eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 93/3

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
71
2024
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Rezension: Ricking, Heinrich (2023): Schulabsentismus pädagogisch verstehen

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2024
Christine Sälzer
Das Buch Schulabsentismus pädagogisch verstehen ist in der Reihe Fallbuch Pädagogik im Kohlhammer-Verlag erschienen. Heinrich Ricking beschreibt darin nach einer fallbasierten Einleitung zunächst die Charakteristika von Schulabsentismus (Kapitel 2) und arbeitet die Beeinträchtigungen heraus, die Schulabsentismus zugrunde liegen (Kapitel 3). Das vierte Kapitel ist einer theoretischen Rahmung mit Fokus auf die Feldtheorie gewidmet. Daran anschließend befassen sich die Kapitel 5 und 6 mit schulischer Prävention und Intervention bei Schulabsentismus. Damit ist der theoretische Teil des Buches abgeschlossen und es folgen drei Falldarstellungen (Kapitel 7 bis 10). Nach dem Fazit in Kapitel 11 folgt ein Serviceteil mit Ressourcen und Arbeitsmaterialien zum konkreten Umgang mit Schulabsentismus sowie Empfehlungen für weiterführende Literatur.
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VHN 3 | 2024 228 REZE NSION E N Die Monografie stellt so eine theoretisch komplexe, jedoch jederzeit nachvollziehbar beschriebene neue Akzentuierung bildungsphilosophischer Fragestellungen dar. Es ist hervorzuheben, dass es der Autorin gelingt, einen nicht ausschließenden Bildungsbegriff zu beschreiben, der dennoch die spezifische Lebensrealität von Menschen mit geistiger und komplexer Behinderung anerkennt und auf sie zugeschnittene, jedoch im Allgemeinen orientierte Angebote entwirft. Prof. Dr. Tobias Bernasconi D-50931 Köln DOI 10.2378/ vhn2024.art21d Ricking, Heinrich (2023): Schulabsentismus pädagogisch verstehen Stuttgart: Kohlhammer. 163 Seiten, € 32,- Das Buch Schulabsentismus pädagogisch verstehen ist in der Reihe Fallbuch Pädagogik im Kohlhammer-Verlag erschienen. Heinrich Ricking beschreibt darin nach einer fallbasierten Einleitung zunächst die Charakteristika von Schulabsentismus (Kapitel 2) und arbeitet die Beeinträchtigungen heraus, die Schulabsentismus zugrunde liegen (Kapitel 3). Das vierte Kapitel ist einer theoretischen Rahmung mit Fokus auf die Feldtheorie gewidmet. Daran anschließend befassen sich die Kapitel 5 und 6 mit schulischer Prävention und Intervention bei Schulabsentismus. Damit ist der theoretische Teil des Buches abgeschlossen und es folgen drei Falldarstellungen (Kapitel 7 bis 10). Nach dem Fazit in Kapitel 11 folgt ein Serviceteil mit Ressourcen und Arbeitsmaterialien zum konkreten Umgang mit Schulabsentismus sowie Empfehlungen für weiterführende Literatur. Der theoretische Teil und die Falldarstellungen machen jeweils etwa die Hälfte des Umfangs des Buches aus. Präzise und in aller Kürze werden Formgruppen von Schulabsentismus sowie die wichtigsten Risiken und Bedingungsfaktoren von Schulabsentismus eingeführt. In Bezug auf die Prävalenz von Schulabsentismus weist Heinrich Ricking darauf hin, dass deutschlandweit repräsentative Zahlen bis dato fehlen und als notwendiger Standard der Erfassung eine systematische digitale Registrierung von Absentismus in Echtzeit anzustreben sei. In Bezug auf die Ursachen von Schulabsentismus wählt der Autor drei Aspekte zugrundeliegender Beeinträchtigungen aus: dysfunktionale Emotionsregulation, Angst und Angststörungen sowie Leistungsprobleme und Schulversagen. In diesem Kapitel wird auch das Teufelskreismodell Versagen - Vermeiden vorgestellt. Bei der theoretischen Rahmung von Schulabsentismus entscheidet sich Heinrich Ricking für die Feldtheorie nach Kurt Lewin, weil sie ganzheitlich auf die Bedingungen des schulabsenten Verhaltens in unterschiedlichen Settings blickt und davon ausgeht, dass Wahrnehmung, Erleben und Verhalten der Schüler/ innen in einem dynamischen Kontext wie der Schule zusammenwirken und entsprechend auch gemeinsam betrachtet werden sollten. Zur analytischen Sortierung konkreter Fälle bietet die Feldtheorie das Konzept der Wirkungsräume (Regionen), von denen sich Menschen entweder angezogen oder abgestoßen fühlen können. Für die Arbeit mit Schulabsentismus haben sich die Wirkungsräume Familie, Schule, Peers und alternativer Wirkungsraum als hilfreich erwiesen. Die Falldarstellungen werden im Buch dazu verwendet, die theoretischen Inhalte zu ergänzen und beschriebene Phänomene anschaulicher zu machen. Im Zentrum steht dabei die Rekonstruktion komplexer sozialer Sachverhalte und das Nachvollziehen subjektiver Theorien der Protagonist/ innen der drei Fälle. Entlang der Feldtheorie wird jeder der drei Fälle strukturiert und so detailliert beschrieben, dass mit der Brille einer forschenden Person „Typisches im Individuellen“ (Fatke, 2013, S. 167, Zitat in Ricking, 2023) entdeckt werden kann und aus der Perspektive einer pädagogisch handelnden Person falltypische Muster und Erklärungswege nachvollzogen werden können. Der Serviceteil stellt eine Auswahl an Materialien zusammen, die zum einen frei zugängliche Literatur zum Thema Schulabsentismus, Hand- VHN 3 | 2024 229 REZE NSION E N reichungen oder Themenhefte listet und zum anderen auf Anlaufstellen und ein alternatives Schulkonzept verweist. Einige Kurzinstrumente zur schnellen Diagnostik möglicher Frühwarnsignale für Schulabsentismus sind ebenso vorhanden wie Tipps für Elterngespräche und den Umgang mit Schüler/ innen sowie ein Handlungsplan zur Rückkehrgestaltung nach längerer Absenz. Schulabsentismus pädagogisch verstehen ist sehr klar strukturiert und kompakt aufbereitet. Die Fallbeispiele des zweiten Teils werden nach der Lektüre des ersten Teils besser verstanden als ohne, jedoch eignen sie sich auch direkt als Anknüpfungspunkte für das konkrete pädagogische Handeln im schulischen Alltag für Betroffene. Der Serviceteil gibt einen guten und anschlussfähigen Ratgeber an die Hand mit weiterführender Literatur und einigen Anlaufstellen im nördlichen Teil Deutschlands. Das Buch bietet eine gute erste Orientierung für Personen, die sich in ihrem pädagogischen Alltag akut mit Schulabsentismus konfrontiert sehen. Leider wird die Zielgruppe im Buch nicht explizit benannt oder angesprochen, weshalb die Frage der Passung recht allgemein beantwortet werden muss. Die verwendeten psychologischen Fachbegriffe können für noch wenig belesene Personen zunächst schwierig sein. Kritisch anzumerken ist ferner, dass Kapitel 2 in seinem Aufbau und Umfang suggeriert, dass Schulabsentismus generell auf Beeinträchtigungen zurückgehe. Das stimmt auch in den allermeisten Fällen, jedoch sollte im Sinne der Vielfalt im Unterricht auch nicht unerwähnt bleiben, dass Absentismus für eine Teilgruppe durchaus unschädlich für die schulischen Leistungen auch der Anstrengungsregulation dient und sehr clever vor allem von Schüler/ innen am Gymnasium eingesetzt wird. Insgesamt eignet sich Schulabsentismus pädagogisch verstehen gut als Orientierung für einen zugewandten Umgang mit Schulabsentismus im pädagogischen Alltag und zeigt auf, wie das mittlerweile gut belegte Wissen aus der Forschung praktisch umgesetzt werden kann. Prof. Dr. Christine Sälzer D-70174 Stuttgart DOI 10.2378/ vhn2024.art22d Blum, Stefan; Brunner, Sabine; Grossniklaus, Peter; Herzig, Christophe A.; Jeltsch-Schudel, Barbara; Meier, Susanne (2022): Kindesvertretung. Konkret, partizipativ, transdisziplinär Bielefeld: transcript. 258 S., € 35,- (Print) Sechs Personen aus unterschiedlichen Disziplinen - Sozialarbeit, Rechtswissenschaften, Psychologie und Sonderpädagogik - treffen sich zu Schreibretraiten, um gemeinsam ein Grundlagenwerk zu verfassen. Dies ist die Ausgangslage für den zweijährigen kollaborativen Entstehungsprozess des Buches „Kindesvertretung - konkret, partizipativ, transdisziplinär“. Die Expert/ innen aus Wissenschaft und Praxis pflegen langjährige berufliche Kooperationen und sind verbunden in ihrem großen Engagement für die Partizipation und die Rechte von Kindern. Der Trias im Untertitel macht die Absicht ihres Vorhabens deutlich und vielversprechend. Das Buch widmet sich der Kindesvertretung, die Kinder parteilich begleitet, ihre Rechte vertritt und ihnen eine Stimme gibt, wenn Gerichte und Behörden für sie wichtige Entscheide fällen. Aufgabe dieses Rechtsinstituts ist es, den Willen des Kindes einzubringen, seine Bedürfnisse und Interessen zu wahren und damit sein verfassungs- und völkerrechtlich verankertes Recht auf Partizipation in es betreffenden juristischen Verfahren in alters- und bedürfnisgerechter Weise zu verwirklichen. „Kindesvertretung ist im Kern ein Partizipationsinstrument“ (S. 64): so verstanden, schält das Autor/ innenkollektiv die Partizipation als Kernthema der Kindesvertretung heraus. Als besonders vulnerable und von intersektionaler Diskriminierung bedrohte Rechtssubjekte werden Kinder mit Behinderung explizit in die Betrachtung eingeschlossen, weshalb die Publikation im Leser/ innenkreis der VHN besondere Aufmerksamkeit verdient. Das Buch richtet sich an alle, die sich für Kinderrechte und ihre konkrete Umsetzung in der Praxis interessieren. Es vermittelt Erfahrungen, Perspektiven und Diskurse als wichtige Ressourcen zur