eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 93/1

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2024
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Das Provokative Essay: Wie erging es den Familien mit einem Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf während der COVID-19-Pandemie?

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2024
Andrea C. Samson
Ziel dieses Essays ist es, einen Überblick über die Studien zu geben, die aus einem groß angelegten Projekt hervorgegangen sind, das zu Beginn der COVID-19-Pandemie ins Leben gerufen wurde. Gemeinsam mit über 50 Kollaborationspartnern wurde in über 70 Ländern erhoben, wie es Familien mit Kindern mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) oder einer neurologischen Entwicklungsstörung während der ersten Monate der Pandemie erging. Aus diesem Projekt sind mehrere Publikationen hervorgegangen, welche einerseits Daten einzelner Länder aus einem transdiagnostischen Blickwinkel betrachteten, andererseits die Ängste und Sorgen der Familien in Abhängigkeit der Diagnose oder des Syndroms des Kindes analysierten, aber auch, wie die Kinder mit den Ängsten umgingen (Emotionsregulation). Im Sommer 2023 wurde die globale Studie über alle Länder hinweg veröffentlicht, was die Gelegenheit bietet, die Ergebnisse zusammenzufassen und ein Fazit zu ziehen.
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1 VHN, 93. Jg., S. 1 -6 (2024) DOI 10.2378/ vhn2024.art01d © Ernst Reinhardt Verlag Wie erging es den Familien mit einem Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf während der COVID-19-Pandemie? Ein Rückblick Andrea C. Samson Universität Freiburg/ Schweiz & FernUni Schweiz, Brig/ Schweiz Zusammenfassung: Ziel dieses Essays ist es, einen Überblick über die Studien zu geben, die aus einem groß angelegten Projekt hervorgegangen sind, das zu Beginn der COVID-19- Pandemie ins Leben gerufen wurde. Gemeinsam mit über 50 Kollaborationspartnern wurde in über 70 Ländern erhoben, wie es Familien mit Kindern mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) oder einer neurologischen Entwicklungsstörung während der ersten Monate der Pandemie erging. Aus diesem Projekt sind mehrere Publikationen hervorgegangen, welche einerseits Daten einzelner Länder aus einem transdiagnostischen Blickwinkel betrachteten, andererseits die Ängste und Sorgen der Familien in Abhängigkeit der Diagnose oder des Syndroms des Kindes analysierten, aber auch, wie die Kinder mit den Ängsten umgingen (Emotionsregulation). Im Sommer 2023 wurde die globale Studie über alle Länder hinweg veröffentlicht, was die Gelegenheit bietet, die Ergebnisse zusammenzufassen und ein Fazit zu ziehen. Schlüsselbegriffe: COVID-19, Angst, Sorgen, Emotionsregulation Anxiety and Concerns of Families with a Child with Special Educational Needs During the COVID-19 Pandemic Summary: The aim of this paper is to provide the reader with an overview of the studies that emerged from a large-scale project launched at the beginning of the COVID-19 pandemic. Together with more than 50 collaborators, data were collected in over 70 countries to assess how families with children with special educational needs or neurodevelopmental conditions fared during the first months of the pandemic. Several publications have emerged from this project, looking at individual countries from a transdiagnostic perspective, analyzing syndrome-specific anxieties and concerns, and how the children dealt with their anxieties (emotion regulation). In summer 2023, the global study was published across all countries, which provides the opportunity to summarize the results and draw a conclusion. Keywords: COVID-19, anxiety, worry, emotion regulation DAS PROVOK ATIVE ESSAY Das Projekt Wie viele andere befanden sich die Forschungsgruppen von Jo Van Herwegen in Großbritannien und von Andrea Samson in der Schweiz zu Beginn der COVID-19 Pandemie plötzlich im Homeoffice. Nahezu alles schien unsicher und unvorhersagbar - trotzdem entwickelte sich schnell die gemeinsame Idee, zu dokumentieren, wie es Familien mit Kindern mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) oder einer neurologischen Entwicklungsstörung (wie z. B. Autismus) während der ersten Monate der Pandemie erging. Sehr schnell wuchs ein internationales Netzwerk an Wissenschaftlern zu über 50 Kooperationspartnern an, welches in über 70 Ländern Familien rekrutierte. VHN 1 | 2024 2 ANDREA C. SAMSON Familien und Kinder mit SPF während der COVID-19-Pandemie DAS PROVOK ATIVE ESSAY Zuerst wurde ein Fragebogen entwickelt, der sich an die Eltern und Betreuer/ innen von Kindern und Erwachsenen mit SPF richtete, um zu erfassen, wie es ihnen zu Beginn der COVID-19-Pandemie erging, welche Ängste und Sorgen sie hatten und wie diese mit vielerlei Faktoren zusammenhingen, welche das Kind, die Familie oder andere Umweltfaktoren betrafen (Van Herwegen, Dukes & Samson, 2020). Nebst demografischen Informationen über die befragte Person (Eltern oder Betreuer) und die Person mit SPF wurden auch die Hauptdiagnose und das Vorhandensein einer geistigen Beeinträchtigung (GB) erfasst. Dann wurden die Ängste und Sorgen der Eltern/ Betreuer/ innen, aber auch der Person mit SPF erhoben. Angst wurde zu drei Zeitpunkten erhoben: zum Zeitpunkt des Ausfüllens der online Umfrage („Jetzt“-Moment, zwischen April und August 2020) und retrospektiv für die Zeit kurz vor der Pandemie und zu Beginn der Pandemie. Danach wurden dreizehn spezifische Sorgen erhoben, wie gesundheitliche und COVID-spezifische Sorgen, Sorgen bezüglich des fehlenden Sozialkontaktes, Sorgen im Zusammenhang mit der Bildung, Familienkonflikten und den Finanzen. Schließlich wurde auch erfasst, wie die Person mit SPF mit diesen Ängsten umging, nämlich die Häufigkeit und Wirksamkeit eines breiten Spektrums an Emotionsregulationsstrategien. Die Umfrage wurde in Zusammenarbeit mit zahlreichen Partner/ innen in 16 Sprachen übersetzt (s. Sideropoulos et al., 2023 a) und via Flyer an Verbände und Kohorten in deren Netzwerken verschickt. Ergebnisse von Studien über einzelne Länder Für die Länder China, Großbritannien, Saudi- Arabien, Schweiz, Spanien und USA wurden jeweils die Daten einzeln analysiert (Alenezi et al., 2022; Di Poi et al., 2023; Furar et al., 2022; Sideropoulos et al., 2021; Martínez-Castilla et al., 2023; Su et al., 2021). Alle diese Studien haben einen signifikanten Anstieg der Ängste und Sorgen zu Beginn der Pandemie festgestellt. Diese blieben auch zum Zeitpunkt der Befragung noch erhöht, wenn auch schon etwas abgeschwächt. Das Niveau der Angst wie vor der Pandemie konnte allerdings nicht erreicht werden, was auf eine erhöhte Belastung und ein erhöhtes Stresserleben der Familien während der ersten Monate der Pandemie hindeutet. Die Daten aus der Schweiz wurden mit Mehrebenenanalysen angegangen (Di Poi et al., 2023): Zwei separate mehrstufige Analysen für Eltern und deren Kinder mit Neuroentwicklungsstörungen (Autismus, Williams-Beuren-Syndrom [WBS], Down Syndrom, Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung [ADHS] und GB) wurden durchgeführt, um herauszufinden, inwieweit Unterschiede in der Angst durch individuelle und umweltbedingte Faktoren vorhergesagt wurden. Sorgen im Zusammenhang mit dem Verlust der institutionellen Unterstützung und finanzielle und wirtschaftliche Probleme stellten für Eltern in der Schweiz die stärksten angstauslösenden Faktoren dar. Wie die Eltern berichteten, zeigten Personen mit SPF zwar keine Zunahme der Ängste, hatten aber v. a. mit Langeweile zu kämpfen, was mit den eingeschränkten Möglichkeiten der Aktivitäten als Folge der Schutzmaßnahmen und Restriktionen zusammenhing. Über die Gründe, warum Kinder mit SPF in der Schweiz (im Gegensatz zu den anderen Ländern) keinen Anstieg der Ängste zeigten, kann nur spekuliert werden: Es könnte sein, dass es mit den Mehrebenenanalysen zusammenhängt, welche mehr Faktoren und Prädiktoren miteinbezogen als die anderen länderspezifischen Analysen. Es muss allerdings auch erwähnt werden, dass in der qualitativen Analyse der Kommentare der Eltern in der Schweiz durchaus angemerkt wurde, dass es einige Kinder und Familien gab, welche die Zeit der Pandemie als weniger stressreich empfanden als die Zeit vor der Pandemie. VHN 1 | 2024 3 ANDREA C. SAMSON Familien und Kinder mit SPF während der COVID-19-Pandemie DAS PROVOK ATIVE ESSAY Die Globale Auswertung: Daten aus 70 Ländern Die vielleicht wichtigste Veröffentlichung dieses Projektes versuchte aus einem globalen Blickwinkel die Prädiktoren der Ängste der Eltern und deren Kinder mit SPF in 70 Ländern zu verstehen unter Berücksichtigung zusätzlicher Informationen aus externen Datenquellen über die einzelnen Länder, z. B. Restriktionsmaßnahmen, Gesundheitssystem usw., um die Prädiktoren auf Kinder-, Eltern-, oder Länderebene besser zu verstehen (Sideropoulos et al., 2023 a). Diese Studie analysierte Daten von mehr als 6600 Familien mit einem Kind mit einer der folgenden Entwicklungsstörungen: Autismus, ADHS, Sprachentwicklungsstörung, Down Syndrom, WBS und GB. Die Ergebnisse zeigen wiederum, dass zu Beginn der Pandemie die Ängste der Eltern und ihrer Kinder deutlich zunahmen. Während die Angst bei den Kindern beinahe wieder auf das Niveau vor der Pandemie zurückging, war dies bei den Eltern nicht der Fall, die offenbar unter chronisch erhöhtem Stress standen. Im finalen Modell der mehrstufigen Analyse waren die elterlichen Sorgen um ihre Gesundheit und die ihrer Kinder sowie die mangelnde Möglichkeit der Kinder, aufgrund der Restriktionsmaßnahmen anderen Menschen zu begegnen, die besten Prädiktoren für die elterliche Angst. Der Mangel an sozialen Kontakten scheint eine der größten Sorgen für Familien mit einem Kind mit Entwicklungsstörung gewesen zu sein, was wahrscheinlich mit der Sorge um seine soziale Entwicklung zusammenhing. Die Ängste der Kinder ließen sich am besten durch die Faktoren auf „Kinderebene“ erklären - wie zum Beispiel ihre Sorgen über das Virus oder familiäre Konflikte. Darüber hinaus trug der Verlust bzw. der Mangel an Routine wesentlich zur Angst der Kinder bei. Interessanterweise hatte die Art der Entwicklungsstörung (Diagnose) keinen Einfluss auf das Ausmaß der Angst der Eltern, aber sehr wohl auf die Angst des Kindes und dessen Sorgen, was sich mit einigen Publikationen dieses Projektes deckt, welche einzelne Syndrome verglichen hatten (Sideropoulos et al., 2023 b & c; Di Poi et al., 2023). In der globalen Studie wiesen Kinder mit WBS die höchsten Angstwerte auf, was den erhöhten Ängsten entspricht, welche in der Literatur beschrieben werden. Die Angst von Kindern mit Autismus, ADHS und WBS wurde mit der Sorge um den Verlust von Routine am besten erklärt. Dies steht im Einklang mit ihrem erhöhten Bedürfnis nach Vorhersagbarkeit und Routine im Alltag und der plötzlichen Unterbrechung des gewohnten Tagesablaufes zu Zeiten vor der Pandemie. Dies zeigt auch, dass die plötzlichen Veränderungen in der Tagesstruktur (aufgrund der Schließung von Schulen und Einrichtungen, der psychiatrischen und psychologischen Dienste) diese Kinder und ihre Familien stark beeinträchtigten, unabhängig vom Land, in dem sie lebten. Überraschenderweise war keine der politischen Maßnahmen auf Regierungsebene ein signifikanter Faktor für die Vorhersage der elterlichen oder kindlichen Ängste in den finalen Modellen, was darauf hindeutet, dass länderbezogene Kontexte wie das öffentliche Gesundheitssystem oder bestimmte Restriktionsmaßnahmen keinen direkten Einfluss auf die Ängste hatten. Dieses Ergebnis stellt eine Herausforderung dar, wenn es darum geht, die Auswirkungen von COVID-19 zu verstehen, da sich doch die Länder in ihren Maßnahmen stark unterschieden. Emotionsregulation: Wie mit den Ängsten umgegangen wurde Die Studie interessierte sich nicht nur für die Ängste und Sorgen und wie diese erklärt werden können, sondern auch dafür, wie die Kinder mit SPF mit diesen Ängsten umgingen (Samson, Sokhn, Van Herwegen & Dukes, 2022). Vierzehn verschiedene Strategien zur Regula- VHN 1 | 2024 4 ANDREA C. SAMSON Familien und Kinder mit SPF während der COVID-19-Pandemie DAS PROVOK ATIVE ESSAY tion von Emotionen wurden zum „Jetzt“-Zeitpunkt erhoben. Einige der Strategien können als funktional und adaptiv (kognitive Umbewertung, Humor, Fokussieren auf das Positive), andere als eher dysfunktional und maladaptiv (Isolation/ Rückzug) betrachtet werden. Einige Strategien kann man eher als kognitiv (Ablenkung), andere eher als verhaltensbezogen (aggressive oder sich wiederholende Verhaltensweisen) bezeichnen. Es konnte gezeigt werden, dass die Eltern sehr häufig versuchten, ihre Kinder vor Informationen über die Pandemie abzuschirmen und Tagesabläufe und Aktivitäten zu etablieren, um den Stress der Pandemie zu bewältigen. Diese beiden Strategien wurden als besonders wirksam bezeichnet. Mithilfe von Mehrebenenanalysen wurde auch festgestellt, dass eine Reihe von Strategien (z. B. Grübeln, Vermeiden von Informationen, repetitives Verhalten) mit erhöhten Ängsten verbunden war, während die Fokussierung auf das Positive in allen Gruppen mit einem niedrigeren Angstniveau in Verbindung gebracht wurde. Das größte Repertoire an Strategien wiesen Personen mit Autismus ohne GB auf, welche auf kognitive Strategien wie die Ablenkung, auf Positives fokussieren oder Perspektivenwechsel zurückgreifen konnten. Ausschließlich in dieser Gruppe war die Verwendung von Humor mit weniger Ängsten verbunden. Interessanterweise fokussierten Kinder mit WBS am häufigsten auf das Positive und zeigten signifikant weniger aggressive Verhaltensweisen im Vergleich zu den anderen Gruppen. Sie nutzten auch häufiger als die anderen Gruppen den Austausch/ das Gespräch über COVID-19 und hatten die geringsten Werte für Isolation/ Rückzug, Informationsvermeidung und Unterdrückung von Emotionen. Dies hängt möglicherweise mit ihrer prosozialen, geselligen und fröhlichen Natur zusammen, die sich durch hohes soziales Interesse und Annäherungsverhalten auszeichnet. Wang und Kollegen (2023) haben untersucht, wie oft Kinder mit Autismus in den USA, aufgeteilt in drei Altersgruppen, bestimmte Strategien anwendeten und inwiefern diese wirksam waren. Die Ergebnisse zeigten, dass maladaptive Strategien häufiger verwendet wurden als adaptive, während die elterliche Routine bei allen Altersgruppen am häufigsten verwendet wurde und am wirksamsten war. Bei den adaptiven Strategien korrelierten die Häufigkeit und die Wirksamkeit von Humor und die Fokussierung auf das Positive am stärksten. Bei den maladaptiven Strategien wiesen repetitive Verhaltensweisen, Grübeln und Isolation die stärksten Korrelationen für die jüngste, mittlere und älteste Altersgruppe auf. Außerdem wiesen die adaptiven Bewältigungsstrategien in jeder Altersgruppe stärkere Korrelationen zwischen Häufigkeit und Wirksamkeit auf als die maladaptiven Strategien. Limitationen Einige der Schwächen dieses Projektes sollen nicht unerwähnt bleiben. Zum einen wurde die Studie in Windeseile entwickelt, was aufgrund Zeitmangels dazu führte, dass der Fragebogen nicht hinsichtlich aller Dimensionen optimiert wurde. So wurden die Angst und die Sorgen vor und zu Beginn der Pandemie nur retrospektiv erfasst. Der Vorteil war aber, dass Forscher aus der ganzen Welt auf das Projekt aufspringen konnten. Während wir die Übersetzung in 16 Sprachen als Vorteil erachten, blieb natürlich wenig Zeit zur Validierung des Fragebogens in allen Sprachen. Auch haben wir leider sehr wenig Zugang und Möglichkeiten der Kollaboration in gewissen Teilen der Welt gefunden, was einerseits mit Sprachbarrieren zusammenhängt, aber auch mit dem begrenzten Zugang zur Infrastruktur in gewissen Ländern. Aufgrund des starken Zeitdrucks haben wir es auch versäumt, bei der Entwicklung des Fragebogens Betroffene selbst mit einzubeziehen. Allerdings haben uns mehrere VHN 1 | 2024 5 ANDREA C. SAMSON Familien und Kinder mit SPF während der COVID-19-Pandemie DAS PROVOK ATIVE ESSAY Elternverbände bei der Rekrutierung geholfen und wir arbeiten weiterhin mit ihnen zusammen, um die Ergebnisse der Studie zu verbreiten. Als letzter Punkt soll erwähnt sein, dass nur die Eltern befragt wurden und nicht die Personen mit SFP/ Entwicklungsstörungen selbst. Dennoch bieten die Daten wichtige Einblicke in die Bedürfnisse von Familien mit einem Kind mit Entwicklungsstörung weltweit in den ersten Monaten der Pandemie. Fazit Durch die verschiedenen Analysen, fokussierend auf einzelne Länder, auf einzelne Syndrome oder mit einer globalen Perspektive auf die wichtigsten Prädiktoren der Ängste und Sorgen der Eltern und Kinder mit SPF konnten die verschiedenen Publikationen ein interessantes Bild vermitteln. Die COVID-19-Pandemie hatte erhebliche Auswirkungen auf Familien mit Kindern mit SPF. Wir konnten in allen Analysen feststellen, dass die Eltern stark betroffen und gefordert waren, was sich in starken Sorgen und Ängsten ausdrückte, da sie von Diensten und Einrichtungen wie spezialisierten Schulen, Tagesbetreuungseinrichtungen, Therapeuten, Ärzten oder medizinischer Versorgung abgeschnitten waren und dies mit multiplen neuen Aufgaben einherging. Dies stellte eine erhebliche Belastung für sie dar, vor allem für diejenigen, die auch noch ihrer eigenen Arbeit nachgehen oder andere Aufgaben bewältigen mussten. Der Verlust der täglichen Routine und die Unterbrechung der regelmäßig eingeplanten Aktivitäten schien vor allem den Kindern zugesetzt zu haben. Solche Veränderungen im Tagesablauf und in den Gewohnheiten stellen eine Herausforderung für Kinder mit SPF dar, die oft auf eine klare Struktur und Routine angewiesen sind. In unserer Studie gehörte die Einrichtung von Tagesroutinen zu den am häufigsten genutzten und wirksamsten Strategien zur Bewältigung der Angst. Es kann als zentrale Erkenntnis dieser Studie betrachtet werden und wegweisend für die Empfehlungen für zukünftige Krisen, dass Routine und Vorhersehbarkeit für Familien in Krisenzeiten entscheidend sind. Eine weitere zentrale Erkenntnis ist die Rolle der adaptiven Emotionsregulationsstrategien, welche Eltern und Kinder mit SPF wappnen könnten, Krisen besser zu bewältigen. Dies soll auch dazu anregen, mehr Angebote für Eltern und Kinder mit SPF zu kreieren, welche langfristig emotionale Kompetenzen und die Emotionsregulation fördern. Hier wäre es besonders wichtig, die gefundenen störungsspezifischen Unterschiede der Ängste und der wirksamen Strategien in die Überlegungen miteinzubeziehen. Die globale Studie konnte überraschenderweise keine politischen Maßnahmen identifizieren, welche die Ängste der Eltern und ihrer Kinder maßgeblich beeinflusst hätten. Hier scheinen individuelle oder familienbedingte Faktoren ausschlaggebender gewesen zu sein, wie zum Beispiel interne oder externe Ressourcen, welche die Situation erträglicher gestalten konnten. Dank Die Autorin möchte allen Eltern danken, die sich trotz der schwierigen Umstände die Zeit genommen hatten, den Fragebogen auszufüllen. Es sei auch allen Kollaborationspartnern, Institutionen und Mitarbeitern der Forschungsteams hier nochmals herzlich gedankt. Literatur Alenezi, S., Temsah, M.-H., Alyahya, A. S., Almadani, A. H., Almarshedi, A., Algazlan, M. S. … & Alarabi, M. (2022). Mental health impact of COVID-19 on Saudi families and children with special educational needs and disabilities in Saudi Arabia: A national perspective. Frontiers in Public Health, 10, 992658. https: / / doi.org/ 10.3389/ fpubh.2022.992658 VHN 1 | 2024 6 ANDREA C. SAMSON Familien und Kinder mit SPF während der COVID-19-Pandemie DAS PROVOK ATIVE ESSAY Di Poi, G., Dukes, D., Meuleman, B., Banta Lavenex, P., Lavenex, P., Papon, A.…& Samson, A. C. (2023). Increased anxiety in families of individuals with neurodevelopmental conditions in the early months of the COVID-19 pandemic in Switzerland. Frontiers in Education, 8, 951970. https: / / doi.org/ 10.3389/ feduc.2023.951970 Furar, E., Wang, F., Durocher, J. S., Ahn, A., Memis, I., Cavalcante, L. … & Eshraghi, A. A. (2022). The impact of COVID-19 on individuals with ASD in the US: Parent perspectives on social and support concerns. PLOS ONE, 17 (8), Article e0270845. https: / / doi.org/ 10.1371/ journal.pone. 0270845 Martínez-Castilla, P., Campos, R., Samson, A. C., Van Herwegen, J. & Dukes, D. (2023). Ansiedad percibida en familiares cuidadores de personas con Trastorno del Espectro Autista, Síndrome de Down y Síndrome de Williams durante el confinamiento de la primera ola por COVID-19 en España. Actas Españolas de Psiquitría, 51 (2), 56 -64. Samson, A. C., Sokhn, N., Van Herwegen, J. & Dukes, D. (2022). An exploratory study on emotion regulation strategy use in individuals with Williams syndrome, autism spectrum disorder and intellectual disability. Frontiers in Psychiatry, 13, Article 940872. https: / / doi.org/ 10.3389/ fpsyt.20 22.940872 Sideropoulos, V., Dukes, D., Hanley, M., Palikara, O., Rhodes, S. Riby, D., Samson, A. C. & Van Herwegen, J. (2021). The impact of COVID-19 on anxiety and worries for families of individuals with Special Education Needs and Disabilities in the UK. Journal of Autism and Developmental Disabilities, 52 (6), 2656 -2669. https: / / doi.org/ 10. 1007/ s10803-021-05168-5 Sideropolous, V., Van Herwegen, J. Meuleman, B., Alessandri, M., Faisal, A. …& Samson, A. C. (2023a). Anxiety, concerns and COVID-19: Cross-country perspectives from families and individuals with neurodevelopmental conditions. Journal of Global Health, 13, 04081. https: / / doi.org/ 10. 7189/ jogh.13.04081 Sideropoulos, V., Kye, H., Dukes, D., Samson, A. C., Palikara, O. & Van Herwegen, J. (2023 b). Anxiety and worries of individuals with Down syndrome during the COVID-19 pandemic: A comparative study in the UK. Journal of Autism and Developmental Disorders, 53 (5), 2021 -2036. http: / / dx.doi.org/ 10.1007/ s10803-022-05450-0 Sideropoulos, V., Sokhn, N., Palikara, O., Van Herwegen, J. & Samson, A. C. (2023 c). Anxiety, concerns, and emotion regulation in individuals with Williams syndrome and Down syndrome during the COVID-19 outbreak: A global study. Scientific Reports, 13 (1), Article 8177. https: / / doi. org/ 10.1038/ s41598-023-35176-7 Su, X., Cai, R. Y., Uljarevic´, M., Van Herwegen, J., Dukes, D., Yang, Y., Peng, X. & Samson, A. C. (2021). Brief report: A cross-sectional study of anxiety levels and concerns of Chinese families of children with special educational needs and disabilities post-first-wave of COVID-19. Frontiers in Psychology, 12, 708465. https: / / doi.org/ 10. 3389/ fpsyt.2021.708465 Van Herwegen, J., Dukes, D. & Samson, A. (2020). COVID19 Crisis Response Survey for families of Individuals with Special Needs. OSFHOME. Abgerufen am 27. 5. 2020 von osf.io/ 5nkq9 Wang, F., Memis, I., Durocher, J. S., Furar, E., Cavalcante, L., Eshraghi, R. S.…& Eshraghi, A. A. (2023). Efficacy of coping mechanisms used during COVID-19 as reported by parents of children with autism. PLOS ONE, 18 (4), Article e0283494. https: / / doi.org/ 10.1371/ journal.pone.0283494 Anschrift der Autorin Prof. Dr. Andrea Samson Universität Freiburg Departement für Sonderpädagogik Petrus-Kanisius-Gasse 21 CH-1700 Freiburg E-Mail: andrea.samson@unifr.ch