Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Aktuelle Forschungsprojekte: PerSAS - Schüler/innenperspektiven von Jugendlichen im Autismus-Spektrum
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Mieke Sagrauske
Christian Lindmeier
International gibt es immer mehr Studien zu den schulischen Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum, in denen die Betroffenen selber zu Wort kommen und aus der eigenen Perspektive berichten (vgl. Hummerstone & Parsons, 2021, Saggers, 2015, Humphrey & Lewis, 2008). Diese Studien verdeutlichen, dass die Schulerfahrungen von Jugendlichen im Autismus-Spektrum, die an allgemeinen Schulen unterrichtet werden, komplex und auch individuell unterschiedlich sein können. Gleichwohl stellt sich heraus, dass Lehrkräfte und Peers einen sehr großen Einfluss auf das Gelingen oder Misslingen der schulischen Inklusion von autistischen Jugendlichen haben (vgl. Sagrauske, Lindmeier & Chemnitz, i.E., Horgan, Kenny & Flynn, 2022). Einige dieser Studien fokussieren neben der Perspektive der autistischen Schüler/innen auch die Perspektiven der Eltern und/oder Lehrkräfte (vgl. Hay & Winn, 2005, Carrington & Graham, 2001), wobei deutlich wird, dass sich die jeweiligen Perspektiven erheblich voneinander unterscheiden können. Dies bestätigt die Notwendigkeit, die Schüler/innen selbst über ihre schulischen Erfahrungen anzuhören, denn nur sie können sagen, welche Unterstützungsmöglichkeiten für sie wirklich hilfreich wären.
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VHN 3 | 2024 218 AK TU E LL E FORSCHUNGSPROJ E K TE die Untersuchung mit einer Sammlung von Aspekten, die laut Aussagen der Lehrkräfte ihre Beratungsarbeit unterstützen würden. Diese offen erfragten und dann entsprechend kategorisierten Aspekte geben einen sehr guten Einblick in die vor Ort bestehenden Arbeitsverhältnisse und reichen von politischen Fragestellungen, die zum Beispiel die Lehrer/ innenbildung insgesamt betreffen, bis hin zu fehlendem Büromaterial. Insgesamt liefert die Studie einen ersten bundesweiten Überblick über ein bisher kaum untersuchtes Berufsfeld und die dort tätigen Akteur/ innen. Weitere Auskünfte und Literaturhinweise können eingeholt werden bei Dr. Wolfram Kulig: wolfram.kulig@paedagogik.uni-halle.de DOI 10.2378/ vhn2024.art19d PerSAS - Schüler/ innenperspektiven von Jugendlichen im Autismus-Spektrum Projektmitarbeiterin: Mieke Sagrauske Projektleiter: Prof. Dr. Christian Lindmeier Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Das Projekt „PerSAS“ hat eine Laufzeit von Februar 2023 bis Januar 2026 und wird von der Software AG-Stiftung und der autismus Deutschland-Stiftung finanziert, wobei erstere mehr als 90 Prozent der Finanzierung übernimmt. Ausgangslage International gibt es immer mehr Studien zu den schulischen Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum, in denen die Betroffenen selber zu Wort kommen und aus der eigenen Perspektive berichten (vgl. Hummerstone & Parsons, 2021; Saggers, 2015; Humphrey & Lewis, 2008). Diese Studien verdeutlichen, dass die Schulerfahrungen von Jugendlichen im Autismus- Spektrum, die an allgemeinen Schulen unterrichtet werden, komplex und auch individuell unterschiedlich sein können. Gleichwohl stellt sich heraus, dass Lehrkräfte und Peers einen sehr großen Einfluss auf das Gelingen oder Misslingen der schulischen Inklusion von autistischen Jugendlichen haben (vgl. Sagrauske, Lindmeier & Chemnitz, i. E.; Horgan, Kenny & Flynn, 2022). Einige dieser Studien fokussieren neben der Perspektive der autistischen Schüler/ innen auch die Perspektiven der Eltern und/ oder Lehrkräfte (vgl. Hay & Winn, 2005; Carrington & Graham, 2001), wobei deutlich wird, dass sich die jeweiligen Perspektiven erheblich voneinander unterscheiden können. Dies bestätigt die Notwendigkeit, die Schüler/ innen selbst über ihre schulischen Erfahrungen anzuhören, denn nur sie können sagen, welche Unterstützungsmöglichkeiten für sie wirklich hilfreich wären. In Deutschland gibt es keine aktuellen Studien zu den schulischen Erfahrungen von Jugendlichen im Autismus-Spektrum. Von der Erhebung der Perspektiven autistischer Schüler/ innen erhoffen wir uns deshalb wichtige Einblicke, um bspw. schulische Barrieren leichter identifizieren zu können. Außerdem ist dies eines der besten Mittel, um eine passgenaue Unterstützung zu kreieren und zur Weiterentwicklung der inklusiven schulischen Praxis beizutragen. Forschungsziele In der geplanten Projektlaufzeit von drei Jahren sollen folgende drei Ziele realisiert werden: 1. Das erste Ziel dieser Untersuchung ist es, fundiertes Praxiswissen über die individuellen schulischen Perspektiven autistischer Jugendlicher zu erhalten. 2. Das zweite Forschungsziel besteht aus der Ableitung von praxisrelevanten Empfehlungen zur „autismusfreundlichen“ Weiterentwicklung schulischer Praxis in der Sekundarstufe aus den Erfahrungen der autistischen Jugendlichen. Dabei spielen schulische Kontexte, Unterrichtsgestaltung und Unterstützungsmethoden, angst- und stresserzeugende Situationen und Masking (Camouflaging), Diskriminierung und Bullying, Nachteilsausgleich bei zielgleichem Unterricht, sonder- und allgemeinpädagogische Lehrkräfte und Schulassistenzkräfte sowie Peers eine besondere Rolle. 3. Das dritte und letzte Ziel besteht darin, aus den Erfahrungen im Projekt Empfehlungen zur Gestaltung von Interviewsettings mit autistischen Jugendlichen abzuleiten und so einen Weg für weitere Forschungen zu ebnen. VHN 3 | 2024 219 AK TU E LL E FORSCHUNGSPROJ E K TE Als Erfolgskriterien dieses Projektes lassen sich folgende Punkte fassen: 1. Es sind 15 Interviewpartner/ innen (bundeslandübergreifend) gefunden und empirische Daten zum Erleben der Jugendlichen in schulischen Kontexten durch Interviews erhoben worden. 2. Die Interviews sind mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz und Rädiker (2022) einzeln ausgewertet und dargestellt. 3. Wesentliche Kategorien sind identifiziert, vergleichend ausgewertet und dargestellt. 4. Es sind Empfehlungen für Schulen und Lehrkräfte zur (räumlichen, inhaltlichen und methodisch-didaktischen) Gestaltung von Schule und Unterricht auf der Basis der Interviewergebnisse formuliert und publiziert worden. 5. Es sind Empfehlungen für autismussensible Interviewführung und partizipative Arbeit mit Jugendlichen im Autismus-Spektrum formuliert und publiziert worden. Forschungsmethodisches Vorgehen Mittels leitfadengestützter Interviews werden verschiedene schulische Perspektiven von autistischen Jugendlichen erhoben. Es werden dafür 15 Interviews mit Jugendlichen im Autismus- Spektrum im Alter von 14 bis 17 Jahren geführt, die anschließend mittels der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet werden. Außerdem werden in dem Projekt partizipative Ansätze verwendet, indem Jugendliche und junge Erwachsene als Co- Forschende aktiv in die Forschungsarbeit einbezogen werden. Es war beispielsweise bisher ein/ e Co-Forscher/ in an der Erarbeitung des Erhebungsinstruments beteiligt. Durch die Beteiligung von autistischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen am Forschungsprojekt soll unter anderem sichergestellt werden, dass die Themen Beachtung finden, die die Schüler/ innen im Autismus- Spektrum als wichtig erachten oder auch die dazu passende Methodik verwendet wird (vgl. Fayette & Bond, 2018) - ganz nach dem Motto „Nichts über uns ohne uns“. Ausblick Das Projekt PerSAS ist auf drei Jahre ausgelegt (2023 -2026). Im ersten Jahr wurde bereits eine ausführliche Literaturrecherche durchgeführt und der aktuelle (internationale) Forschungsstand in einem Literaturreview dargelegt. Außerdem wurden das Erhebungsinstrument erarbeitet und die Daten durch die 15 Interviews mit den Jugendlichen im Autismus-Spektrum gewonnen. Gegenwärtig (2024) wird die Auswertung der erhobenen Daten mittels der qualitativen Inhaltsanalyse durchgeführt. Anschließend werden die Ergebnisse mit den Co-Forschenden diskutiert und die Empfehlungen für Schulen und Lehrkräfte auf der Basis der Interviewergebnisse formuliert. Weitere Informationen und Literaturhinweise können eingeholt werden unter mieke.sagrauske@paedagogik.uni-halle.de DOI 10.2378/ vhn2024.art20d
