte. Mit einzubeziehen ist dabei auch die kritische Zunahme von gescheiterten beruflichen Eingliederungsbemühungen resp. Frühberentungen bei jungen Menschen mit erzieherischen, psychischen und sozialisatorischen Problemstellungen. Daraus leiten sich für diese Arbeit drei Fragestellungen ab: (1) Wie bildet sich in Zahlen und Trends das versorgungspraktisch und medial erkannte Problem der starken Zunahme von jungen Menschen mit sozialen und beruflichen Entwicklungs- und Eingliederungsschwierigkeiten sowie hoher stationärer psychiatrischer Inanspruchnahme ab, als Grundlage für die empirische Analyse? (2) Wie sind die Trends gesellschaftlich, fachlich und versorgungssystemisch zu verstehen? (3) Welches sind dabei besondere Bedingungen und Konsequenzen an der psychiatrisch-pädagogischen Schnittstelle und welcher quantitative und qualitative Bedarf insbesondere für postklinische Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich leitet sich daraus ab? 2 Vorgehen Gearbeitet wurde mit gezielt recherchierter wissenschaftlicher Literatur und mit öffentlich zugänglichen Daten, in erster Linie des Bundesamtes für Statistik (Medizinische Statistik der Krankenhäuser, Jugendstrafurteilsstatistik JUSUS), die jährlich aktualisiert werden und damit das Abbilden einer kontinuierlichen zeitlichen Entwicklung erlauben. Im Weiteren wurden Monitoring-Berichte des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums und Versorgungsstatistiken des Kantons Zürich konsultiert sowie öffentlich zugängliche Geschäftsberichte ausgewählter Institutionen. Der Untersuchungszeitraum wurde auf die letzten beiden Dekaden eingegrenzt und es wurden hauptsächlich Daten aus dem Kanton Zürich einbezogen, nachdem zumindest psychiatrischerseits eine Adoleszenten-Psychopathologie-Studie (Steinhausen & Winkler Metzke, 1998) vor diesem Untersuchungszeitraum letztmals systematisch Kinder und Heranwachsende im Kanton Zürich untersucht hatte. Damit sollten wenigstens beispielhaft systematische Veränderungen und Umlagerungen in der Versorgung der letzten 20 Jahre einem breiteren wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs verfügbar und einer fachlichen, sozialwirtschaftlichen wie ethischen Diskussion zugänglich gemacht werden. 3 Entwicklung jugendpsychiatrischer Bereich 3.1 Prävalenzentwicklung von psychischen Störungen bei jungen Menschen In den Nachkriegsjahrzehnten bis in die 1980er- Jahre hinein wurde bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den Industrieländern ein deutlicher Anstieg psychischer Störungen beobachtet (Depressionen, Angstsyndrome, Ess- VHN 2 | 2023 129 ANDREAS WEPFER, CARMELO CAMPANELLO, ANDREAS ANDREAE Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich FACH B E ITR AG störungen, Borderline Persönlichkeitsstörungen, selbstverletzendes Verhalten, Suizidraten, Störungen des Sozialverhaltens und Substanzabhängigkeit), mit einer Gesamtprävalenz von 10 bis 15 % (Rutter & Smith, 1995; Klerman, 1988). Danach stabilisierten sich gemäß einer groß angelegten Metaanalyse von Polanczyk, Salum, Sugaya, Caye und Rohde (2015) aller von 1985 bis 2012 publizierten Studien die vier häufigsten Störungsbilder (Angsterkrankungen, Störung des Sozialverhaltens, ADHS und Depressionen) bei Kindern und Jugendlichen von 8 bis 18 Jahren auf einem Prävalenzniveau von 13.4 %, weltweit ziemlich gleichmäßig verteilt. Für die letzten 10 bis 15 Jahre weisen US-weite Inanspruchnahme-Studien (Lipson, Lattie & Eisenberg, 2019; Mojtabai, Olfson & Han, 2016) sowie stark beachtete Erhebungen bei hunderttausenden US-Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch die Arbeitsgruppe um Jean Twenge (Duffy, Twenge & Joiner, 2019; Twenge, Joiner, Rogers & Martin, 2018; Twenge, Cooper, Joiner, Duffy & Binau, 2019) wieder deutlich ansteigende Raten von Depressionen, Angststörungen, Selbstverletzungen und Suizidverhalten aus, in Korrelation auch mit einem zunehmenden Konsum neuer Medien. Gleiches beobachten Keyes, Gary, O’Malley, Hamilton und Schulenberg (2019) bei Teenagern, insbesondere weiblichen, aus Daten jährlicher US-weiter High-School-Umfragen, mit starkem Anstieg von Depressionen und Suiziden zwischen 2012 und 2018. Andere Länder verzeichnen ähnliche Trends. In England etwa haben sich die Raten von nicht-suizidalem selbstverletzenden Verhalten (NSSV), welches besonders weibliche Adoleszente zeigen, in Service-Kontakten bei den 16bis 24-Jährigen zwischen 2000 und 2014 von 6.5 % auf 19.7 % verdreifacht (McManus et al., 2019; Morgan et al., 2017). In Deutschland stieg gemäß der bundesweiten vertragsärztlichen Abrechnungsdaten der Anteil psychiatrischer Diagnosen bei Kindern und Jugendlichen in den haus- und kinderärztlichen Praxen im Zeitraum zwischen 2009 und 2018 um gut ein Viertel von 23 % auf 28 % (Steffen, Akmatov, Holstiege & Bätzing, 2018). Manche Studien wiederum relativieren solche Prävalenzanstiege kritisch und belegen z. B. eine „diagnostische Inflation“ durch aufgeweichte Diagnose-Konstrukte in der periodischen Neuüberarbeitung internationaler Klassifikationssysteme wie DSM oder ICD, was vor allem für das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS), depressive Störungen, Angststörungen, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Substanzabhängigkeit oder Autismus gilt und mit Problemen von Überdiagnostik und Überbehandlung einhergeht (Austin, 2021; Fabiano & Haslam, 2020; Frances, 2013). Auch der Trend zur Sensibilisierung, Enttabuisierung und Entstigmatisierung psychischer Störungen dürfte zu höheren Prävalenzraten führen. Zudem legt eine steigende Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung zu psychischen Störungen nahe, dass (Lebens-) Probleme häufiger psychologisch interpretiert und behandelt werden (Thom, Bretschneider, Kraus, Handerer & Jacobi, 2019). Aus der Schweiz liegen kaum Studien zur allgemeinen Prävalenz resp. Prävalenzentwicklung psychiatrischer Störungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor. In einer systematischen Zusammenstellung empirischer Berichte von 2006 bis 2016 für das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (Obsan) finden von Wyl, Chew Howard, Bohleber und Haemmerle (2017) nur wenige publizierte empirische Arbeiten und keine repräsentativen Zahlen zur Prävalenz. Weiterhin würden einzig die Referenzwerte der 1994 im Kanton Zürich durchgeführten ZESCAP-Studie (Zurich Epidemiological Study of Child and Adolescent Psychopathology, vgl. Steinhausen, Winkler Metzke, Meier & Kannenberg, 1998) sowie der darauf aufbauenden Längsschnittstudie ZAPPS VHN 2 | 2023 130 ANDREAS WEPFER, CARMELO CAMPANELLO, ANDREAS ANDREAE Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich FACH B E ITR AG (Zürcher Adoleszenten-Psychologie- und Psychopathologie-Studie, vgl. Steinhausen & Winkler Metzke, 1998) zitiert, die in einem Halbjahreszeitraum 22.5 % betroffene Kinder und Heranwachsende gefunden haben. Auch Schuler et al. (2020) halten fest, dass verlässliche epidemiologische Zahlen zur psychischen Gesundheit von Jugendlichen fehlen, „so dass es derzeit nicht möglich ist, eine allgemeine Schlussfolgerung zur Situation in der Schweiz zu ziehen“ (S. 42). Die Autoren selbst konnten in einer repräsentativen Studie für die Schweiz nachweisen, dass 11bis 15-Jährige im Selbsturteil zwischen 2002 und 2018 eine Zunahme multipler Beschwerden (Traurigkeit, schlechte Laune, Nervosität, Müdigkeit, Ängstlichkeit, Verärgerung und Einschlafschwierigkeiten) von 27.4 % auf 34.3 % berichteten, wobei Unterschiede zwischen den Geschlechtern deutlich waren (27.1 % Jungen, 41.8 % Mädchen). Berger et al. (2021) weisen darauf hin, dass in der Schweiz in den letzten beiden Jahrzehnten die Suizide Jugendlicher im Vergleich mit anderen europäischen Ländern auf hohem Niveau verharren, im Unterschied zur Abnahme in allen anderen Altersklassen. Die in den letzten Jahren teils deutlich zunehmende Inanspruchnahme psychiatrischer und somatischer Notfallangebote wegen Suizidalität und selbstverletzendem Verhalten wird als Ausdruck eines Anstiegs dahinterliegender depressiver und anderweitiger psychischer Störungen betrachtet. Ein enorm hoher Anteil psychischer Störungen im Heimbereich in der Schweiz ist von Dölitzsch et al. (2014) erfasst worden. Danach liegt die Prävalenz psychischer Störungen der platzierten Heranwachsenden (6 bis 25 Jahre) bei 74 %. Rund 60 % erfüllen die Kriterien für mehrere Diagnosen, etwa 25 % leiden an komplexen psychischen Störungen mit emotionalen und externalisierenden Symptomen. In jüngster Zeit hat die Covid-19-Pandemie in der Schweiz zu einem starken Anstieg von Einweisungen in jugendpsychiatrische Einrichtungen geführt, wie beispielsweise die neueste Umfrage der Universität Basel zur psychischen Belastung in der zweiten Welle unter coronastress.ch zeigt (vgl. auch Kälin, 2021). Im Kanton Zürich mussten die bereits seit einigen Jahren zunehmend ausgebauten kinder- und jugendpsychiatrischen ambulanten und stationären Versorgungsleistungen aufgrund von Kapazitätsüberlastungen durch Sofortmaßnahmen der Regierung nochmals stark erweitert werden, nachdem sich seit Ausbruch der Pandemie die psychiatrischen und psychosomatischen Erkrankungen abrupt gehäuft hatten, mit einer starken Zunahme auch von Notfallbehandlungen nach Suizidversuchen (vgl. Regierungsrat des Kantons Zürich, 2021). Deutlich zunehmende Prävalenzraten von psychischen Störungen bei Jugendlichen sind weltweit zu beobachten, mit einem Anstieg auf rund 20 % für Angststörungen (d. h. eine/ r von fünf Jugendlichen hat heute eine Diagnose) und 25 % für Depressionen (eine/ r von vier), was erste Metaanalysen von Studien aus dem ersten Pandemiejahr zeigen (Racine et al., 2021). 3.2 Entwicklung der ambulanten Behandlungen in der Schweiz Gemäß Schuler, Tuch & Peter (2019) hat sich die Rate (Anzahl Patienten pro 1000 Versicherte) der 0bis 18-Jährigen, die sich in einer ambulanten psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxis behandeln ließen (also von Psychiaterinnen und Psychiatern bzw. von bei ihnen delegiert arbeitenden psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten) zwischen 2006 und 2017 von 18.1 auf 30.8 gesteigert. Das entspricht in elf Jahren knapp einer Verdoppelung. In Bezug auf die Konsultationen zeigt sich gemäß Schuler et al. (2019) in der ambulanten Spitalpsychiatrie ein ähnliches Bild: Die Konsultationsrate (Anzahl Konsultationen VHN 2 | 2023 131 ANDREAS WEPFER, CARMELO CAMPANELLO, ANDREAS ANDREAE Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich FACH B E ITR AG pro Jahr pro 1000 Versicherte) ist bei den 0bis 18-Jährigen zwischen 2006 und 2017 von 66.1 auf 154.5 gestiegen und hat sich somit mehr als verdoppelt. Laut Berger et al. (2021) haben sich im Kanton Zürich zwischen 2015 und 2020 kinder- und jugendpsychiatrische Notfalltelefonkontakte von 999 auf 2430 verzweieinhalbfacht, Notfallkonsultationen von 365 auf 1002 nahezu verdreifacht und die Inanspruchnahme des Notfalltelefons für Kinder und Jugendliche (Tel. 147) wegen Suizidgedanken auf 2bis 3-mal erhöht. 3.3 Entwicklung des stationären Behandlungsangebotes in der Schweiz Gemäß von Wyl et al. (2020), Statistik und Daten des Kantons Zürich (unter zh.ch) und Geschäftsberichten der ipw (unter ipw.ch) hat sich die Anzahl der jugendpsychiatrischen Betten im Kanton Zürich zwischen 2004 und 2019 ungefähr verdoppelt und ist in diesem Zeitraum von 60 auf 122 stationäre Plätze gewachsen. Berücksichtigt wurden dabei stationäre Angebote des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes (KJPD, später KJPP), des Kinderspitals Zürich (Abteilung Psychosomatik), der Modellstation SOMOSA Winterthur, des Sozialpädiatrischen Zentrums des Kantonsspitals Winterthur, der Integrierten Psychiatrie Winterthur (ipw), der Clienia Privatklinik Schlössli und des Zentrums für Essstörungen des Universitätsspitals Zürich. Nicht berücksichtigt sind die zusätzlichen Betten von außerkantonalen Kliniken auf der Zürcher Spitalliste, welche größere Kontingente für Zürcher Patienten einsetzen (Clienia Littenheid, Klinik Sonnenhof Ganterschwil). Die Steigerung der stationären Fallzahlen im Kanton Zürich ist auch im Gesundheitsversorgungsbericht 2019 des Kantons Zürich ausgewiesen (Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich, 2020). Im Zeitraum von 2012 bis 2017 sind die stationären Fallzahlen im Kanton Zürich bei Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre 140 120 100 80 60 40 20 0 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Abb. 1 Anzahl Betten stationäre Jugendpsychiatrie Kanton Zürich VHN 2 | 2023 132 ANDREAS WEPFER, CARMELO CAMPANELLO, ANDREAS ANDREAE Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich FACH B E ITR AG etwa dreimal so stark gestiegen (37 %) wie die der Erwachsenen (12 %). „Die Fallzahlen wachsen in allen Altersgruppen stärker als die Zürcher Wohnbevölkerung. Am deutlichsten ist dieser Effekt jedoch bei Kindern und Jugendlichen, wo das Fallzahlenwachstum vierbis fünfmal so stark ist wie das Bevölkerungswachstum“ (ebd., S. 25). Entsprechend diesem Trend haben sich die Fallzahlen in psychiatrischen Kliniken in der Schweiz in den letzten rund 20 Jahren im Alterssegment zwischen 15 und 24 Jahren mindestens verdoppelt. Die Zuweisungen in die stationäre Jugendpsychiatrie bzw. in transitionspsychiatrisch definierte stationäre Angebote (von Wyl et al., 2020) sind im fraglichen Zeitraum deutlich gestiegen. Die Altersgruppe der 15bis 19-Jährigen hat sich dabei fast verdreifacht. Die Altersgruppe der 20bis 24-Jährigen hat sich in diesem Zeitraum fast verdoppelt. Insgesamt ist schweizweit in den letzten 20 Jahren ein starker Anstieg adoleszentärer Klientel in psychiatrischen Kliniken belegt. Dabei ist die mittlere Aufenthaltsdauer in psychiatrischen Kliniken der Schweiz in den letzten zehn Jahren nicht länger geworden, sondern weist eine rückläufige Tendenz auf und liegt in den letzten Jahren gemäß Angaben des Bundesamtes für Statistik (2021 a) ungefähr bei 5 Wochen. 4 Entwicklung sozialpädagogischer Bereich 4.1 Stationäre Jugendhilfe Am Beispiel der Stiftung Zürcher Kinder- und Jugendheime (zkj), dem größten sozialpädagogischen Anbieter im Kanton Zürich, kann gezeigt werden, dass das stationäre Platzangebot im Zeitraum seit 2011 nicht zugenommen, sondern selbst unter Hinzukommen einer weiteren Einrichtung stetig abgenommen hat (Geschäftsberichte unter zkj.ch). Nur die Platzanzahl in den Schulheimen blieb konstant, während alle anderen stationären Angebote schrittweise re- 500 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Schulheime Wohnheime Jugendheime und Beobachtungsstationen Jugendwohnungen Verschiedene / Mutter & Kind Wohnagogik Kriseninterventionen Durchgangsstation Abb. 2 Anzahl stationäre Plätze der Stiftung zkj VHN 2 | 2023 133 ANDREAS WEPFER, CARMELO CAMPANELLO, ANDREAS ANDREAE Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich FACH B E ITR AG duziert wurden. Es handelt sich hierbei um die Bereiche Jugendheime und Beobachtungsstationen, Mutter & Kind Wohnagogik, Wohnheime, Jugendwohnungen, Kriseninterventionen und die Durchgangsstation, ein geschlossenes Angebot in Winterthur (DSW, 2016 von der Stiftung zkj übernommen). Die Reduktion des Platzangebots bewegte sich von 456 (2011) auf 438 stationäre Plätze (2020), was einer Reduktion um ca. 4 % entspricht (ohne die Schulheime und die später hinzugekommene DSW sogar um ca. 9 %). Wenngleich die Reduktion nicht einschneidend erscheint, so dürfte sie sich doch als signifikant erweisen, auch im Hinblick auf die deutliche Bevölkerungszunahme der Unter- 20-Jährigen im Kanton Zürich um über 20 % von 252.000 auf 306.000 in den letzten zwei Jahrzehnten (Statistisches Amt des Kantons Zürich, 2020). Ergänzend zur Darstellung in Abbildung 2 bleibt festzuhalten, dass im selben Zeitraum im Landheim Brüttisellen die Anzahl stationärer Plätze durch die Schließung einer Wohngruppe um 8 auf 18 reduziert worden ist. Umgekehrt eröffnete 2019 die mit dem Kantonsspital Winterthur und der dortigen Kinderklinik und Kinder- und Jugendpsychiatrie assoziierte Stiftung OKey - für das Kind in Not eine neue Krisenwohngruppe mit 9 stationären Plätzen für Kinder und Jugendliche mit akuter häuslicher Gewalt und Vernachlässigung. Die online verfügbaren Geschäftsberichte des Schul- und Berufsbildungsheims Albisbrunn, des Jugendheims Schenkung Dapples und der Stiftung Hirslanden weisen keine Platzzahlen aus. Indes war der Schweizer Heimlandschaft beispielsweise mit der MAZ Studie (Schmid et al., 2013) eine gute Wirksamkeit und eine hohe Qualität der Arbeit attestiert worden. Die Jugendlichen bauten statistisch signifikant neue Kompetenzen auf und reduzierten ihre Belastungen. Die Effekte und Abbruchquoten seien im internationalen Vergleich ausgesprochen gut (S. 176). 4.2 Entwicklung jugendstrafrechtlicher Bereich Gemäß Jugendstrafurteilsstatistik JUSUS (Bundesamt für Statistik, 2021 b) ist die Anzahl Verurteilungen von Jugendlichen (14 bis 17 Jahre) aufgrund von Straftaten gegen das StGB, BetmG, AuG oder das SVG in den letzten 20 Jahren gesamtschweizerisch etwa konstant geblieben. So kam es jährlich zu 12.000 bis 14.000 Verurteilungen, mit Ausreißern nach oben und nach unten. Der Verlauf in den vergangenen beiden Jahrzehnten zeigt keine eindeutige Tendenz auf. Eine größere Verschiebung bzw. Umlagerung ist aus diesen Zahlen nicht ersichtlich. Die einzelnen Deliktkategorien wurden hier nicht separat untersucht. Entscheidender für unsere Untersuchung ist schließlich die Frage, wie sich die strafrechtlich verfügten Platzierungen jugendlicher Täter in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe entwickeln. Gemäß Stichtagserhebung Jugendsanktionen (SJS) (Bundesamt für Statistik, 2021 c) hat die Anzahl strafrechtlich platzierter Jugendlicher in den letzten 10 Jahren abgenommen. Entsprechende Zahlen früherer Jahre wurden vom BFS nicht erhoben. Friedli (2018) führt diesen Rückgang der Unterbringungen bei delinquenten Jugendlichen auf den effektiven Kinderschutz zurück, der seit der Einführung der KESB betrieben werde. Auch sei diese Tendenz dem Trend geschuldet, ambulante vor stationären Maßnahmen anzuordnen. „Mit anderen Worten: Zurzeit werden weniger, dafür ‚schwierigere‘ Jugendliche in den Heimen platziert“ (ebd., S. 25). Die Abnahme jugendstrafrechtlicher Platzierungen dürfte mitursächlich für den Kapazitätsrückgang von Heimplätzen resp. Schließungen ganzer Heime sein, beispielsweise des Jugendheims Prêles 2016, welches zuletzt 70 Plätze VHN 2 | 2023 134 ANDREAS WEPFER, CARMELO CAMPANELLO, ANDREAS ANDREAE Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich FACH B E ITR AG angeboten hatte (Weingartner, 2016). Auch das Maßnahmenzentrum Kalchrain hat sein stationäres Angebot im Jahre 2018 um 13 Plätze reduziert (Jahresberichte unter kalchrain.tg.ch). Damit lässt sich ein abnehmender Trend jugendstrafrechtlicher Platzierungen konstatieren. Im Hinblick auf Verschiebungen in der Versorgungslandschaft heißt das, dass die gleiche Anzahl Verurteilungen zu weniger jugendstrafrechtlichen Platzierungen geführt hat. 4.3 Entwicklung ambulante Angebote im Erziehungs- und Bildungsbereich In der Jugendhilfe geht die Ambulantisierung gemäß Seithe und Heintz (2014) auf die Heimkampagne der 68er-Jahre und deren Kritik an der repressiven Praxis zurück, auf die beispielsweise mit den drei Strukturprinzipien des Konzepts der lebensweltorientierten sozialen Arbeit (Regionalisierung, Dezentralisierung und Alltagsorientierung) reagiert wurde. Knorth, Knot-Dickescheit, Tausendfreund, Schulze und Strijker (2009) verorten die Tendenz zur Ambulantisierung in verschiedenen europäischen Ländern. Primäres Ziel dieses Prozesses ist die Vermeidung von Fremdunterbringung. In den letzten Jahrzehnten haben sich einige ambulante, teilstationäre und mobile Angebote zur Prävention stationärer Aufenthalte etabliert. Zu den ersten solchen Angeboten gehört sicherlich die Schulpsychologie, die in der Stadt Zürich nach einigen Vorläufern 1970 (also lange vor unserem Untersuchungszeitraum) mit der Schaffung einer Heilpädagogischen Beratungsstelle begründet worden ist (vgl. Stadt Zürich, 2022). Hauptaufgaben waren damals Abklärungen und Beratungen bei Verdacht auf Lern- und Leistungsstörungen (z. B. Legasthenie oder Dyskalkulie) sowie Abklärungen im Rahmen von Sonderklassen- und Sonderschulzuweisungen. Auch Schulärztinnen und Schulpsychiater waren in diesem Bereich tätig. 20 Jahre später, nämlich 1990, wurde diese Stelle umbenannt in „Schulpsychologischer Dienst“ (SPD). Ende der 80er-Jahre entstanden gemäß spffachverband.ch in der Schweiz die ersten Angebote der Sozialpädagogischen Familienbegleitung (SPF) in der Hoffnung, kostspielige Heimplatzierungen reduzieren zu können. In den 90er- Jahren setzte sich auch dieses Angebot durch und wurde vielenorts erfolgreich angewandt. Gerade um den Beginn unseres Untersuchungszeitraumes, also um die Jahrtausendwende, ist die Schulsozialarbeit eingeführt worden und hat sich seither flächendeckend durchgesetzt (Frehner, 2001). Weiter sind zahlreiche adoleszentenpsychiatrische Ambulatorien entstanden, die strukturiertere Klientel passgenau behandeln können und mit einer integrierten Versorgung die Schnittstellen zur Jugendhilfe systematisch berücksichtigen. Die Ambulatorien der Integrierten Psychiatrie Winterthur (ipw) beispielsweise verzeichneten zwischen 2016 und 2018 einen Anstieg der Anzahl ambulanter Einzelkonsultationen im Bereich Jugendliche und junge Erwachsene um 17 % (gemäß ipw.ch). Außerdem existieren einige sogenannte Brückenangebote für die Zeit zwischen obligatorischer Schule und Erstausbildung. Sie richten sich an Jugendliche, die keine Lehrstelle gefunden haben oder für die eine Berufswahl noch zu früh ist (für den Kanton Zürich unter berufsberatung.ch). Bei den öffentlichen Berufsvorbereitungsjahren (BVJ) wird unterschieden zwischen Schulischem BVJ (22 Privatschulen im Kt. ZH), Praktischem BVJ (knapp 40 Angebote), Betrieblichem BVJ (11 Angebote) und Integrationsorientiertem BVJ (15 Angebote). Zudem sind in den letzten 3 Dekaden zahlreiche Berufslehrverbünde entstanden. Berufslehrverbünde sind eine sich in der Schweiz wie auch in Deutschland und Österreich verbrei- VHN 2 | 2023 135 ANDREAS WEPFER, CARMELO CAMPANELLO, ANDREAS ANDREAE Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich FACH B E ITR AG tende Organisationsform in der Berufsbildung, bei der sich mehrere und oft kleinere Betriebe zusammenschließen, um gemeinsam Lernende auszubilden. Solche Ausbildungsverbünde gewährleisten nicht nur zusätzliche Ausbildungsplätze. Sie ermöglichen gemäß Imdorf und Leemann (2011) darüber hinaus, diese chancengerechter zu verteilen als dies traditionelle Betriebe bisher in der Lage waren. Ferner sind ab den Neunzigerjahren zahlreiche Sozialfirmen entstanden mit dem Ziel, die Arbeitsintegration von benachteiligten Personen (Menschen mit Behinderungen, Arbeitslose, Jugendliche ohne Ausbildung) zu fördern. Ihre Zielgruppen sind in erster Linie Personen mit IV-Rente, Teilnehmende an Eingliederungsmaßnahmen der IV, Sozialhilfebeziehende oder Leistungsbeziehende der ALV. Neben den Beiträgen der öffentlichen Hand (Bund, Kantone und Gemeinden) stellen selbst erwirtschaftete Erlöse für den Großteil der Sozialfirmen eine wichtige Finanzierungsquelle dar (Crivelli, Bracci & Avilés, 2012). Schließlich sind mobile Interventionsformen zu erwähnen wie beispielsweise die Multisystemische Therapie (MST), ein Angebot für Jugendliche mit Störungen des Sozialverhaltens im Alter von 12 bis 17 Jahren (vgl. Spital Thurgau, o. J.). Mittels intensiver aufsuchender Therapie werden Jugendliche in ihrem häuslichen Umfeld unter Einbezug ihrer Familie, der Schule oder des Lehrbetriebs und des gesamten sozialen Umfeldes (Nachbarn, Freunde) nach den Grundsätzen eines lizenzierten Konzepts behandelt. MST hat sich in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen als effektive und effiziente Therapieform für Jugendliche mit Störungen des Sozialverhaltens erwiesen. Untersuchungen zur Wirksamkeit solcher Angebote belegen allgemein einen guten Nutzen (Messmer & Schnurr, 2020). Gleichwohl ersetzten sie die Angebote stationärer Unterbringungen nicht, sondern begrenzten allenfalls deren Wachstum (S. 14). 5 Entwicklung Frühberentungen (SVA/ IV) Die Berufsintegration ist für eine gelingende Bewältigung adoleszentärer Entwicklungsaufgaben und phasenimmanenter Störungsprozesse der psychischen Gesundheit und der Persönlichkeitsherausbildung nach wie vor entscheidend (Erdheim, 1984; Hurrelmann, 1999). Identifikatorische Prozesse im Rahmen der Berufswahl und die Ausformung einer beruflichen Identität tragen maßgeblich zur Persönlichkeitsbildung bei und stabilisieren den heiklen Transitionsprozess dieser Lebensphase. Die Berufsintegration ist damit zentrales Movens autonomen Lebens in unserer Gesellschaft (Graf, 2017; Vogel, 2017). Gemäß STAT-TAB - interaktive Tabellen (Bundesamt für Statistik, 2022) ist die Anzahl Neuberentungen von 18bis 24-Jährigen, die aufgrund einer psychischen Krankheit verfügt worden waren, von 460 Neuberentungen im Jahr 1997 bis auf 1512 im Jahr 2020 kontinuierlich gestiegen. Das entspricht über 24 Jahre hinweg mehr als einer Verdreifachung der Fälle. Hier wird deutlich, dass die berufliche Integration bei krisenhaften Adoleszenzentwicklungen unterschiedlicher Art offenbar zunehmend misslingt. Was immer andere flankierende Maßnahmen gewesen sein mögen, die berufliche Integration in dieser wichtigen Lebensphase zeigt sich anhand solcher Zahlen im untersuchten Zeitraum für immer mehr junge Menschen als nicht mehr zu bewältigende Herausforderung. Die Frühberentungsproblematik findet inzwischen eine immer stärkere politische und wissenschaftliche Beachtung, auch auf Ebene OECD (2014). In einer 2016 publizierten Analyse fanden Baer, Juvalta, Altwicker-Hámori, Frick und Rüesch bei einem Viertel bis einem Drittel VHN 2 | 2023 136 ANDREAS WEPFER, CARMELO CAMPANELLO, ANDREAS ANDREAE Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich FACH B E ITR AG der Fälle deutliche Hinweise für vorschnelle Berentungen, unter anderem wegen mangelnder Früherkennung, Intervention und Krankheitseinsicht. Vor allem erachten sie eine lückenhafte Eingliederungsperspektive und inadäquate Prozess-Automatismen der Invalidenversicherung als problematisch und empfehlen dringend, Zeit aufzuwenden für interdisziplinäre rehabilitative Ausbildungs- und Integrationsmaßnahmen. Auch Altwicker-Hámori und Dratva (2019) kommen zum Schluss, dass die berufliche Frühförderung bei vulnerablen jungen Erwachsenen über die Sekundarstufe I hinaus zu konzentrieren sei, um prognostisch negative langfristige Aktivitätseinschränkungen und Frühberentungen zu verhindern. Schmocker et al. (2022) folgern diesbezüglich nach einer Befragung von Berufsbildner/ innen in der Deutschschweiz, dass eine Sensibilisierung mit Wissensvermittlung und Handlungsanleitungen zu Adoleszenz und psychischen Störungen in den Lehrbetrieben notwendig sei, ebenso eine Verstärkung der Kooperation mit Behandelnden, anderen Fallinvolvierten, der IV-Berufsintegration und spezifischen Kompetenzstellen. Unsere Erfahrungen in der institutionellen Arbeit über die letzten Jahre zeigen, dass sich für die im Zentrum des Berentungsproblems stehende Fallgruppe von Adoleszenten, deren Störungsentwicklung Hospitalisationen auslöst, kaum spezialisierte Programme und Kompetenzzentren für tragfähige Integrationsmaßnahmen in der zumeist instabilen postklinischen Phase herausgebildet haben. Oftmals werden die möglichen Entwicklungs- und Gesundungschancen auf pädagogischpsychiatrisch begleiteten Bildungswegen durch allzu rasch einsetzende Berentungs-Automatismen frühzeitig gestoppt, insbesondere ab 18-jährig. 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Abb. 3 Neuberentungen von 18bis 24-Jährigen aufgrund psychischer Krankheiten VHN 2 | 2023 137 ANDREAS WEPFER, CARMELO CAMPANELLO, ANDREAS ANDREAE Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich FACH B E ITR AG 6 Diskussion 6.1 Wie bildet sich in Zahlen und Trends das versorgungspraktisch und medial erkannte Problem der starken Zunahme von jungen Menschen mit sozialen und beruflichen Entwicklungs- und Eingliederungsschwierigkeiten sowie hoher stationärer psychiatrischer Inanspruchnahme ab, als Grundlage für die empirische Analyse? Unsere Recherchen und Darstellungen zur Fragestellung 1 zeigen zusammenfassend klar und eindeutig auf, dass für die beiden letzten Jahrzehnte im Kanton Zürich eine Verdoppelung des stationären jugendpsychiatrischen Platzangebots belegt werden kann, während das stationäre sozialpädagogische Platzangebot nachweislich reduziert wurde. Die erhebliche Zunahme von Störungsentwicklungen in der Adoleszenz dürfte sich als Folge der Covid-19-Pandemie noch längerfristig verschärfen. Die Berufsintegration gelang im Betrachtungszeitraum von 2000 bis 2020 abnehmend und die Neuberentungen junger Erwachsener verdreifachten sich. Diesen Trend konnte auch ein wachsender Markt mobiler, ambulanter und teilstationärer Angebote (psychiatrischer, sozialpädagogischer sowie therapeutischer Ausrichtung) nicht verhindern. 6.2 Wie sind die Trends gesellschaftlich, fachlich und versorgungssystemisch zu verstehen? Für die explodierenden psychiatrischen Fallzahlen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind verschiedene Gründe anzunehmen, die sich auf den Nenner einer Psychiatrisierung adoleszentärer Dissozialisation bringen lassen. So dürften gehäufte psychiatrische Interventionen zum Beispiel Ausdruck von Störungsveränderungen bei adoleszenzimmanenten dysfunktional in Erscheinung tretenden Entwicklungs- und Bewältigungsstrategien während des Sozialisationsprozesses (adoleszentäre Dissozialisation) sein, wie die Zunahme der internalisierenden Störungsäußerungen auf Kosten von oder in Kombination mit externalisierenden Störungsbildern. Auch ist ein Teil der Fallzunahme mit der fortschreitenden Entstigmatisierung zu erklären - gerade unter dem zunehmenden Einfluss von sozialen Netzwerken, auf denen psychische Störungen teilweise unter Ansammlung unzähliger Likes effektvoll inszeniert werden können und entsprechende Outings von der Gemeinschaft positiv aufgenommen werden (Like). Dem Trend der klinisch-psychiatrischen Fall- und Angebotszunahme bei gleichzeitigem Rückbau sozialpädagogischer Heimplätze dürfte aber zu einem nicht unerheblichen Teil eine Umverteilung in den Versorgungsflüssen und der Versorgungslandschaft zugrunde liegen. Diese erklärt sich teils durch eine Erweiterung psychiatrisch-diagnostischer Diagnosekonstrukte, z. B. ADHS und Persönlichkeitsstörungen, und Biologisierung der Behandlungsansätze insbesondere auch bei adoleszenten Erlebens- und Verhaltensstörungen mit aggressivem, disruptivem und dissozialem Gepräge. Mit im Spiel sind aber auch veränderte Fall- und Finanzierungszuständigkeiten, die sich nach einschneidenden Gesetzesänderungen neu einspielen. Von jugendstrafrechtlicher Seite mag das 2007 in Kraft getretene „neue“ Jugendstrafrecht mit zu dieser Umlagerung der Versorgungslandschaft beigetragen haben. Das Schweizer Jugendstrafrecht, das grundsätzlich die Entwicklung des Täters und nicht die Straftat in den Vordergrund stellt, sieht näm- VHN 2 | 2023 138 ANDREAS WEPFER, CARMELO CAMPANELLO, ANDREAS ANDREAE Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich FACH B E ITR AG lich seither vor, dass jugendstrafrechtliche Maßnahmen (Platzierungen) wiederholt auf ihre Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit überprüft werden müssen (Urwyler & Nett, 2012). Das Kindes- und Erwachsenenschutzgesetz (KESG), das 2013 in Kraft getreten ist, hat die jugendstrafrechtlichen Einweisungen ebenfalls verändert. Die Schnittstelle zwischen Jugendanwaltschaft und Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) ist aufgeweicht und diffundiert ins Zivilrechtliche und Psychiatrische. Sie gilt schweizweit seither als Herausforderung (z. B. thematisiert u. a. in Hürlimann, 2013). Ein weiterer Grund für die Verlagerung der Patientenströme könnte schließlich die Verlagerung des damit verbundenen Geldflusses sein: Eine psychiatrische Unterbringung fällt unter das Krankenversicherungsgesetz (KVG), eine jugendstrafrechtliche Unterbringung muss vom Kanton getragen werden, und für eine zivilrechtliche Unterbringung (KESB) hat auch die Gemeinde aufzukommen. Der sich daraus herausbildende gesamthafte Systemtrend und Versorgungsumbau im Umgang mit adoleszenten Störungsentwicklungen nennen wir in der vorliegenden Arbeit „Psychiatrisierung“. Geht die Adoleszenz eines Individuums in unserer dynamisch-innovativen Gesellschaft nicht reibungslos vonstatten und kommt es dabei zu Krisen, Verzögerungen, Stagnation und anderen Störungen im Verhalten und Erleben, ist die soziale Gemeinschaft gefordert, Übergangshilfen zur Verfügung zu stellen. Und solche Übergangshilfen bestanden im Kanton Zürich in den vergangenen zwei Jahrzehnten offensichtlich zunehmend aus psychiatrischem Instrumentarium, in Form von stationären Akutinterventionen. Gesellschaftlich gesehen bedeutet das eine Verschiebung adoleszenztypischer Frage- und Hilfestellungen resp. Verständnis- und Interventionskonzepte von der Sozialpädagogik in die Psychiatrie. 6.3 Welches sind dabei besondere Bedingungen und Konsequenzen an der psychiatrisch-pädagogischen Schnittstelle und welcher quantitative und qualitative Bedarf insbesondere für postklinische Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich leitet sich daraus ab? 6.3.1 Vernachlässigung Berufsintegration Die Umverteilung der Fallströme in die (akute) Psychiatrie öffnet eine postklinische Lücke auf den Behandlungspfaden in die berufliche und soziale Integration, indem zwar die psychische Störung lege artis behandelt werden kann, derweil aber die berufliche Integration mangels konsequenter integrierter Versorgung zusammen mit den Integrations- und Bildungsanbietern (Heime, IV) auf der Strecke bleibt. Bemühungen um nachhaltige Berufsintegrationsbestrebungen sind mit der oben beschriebenen „Psychiatrisierung“ erschwert worden. Wenn ein zunehmendes Klientensegment zwar psychiatrisch behandelt wird, derweil jedoch die Ansprüche an eine berufliche Integration nicht erfüllen kann, dann ist diese Behandlung wenig nachhaltig und wird den Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz nicht gerecht. Hieraus erwächst ein erhöhter Bedarf an postklinischen Berufsintegrationsprogrammen mit hoher Tragfähigkeit und psychiatrisch-therapeutischer Nachsorge. Den Berufsbildungsheimen der Deutschschweiz fällt aufgrund der Psychiatrisierung adoleszentärer Fragestellungen zunehmend die Aufgabe eines postklinischen Behandlungsprogramms zu, das die Berufsintegration zu berücksichtigen vermag und mit psychiatrischer Nachsorge die Tragfähigkeit hochhalten kann. Diese Entwicklung sollte zugunsten einer Verdichtung der psychosozialen Versorgung und einer Schließung von Lücken in der Versorgungslandschaft weiterverfolgt und zur Eindämmung von Kostenfolgen öffentlich getragen werden. Ein Abbau des sozialpädagogischen Platzangebots ist hierbei nicht dienlich. VHN 2 | 2023 139 ANDREAS WEPFER, CARMELO CAMPANELLO, ANDREAS ANDREAE Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich FACH B E ITR AG Damit die Anschlussfähigkeit von jugendpsychiatrischen Institutionen und Institutionen mit postklinischen Berufsintegrationsprogrammen gewährleistet werden kann, sind Investitionen in Stellenprozente beim Psychiatrisch-Psychologischen Dienst, bei der Berufsintegration und bei der Pflege nötig. Die langfristigen Kosten verpasster Berufsintegration dürften damit nachhaltig reduziert werden. Auch ein erheblicher Aufwand bei der beruflichen Integration dürfte langfristig günstiger ausfallen als die langjährige Berentung entsprechender Klientel. Dies auch analog zu Maßnahmen der sozialen Integration von Straftätern, die das Risiko von Wiederholungstaten und chronischen Verläufen am Beginn einer dissozialen bzw. deliktischen Karriere zu beeinflussen versuchen. Die Chronifizierung problematischer Verläufe während der Adoleszenz gilt es auch mit Blick auf die langfristigen Kosten bestmöglich zu verhindern. 6.3.2 Angebotsintensität und Störungsausprägung Der Ausbau mobiler, ambulanter und teilstationärer Angebote hat zur Folge, dass Klienten unter feiner Abstimmung auf ihren individuellen Bedarf und ihr psychosoziales Funktionsniveau dem in seiner Intensität passenden Angebot zugeführt werden konnten. Oftmals wurden getreu der Devise „ambulant vor stationär“ Interventionen zunehmender Intensität nacheinander eingesetzt. Gerade weil eine so differenzierte und fein verästelte Angebotsstruktur vorlag, konnte bei ersten Anzeichen adoleszentärer Dissozialisation beispielsweise eine sozialpädagogische Familienhilfe installiert werden, später vielleicht zusätzlich noch eine ambulante Psychotherapie. Zeigten solche Interventionen keine Wirkung, konnte die Intensität der Intervention auf ein tagesklinisches Setting oder eine sozialpädagogische Tagesstruktur gesteigert werden. Hierauf folgte unter weiterer Steigerung der Behandlungsintensität eine stationäre Unterbringung zunächst in einem offenen Angebot und später auch in einem geschlossenen. Diese Differenzierung der Angebotsstruktur lässt folgenden Umkehrschluss zu: Angebote zunehmender Behandlungsintensität haben sich vermehrt auf eine Klientel einzustellen, bei der die Angebote vorgeschalteter milderer Interventionen nicht erfolgreich gewesen sind. D. h. das Spektrum der Störungsausprägung bzw. das Spektrum des psychosozialen Funktionsniveaus der Klientel in stationären Einrichtungen reduziert sich um denjenigen Anteil der Klientel, der in mobilen, ambulanten und teilstationären Angeboten erfolgreich behandelt werden konnte. Das mag zum Eindruck führen, dass die Störungsausprägung bei der Klientel in stationären Jugendheimen in den letzten zwei Jahrzehnten zugenommen habe. Wir halten das allerdings für den Ausdruck eines Verlagerungseffektes: De facto dürfte es im stationären Setting nämlich zu einer Abnahme von Fällen mit geringerer Störungsausprägung gekommen sein, weil diese von vorgeschalteten ambulanten, teilstationären oder mobilen Interventionsformen abgefangen worden sind. 7 Ausblick Es wird sorgfältig zu beobachten sein, wie sich die beschriebenen Veränderungen und Umlagerungen in der Versorgungslandschaft unter den Gegebenheiten der Pandemie weiterentwickeln. Von einer weiteren Zunahme ist auszugehen. Hierzu sind Forschungen zur Prävalenz psychischer Störungen und zum Effekt entsprechender Interventionen insbesondere im Adoleszenzbereich maßgeblich. Wie sich bestehende Jugendheimeinrichtungen als pädagogisch-therapeutische Anschlusslösungen an einen klinischen Aufenthalt anbieten und damit nach der primären Störungsbehandlung die psychiatrisch-therapeutische Nachsorge und die Berufsintegration leisten können, wird die nähere Zukunft zeigen. Für die fachlich einwandfreie Erfüllung dieser VHN 2 | 2023 140 ANDREAS WEPFER, CARMELO CAMPANELLO, ANDREAS ANDREAE Zum Bedarf postklinischer Berufsintegrationsprogramme im Kanton Zürich FACH B E ITR AG Aufgabe wird zusätzliches ärztliches, psychologisches, arbeitsagogisches, sozialpädagogisches und Pflegepersonal nötig sein. Literatur Altwicker-Hámori, S. & Dratva, J. (2019). Disability pension receipt in young adults: An analysis of the Swiss Social protection and labour market (SESAM) data. BMC Public Health, 19 (831). https: / / doi.org/ 10.1186/ s12889-019-7098-1 Austin, U. (2021). The danger of ADHD overdiagnosis. Internal Medicine Alert. 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Andreas Wepfer Carmelo Campanello Burghof Pestalozzi-Jugendstätte Burghofstr. 24 CH-8157 Dielsdorf Tel. (0) 44 8 54 24 29 E-Mail: andreas.wepfer@zkj.ch carmelo.campanello@zkj.ch Dr. med. Andreas Andreae Biberlinstr. 43 CH-8032 Zürich E-Mail: andreas.andreae@outlook.com So behalten Sie den Durchblick 2., aktualisierte Auflage 2020. 67 Seiten. 17 Abb. 8 Tab. Innenteil vierfarbig. DIN A4 Format. (978-3-497-02927-3) kt a www.reinhardt-verlag.de Wie gelingt gemeinsamer Unterricht von SchülerInnen mit und ohne Sehbeeinträchtigung? Das Buch unterstützt Lehrkräfte ohne blinden- und sehbehindertenpädagogische Ausbildung bei der Gestaltung und Durchführung eines inklusiven Unterrichts. Wichtig ist die Differenzierung nach Maßnahmen für SchülerInnen mit Blindheit und Maßnahmen für SchülerInnen mit Sehbehinderung. Es werden konkrete Aspekte der Umsetzung wie Informationszugänge, Kommunikation und Raumgestaltung praxisorientiert dargestellt. Ein eigenes Kapitel liefert wertvolle Informationen und Tipps rund um das Thema Nachteilsausgleich.