eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 92/VHN Plus

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
11
2023
92VHN Plus

Fachbeitrag: Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung: Eine qualitative Interviewstudie zu Veränderungen durch die MuTig Intervention aus Perspektive der Frühförderfachkräfte

11
2023
Helen Rathgeber
Simone Keßel
Lotta Balters
Christa Grüber-Stankowski
Charlotte Hanisch
Die MuTig (Multiprofessionell Transition gestalten) Intervention unterstützt Frühförderfachkräfte dabei, die Schulbereitschaft von Vorschulkindern mit Förderbedarf über multimodale Maßnahmen mit Kind, Eltern, Kita und Schule zu verbessern. In diesem Beitrag werden anhand von qualitativen Leitfadeninterviews die individuellen Erfahrungen der Frühförderfachkräfte mit der umfeldzentrierten MuTig Intervention untersucht. Die Interviews zielten darauf ab, Veränderungen, Gelingensfaktoren und Herausforderungen bei der Durchführung zu identifizieren. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Interventions-Frühförderfachkräfte (INT-FF), Familien und pädagogische Fachkräfte aus Kita und Schule von der Zusammenarbeit profitierten und trotz pandemiebedingter Einschränkungen gemeinsam einen Beitrag zu einem gelingenden Übergang leisten konnten.
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1 FACH B E ITR AG VHN plus VHN plus , 92. Jg. (2023) DOI 10.2378/ vhn2023.art22d © Ernst Reinhardt Verlag Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung: Eine qualitative Interviewstudie zu Veränderungen durch die MuTig Intervention aus Perspektive der Frühförderfachkräfte Helen Rathgeber, Simone Keßel, Lotta Balters, Christa Grüber-Stankowski, Charlotte Hanisch Universität zu Köln Zusammenfassung: Die MuTig (Multiprofessionell Transition gestalten) Intervention unterstützt Frühförderfachkräfte dabei, die Schulbereitschaft von Vorschulkindern mit Förderbedarf über multimodale Maßnahmen mit Kind, Eltern, Kita und Schule zu verbessern. In diesem Beitrag werden anhand von qualitativen Leitfadeninterviews die individuellen Erfahrungen der Frühförderfachkräfte mit der umfeldzentrierten MuTig Intervention untersucht. Die Interviews zielten darauf ab, Veränderungen, Gelingensfaktoren und Herausforderungen bei der Durchführung zu identifizieren. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Interventions-Frühförderfachkräfte (INT-FF), Familien und pädagogische Fachkräfte aus Kita und Schule von der Zusammenarbeit profitierten und trotz pandemiebedingter Einschränkungen gemeinsam einen Beitrag zu einem gelingenden Übergang leisten konnten. Schlüsselbegriffe: MuTig Intervention, Frühförderung, Umfeldarbeit, Zusammenarbeit, Übergang Context-centered Practices in Early Intervention: A Qualitative Interview Study of Changes Through the MuTig Intervention from the Perspective of Early Interventionists Summary: The MuTig intervention aims at increasing school readiness in preschoolers with special education needs. MuTig early interventionists deliver child-, parent-, kindergartenand school-centered interventions. This paper uses qualitative interviews to examine individual experiences of the early interventionists using the multimodal MuTig intervention. The interviews aimed at identifying strengths and challenges during delivery of the MuTig approach. Results indicate that early interventionists, families, kindergarten and school teachers all felt well supported by the MuTig intervention. Collaboration between kindergarten, parents and schools increased the likelihood of a successful transition. Keywords: MuTig intervention, Early intervention, multimodal, collaboration, transition 1 Ausgangslage und Relevanz Frühförderung ist ein Leistungsangebot für Kinder bis zum Schuleintritt, die von Behinderung bedroht oder betroffen sind. Entsprechend der aktuellen Begriffsbestimmung im SGB IX/ BTHG (§ 2 Abs. 1) wird Behinderung verstanden als wechselseitige Interaktion zwischen Personen- und Umfeldfaktoren bzw. gesundheitlicher Beeinträchtigung und umweltbedingten Barrieren. Kinder mit Frühförderbedarf sind deutlich häufiger multiplen psychosozialen Risikofaktoren ausgesetzt (Seidel, 2022) und weisen dadurch laut der KiGGS Studie Welle 2 häufiger Verhaltensauffälligkeiten und psychische Probleme auf (Bantel, Schlaud, VHN plus 2 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus Walter & Dreier, 2019; Kuntz et al., 2018). Internationale Befunde bestätigen, dass diese Kinder ein erhöhtes Risiko für einen ungünstigen Schulstart haben (OECD, 2020). Das für den Schuleintritt und zukünftigen Schulerfolg bedeutsame Konzept der Schulbereitschaft (u. a. Blair & Raver, 2015; Hasselhorn, Ehm, Wagner, Schneider & Schöler, 2015) geht im Sinne der Wechselwirkung von Personen- und Umfeldvariablen davon aus, dass sowohl das Kind als auch die Schule bereit füreinander sein müssen (Roebers & Hasselhorn, 2018; Pan, Trang, Love & Templin, 2019). Die Frühförderung wäre aufgrund ihres Wissens und der meist langjährigen, vertrauensvollen Beziehung zu den Familien prädestiniert dafür, Bereitschaft auf beiden Seiten zu fördern und damit den Übergang in die inklusive Grundschule zu unterstützen. Dies erfordert zum einen Kooperation zwischen Kita und Schule, zum anderen sprechen internationale Befunde dafür, dass sich Schulbereitschaft v. a. auch über das elterliche Erziehungsverhalten steigern lässt (z. B. Prime et al., 2020). Übereinstimmend damit haben sich multimodale Interventionen als wirksam erwiesen, die neben dem Kind v. a. Eltern und/ oder pädagogische Fachkräfte aus Kita und Schule zur Förderung von Selbstregulationsfähigkeiten adressieren (z. B. Döpfner & Hanisch, 2020; Lam et al., 2019; Rathgeber & Hanisch, i. D.). Dies steht im Widerspruch zur aktuell gelebten Frühförderpraxis. Zwar gibt Frühförderung vor, familien- und umfeldorientiert zu arbeiten, allerdings weisen verschiedene Forschungsergebnisse (z. B. Lütolf, Koch & Venetz, 2015; Pretis, 2015; Sarimski & Lang, 2018) nach wie vor auf eine hauptsächlich kindzentrierte Arbeitsweise hin (Sarimski, Hintermair & Lang, 2021). Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass eine separate Elternberatung von den Kostenträgern in NRW zunächst auf vier Fördereinheiten im Jahr limitiert wird mit der Möglichkeit, weitere begründet zu beantragen (Pfeiffer, 2021). Gleichzeitig fordert das BTHG einen Paradigmenwechsel weg vom auf das Kind fokussierten Ansatz hin zu einer familien- und sozialraumorientierten Arbeit. Die neue Aufgabe besteht u. a. darin, sich als Bildungspartner/ in aufzustellen und mit Eltern, Kita und Schule für die Anschlussfähigkeit der pädagogischen Angebote beim Übergang in die Schule Sorge zu tragen. Trotz rechtlicher Grundlage haben bereits entwickelte Konzepte für den Übergang in die Schule nur empfehlenden Charakter, weshalb es zu einer sehr heterogenen Angebotsstruktur beim Übergang in die Schule kommt. Die nähere Ausgestaltung dieses Aufgabenbereichs im Zuge der Verabschiedung der Landesrahmenvereinbarung NRW (2020) lässt ebenfalls zahlreiche Fragen offen hinsichtlich eines zukünftig für alle verbindlichen Charakters der Frühförderarbeit beim Übergang in die Schule einschließlich der Finanzierung. Auf Basis dieser Überlegungen wurde in NRW die MuTig Intervention entwickelt, mit deren Hilfe Frühförderung die Schulbereitschaft von Kindern im Jahr vor der Einschulung fördern soll, indem sie deutlich stärker umfeldzentriert arbeitet. In einer randomisierten kontrollierten Studie zeigte sich im Elternurteil im Vergleich zu ‚Frühförderung wie üblich‘ nach der MuTig Intervention ein Zuwachs an Schulbereitschaft aufseiten der Kinder. Eine ausführliche Beschreibung des MuTig Projekts einschließlich des cluster-randomisierten Kontrollgruppendesigns findet sich in Keßel et al. (2021, 2022). Griebel und Niesel (2004) gehen in ihrem IFP- Transitionsmodell davon aus, dass Kinder und Eltern im Zuge von Übergangsprozessen Veränderungen bzw. Anforderungen auf individueller, interaktionaler und kontextueller Ebene bewältigen müssen. Veränderungen auf der Ebene des Individuums beziehen sich v. a. auf Identität, Emotionen und Kompetenzerwerb. Auf interaktioneller Ebene verändern sich Beziehungen und Rollenerwartungen, während VHN plus 3 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus auf kontextueller Ebene die neuen Anforderungen auf bestehende (Familien-)Systemstrukturen und -abläufe abgestimmt werden müssen. Darüber hinaus unterscheiden die Autor/ innen zwischen Personen, die den Übergang bewältigen (Kinder und Eltern), und solchen, die den Übergang fachlich moderieren (Fachkräfte) (Niesel & Griebel, 2015). Fachkräfte werden während des Übergangs ebenfalls mit neuen Anforderungen konfrontiert, sodass sich die beschriebene 3-Ebenen-Struktur von Veränderungen ggf. auf die von den INT-FF erlebten Veränderungen durch das MuTig Projekt übertragen lassen. Einerseits sollten die Frühförderfachkräfte den Übergangsprozess mit Eltern, Kita und Schule gestalten und moderieren, andererseits mussten sie den Übergang von einer eher kindzentrierten zu einer umfeldzentrierten Arbeitsweise bewältigen. Interventionsbegleitende Professionalisierungsmaßnahmen sollten die Frühförderfachkräfte bei diesem Prozess unterstützen, da ausgehend von Ergebnissen der Schulforschung v. a. längerfristige und begleitende Qualifizierungsformate zu größeren und nachhaltigeren Veränderungen führen (Leidig, 2019). Ziel der vorliegenden Arbeit ist folglich, mithilfe qualitativer Leitfadeninterviews herauszufinden, wie die Interventions-Frühförderfachkräfte den Übergang von einer eher kindzentrierten zu einer stärker umfeldzentrierten Arbeitsweise während der MuTig Intervention erlebt haben. Konkret sollten folgende Fragen geklärt werden: 1. Welche Veränderungen zeigen sich bei den Interventions-Frühförderfachkräften auf individueller, interaktioneller und kontextueller Ebene (in Anlehnung an das Transitionsmodell von Griebel & Niesel, 2004)? 2. Welche Herausforderungen und Gelingensfaktoren werden von den Interventions- Frühförderfachkräften in Hinblick auf Umsetzbarkeit, Erfolg und Nachhaltigkeit der MuTig Intervention beschrieben? 2 Methode Im Folgenden werden die MuTig Studie, zentrale Inhalte der MuTig Intervention und das qualitative Forschungsdesign der vorliegenden Arbeit vorgestellt. 2.1 MuTig Studie und Intervention Das von verschiedenen Stiftungen geförderte MuTig Projekt wurde von 2019 bis 2022 in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Frühbehandlung und Frühförderung e.V. und der Universität zu Köln durchgeführt. Auf Grundlage des internationalen Forschungsstands zur Schulbereitschaft sowie einer Erhebung zu Ist-Stand und Veränderungsbedarfen bzgl. der Übergangsgestaltung in NRW wurde, partizipativ mit den beteiligten interdisziplinären Frühförderstellen des Regierungsbezirks Köln, die MuTig Intervention entwickelt. Die MuTig Intervention richtete sich an Vorschulkinder, die die Komplexleistung Frühförderung erhielten und bei denen Lern- und Verhaltensprobleme im Vordergrund der Förderung standen. Entsprechend einer stärker umfeldzentrierten Arbeitsweise setzte die MuTig Intervention v. a. bei der Zusammenarbeit mit Eltern, Kita und Schule zur Förderung der Schulbereitschaft an und wies der Frühförderung die Rolle als Moderatorin beim Übergang in die inklusive Grundschule zu. Die von den INT-FF moderierte Gestaltung des Übergangs sollte dazu beitragen, dass beim Wechsel der Bildungseinrichtung ein Informationsverlust über den Förderverlauf und der Wegfall bewährter Unterstützungsstrukturen vermieden wird. Die umfassende multimodale MuTig Intervention enthielt daher Komponenten auf der Ebene der Frühförderfachkräfte (Fortbildung, Telefonsupervision), der Kinder (Kompetenztraining), der Eltern (Einzelberatung, Runde Tische), der Kitafachkräfte (Einzelberatung, Runde Tische) VHN plus 4 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus und der Lehrkräfte (z. T. Einzelgespräche, Klassenraumbasierte Intervention, Runde Tische). Für die von den INT-FF durchgeführten Interventionen (Umsetzung von sechs Interventionsmodulen) wurden durchschnittlich zehn zusätzliche Fördereinheiten umgesetzt. Drei von sechs Modulen (1, 5, 6) mussten dabei obligatorisch mit neun bis zehn Fördereinheiten und drei Module (2, 3, 4) konnten fakultativ mit sechs bis sieben Fördereinheiten umgesetzt werden. Beschreibungen und Materialien der Module lagen in manualisierter Form vor. In den Modulen 1 - 3 wurden sowohl mit Eltern als auch mit Kitafachkräften Bedingungsanalysen des aktuellen Entwicklungsstandes, SMARTe-Zieldefinitionen und Strategien zur Förderung positiver Kommunikation und kindlicher Selbstregulation (z. B. Regeln, Routinen und wirkungsvolle Aufforderungen) erarbeitet. Die Module 5 - 6 zur Übergangs- und Schulintervention beinhalteten u. a. Kontaktaufnahme mit Schulen, Erstellung von Übergabe-Berichten, Durchführung und Moderation Runder Tische mit Eltern, Kita und Schule sowie die Vermittlung von klassenraumbasierten Interventionen an Lehrkräfte (tägliche Verhaltensbeurteilung, KlasseKinderSpiel). Für diese stärkere Umfeldarbeit und die neue Rolle als Moderator/ in des Übergangs sollten die INT-FF über kompetenzorientierte Professionalisierungsmaßnahmen qualifiziert werden. Hierfür wurden die Inhalte der Interventionsmodule im Rahmen einer fünftägigen Fortbildungsreihe vermittelt. Neben theoriegeleiteter Wissensvermittlung versuchte MuTig dabei auch Handlungskompetenzen zu stärken, um darüber die Selbstwirksamkeitserwartung bezogen auf die Zusammenarbeit mit dem Umfeld zu steigern. Hierfür gab es im Rahmen der (Online-)Fortbildungen die Möglichkeit, zur Verfügung gestellte, vorstrukturierte Interventionsmaterialien (Instruktionen, Videos, Dokumentations- und Planungshilfen, MuTig- Arbeitsbuch) anhand von Fallbeispielen, im gemeinsamen Austausch zu erproben. Zwischen den Fortbildungen konnten die INT-FF die neuen Inhalte samt Materialien bedarfsorientiert mit Eltern und pädagogischen Fachkräften aus Kita und Schule anwenden. Zusätzlich erhielten alle INT-FF mindestens zwei einstündige Telefon-Supervisionen, um die gemachten Erfahrungen mit dafür ausgebildeten Projektmitarbeiterinnen auszutauschen. Insgesamt zielte dieses Vorgehen auf Kompetenzerwerb, Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung und Entwicklung einer Haltung, die die Bedeutung von Umfeldarbeit anerkennt und als notwendigen, handlungsleitenden Bestandteil der eigenen Frühförderarbeit ansieht. 2.2 Datenerhebung - Leitfadeninterviews Aufgrund der Pandemie wurde das MuTig Projekt um ein weiteres Jahr verlängert. Strukturbedingt standen zwei Projektfrühförderstellen für diese Verlängerung nicht mehr zur Verfügung, sodass zwei neue Behandlungsstellen rekrutiert wurden. Die Daten dieser Interviewstudie wurden daher mithilfe teilstrukturierter Leitfadeninterviews zu zwei Zeitpunkten (Oktober 2020: Kohorte 1, Oktober 2021: Kohorte 2) jeweils nach der Interventionsphase erhoben. Die Erst- und Zweitautorin sowie eine weitere Mitarbeiterin des MuTig Projekts führten insgesamt 16 Interviews mit Frühförderfachkräften aus den vier Behandlungsstellen der Interventionsgruppe durch. Die Interviewdauer lag durchschnittlich bei 47,8 Minuten (Range 30 - 66 Min.). Die Interviews fanden face-to-face (n = 10) in den Behandlungsstellen oder pandemiebedingt online via Zoom (n = 6) statt und wurden mit entsprechenden Aufnahmegeräten aufgezeichnet. In Anlehnung an das semantisch-inhaltliche Transkriptionssystem nach Dresing und Pehl (2018) wurden die Aufzeichnungen wortwörtlich transkribiert. VHN plus 5 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus Die Themen und Fragen des Interviewleitfadens wurden auf Basis der zugrunde liegenden Fragestellungen abgeleitet und vorstrukturiert. Die Strukturierung erfolgte nach einem von Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014) vorgeschlagenen Ablaufschema vom Allgemeinen zum Spezifischen, ohne dass der Verlauf des Interviewgesprächs zwangsläufig dieser Vorstrukturierung folgen musste. Über eine solche teilstrukturierte Vorgehensweise kann die Steuerung und die Vergleichbarkeit der Einzelinterviews bei grundsätzlicher (Ergebnis-)Offenheit sichergestellt werden (Loosen, 2016). Nach einer inhaltlichen Anpassung aufgrund eines Probedurchlaufes umfasste der endgültige Interviewleitfaden fünf Hauptthemen mit entsprechenden Frageblöcken: Umfeldarbeit in der Frühförderung allgemein, Veränderungen durch die MuTig Intervention bezogen auf die Zusammenarbeit mit Eltern, Kita und Schule, Veränderungen durch die MuTig Intervention bezogen auf die Rolle als Moderator/ in, hilfreiche Faktoren, wahrgenommene Erfolge und Herausforderungen bei der Umsetzung der umfeldzentrierten MuTig Intervention. 2.3 Rekrutierung und Teilnehmer/ innen der Leitfadeninterviews Im Sinne einer besseren Vergleichbarkeit sollte sowohl in Kohorte 1 als auch in Kohorte 2 jede Behandlungsstelle aus der IG mit mindestens einem Interview vertreten sein. Bei dieser Auswahlstrategie des Samplings handelt es sich um eine vorab festgelegte Samplestruktur (Flick, 2021). Aus jeder der teilnehmenden Interventions-Frühförderstellen konnten freiwillige Interviewpartner/ innen rekrutiert werden. In der ersten Interviewphase nahmen insgesamt sieben und in der zweiten Interviewphase neun INT-FF teil, wovon vier bereits in der ersten Interviewphase interviewt wurden. Alle Teilnehmer/ innen gaben vorab ihr schriftliches Einverständnis sowohl für die Audioaufnahme als auch für die anonymisierte Verwendung der erhobenen Interviewdaten. Um die Anonymität zu gewährleisten, wurde jedes Interview einem Fall zugeordnet (F01 - F12). Die Personen, die zwei Interviews gaben, wurden zu einem Fall zusammengefasst. Die soziodemografischen Merkmale können Tabelle 1 entnommen werden. 2.4 Datenauswertung und -analyse Die Auswertung des erhobenen und transkribierten Datenmaterials erfolgte anhand der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz und Rädiker (2022) mithilfe der computergestützten Analysesoftware MAXQDA. Laut Kuckartz und Rädiker (2022) zählt diese methodisch kontrollierte, computergestützte und bewährte Vorgehensweise innerhalb der qualitativen Forschung zu den „innovativsten Feldern sozialwissenschaftlicher Methodenentwicklung“ (S. 196). Zudem verweist Gläser-Zikuda (2015) hinsichtlich dieses Vorgehens auf die Steigerung der Auswertungsqualität durch die systematische Dokumentation des gesamten Analyseprozesses. Merkmal Gesamt (n =12) Geschlecht (weiblich) n (%) 11 (91,6 %) Alter M (SD) Min Max 51,08 (10.229) 35 65 Berufsabschluss Pädagogisch-psychologisch Medizinisch-therapeutisch n (%) n (%) 6 (50 %) 6 (50 %) Berufserfahrung (in Jahren) M (SD) Min Max 15,5 (10.975) 3 31 Beschäftigungszeit (pro Woche) M (SD) Min Max 28,92 (8,597) 15 39 Tab. 1 Soziodemografische Daten des Samplings Anmerkungen: M = Mittelwert; SD = Standardabweichung VHN plus 6 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus Die inhaltlich strukturierende Interviewanalyse wurde von der Erstautorin durchgeführt und umfasste insgesamt fünf Schlüsselphasen im Sinne eines mehrstufigen, aufeinander aufbauenden Verfahrens (siehe Abbildung 1). Nach Sichtung und Vorbereitung des Datenmaterials in MAXQDA erfolgte die Entwicklung eines Kategoriensystems (Codesystem) unabhängig vom erhobenen Datenmaterial. Hierzu wurden deduktiv Hauptkategorien (Codes) aus dem bestehenden Interviewleitfaden generiert, um in einer ersten Codierphase (Basiscodierung) sinntragende Textpassagen aller Interviewtranskripte zu identifizieren und diese entlang der Hauptkategorien zu codieren. In einem zweiten Durchlauf (Feincodierung) wurden induktiv (Sub-)Kategorien aus dem empirischen Material heraus gebildet und führten zur Ausdifferenzierung sowie Ergänzung der Hauptkategorien. Das gesamte codierte Material wurde in einem dritten Durchlauf auf die Zuverlässigkeit der Zuordnungen überprüft. Die Codierprozesse folgten den von Kuckartz und Rädiker (2022) aufgestellten einfachen Codierregeln. Abschließend erfolgte die Kategorienbasierte Auswertung, in der sowohl Häufigkeiten verschiedener Kategorien analysiert, Gemeinsamkeiten und Unterschiede identifiziert als auch inhaltliche Ergebnisse interpretiert wurden. Die Vorgehensweise, qualitative Daten in Zahlen und Häufigkeiten zu transformieren, wird im wissenschaftlichen Kontext als Mixed Method diskutiert (Mayring, 2008) und als Quantitizing bezeichnet (Kuckartz, 2017). Die oben formulierten Fragestellungen waren während des gesamten Prozesses handlungsleitend. 3 Darstellung der Interviewergebnisse Zunächst werden wahrgenommene Veränderungen der INT-FF auf individueller, interaktioneller und kontextueller Ebene beschrieben. Im Anschluss erfolgt eine Darstellung der wahrgenommenen Herausforderungen, Erfolge und Gelingensfaktoren bezogen auf die Umsetzbarkeit der MuTig Intervention. Abschließend werden aus dem Projekt gewonnene Schlussfolgerungen der Befragten in Hinblick auf umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung zusammengefasst. Insgesamt werden für die einzelnen Kategorien jeweils zentrale Themen ausgewählt und mit exemplarischen Ankerzitaten versehen. Die hier berichteten Prozentangaben spiegeln spontane Nennungen der Interviewpartner/ innen wider, die zueinander in Relation gesetzt werden. Entwicklung des Kategoriensytems - deduktive (a priori) Kategorienbildung Datenvorbereitung und -sichtung in MAXQDA Basiscodierung Feincodierung - induktives Codieren Codebasierte Auswertung und Analyse Fragestellungen Abb. 1 Schlüsselphasen der inhaltlich strukturierenden Analyse (eigene Darstellung in Anlehnung an Kuckartz & Rädiker, 2022) VHN plus 7 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus 3.1 Veränderungen auf der individuellen Ebene 3.3.1 Die Rolle als Moderator/ in Alle interviewten Personen bezeichnen die Rolle als Moderator/ in und die damit verbundenen Aufgaben, trotz stellenweise langjähriger Berufserfahrung, als „neu“ (F03, Pos. 23), „völlig anderes Arbeiten“ (F01, Pos. 64), „totales Neuland“ (F11, Pos. 69) oder „ungewohnt“ (F07, Pos. 85). Das Neue bezieht sich hauptsächlich auf die Inhalte und darauf, dass die Frühförderfachkräfte sonst „eigentlich mehr mit den Kindern zu tun (haben)“ (F07, Pos. 85) bzw. „eher kindzentriert (arbeiten)“ (F01, Pos. 204) und sie eigentlich für Umfeldarbeit im „Berufsalltag keinen freien Platz (haben)“ (F09, Pos. 9). Dennoch geben fünf der befragten INT-FF an, dass sie sich von vornherein sicher in dieser neuen Rolle gefühlt haben. Andere berichten eine zunehmende Sicherheit durch die MuTig Hilfestellungen, die positiven Rückmeldungen des Umfeldes und die Übung bzw. Erfahrungen im Projekt: „Ich glaube, das war auch bei mir ein Prozess. Also fühlte mich zunehmend sicherer. (…) Also ich habe durch MuTig ja viel geübt und Erfahrung sammeln können“ (F09, Pos. 89). Vereinzelt wird das eigene Sicherheitsempfinden der Moderator/ innenrolle in Abhängigkeit von den jeweiligen Kooperationspartner/ innen und der Kooperationsbereitschaft des Umfeldes bewertet. Da insbesondere die Zusammenarbeit mit der Schule für alle Befragten neu war, beziehen sich anfängliche Unsicherheiten vermehrt auf diesen Kontext. Die Frühförderfachkräfte erleben und beschreiben ihre Rolle nicht nur als Moderator/ in, sondern als „Supervisor“ (F07, Pos. 63), „Ratgeber“ (F01, Ps. 154) „Teil des Ganzen“ (F08, Pos. 91), „Geländer im Kontakt mit der Schule“ (F03, Pos. 125), „Sprachrohr für die Eltern“ (F10, Pos. 91), „Fürsprecher des Kindes“ (F09, Pos. 77) und „Brücke zwischen Eltern und Schule“ (F10, Pos. 91). Diese Bezeichnungen spiegeln die wahrgenommenen Aufgaben und auch die von den Frühförderfachkräften mehrfach betonte zentrale Bedeutung der Moderator/ innenrolle für das Umfeld wider. Geäußerte Schwierigkeiten mit der Rollenübernahme beziehen sich zum einen auf eine wahrgenommene Doppelrolle, da die Runden Tische einerseits moderiert werden, andererseits aber auch fachlicher Input von der Frühförderfachkraft erwartet wird (F02, Pos. 91; F07, Pos. 125; F11, Pos. 47, 59). Außerdem wird Umfeldarbeit vereinzelt als heilpädagogische Leistung angesehen, sodass therapeutische Leistungen in Form von Einzelförderung wie z. B. Logopädie hintenangestellt werden müssten (F01, Pos. 210; F11, Pos. 69). Hier wird auch die Vereinbarkeit der Leistungen von Therapie und Beratung aus einer Hand u. a. vor dem Hintergrund fehlender Qualifikation hinterfragt. Zum anderen wird sowohl der Ort der Runden Tische in der Schule/ Kita als auch das eigene Rollenverständnis wiederholt als Herausforderung für die Moderation erlebt: „Mit welcher Qualifikation komme ich jetzt als Gast in eine Schule, wo eine Schulleiterin sitzt, wo eine Sonderpädagogin sitzt, wo Eltern sitzen, wo eine Lehrerin sitzt? Ich komme als Gast dazu und sage ‚Ich moderiere jetzt diesen Prozess‘. Das fand ich herausfordernd“ (F02, Pos. 91). 3.1.2 Kompetenzen 66,7 % der Befragten berichten explizit von einem persönlichen Wissenszuwachs, 33,3 % von einer gesteigerten Motivation, Umfeldarbeit künftig leisten zu wollen, und 91,7 % von einem Erwerb oder Ausbau handlungs-/ anwendungsbezogener Fähig- und Fertigkeiten durch die MuTig Intervention. Neben konkreten Aussagen „viel mehr Know-how“ (F04, Pos. 246) zu haben oder „all diese ganzen VHN plus 8 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus Skills (…) ganz gut anwenden“ (F07, Pos. 53) zu können, wird Kompetenzerwerb auch auf einer reflexiven Ebene beschrieben. Bei einigen Interviewten hat MuTig zum „Umdenken“ (F11, Pos. 68) geführt. Der (inhaltliche) Fokus und der Blick auf das Kind hat sich verändert, die einzelne Einschätzung zum Kind aus der Einzeltherapie sowie eine zu hohe Zielsetzung wird kritisch hinterfragt und „es fangen alle an, nochmal anders über diese Elternberatung nachzudenken“ (F05, Pos. 47). Außerdem geben die Frühförderfachkräfte mehrfach an, sich bereits vorhandener Kompetenzen wieder stärker bewusst zu werden: „Es hat mich auch zu meinen Ressourcen noch mal wieder mehr geführt, dass ich gedacht habe: ‚Ach, du hast eigentlich viel, was du anbieten kannst.‘ Weil das hier im Alltag auch manchmal untergeht“ (F06, Pos. 50). 3.1.3 Selbstwirksamkeit(-serwartung) Die aus den Interviews hervorgegangenen Quellen für positives Selbstwirksamkeitserleben in der Zusammenarbeit mit Eltern, Kita und Schule sind konkret sichtbare oder vom Umfeld berichtete Erfolge. Als beobachtbare Erfolgserlebnisse benennen die Befragten u. a. erreichte Ziele, Veränderungen im eigenen Verhalten, in dem des Kindes und des Umfeldes, Zuwachs an Wissen und Können sowie gewonnene Selbstsicherheit: „Zu Projektbeginn weiß ich, dass ich ziemlich überfordert war oder ich mich so gefühlt habe. Weil ich so gut wie keine Übung hatte in der Moderation solcher Runder Tische. Aber ich merke, dass ich mir das so im Laufe des Projekts mir immer mehr zu eigen gemacht habe und bei den letzten Runden Tischen ganz locker und cool an die Sache rangegangen bin“ (F11, Pos. 59). Die vom Umfeld berichteten Erfolge beinhalten neue Sichtweisen und ein neues Verständnis durch Aha- Erlebnisse, Zielerreichung, Übertragung und Umsetzung der Intervention im (Berufs-)Alltag, Sicherheits- und Selbstwirksamkeitserleben, Minimierung der Überforderung und Zufriedenheit: „Und viele Erzieherinnen haben auch gesagt: ‚Das wäre schön, wenn das so weiter sein könnte, das hat mir sehr geholfen auch im Umgang mit dem Kind. Das war schön, dass Sie da waren.‘ Und das hat mich natürlich gefreut, dass meine Arbeit auch etwas wert war“ (F01, Pos. 290). 3.1.4 Haltung und Einstellung Für alle befragten INT-FF nimmt der Austausch mit Eltern, Kita und Schule beim Übergang eine wichtige Rolle ein. Die MuTig Intervention habe dazu beigetragen, dass sich bei den Interviewten der Fokus und die Sichtweise auf das Umfeld verändert haben. Die INT-FF haben im Zuge der Intervention bemerkt, wie wichtig eine gemeinsame Übergangsgestaltung für die Fortführung bereits geleisteter Arbeit ist, da der Förderbedarf nicht mit dem „1. 8. abgelegt (wird)“ (F03, Pos. 181) und es „nicht selbstverständlich ist, dass die Grundschulpädagogik dasselbe Methodenwissen aus diesem Fachbereich (mitbringt)“ (F02, Pos. 71). Bisher sei das gesamte Wissen der Frühförderung zum Schuleintritt verloren gegangen und man wüsste nicht, wie es den Kindern in der neuen Einrichtung ergeht. Die Haltung gegenüber den Eltern hat sich insofern verändert, dass viele der Frühförderfachkräfte das erhöhte Sicherheits- und Unterstützungsbedürfnis zu Schulbeginn nicht nur wahrnehmen, sondern sich durch ihre neue Rolle und die MuTig Vorgaben auch in der Lage fühlen, entsprechende Hilfeleistung zu geben. Gleichzeitig verändert sich die Haltung auch in Bezug auf eine geteilte Verantwortung: „Ich lasse es einfach nicht mehr zu, dass die Eltern mir einfach die Kinder geben und sagen: ‚Mach das Kind jetzt so, dass das in die Schule gehen kann‘. Sondern ich sag: ‚Das kann ich nicht, das müssen wir zusammen machen‘“ (F07, Pos. 145). VHN plus 9 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus Weitere Frühförderfachkräfte erkennen zunehmend einen Wert von Umfeldarbeit für das Kind an: „(B)ei den Kindern hat sich sehr viel verändert, weil wir im Umfeld gearbeitet haben. Es muss nicht immer direkt am Kind passieren. Und bei manchen Sachen habe ich das Gefühl, so hat es auch viel schneller funktioniert“ (F01, Pos. 290). Kritische Einstellungen beziehen sich auf die Umsetzungsmöglichkeiten bei fehlender Mitwirkung seitens des Umfeldes, große Organisationsleistungen und die Vereinbarkeit von Umfeldarbeit mit der praktischen Arbeit nach Projektende (F05, Pos. 43; F07, Pos. 35; F11, Pos. 68). 3.2 Veränderungen auf der interaktionellen Ebene Neun Frühförderfachkräfte nehmen eine intensivere/ engere Beziehung zu den Eltern durch die MuTig Intervention wahr. Eine Beziehungsintensivierung in Bezug auf die pädagogischen Fachkräfte der Kita berichten fünf und in Bezug auf die Lehrkräfte eine befragte Person. Die Beziehung zu Lehrer/ innen wird im gesamten Datensatz kaum bis gar nicht thematisiert. Eine Person fragt sich, ob bei den Lehrkräften durch die Gespräche an den Runden Tischen überhaupt schon von einer Beziehung die Rede sein könne (F07, Pos. 92). Einige ergänzen, dass die Beziehungsgestaltung unterschiedlich und abhängig von den jeweiligen Personen aus dem Umfeld sei. Insbesondere bei der Zusammenarbeit mit Eltern und Kita erleben viele Frühförderfachkräfte eine hohe Kooperationsbereitschaft, eine größere Offenheit, ein innigeres/ intimeres Arbeiten, ein größeres Vertrauensverhältnis und eine harmonische, ebenbürtige Arbeitsatmosphäre (F01, Pos. 38, 238; F03, Pos. 125; F04, Pos. 15; F07, F09, Pos. 41; Pos. 89; F11, Pos. 29; F12, Pos. 31): „Es ist einfach ein sehr viel intimeres Arbeiten. Also, weil man einfach auch ein größeres Vertrauensverhältnis hat. (…) Und insofern hat sich die Beziehung zu denen (Eltern) intensiviert und das Vertrauen. Und man lernt die einfach viel besser kennen. (…) Und kann damit auch mehr bewirken“ (F04, Pos. 49, 15). Lediglich eine Fachkraft gibt an, dass sie bei einer Familie eher eine Verschlechterung der Beziehung wahrgenommen hat, da die Mutter psychisch erkrankt und daher die MuTig Intervention „zu viel“ gewesen sei (F08, Pos. 38). 3.3 Veränderungen auf der kontextuellen Ebene 3.3.1 Strukturell und organisatorisch Diese Kategorie wird mit 161 Nennungen repräsentiert und ist somit die mit Abstand größte Subkategorie im Datensatz. Die genannten strukturellen und organisatorischen Veränderungen beziehen sich dabei sowohl auf den Kontext Zusammenarbeit mit dem Umfeld (122 Nennungen) als auch auf den Kontext Frühförderung intern (39 Nennungen). Die größten strukturell-organisatorischen Veränderungen im Zusammenhang mit der Umfeldarbeit umfassen die Erhöhung der Verbindlichkeit, des Organisationsaufwandes, der Zeitkontingente und der Kontakthäufigkeit durch die MuTig Intervention. Als Moderator/ innen fühlen sich die INT-FF für die Koordination der Zusammenarbeit mit dem Umfeld verantwortlich und übernehmen diese Aufgabe. Der Rahmen des Austausches (Zeit und Ort) variiert je nach Wohn- und Arbeitsort sowie Verfügbarkeit der Kooperationspartner/ innen. Der Großteil gibt eine Dauer von einer dreiviertel Stunde bis zwei Stunden für die Runden Tische an. Im Zuge von Corona berichten einige der INT-FF von vermehrtem E-Mail- Austausch und auch von erstmaligen webbasierten oder Telefonberatungen: „Ich habe zum ersten Mal Telefonberatung gemacht. (…) VHN plus 10 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus Ich habe das für völlig unmöglich vorher gehalten und das ist auch anders, komplett anders. Aber, es ist ein gutes Vehikel, was ich jetzt auch überlegt habe, in meine Arbeit zu integrieren, wenn halt Elterngespräche hier vor Ort schwierig sind. Weil es immer leichter ist, einen Telefontermin zu vereinbaren“ (F06, Pos. 40). Veränderungen innerhalb der Frühförderung nehmen die befragten INT-FF v. a. in drei Bereichen wahr: Struktur des Alltags, Teamaustausch und Legitimation für Umfeldarbeit. Vier Frühförderfachkräfte bemerken die deutliche Verschiebung der Arbeitsschwerpunkte vom Kind auf Erwachsene. Dabei ist die Einzelförderung „stark in den Hintergrund gerutscht“ (F01, Pos. 38) und Kindtermine müssen für die Umfeldarbeit abgesagt werden. Vereinzelt wird dies als Belastung empfunden und führt zu einem „schlechten Gewissen“ gegenüber anderen Kindern und Familien (F07, Pos. 33; F08, Pos. 36), während andere dies aufgrund der Vorteile positiv bewerten (F01, Pos. 282; F03, Pos. 111). Von einem regelmäßigen internen Teamaustausch über MuTig berichten fünf INT-FF: „Also, ich glaube, alleine dieser Austausch im Team gibt Sicherheit. (…) Also die Teamzusammenarbeit ist da sehr entscheidend und positiv gewesen. Und da war ich sehr froh, dass wir die Möglichkeit hatten und die Zeit uns nehmen durften“ (F09, Pos. 61). Offiziell die Erlaubnis zu haben, finanziert Umfeldarbeit bis in das erste Schuljahr hinein leisten zu dürfen, wird von den Frühförderfachkräften besonders wertgeschätzt (F01, Pos. 220; F02, Pos. 11; F04, Pos. 97, 149). 3.3.2 Inhaltlich Entsprechend der MuTig Intervention beziehen sich die inhaltlichen Veränderungen in der Zusammenarbeit mit Eltern, Kita und Schule auf die durchgeführten Modulinhalte. Für einige Frühförderfachkräfte kommen die neuen Inhalte den Bedürfnissen und Bedarfen von Eltern und Fachkräften entgegen (F01, Pos. 260; F02, Pos. 97; F09, Pos. 49). Überwiegend regen die Inhalte einen guten Austausch an, sodass Eltern und Fachkräfte eigene Ideen miteinbringen und die dadurch entstehende Dynamik „praktisch“ (F03, Pos. 207) und „gewinnbringend“ (F12, Pos. 25) ist. Als inhaltlich hilfreich werden vielfach die SMARTe-Zielformulierung, die Bedingungsanalyse, die Intervention zum Umgang mit Gefühlen und das Grid-Modell benannt (F01, Pos. 284; F03, Pos. 15; F05, Pos. 66; F07, Pos. 65; F08, Pos. 89; F10, Pos. 63; F11, Pos. 39). Dass die Inhalte auf allen Ebenen der Zusammenarbeit gleich sind, erleichtert den Austausch an den Runden Tischen im Sinne von „an einem Strang (ziehen)“ (F09, Pos. 55) und einer „gemeinsamen Sprache“ (F07, Pos. 55). Vereinzelt wird die Zielformulierung als mühsam beschrieben, weil „das Zielverhalten soll ja auch attraktiv für das Kind sein und nicht nur für die Erzieher/ innen“ (F07, Pos. 65). Die inhaltliche Zusammenarbeit im MuTig- Format hat laut Berichten sowohl seitens der INT-FF als auch seitens des Umfeldes vermehrt zu einem Perspektivwechsel und positiven Blick auf das Kind geführt (F01, Pos. 288; F02, Pos. 97; F03, Pos. 145; F06, Pos. 48; F07, Pos. 61). 3.4 Umsetzbarkeit - Herausforderungen und Erfolge der Intervention 3.4.1 Umfeldbedingte Herausforderungen Die von den Frühförderfachkräften wahrgenommenen Herausforderungen in Zusammenarbeit mit dem Umfeld werden entsprechend des Kategoriensystems in Abbildung 2 veranschaulicht. Die Kategorien auf der Y-Achse beziehen sich dabei immer auf die jeweiligen Akteur/ innen oder Institutionen (z. B. Einstellung der Eltern, Fehlendes Fachwissen der Kitakräfte, Informationsmangel bezogen auf das MuTig Projekt seitens der Lehrkräfte). VHN plus 11 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus Die Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit den pädagogischen Fachkräften aus der Kita sind mit 18 Nennungen im Vergleich zu Schule (n = 55) und Eltern (n = 54) verhältnismäßig wenig im Datenmaterial repräsentiert. Eine der größten Herausforderungen für die befragten INT-FF, die auf allen Ebenen des Umfeldes benannt wird, ist die Einstellung der Fachkräfte und Eltern (siehe Abb. 4). Die Frühförderfachkräfte nehmen die Eltern stellenweise als desinteressiert, unmotiviert und verschlossen wahr: „(V)iele hatten da so eine Sperre, dass die das einfach nicht wollten. ‚Jaja, nene‘ und ‚das reicht jetzt schon so‘ und ‚ich habe dafür auch keine Zeit jeden Tag irgendwie‘“ (F04, Pos. 203). Bezogen auf die Einstellung der Kitafachkräfte werden v. a. eine negative Einstellung gegenüber den Familien und eine fehlende Kooperationsbereitschaft als herausfordernd erlebt. Beides scheint in hohem Maße abhängig von den jeweiligen Kooperationspartner/ innen zu sein: „Mit der Kita, obwohl es eine Kooperations-Kita ist, ist es extrem schwierig. Da ist ein Gruppenleiter, (…) der überhaupt kein Interesse an den Kindern hat. Der immer nur sagt: ‚Das haben wir nicht gelernt. Das können wir nicht. Das ist viel zu schwierig für uns. Wir kriegen ja keine Fortbildung, keine Unterstützung.‘ Da habe ich gesagt: ‚Ja, wenn Sie jetzt mit uns arbeiten, können Sie was an Fortbildung kriegen.‘ ‚Ja, das nützt ja alles nichts.‘ Und so weiter. Also das war einfach sehr schwierig“ (F05, Pos. 82). Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit Eltern Bedarfe/ Bedürfnisse/ Belastungen Einstellung Bildungshintergrund Zeit/ Terminkoordination Migrationshintergrund/ Sprachbarriere Kompetenzen Sozioökonomischer Status Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit Kita Einstellung Ressourcenmangel Zeit/ Terminkoordination Vorbehalte Fehlendes Fachwissen Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit Schule Arbeitsbelastung Einstellung Informationsmangel Strukturen der Schule Zeit/ Terminkoordination Erwartungen/ Anspruch 0 % 7 % 14 % 21 % 28 % 35 % 42 % 49 % 56 % 63 % 70 % 0 % 5 % 10 % 15 % 20 % 25 % 30 % 35 % 40 % 45 % 66,7 % 58,3 % 41,7 % 41,7 % 33,3 % 16,7 % 8,3 % 44,4 % 33,3 % 33,3 % 22,2 % 11,1 % 0 % 7 % 14 % 21 % 28 % 35 % 42 % 49 % 56 % 63 % 70 % 63,6 % 54,5 % 45,5 % 36,4 % 36,4 % 18,2 % Abb. 2 Wahrgenommene Herausforderungen in der Umfeldarbeit VHN plus 12 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus Auch bei der Zusammenarbeit mit der Schule werden insbesondere anfängliches Desinteresse und mangelnde Kooperationsbereitschaft, aber auch die Einstellung bzgl. der Gestaltung des Runden Tisches als Herausforderungen benannt. Letzteres umfasst die Vorgabe verschiedener Lehrpersonen, die Runden Tische erst einige Wochen nach Schulbeginn stattfinden zu lassen, um die Kinder vorher unvoreingenommen kennenlernen zu können (F01, Pos. 42; F02, Pos. 77; F12, Pos. 57). Die Lehrkräfte werden von den befragten Frühförderfachkräften als „sehr belastet“ (F03, Pos. 175; F12, Pos. 19), „am Limit“ (F02, Pos. 85), „tierisch unter Zeitdruck“ (F04, Pos. 141) und „total überfordert“ (F07, Pos. 115) wahrgenommen. Obwohl die Frühförderfachkräfte diese Arbeitsbelastung und den damit einhergehenden Zeitmangel seitens der Lehrer/ innen als Herausforderungen für die Zusammenarbeit ansehen, äußern viele Verständnis und Mitgefühl: „Und dass diese Lehrerin total überfordert ist, ist nicht verwunderlich. Und das hat mich auch sehr betroffen (gemacht), das auch mal so zu hören von einer Lehrerin. (…) Und sie sagte dann: ‚Ich weiß gar nicht, ob ich denen allen wirklich Lesen und Schreiben und Rechnen beibringen kann, weil es einfach zu viele sind.‘ Und da war eine große Ohnmacht (…) und das hat mir sehr leidgetan“ (F07, Pos. 115). Um die zeitlichen Ressourcen zu schonen, haben einige der Lehrkräfte den Runden Tisch gleichzeitig als Elternsprechtag genutzt (F01, Pos. 234; F07, Pos. 137; F08, Pos. 81). Viele der befragten Frühförderfachkräfte beschreiben die familiären Bedarfe/ Bedürfnisse sowie Belastungen als Herausforderungen für die Zusammenarbeit. Mehrfach wird v. a. auf hohe psychosoziale Belastungsfaktoren oder herausfordernde Lebensumstände der Familien hingewiesen (z. B. alleinerziehende Elternteile, psychische Erkrankungen, häusliche Gewalt), sodass andere Themen vordergründig sind und die MuTig Umfeldarbeit bei diesen Familien nicht in dem Maße leistbar ist (F01, Pos. 206, F04, Pos. 191; F06, Pos. 24; F08, Pos. 40; F09, Pos. 39; F10, Pos. 51, F11, Pos. 11). 3.4.2 Persönliche Herausforderungen Mit 92 Nennungen sind die persönlichen Herausforderungen im gesamten Datensatz die zweitgrößte Subkategorie. Für 91,7 % der befragten INT-FF stellen die eigenen Zeitressourcen und das hohe Arbeitspensum die größte Herausforderung für die MuTig Umfeldarbeit dar. Neben der erhöhten Kontaktzeit mit dem Umfeld (plus Fahrtzeit), werden v. a. die Terminkoordination für die Runden Tische und organisatorische Aspekte (z. B. Räumlichkeiten organisieren, Therapien absagen, mehrfache E-Mails/ Telefonate bei schwieriger Erreichbarkeit) als „sehr aufwendig“ (F09, Pos. 13), „nervenaufreibend“ (F11, Pos. 63) und „stressig“ (F04, Pos. 240) beschrieben. Um sich flexibel an die vom Umfeld vorgegebenen Zeitressourcen anzupassen, muss der Alltag immer wieder neu strukturiert werden, wodurch vermehrt Überstunden erfolgen oder die Arbeit in die Freizeit verlagert wird (F03, Pos. 195; F08, Pos. 18; F11, Pos. 11). Vier Frühförderfachkräfte verbinden die zeitlichen Herausforderungen mit den zu erfüllenden Fallzahlen in der Frühförderung: „Also Eltern brauchen mehr Hilfe. Und wenn ich die oder wir die geben sollen, brauchen wir mehr Zeit. (…) Wenn ich anstelle, was weiß ich, von 22 Kindern nur 17 hätte (…). Also, dann wäre das ja wunderbar“ (F03, Pos. 240). Die Frühförderfachkräfte berichten zusätzlich von pandemiebedingten Herausforderungen (z. B. Lockdown, andere Bedarfe, Terminausfälle, fehlendes technisches Equipment in der Einrichtung usw.), wodurch sie „mittendrin steckengeblieben“ (F03, Pos. 84) sind und den Übergang nicht zufriedenstellend begleiten konnten. Ebenfalls die Hälfte der INT-FF empfinden fehlende Erfahrungen und Kompetenzen im Umgang mit dem Umfeld als herausfordernd und merken den Bedarf von mehr Fort- und Ausbildungen in Gesprächsführung, Elternberatung und Moderation an. VHN plus 13 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus 3.4.3 Erfolg und Gelingensfaktoren Wie die befragten INT-FF die MuTig Intervention hinsichtlich ihres Mehrwerts bewerten und welche Faktoren sie dabei als hilfreich erlebt haben, wird in Abbildung 3 grafisch dargestellt. Den Erfolg der durchgeführten MuTig Intervention beurteilen die INT-FF größtenteils anhand der Indikatoren Zufriedenheit des Umfeldes und Alltagstauglichkeit bzw. Nachhaltigkeit. Die Zufriedenheit des Umfeldes wird sichtbar durch die erhaltenen Rückmeldungen. Laut den Frühförderfachkräften äußern die Eltern und pädagogischen Fachkräfte aus Kita und Schule mehrfach große Dankbarkeit und große Begeisterung. Einige Fachkräfte aus Kita und Schule teilen zudem den Wunsch mit, zukünftig allen Kindern diese Intervention ermöglichen zu wollen, damit z. B. „die Schulen nicht so unvorbereitet auf die Kinder stoßen“ (F03, Pos. 56, 173; F11, Pos. 35; F12, Pos. 71): „Eine Rückmeldung von einer Lehrerin hatte ich, die war sehr angetan. Sie sagte: ‚Ich war noch nie auf ein Kind so gut vorbereitet, wäre das mal bei jedem Kind so‘“ (F01, Pos. 246). Eine weitere Frühförderin berichtet von der Rückmeldung einer Mutter, dass die Frühförderin die Beste sei und die Familie wirklich gerettet habe (F07, Pos. 165). Damit einhergehend äußern die Befragten, dass v. a. die Moderation durch die Frühförderung zur Entlastung und Sicherheit seitens des Umfeldes beigetragen hat: „Manche Eltern haben gesagt: ‚Ich fand das sehr schön, dass Sie mit zur Schule gegangen sind, das hätte ich mich allein nie getraut, mit der Lehrerin am Anfang zu sprechen‘“ (F01, Pos. 244). Außerdem habe u. a. die Moderation Eltern Ängste und Hemmungen genommen und auch Türen für einen offenen Austausch geöffnet (F04, Pos. 207; F07, Pos.111; F08, Pos. 83 F10, Pos. 84). 91,7 % der befragten INT-FF bewerten die MuTig Intervention bzw. verschiedene Aspekte dessen als nachhaltig und alltagstauglich. Beides wird sichtbar durch Aussagen der Frühförderfachkräfte, die Intervention bereits in anderen Kindergärten oder im ganzen Team Wahrgenommener Nutzen und Erfolg Zufriedenheit Umfeld Alltagstauglichkeit/ Nachhaltigkeit Offener Austausch Zielerreichung und Fortschritte Erfolgreicher Übergang Haltung Umfeld Sicherheit und Entlastung Umfeld Selbstwirksamkeit Umfeld Verständnis füreinander/ Sensibilisierung Hilfreiche/ unterstützende Faktoren MuTig Material Erfahrungen/ Systemische Ausbildung Kompetenzen Interesse/ Partizipation des Umfelds MuTig Fortbildungen/ Supervision Austausch 91,7 % 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % 91,7 % 75,0 % 66,7 % 66,7 % 58,3 % 58,3 % 50,0 % 41,7 % 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % 100,0 % 83,3 % 75,0 % 66,7 % 66,7 % 33,3 % Abb. 3 Wahrgenommener Erfolg der MuTig Intervention und hilfreiche Faktoren VHN plus 14 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus zu „multiplizieren“ (F03, Pos. 88), die Intervention bereits bei nicht-MuTig Eltern anzuwenden, Vereinbarungen zur Weiterführung dieser Zusammenarbeit getroffen zu haben und die Materialien weiterzuverbreiten (F03, Pos. 61; F04, Pos. 147; F05, Pos. 11; F09, Pos. 55). Auch die Übertragung der Intervention auf den Alltag seitens der Eltern und pädagogischen Fachkräfte wirkt sich auf die positive Beurteilung der Nachhaltigkeit aus. Insbesondere über die smarten Zielformulierungen im Projekt werden für alle Beteiligten Erfolgserlebnisse und Fortschritte gut erkennbar. Dies führt zu einem positiven Selbstwirksamkeitserleben: „In diesem Fall hatte ich was (die Zielformulierungen) in der Hand, was konkret war. Und das hatte ich vorher also so nicht. Also (…), dass wir es tatsächlich geschafft haben, gemeinsam mit den Eltern an einem Verhalten zu arbeiten. Dass ich am Tisch sitzen bleiben kann und nicht aufspringen muss, sobald irgendwas passiert. Und da haben beide Lehrer auch gesagt: ‚Boah, das ist eines der wenigen Kinder, das das wirklich kann.‘ Wo die Eltern dann auch stolz da saßen“ (F07, Pos. 73). Viele der Frühförderfachkräfte berichten von einem gelungenen Übergang. Dabei beziehen sich die Befragten einerseits darauf, dass die Kinder gut in der Schule angekommen sind, andererseits darauf, dass Eltern und Lehrkräfte gut vorbereitet waren (F03, Pos. 226; F04, Pos. 149; F07, Pos. 103; F09, Pos. 93; F10, Pos. 45; F12, Pos. 95). Alle befragten INT-FF nehmen das MuTig Material für die Umfeldarbeit als hilfreich wahr. Verschiedene Materialien zu den inhaltlichen Modulen werden konkret benannt (z. B. Gefühlswetterbericht, Grid-Modelle, Protokoll usw.). Durch das Material haben die INT-FF „handfeste Ideen“ (F03, Pos. 63), eine vorgegebene Struktur sowie eine gute Gesprächsgrundlage, kurzweilige Erklärvideos, die v. a. den Zeitkapazitäten der pädagogischen Fachkräfte entgegenkommen, und Bilder, die auch für „kognitiv einfache Eltern“ (F01, Pos. 170) gut zu verstehen sind. Sowohl vorherige oder durch MuTig gemachte Erfahrungen als auch eine systemische Ausbildung werden v. a. für die Moderation der Runden Tische als hilfreich erlebt (F01, Pos. 268; F03, Pos. 23; F04, Pos. 177; F07, Pos .53; F12, Pos. 63). Die Frühförderfachkräfte geben außerdem an, von neu erworbenen oder bereits vorhandenen Kompetenzen in der Zusammenarbeit mit dem Umfeld profitiert zu haben, indem z. B. mehr Informationen weitergegeben und fachliche Hintergründe besser bzw. souveräner erklärt werden können. Desgleichen werden die kompetenzorientierten Professionalisierungsmaßnahmen in Form von MuTig Fortbildungen und Supervisionen als hilfreich benannt. Interesse und Mitwirkungsbereitschaft des Umfeldes verhilft den Frühförderfachkräften zu einem guten Gefühl und erleichtert die Umfeldarbeit. Viele finden einen Austausch im Team oder mit Fachkolleg/ innen sehr hilfreich, insbesondere bei Fragen oder Schwierigkeiten in der Umsetzung der Intervention. 3.5 Schlussfolgerungen für die Umfeldarbeit allgemein Die größte Hürde, unabhängig von MuTig Umfeldarbeit leisten zu können, sehen 83,3 % der Befragten in der derzeitigen Kostenträger- und Finanzierungsstruktur (siehe Abbildung 4). Hier wünschen sich die Befragten, dass der Stellenwert von Umfeldarbeit stärker anerkannt wird, dass die Frühförderfachkräfte je nach Bedarf flexibel mehr mit dem Umfeld als mit dem Kind arbeiten dürfen und diese Arbeit finanziert wird. Eine Person hinterfragt die Sinnhaftigkeit der Fokussierung auf Kindleistungen vor dem Hintergrund einer Kosten-Nutzen-Relation und der Nachhaltigkeit: „Ich glaube, dass der Kostenträger sich eine Menge Geld sparen VHN plus 15 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus würde, wenn er das Abteil der Eltern-Förderung erweitern würde. (…) Ist das sinnvoll, einem Kind drei oder vier Fördereinheiten in der Woche zu bezahlen und nur vier Fördereinheiten im ganzen Jahr für die Eltern zur Verfügung zu stellen? Also das ist, Entschuldigung, das trifft es einfach nicht. (…) Weil das, finde ich, ist ein Konzept, das nicht nachhaltig ist und eigentlich keinem richtig gerecht wird“ (F07, Pos. 149). Die zweitgrößte Hürde für Umfeldarbeit sehen die Frühförderfachkräfte in dem Zeit- und Organisationsaufwand, der aber auch wiederholt mit der Kostenträgerstruktur (Fallzahlorientierung, Beantragung der Umfeldarbeit) in Verbindung gebracht wird (F02, Pos. 23; F04, Pos. 252; F6, Pos. 98; F07, Pos. 15; F10, Pos. 37). Zusätzlich werden einrichtungsbezogene Faktoren als hinderlich für Umfeldarbeit beschrieben. Darunter fallen hauptsächlich die Haltung der Leitung, dass Umfeldarbeit nicht erwünscht ist oder nicht viel Zeit darauf verwendet werden soll (F04, Pos. 47; F05, Pos. 23; F06, Pos. 34), und mangelnde Voraussetzungen in den Einrichtungen (technische Ausstattung, adäquate Internetzugänge, Räumlichkeiten für Gespräche, Personal) (F07, Pos. 27; F08, Pos. 18; F11, Pos. 15). Umfeldbedingungen, wie psychosoziale Risikofaktoren oder eine mangelnde Kooperationsbereitschaft (siehe Kap. 3.4.1), werden mehrfach als grundsätzlich hinderlich für Umfeldarbeit in der Frühförderung benannt. 4 Diskussion der Ergebnisse Im Sinne der ersten Fragestellung hat die MuTig Intervention, nach Einschätzung der INT-FF, zu persönlichen, beziehungs- und kontextbezogenen Veränderungen geführt. Die Ausprägung der wahrgenommenen Veränderungen unterschied sich dabei zwischen den genannten Ebenen. Während es insgesamt 203 Nennungen zu individuellen und 234 Nennungen zu kontextuellen Veränderungen gab, waren die interaktionellen Veränderungen mit nur 52 Nennungen im Vergleich unterrepräsentiert. Auch wenn absolute Häufigkeiten nicht zwangsläufig allein durch die Wichtigkeit bestimmt sind (Rädiker & Kuckartz, 2019), so bestätigen die inhaltlichen Ausführungen die vermuteten Relevanzunterschiede. Insbesondere strukturellorganisatorische Veränderungsprozesse schienen im Alltag der Frühförderfachkräfte omnipräsent und fielen an vielen Stellen immer wieder bewusst auf. Fehlende Zeitressourcen Hinderliche Faktoren für Umfeldarbeit 90 % 81 % 72 % 63 % 54 % 45 % 36 % 27 % 18 % 9 % 0 % Kostenträgerstruktur/ Zeit/ Aufwand Einrichtungsbezogen Umfeldbedingt Finanzierung 83,3 % 75,0 % 66,7 % 25,0 % Abb. 4 Hinderliche Faktoren für umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung VHN plus 16 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus wurden hierbei als besonders große Herausforderung erlebt. Passend hierzu weisen Niesel und Griebel (2015) bei der Beschreibung kontextueller Veränderungen darauf hin, dass reibungslose, stressfreie und routinierte Abläufe nicht unmittelbar zu erwarten sind. Die von den Frühförderfachkräften als neue Arbeitsweise bezeichnete Umfeldarbeit spiegelt außerdem den vermuteten niedrigeren Stellenwert im Gegensatz zur Kindzentrierung im praktischen Arbeitsalltag der Frühförderfachkräfte wider. Andererseits führte die von MuTig vorgegebene Struktur der Umfeldarbeit bei den Frühförderfachkräften zu mehr Sicherheit, einer höheren Verbindlichkeit und damit zu guten Ausgangsbedingungen. Veränderungen auf der Beziehungsebene wurden insgesamt wenig thematisiert. Möglicherweise ist dies auf die Aussagen der INT-FF zurückzuführen, dass zu den Familien in der Regel bereits eine enge Verbindung und gute Beziehung bestehen, wie auch von der Literatur bestätigt (z. B. Wörster, 2021; Ziemen & Hanisch, 2021). Auch zu den pädagogischen Fachkräften der Kita scheinen vermehrt schon Verbindungen zu bestehen, und eine Zusammenarbeit wird zumindest häufiger realisiert und praktiziert als mit der Schule. Dennoch war die intensive Zusammenarbeit, wie sie in der MuTig Intervention vorgesehen ist, auch mit den Eltern und den Kitafachkräften bisher kaum vorhanden. Dies wurde u. a. an geäußerten Unsicherheiten sowie Fort- und Weiterbildungsbedarfen im Bereich Beratung und Gesprächsführung deutlich. Auf der persönlichen Ebene hat sich entsprechend der MuTig Intervention die Rolle der Frühförderfachkräfte verändert. Um die bereits gute Beziehung zwischen Frühförderung und Familien zu nutzen und einen „‚Overkill‘ an professionellen Kontakten sowie Koordinationsprobleme zu vermeiden“ (Pretis, 2020, S. 53), wurde den INT-FF, im Sinne einer Schlüsselperson, die Moderator/ innenrolle zugewiesen. Das aktuelle Frühförderprojekt „Schulstarthelfer“ (Hanke & Minkenberg, 2019) in Bayern fokussiert ebenfalls die Zusammenarbeit mit Frühförderung, Kita und Schule beim Übergang, installiert allerdings eine neue externe Person für die Begleitung und greift damit nicht auf die vielfältig vorhandenen Ressourcen der Frühförderfachkräfte zurück. Durch die Übernahme der Moderator/ innenrolle schienen die Frühförderfachkräfte zunehmend selbstsicherer zu werden und sich vermehrt als geeignete Übergangsbegleitung anzusehen. Um die INT-FF für diese Rolle zu qualifizieren, setzte MuTig an kompetenzorientierten Professionalisierungsmaßnahmen an. Der Großteil der Frühförderfachkräfte berichtete explizit von einem Zuwachs an Wissen und Können durch die MuTig Intervention. Trotz erfolgreicher Professionalisierung scheint die Motivation, Umfeldarbeit künftig leisten zu wollen, stark von der Haltung beeinflusst, inwiefern der Alltag (ohne MuTig) in Richtung finanzierter Umfeldarbeit veränderbar scheint. Übereinstimmend damit geben auch Hamacher und Seitz (2020) zu bedenken, dass sich eine inklusionsbezogene Professionalisierung für Kooperationsprozesse nicht allein auf Kompetenzerwerb und individuelle Haltungen reduzieren lässt, sondern immer im Zusammenhang mit Organisationsstrukturen und Arbeitsaufträgen gesehen werden muss. Bezogen auf die zweite Fragestellung nahmen die befragten INT-FF viele positive Effekte durch die MuTig Intervention wahr. Für die meisten Frühförderfachkräfte war die Intervention mit den als besonders hilfreich erlebten MuTig Materialien gut umsetzbar. Einige verwiesen auf die Notwendigkeit individueller Anpassungen der Intervention für eine bedarfsorientierte Anwendung. Deutlich wird auch die vielfach geäußerte Personengebundenheit, die sich auf die Gestaltung der Zusammenarbeit maßgeblich ausgewirkt hat. Die Arbeit mit den jeweiligen Gruppierungen wurde also nicht per se als schlecht oder gut, sondern in Abhängig- VHN plus 17 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus keit von den individuellen Kooperationspartner/ innen bewertet. Besonders bei den Lehrkräften wurden anfänglich einige als skeptisch und desinteressiert erlebt. Möglicherweise ist dies aber auch auf die ebenfalls berichtete hohe Belastung und Überforderung der Lehrkräfte zurückzuführen. Die Schulforschung verweist in Übereinstimmung damit auf einen Mangel an inklusiver Ausbildung bzw. fehlende methodisch-didaktische Kompetenzen von Lehrkräften (Maykus et al., 2016), die mit der geäußerten Überforderung zusammenhängen könnten. Dennoch zeigten viele Lehrkräfte im Anschluss an die Runden Tischen große Dankbarkeit für die Unterstützung und Hilfestellungen und äußerten Begeisterung. Den größten Mehrwert der MuTig Intervention sahen die INT-FF sowohl in der Zufriedenheit des Umfeldes (Eltern, Kita, Schule) als auch in der Nachhaltigkeit. Insbesondere sichtbare oder rückgemeldete Erfolge führten zu einer positiven Bewertung der Intervention. Wahrgenommene Kooperationsbereitschaft und Wertschätzung seitens des Umfeldes steigerten zudem die eigene Motivation, mit dem Umfeld zu arbeiten, und das Sicherheitsgefühl in der Interaktion. Dies entspricht der Theorie zur Selbstwirksamkeitserwartung (Bandura, 1997), in der positive (Erfolgs-)Erfahrungen die Entstehung von Selbstwirksamkeitserwartungen begünstigen und darüber die Bereitschaft zur Veränderung und Bewältigung neuer Anforderungen steigern (Bandura, 1997; Urton, 2017). Einige der INT-FF äußerten das Gefühl, über Umfeldarbeit schneller etwas und mehr erreicht zu haben. Peterander und Weiß (2017) verweisen diesbezüglich auf anerkannte Kosten-Nutzen-Berechnungen (z. B. Heckman & Masterov, 2007), die den ökonomischen Wert einer familienorientierten und interdisziplinären Frühförderung auf langfristige Sicht belegen. Insgesamt unterstützen die vorliegenden Ergebnisse die international anerkannten Befunde zur Bedeutung und Wirksamkeit von Umfeldarbeit. 4.1 Einschränkungen des methodischen Vorgehens Das methodische Vorgehen kann hinsichtlich der Interviewtechnik, Interviewphasen/ Samplestrategie und Interpretation der Ergebnisse diskutiert werden. Aufgrund der Pandemie und damit einhergehenden Restriktionen einschließlich individueller Bedarfe/ Bedürfnisse der Interviewpartner/ innen konnten diese wählen, ob sie am Interview face-to-face oder videobasiert via Zoom teilnehmen wollten. Wenngleich die Literatur Videointerviews als valide und vertrauenswürdige Alternative zu traditionellen faceto-face-Befragungen ansieht und auf deren Ähnlichkeit verweist (Saarijärvi & Bratt, 2021), müssen mögliche Nachteile diskutiert werden. Videointerviews setzen eine zuverlässige Technik voraus, und die Befragten sollten mit dem Programm/ der Technologie vertraut sein. Während der MuTig Online Fortbildungen wurden die INT-FF in Zoom eingeführt und konnten die Nutzung erproben, sodass von einer Vertrautheit mit der Technologie ausgegangen werden konnte. Zudem könnte das Videoformat dazu führen, dass die Interviewpartner/ innen sich unwohl fühlen und möglicherweise die Gesprächsbereitschaft eingeschränkt wird. Diesbezüglich wurden die INT-FF vorab darüber aufgeklärt, dass lediglich die anonymisierte Audiodatei gespeichert und ausgewertet wird. Die Interviewerinnen führten beide Techniken durch und nahmen keine negative Beeinflussung durch das jeweilige Format wahr. Eine vergleichbare Dauer der Interviews über beide Formate hinweg (faceto-face vs. videobasiert) lässt ebenfalls keine Einschränkungen der Gesprächsbereitschaft vermuten. Aufgrund verschiedener Vor- und Nachteile beider Interviewtechniken wird eine freie Wahl der zu Befragenden befürwortet (Saarijärvi & Bratt, 2021), wie sie auch hier umgesetzt wurde. VHN plus 18 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus Die Interviewerhebung fand aufgrund der pandemiebedingten Projektverlängerung zu zwei Zeitpunkten jeweils nach einer Interventionsphase statt. Hier könnte die gemeinsame Auswertung der Interviews aus beiden Phasen diskutiert werden. Möglicherweise wurden Unterschiede zwischen den Kohorten durch die Verwendung des identischen Interviewleitfadens nicht adäquat berücksichtigt bzw. erhoben. Außerdem hat die festgelegte Samplestruktur bei gleichzeitiger Freiwilligkeit dazu geführt, dass sich vier Personen in Phase 1 und 2 zur Verfügung stellten. Bezogen auf die Fragestellung hatten diese Interviews kaum einen inhaltlichen Mehrwert mit vielen Redundanzen, sodass sie zu einem Fall zusammengefasst wurden. Um dies zu vermeiden, hätten in der zweiten Phase bereits befragte Interviewpartner/ innen ausgeschlossen werden können. Bei der Interpretation der Ergebnisse muss beachtet werden, dass sich aufgrund der freiwilligen Teilnahme möglicherweise vermehrt solche Frühförderfachkräfte bereit erklärten, die besonders positive Erfahrungen mit der MuTig Intervention machten. 4.2 Schlussfolgerungen und praktische Implikationen Das MuTig Projekt wurde entwickelt, um die Zusammenarbeit der am Übergang beteiligten Akteur/ innen zu verbessern und Kindern mit Förderbedarf sowie ihren Familien einen guten Schulstart in die inklusive Grundschule zu ermöglichen. Während die Wirksamkeit der Intervention bezogen auf die Schulbereitschaft in einem randomisierten Kontrollgruppendesign bestätigt wurde (Balters et al., in Vorbereitung), sind hier die individuellen Erfahrungen von 12 INT-FF mit der MuTig Intervention mittels qualitativer Interviews untersucht worden. Eine der wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie ist, dass die Frühförderfachkräfte trotz der genannten Herausforderungen und der Covid-Pandemie von der MuTig Umfeldarbeit profitiert haben und gemeinsam mit den Familien und pädagogischen Fachkräften aus Kita und Schule einen Beitrag zu einem gelingenden Übergang leisten konnten. Obwohl die zentrale Bedeutung einer familien- und lebensweltorientierten Frühförderung grundsätzlich anerkannt ist (Pretis, 2020) und die nationale Forschungslandschaft zunehmend die Zusammenarbeit von Frühförderung mit Eltern, Kita und z. T. Schule untersucht (z. B. Hanke & Minkenberg, 2019; Seitz & Hamacher, 2021), bestätigen die vorliegenden Ergebnisse die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis. So wurde die stärker umfeldzentrierte Arbeitsweise sowohl mit Eltern als auch mit Fachkräften aus Kita und Schule als neu und stellenweise stark herausfordernd erlebt. Die Literatur bestätigt, dass sich die Gestaltung der Zusammenarbeit bislang in hohem Maße durch unklare Zuständigkeiten, stark variierende Kooperationspraktiken und involvierte Akteur/ innen sowie durch große regionale Unterschiede auszeichnet (Henkel, 2016; Ziemen & Hanisch, 2021). Daraus ergeben sich Implikationen für Praxis und Forschung. Um diese gewinnbringende Umfeldarbeit beim Übergang in die Grundschule weiterhin gewährleisten zu können, müsste Umfeldarbeit, im Sinne des gesetzlich verankerten Auftrages und der empirischen Belege, fest in der Frühförderarbeit in NRW verankert und finanziert sowie entsprechende Strukturen dafür geschaffen werden. Forschung sollte daher weiter untersuchen, wie strukturierte Zusammenarbeit zwischen Frühförderung, Familien, Kita und Schule dauerhaft finanziert und v. a. bundesweit einheitlich umgesetzt werden kann. Vereinzelte Anpassungen der MuTig Intervention u. a. hinsichtlich der stellenweise hochbelasteten Zielklientel der Frühförderung sind sinnvoll. Außerdem scheinen hierzulande Qualifizierungsmaßnahmen für die Fachkräfte der Frühförderung in Hinblick auf Beratungs- VHN plus 19 HELEN RATHGEBER ET AL. Umfeldzentriertes Arbeiten in der Frühförderung FACH B E ITR AG VHN plus leistungen erforderlich. Insgesamt ist eine Übergangsbegleitung (Kontaktaufnahme/ Informationsweitergabe) grundsätzlich bei allen Kindern mit Förderbedarf sinnvoll, wenngleich die Intensität des Austausches bestenfalls flexibel auf die jeweilige Bedarfslage und die aktuelle Problemsituation der Familien abgestimmt werden können sollte. 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Anschrift der Autorinnen Helen Rathgeber Universität zu Köln Humanwissenschaftliche Fakultät Department Heilpädagogik und Rehabilitation Frangenheimstr. 4 D-50931 Köln E-Mail: h.rathgeber@uni-koeln.de Prof.in Dr. Charlotte Hanisch Universität zu Köln Humanwissenschaftliche Fakultät Arbeitsbereich Psychologie und Psychotherapie in Heilpädagogik und Rehabilitation Klosterstraße 79 b D-50931 Köln E-Mail: charlotte.hanisch@uni-koeln.de