eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 94/3

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2025.art16d
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2025
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Fachbeitrag: Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz: Die Perspektive der Kinder- und Jugendhilfe

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2025
Johann Hartl
Andreas Mairhofer
Im vorliegenden Beitrag werden zwei zentrale Felder der inklusiven Weiterentwicklung des Kinderschutzes in und aus Perspektive der Kinder- und Jugendhilfe in den Blick genommen: Zum einen werden Aktivitäten zum Schutz von Kindern und Jugendlichen durch die Kinder- und Jugendhilfe betrachtet. Hierzu werden empirische Befunde zur Kinderschutzarbeit und zur Inklusion in Jugendämtern vorgestellt. Zum anderen werden Strategien zum Schutz von jungen Menschen (mit einer Behinderung) in der Kinder- und Jugendhilfe in den Blick genommen. Hierzu werden Befunde zu Viktimisierungen und institutionellen Schutzkonzepten in Einrichtungen stationärer Erziehungshilfen präsentiert. Als empirische Grundlage des Beitrags werden Daten aus zwei Projekten am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München genutzt.
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< RUB RIK > < RUB RIK > 174 VHN, 94. Jg., S. 174 -189 (2025) DOI 10.2378/ vhn2025.art16d © Ernst Reinhardt Verlag Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz: Die Perspektive der Kinder- und Jugendhilfe Johann Hartl & Andreas Mairhofer Deutsches Jugendinstitut, München Zusammenfassung: Im vorliegenden Beitrag werden zwei zentrale Felder der inklusiven Weiterentwicklung des Kinderschutzes in und aus Perspektive der Kinder- und Jugendhilfe in den Blick genommen: Zum einen werden Aktivitäten zum Schutz von Kindern und Jugendlichen durch die Kinder- und Jugendhilfe betrachtet. Hierzu werden empirische Befunde zur Kinderschutzarbeit und zur Inklusion in Jugendämtern vorgestellt. Zum anderen werden Strategien zum Schutz von jungen Menschen (mit einer Behinderung) in der Kinder- und Jugendhilfe in den Blick genommen. Hierzu werden Befunde zu Viktimisierungen und institutionellen Schutzkonzepten in Einrichtungen stationärer Erziehungshilfen präsentiert. Als empirische Grundlage des Beitrags werden Daten aus zwei Projekten am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München genutzt. Schlüsselbegriffe: Kinderschutz, Inklusion, Kinder- und Jugendhilfe, Jugendamt, stationäre Hilfen zur Erziehung Heterogeneous Professions, Institutions and Target Groups in (Inclusive) Child Protection: The Perspective of Child and Youth Services Summary: In this article, two central fields of the inclusive development of child protection in and from the perspective of the child and youth welfare system are analysed: Firstly, it looks at child protection activities provided by child and youth welfare services. To this end, empirical findings on child protection work and on inclusion in youth welfare offices are presented. Secondly, strategies for the protection of young people (with a disability) from risks caused by child and youth welfare services are analysed. To this end, findings on victimization and institutional protection concepts in residential child and youth welfare facilities are provided. Data from two projects at the German Youth Institute (GYI) in Munich are used as the empirical basis for the article. Keywords: Child protection, inclusion, disability, child and youth welfare, youth welfare offices, residential care facilities FACH B E ITR AG TH EME NSTR ANG Kinder- und Jugendschutz 1 Hinführung: Inklusiver Kinderschutz Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefährdungen wird zunehmend als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden. So wurden inzwischen für alle Settings, in denen Kinder und Jugendliche aufwachsen, Vorgaben zu deren Schutz erlassen (Deutscher Bundestag, 2024). Besonders mit dem Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) von 2012 wurde eine sektorenübergreifende und interdisziplinäre Zusammenarbeit im Kinderschutz rechtlich verankert. Entsprechend lässt sich auch ein (inklusiver) Kinderschutz aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben. Dieser Beitrag nimmt die Perspektive der Kinder- und Jugendhilfe ein, da dieser - trotz aller intersektoralen und -disziplinaren Ausrichtung - eine Schlüsselrolle im Kinderschutz zukommt. Dies VHN 3 | 2025 175 JOHANN HARTL, ANDREAS MAIRHOFER Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz FACH B E ITR AG gilt vor allem für die Jugendämter, die das in Artikel 6 des Grundgesetzes verankerte staatliche Wächteramt über die Erziehungsrechte und -pflichten der Eltern wahrnehmen. Damit stehen sie im Zentrum der vielfältige Akteure einbeziehenden lokalen Kinderschutzsysteme (z. B. Bode & Turba, 2023) Wenn wir in diesem Beitrag von inklusivem Kinderschutz sprechen, so legen wir hier insofern ein enges Inklusionsverständnis zugrunde, als wir den Schutz von Kindern und Jugendlichen mit einer (drohenden) Behinderung in den Blick nehmen. Andere Diversitätskategorien, wie sie ein erweitertes Inklusionsverständnis beinhalten würde, bleiben somit unberücksichtigt (Hopmann, 2021). Auch ein enges Inklusionsverständnis ist insofern für weitere Diversitätskategorien relevant, als es - am Beispiel von Menschen mit Behinderung - für die Vielfalt der Adressat: innen und deren spezifische Vulnerabilitäten sensibilisiert. Für Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung wird in der internationalen Forschung ein deutlich höheres Risiko berichtet, Opfer von Gewalt und Vernachlässigung zu werden (z. B. Fang et al., 2022; Hartl, 2024). Hierfür lassen sich zahleiche Gründe benennen, etwa soziale Isolation oder stärkere Abhängigkeiten (DV, 2024; Werth, 2024). Gleichzeitig besteht die Annahme, dass bislang die spezifischen Entwicklungsrisiken und Schutzbedürfnisse von jungen Menschen mit Behinderung im Kinderschutz nicht hinreichend gewürdigt werden (z. B. DV, 2024). Perspektivisch gilt es daher Kinderschutzpraxen zu etablieren, die sensibel für die spezifischen Sicherheitsbedürfnisse und Lebensumstände von Menschen mit Behinderungen sind, ohne diese hierdurch zu „besondern“ und zu stigmatisieren. Vor diesem Hintergrund nähern wir uns der Thematik des inklusiven Kinderschutzes, indem wir die Bedeutung sowie wesentliche Strukturen und Entwicklungen der Kinder- und Jugendhilfe, die beiden Grundelemente - Kinderschutz und Inklusion von jungen Menschen mit Behinderung - betreffend, zunächst getrennt voneinander vorstellen, bevor wir diese aufeinander beziehen. Anschließend werden zunächst ausgewählte empirische Befunde zur Kinderschutzarbeit der Jugendämter sowie zum Status quo in Sachen Inklusion vorgestellt, bevor konzeptionelle Überlegungen und empirische Befunde zu institutionellen Schutzkonzepten in Einrichtungen stationärer Erziehungshilfen präsentiert werden. Abschließend werden zentrale Zukunftsaufgaben für einen inklusiven Kinderschutz formuliert. 1.1 Kinderschutz Kinderschutz bezeichnet ein breites Spektrum gesellschaftlicher Reaktionen auf das soziale Problem der Gewalt gegen Kinder und Jugendliche (z. B. Best, 1993). Soziale Probleme beschreiben ein Auseinanderfallen von sozialer Wirklichkeit und wesentlichen gesellschaftlichen Normen und Werten, daher sind sie historisch-gesellschaftlich kontingent (vgl. z. B. Fuller & Myers, 1941; Blumer, 1971). Heute gelten besonders physische und psychische Gewalt, sexualisierte Gewalt und Vernachlässigung (sowie in internationalen Zusammenhängen Ausbeutung/ Kinderarbeit) als im Kontext des Kinderschutzes relevante Formen von Gewalt (vgl. WHO, 1999). Für den deutschen Kinderschutz von besonderer Bedeutung ist das rechtliche Konstrukt der Kindeswohlgefährdung. Es markiert die Interventionsschwelle, ab der die staatlich verfasste Gemeinschaft - vertreten durch seine Institutionen Jugendamt und Familiengericht - in das verfassungsrechtlich geschützte Erziehungsrecht der Eltern eingreifen darf und muss, um Kinder zu schützen. Normiert ist die Kindeswohlgefährdung in § 1666 BGB, wobei das Gesetz durch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe Auslegungsspielräume bietet und damit VHN 3 | 2025 176 JOHANN HARTL, ANDREAS MAIRHOFER Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz FACH B E ITR AG der Vielfalt von Gefährdungen in einer sich dynamisch verändernden sozialen Wirklichkeit Rechnung trägt (BT-WD, 2020). Für die Kinder- und Jugendhilfe maßgeblich ist der im Jahr 2005 mit dem Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) eingeführte und seitdem in fast jeder Reform des Kinder- und Jugendhilferechts weiter präzisierte § 8 a SGB VIII. Dieser verpflichtet Fachkräfte der Jugendämter dazu, im Falle des Bekanntwerdens von Anhaltspunkten einer Gefährdung diesen nachzugehen, das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte und nach Möglichkeit durch Einbeziehung der Kinder und Eltern einzuschätzen sowie Schritte zur Abwendung der Gefährdung einzuleiten - entweder indem den Eltern Hilfen angeboten werden oder indem das Familiengericht angerufen wird. Ist Gefahr im Verzug, so sollen Kinder und Jugendliche durch das Jugendamt in Obhut genommen werden. Die Verpflichtung, Gefährdungen nachzugehen und abzuwenden, besteht dabei nicht nur für Fachkräfte der Jugendämter, sondern für alle Fachkräfte, die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe erbringen, wobei die Fachkräfte in ihrer Gefährdungseinschätzung durch eine sogenannte „insoweit erfahrene Fachkraft“ unterstützt werden. Mit dem BKiSchG wurden diese Aufgaben weiter geschärft und durch das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren (z. B. aus der Medizin) rechtlich fixiert (zur Umsetzung des BKiSchG: Pluto, Gadow, Seckinger & Peucker, 2012). Zur Abwendung von Gefährdungen stehen der Kinder- und Jugendhilfe zahlreiche Hilfen, besonders die ambulanten und (teil-)stationären Hilfen zur Erziehung zur Verfügung. Die Aufgaben der Jugendämter erschöpfen sich jedoch nicht in der unmittelbaren „Bearbeitung“ von konkreten Kinderschutzfällen. Daneben sind die Jugendämter auch präventiv tätig, etwa durch die Koordination von lokalen Netzwerken für Kinderschutz oder Frühe Hilfen. Zudem sind sie als für die kommunale Kinder- und Jugendhilfe verantwortliche Stelle auch für die Planung und die Qualität der lokalen Infrastruktur verantwortlich, wobei seit dem BKiSchG unter anderem auch die Gefährdungseinschätzung zu den Bereichen zählt, für die Qualitätsentwicklung zu betreiben ist. Durch die benannten Aufgaben der Prävention, Abklärung und Intervention sollen Kinder und Jugendliche durch die Kinder- und Jugendhilfe vor Gefahren geschützt werden. Unter anderem zeigen jedoch die Arbeiten zur Aufarbeitung von sexueller, körperlicher und psychischer Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe der vergangenen Jahre, dass sich der Charakter der Angebote der Kinder- und Jugendhilfe in ihr Gegenteil verkehren und diese zu Gefährdungsorten werden können. Daher wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Vorkehrungen unternommen, um Kinder und Jugendliche in Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe zu schützen. Schwerpunkte dieser Bemühungen sind zum einen die Ausweitung von Beteiligungs- und Beschwerderechten, zum anderen die Entwicklung von institutionellen Schutzkonzepten. Letztere wurden mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) von 2021 u. a. zur Voraussetzung der Erteilung einer Betriebserlaubnis für (teil-)stationäre Einrichtungen. 1.2 Inklusion Inklusion ist ein in der Kinder- und Jugendhilfe seit Langem etablierter Begriff, etwa zur Beschreibung gesellschaftlicher Segregationsprozesse (Inklusion/ Exklusion). Seit der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen im Jahr 2009 wird der Begriff vor allem mit Blick auf die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung diskutiert (Lüders, 2014; Hopmann, 2021). VHN 3 | 2025 177 JOHANN HARTL, ANDREAS MAIRHOFER Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz FACH B E ITR AG Der Begriff der Inklusion wird in der fachlichen Debatte keineswegs eindeutig und homogen definiert (vgl. ebd.; Wagner, 2017). Mit Blick auf die Themenstellung des vorliegenden Beitrags wird ein Verständnis von Inklusion angelegt, das auf die (hier empirisch behandelte) Frage der Passung zwischen dem gesellschaftlichen Subsystem des Kinderschutzes und seinen Adressat: innen abzielt (Wansing, 2007). Aus dieser Perspektive ist die Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung schon lange ein relevanter Aspekt für die Kinder- und Jugendhilfe. So wurde bereits im Jahr 1993, also nur zwei Jahre nach Inkrafttreten des SGB VIII, die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe auf Eingliederungsleistungen für Kinder und Jugendliche mit (drohender) seelischer Behinderung ausgeweitet. Für Eingliederungshilfen für junge Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen blieb die Behindertenhilfe zuständig. Einen weiteren wichtigen gesetzlichen Meilenstein bildete das 2021 in Kraft getretene KJSG, das in drei Reformstufen den Weg zu der seit Langem geforderten inklusiven Kinder- und Jugendhilfe ebnen soll. Die erste Reformstufe trat mit Verkündung des Gesetzes in Kraft. Mit ihr wird eine inklusive Ausrichtung als eine der wesentlichen Programmatiken der Kinder- und Jugendhilfe bestimmt (u. a. in § 1 SGB VIII). Diese konkretisierend wird u. a. von Angeboten der Kindertagesbetreuung und der Jugendarbeit eine inklusive Ausrichtung gefordert (Schönecker, 2022 a). Das heißt indes nicht, dass z. B. Angebote der Jugendarbeit bislang nicht von jungen Menschen mit Behinderung besucht wurden und Inklusion bisher für solche Einrichtungen kein Thema war (Mairhofer, Peucker, Pluto & van Santen, 2022). Weiter wird im KJSG explizit eine inklusive Ausrichtung und die Berücksichtigung der Bedarfe von jungen Menschen mit Behinderung u. a. in der Jugendhilfeplanung und der kommunalen Qualitätsentwicklung gefordert - das schließt auch die Qualitätsentwicklung bezogen auf Gefährdungseinschätzungen nach § 8 a SGB VIII mit ein. Bezugnehmend auf die in Kinderschutzfällen hinzuzuziehenden „insoweit erfahrenen Fachkräfte“ wird im Gesetz nun gefordert, dass diese „den spezifischen Schutzbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung Rechnung tragen“ sollen (§ 8 a Abs. 4 S. 2 SGB VIII). Dies kann als Aufforderung verstanden werden, neben sozialpädagogischen auch heil- und sonderpädagogischen oder medizinischen Fachkräften den Zugang zu dieser Funktion zu eröffnen (AGJ, 2022; Schönecker, 2022 a). Zudem soll die Schnittstelle zwischen SGB VIII und SGB IX u. a. durch eine verstärkte Kooperation zwischen Jugendhilfe und Eingliederungshilfe besser überbrückt werden. Zu diesem Zweck wurden mit der zweiten Reformstufe 2024 sogenannte Verfahrenslotsen in den Jugendämtern etabliert. Mit der dritten Reformstufe soll schließlich im Jahr 2028 die bisherige Trennung der Zuständigkeit für Eingliederungshilfen überwunden und die Kinder- und Jugendhilfe für junge Menschen mit allen Formen der Behinderung zuständig werden. 1.3 Inklusiver Kinderschutz Zunächst ist zu unterstreichen, dass die Kinder- und Jugendhilfe und insbesondere die Jugendämter schon in der Vergangenheit für den Schutz von allen Kindern und Jugendlichen, unabhängig vom Vorliegen einer Behinderung, zuständig waren. Für präventive, ermittelnde und intervenierende Maßnahmen des Kinderschutzes gab es also nie eine Zuständigkeitstrennung zwischen Jugend- und Behindertenhilfe. Die kritische Frage ist jedoch, ob und wie gut die Kinder- und Jugendhilfe und hier besonders die Jugendämter dieser Aufgabe bislang nachgekommen sind, also ob sie die notwendige Sensibilität und Kompetenzen für die Wahrung und den Umgang mit den spezifischen Entwicklungsrisiken und Schutzbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung hatten. VHN 3 | 2025 178 JOHANN HARTL, ANDREAS MAIRHOFER Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz FACH B E ITR AG Insofern ändert die stärkere Inklusionsorientierung in der Kinder- und Jugendhilfe nichts an den grundsätzlichen Zuständigkeiten für den Kinderschutz. Was sich mit der expliziten Inklusionsorientierung ändert, ist, dass dem Schutz von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Zudem nehmen mit der stärkeren Inklusionsorientierung und vor allem mit der geplanten Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für Eingliederungshilfen bei allen Behinderungen die Kontakte von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung und Akteuren der Kinder- und Jugendhilfe zu, womit auch Fragen des Kinderschutzes stärker in den Vordergrund treten. Besonders deutlich zeigt sich dies im Bereich der (teil-)stationären Hilfen, für die besonders intensiv über inklusive Schutzkonzepte diskutiert wird (Schönecker et al., 2021). Dem Thema Behinderung nähern wir uns in diesem Beitrag über zwei verschiedene, aber dennoch miteinander verwobene Stränge. Grundsätzlich gehen wir von einem relationalen, nicht substanzialistischen Verständnis von Behinderung aus (Egen & Waldhoff, 2023), das Behinderung als Wechselwirkung zwischen dem Individuum und seiner Lebensumwelt definiert. Dabei ist eine Behinderung auch Resultat sozialer Zuschreibungen. In der Analyse der Kinder- und Jugendhilfe als Hilfesystem wird auf eben diese Zuschreibungen rekurriert, wenn Akteure nach Adressat: innen mit Behinderung gefragt werden. Es ist in diesen Fällen davon auszugehen, dass die befragten Akteure auf „etablierte“ Klassifikationsschemata zurückgreifen, wie beispielsweise sonderpädagogische Förderschwerpunkte oder in den Sozialgesetzbüchern vorgenommene Differenzierungen zwischen (jungen) Menschen mit geistiger, körperlicher, seelischer usw. Behinderung. Für die Forschung mit Kindern und Jugendlichen im Lebensumfeld stationärer Einrichtungen werden „die konkreten Lebenswelten mit ihren strukturellen Rahmenbedingungen […], mit denen junge Menschen mit Behinderungen konfrontiert sind“ (Schönecker, 2022 b, S. 532), aus der Perspektive der Betroffenen empirisch erfasst. Insofern wird im vorliegenden Beitrag sowohl auf Fremdals auch auf Selbstbeschreibungen junger Menschen mit Behinderung Bezug genommen. 2 Inklusiver Kinderschutz im Jugendamt Wie bereits erwähnt, besteht der Schutzauftrag der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen, unabhängig vom Vorliegen einer Behinderung. Dennoch liegen unseres Wissens bislang keine empirischen Befunde dazu vor, inwiefern das konkrete Kinderschutzhandeln (präventiv, ermittelnd und intervenierend) der Jugendämter inklusiv gestaltet wird - lediglich institutionelle Schutzkonzepte in Jugendämtern waren bereits Gegenstand empirischer Forschung (Tariq, Christiansen, Rusack & Schröer, 2023). Diese Forschungslücke können auch wir nicht schließen. Um uns dieser Frage anzunähern, werden im Folgenden daher Befunde zur Organisation der - formal immer auch inklusiven - Kinderschutzarbeit der Jugendämter präsentiert und Möglichkeiten der inklusiven Weiterentwicklung diskutiert. Zudem wird aufgezeigt, wie die Jugendämter generell auf die vor allem mit dem KJSG forcierte inklusive Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe reagieren. Empirische Grundlage der Darstellung ist die inzwischen siebte Befragung einer Stichprobe von 229 Jugendämtern durch das DJI-Projekt „Jugendhilfe und sozialer Wandel“ aus dem Jahr 2022 (www.dji.de/ jhsw). An der Befragung teilgenommen haben insgesamt 146 Jugendämter, was einer Rücklaufquote von 63 % entspricht. Die Befunde zur Inklusion sind einer Projektpublikation zu diesem Thema entnommen (van Santen, Seckinger, Mairhofer, Peucker & Pluto, 2025), die Daten zur Struktur der Kinderschutzarbeit wurden bislang noch nicht veröffentlicht. VHN 3 | 2025 179 JOHANN HARTL, ANDREAS MAIRHOFER Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz FACH B E ITR AG Aufgaben des (ermittelnden und intervenierenden) Kinderschutzes werden in über 90 % der Jugendämter durch die Fachkräfte des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) übernommen. In den meisten Ämtern findet also keine Spezialisierung auf Kinderschutzaufgaben, etwa durch auf den Kinderschutz spezialisierte Fachkräfte, Teams oder Organisationseinheiten, statt. Vielmehr ist die Kinderschutzarbeit bei den meisten Jugendämtern Element einer ganzheitlichen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien. Die Fachkräfte der ASDs leisten dabei neben der Kinderschutzarbeit auch Beratungsarbeit, etwa bei Trennung und Scheidung, planen, koordinieren und begleiten ambulante sowie (teil-)stationäre Erziehungshilfen und erbringen andere Hilfeleistungen im Sozialraum. Dabei ist über die Hälfte der Jugendämter der Ansicht, dass die Kinderschutzarbeit die Arbeit in den ASDs derzeit dominiert (eigene Berechnungen). Bei den Fachkräften in den ASDs handelt es sich zu über 90 % um akademisch qualifizierte sozialpädagogische/ sozialarbeiterische Fachkräfte (Autorengruppe Kinder- und Jugendhilfestatistik, 2024). Wie eine Analyse der Ausbildungskonzepte pädagogischer Studiengänge zeigt, können diese Fachkräfte im Rahmen ihres Studiums durchaus Kompetenzen in der Arbeit mit und für Menschen mit Behinderung erworben haben (Demski, Leitner & Dawin, 2024). Allerdings können solche nicht generell vorausgesetzt werden. Insofern legt das Ziel einer inklusiveren Kinderschutzarbeit der Jugendämter, im Sinne einer stärkeren Berücksichtigung der spezifischen Entwicklungsrisiken und Schutzbedürfnisse von jungen Menschen mit Behinderung, nahe, entsprechende Fort- und Weiterbildungen für die ASD-Fachkräfte anzubieten. Dabei zeigen die Daten der DJI-Jugendamtserhebung 2022, dass Kinderschutz und Inklusion zu den Themen gehören, bei denen die Jugendämter die größten Fort- und Weiterbildungsbedarfe sehen. Neben Weiterqualifizierungen können auch Beratungs- und Unterstützungsstrukturen innerhalb der Jugendämter die Fallarbeit der ASD- Fachkräfte unterstützen. Die Kinderschutzarbeit wird in gut einem Viertel der Jugendämter durch Mitarbeitende einer Stabstelle für Kinderschutz unterstützt (eigene Berechnungen). Die Ergänzung solcher Stabstellen durch Personen, die speziell für die Arbeit mit jungen Menschen mit Behinderung qualifiziert sind, böte eine weitere Möglichkeit, die alltägliche Kinderschutzarbeit in den Jugendämtern inklusiver zu gestalten. Dies könnte etwa durch eine personelle Verknüpfung von Stabstellen für Kinderschutz und für Inklusion geschehen. Allerdings verfügen nur 15 % der Jugendämter der DJI-Befragung über eine solche Stabstelle für Inklusion. Der Median des Gründungsjahres liegt bei 2020, die Schaffung solcher Stellen ist demnach eine eher junge Entwicklung. Sofern eine solche Stelle vorhanden ist, hat diese in den meisten Jugendämtern Aufgaben der Konzeptentwicklung. Auch Vernetzung und Unterstützung der Leitung sind verbreitete Aufgaben. Etwas seltener haben diese Stellen die Funktion, Fachkräfte in ihrer Fallarbeit zu unterstützen (van Santen et al., 2025). Ein weiterer Weg, die Kinderschutzarbeit inklusiver zu gestalten, kann sein, relevante Informationen, Methoden und Reflexionsanregungen zu den spezifischen Schutzbedürfnissen und Risikolagen von jungen Menschen, die unter den Bedingungen einer Behinderung aufwachsen, und zur Kommunikation mit Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen in Vorgaben und Hilfsmittel zur Kinderschutzarbeit (z. B. Arbeitshilfen, Checklisten, Kinderschutzbögen), die in den Jugendämtern weit verbreitet sind (Mairhofer, 2020), zu integrieren. Solche Hilfsmittel könnten weiter in spezielle Inklusionskonzepte für den ASD eingebunden und damit konzeptionell unterfüttert werden. In der DJI-Jugendamtserhebung 2022 haben immerhin 14 % der Jugendämter angegeben, ein VHN 3 | 2025 180 JOHANN HARTL, ANDREAS MAIRHOFER Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz FACH B E ITR AG Inklusionskonzept für den ASD zu haben (eigene Berechnungen). Inwiefern diese Konzepte auch explizit die Kinderschutzarbeit aufgreifen, wurde nicht erhoben. Eine weitere Voraussetzung für Inklusion ist die Ermöglichung barrierefreier Zugänge zu den „Angeboten“ der Jugendämter, und damit auch die Möglichkeit, die Ämter über Gefährdungen und weitere Probleme zu informieren und Hilfen zu erhalten. Darüber hinaus kann Barrierefreiheit auch als ein Signal dafür gesehen werden, dass Menschen mit Behinderung mit ihren Anliegen willkommen sind. Barrierefreiheit umfasst dabei unterschiedliche Dimensionen. Das Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG) nennt bauliche, kommunikations- und informationsbezogene Dimensionen (§§ 8ff. BGG). Hieran anschließend wurden die Jugendämter danach gefragt, wie barrierefrei sie bzw. ihre Angebote sind. Besonders groß ist die Barrierefreiheit im baulichen Bereich. Hier geben fast zwei Drittel der Jugendämter an, komplett barrierefrei zu sein, ein weiteres Viertel zumindest teilweise. Deutlich geringer sind die Anteile der Jugendämter, deren Homepage barrierefrei ist und die Informationsmaterialien in leichter Sprache anbieten: Beides ist bei etwa 60 % der Jugendämter ganz oder zumindest teilweise der Fall. Zwischen 12 und 19 % der Jugendämter geben an, dass eine Verringerung von Barrieren in diesen beiden Bereichen geplant ist. Am höchsten sind Barrieren mit Blick auf Nutzungsmöglichkeiten technischer Hilfsmittel zur Kommunikation. Nur 5 % der Ämter bieten diese Möglichkeit, knapp ein Viertel zumindest teilweise (van Santen et al., 2025). Angesichts der rechtlichen Vorgabe, dass die Gefährdungseinschätzung der Jugendämter unter Einbeziehung der Betroffenen erfolgen soll, verweist besonders der Befund zu technischen Hilfsmitteln - andere Formen der kommunikationsbezogenen Unterstützung wie etwa Gebärdendolmetscher wurden nicht erhoben - auf deutliche Grenzen eines inklusiven Kinderschutzes und markiert damit dringende Entwicklungsbedarfe aufseiten der Jugendämter. Neben der unmittelbaren Barrierefreiheit der Jugendämter können auch Kontakte zu Akteuren der Behindertenhilfe mittelbar Zugänge ermöglichen. Die Daten der DJI-Erhebung zeigen, dass die Jugendämter im Kontext von Fragen der Inklusion nahezu flächendeckend mit Schulen, der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kindertageseinrichtungen sowie Frühförderstellen zusammenarbeiten. Auch mit anderen Akteuren, wie etwa den Gesundheitsämtern, für die Eingliederungshilfe zuständigen Stellen, gesetzlichen Betreuern oder Einrichtungen der Behindertenhilfe kooperiert eine deutliche Mehrheit der Jugendämter. Besonders positiv beurteilen die Jugendämter dabei die Zusammenarbeit mit den Frühförderstellen (ebd.). Eine gute Kooperation mit Frühförderstellen dürfte für Fragen des Kinderschutzes nicht unerheblich sein, da diese Stellen - ähnlich wie die Frühen Hilfen - nahe an den Familien dran sind und somit frühzeitig Kenntnis von Schwierigkeiten und Gefährdungen erhalten und entsprechend - ggf. auch durch Einschaltung des Jugendamtes - reagieren können. Die vorgestellten Befunde verweisen auf unterschiedliche Ansatzpunkte, an denen für einen inklusiven Kinderschutz der Jugendämter weitergearbeitet werden muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Jugendämter aktuell mit zahlreichen weiteren Herausforderungen - neben einer inklusiven Weiterentwicklung des Kinderschutzes - konfrontiert sind. Dass Inklusion nicht isoliert betrachtet werden darf, zeigt auch die Antwort der Jugendämter der DJI-Befragung auf die offene Frage nach den größten Herausforderungen, die mit dem Thema Inklusion verknüpft sind. Hier benennt über die Hälfte der Jugendämter Aspekte aus dem Themenbereich „Personal/ Kompetenzen“ VHN 3 | 2025 181 JOHANN HARTL, ANDREAS MAIRHOFER Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz FACH B E ITR AG (van Santen et al., 2025). Inklusion erfordert zusätzliche personelle Ressourcen, die angesichts des massiven Fachkräftemangels in der Kinder- und Jugendhilfe bzw. der Sozialen Arbeit insgesamt fehlen (Mairhofer, Peucker, Pluto & van Santen, 2024). Darüber hinaus verlangt eine inklusive Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe Kompetenzen, die so bei den Fachkräften nicht immer vorhanden sind. Mit deutlichem Abstand (ca. 36 %) werden fehlende Angebote als Problem benannt, wobei sich auch diese wohl letztlich auf einen Mangel an Personal und Kompetenzen zurückführen lassen. Insofern sind die Rahmenbedingungen einer - auch in Fachkreisen zunehmend geforderten (DV, 2024) - inklusiveren Ausrichtung des Kinderschutzes der Jugendämter nicht unbedingt optimal. 3 Inklusiver Kinderschutz in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe Für viele Kinder und Jugendliche, die in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe leben, waren Erfahrungen von Vernachlässigung, körperliche Misshandlung, psychische oder sexuelle Gewalt Hauptgründe für die Unterbringung in einer stationären Wohnform (Autorengruppe Kinder- und Jugendhilfestatistik, 2024). Gleichwohl konnte international wie auch für Deutschland empirisch gezeigt werden, dass stationäre Einrichtungen für Kinder und Jugendliche selbst ein Gefährdungsrisiko für das Erleben (weiterer) Gewalt darstellen können (Leloux-Opmeer, Kuiper, Swaab & Scholte, 2016; Derr, 2023). Es besteht demnach Handlungsbedarf, damit Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe dem an sie gerichteten Auftrag zur Gewährleistung eines „safe space“ für dort lebende Kinder und Jugendliche gerecht werden können. In diesem Zusammenhang besteht bereits jetzt die Verpflichtung zur Erstellung inklusiver (Schutz-)Konzepte. Hier erscheinen zwei Referenzpunkte bedeutsam. Zum einen sind Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe im Zuge der Umsetzung der UN-BRK sowie mit Inkrafttreten des KJSG seit 2021 gehalten, inklusive Einrichtungskonzepte zu entwickeln (Schönecker et al., 2021). Zum anderen besteht seit Inkrafttreten des KJSG die unter aufsichtsrechtlichen Gesichtspunkten (Heimaufsicht) verbindliche Anforderung an Einrichtungen, institutionelle Schutzkonzepte zu entwickeln und diese als einen auf Dauer angelegten Prozess zu etablieren (LWL & LVR, 2021). Mit Blick auf die Frage der inhaltlichen Ausgestaltung von Schutzkonzepten ist zudem zu berücksichtigen, dass sich die gesetzlichen Vorgaben zur Schutzkonzept-Entwicklung spezifisch auf die jeweiligen Konstellationen der Unterbringung beziehen. Damit werden im Falle einer gemeinsamen Unterbringung von jungen Menschen mit und ohne Behinderungen entsprechend inklusiv ausgerichtete Schutzkonzepte notwendig. Eine grundsätzliche Unsicherheit besteht aktuell u. a. darin, dass bislang kaum empirische Angaben dazu vorliegen, wie viele junge Menschen mit Behinderungen in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe leben und welche Formen von Behinderungen sie aufweisen. Damit zusammenhängend erscheint offen, inwieweit bestehende Schutzvorkehrungen der Einrichtungen eine Basis für inklusive Weiterentwicklungen darstellen können sowie welche Hindernisse hier als kritisch erscheinen. Auf Grundlage zweier Studien des DJI können hier erstmals Differenzierungen vorgenommen werden. In einem ersten Schritt werden im Folgenden zunächst Ergebnisse zur Gruppenzusammensetzung und zu Viktimisierungerfahrungen von jungen Menschen mit und ohne Behinderungen berichtet, bevor anschließend Befunde zu organisationalen Rahmenbedingungen und Perspektiven der Gestaltung inklusiver Schutzkonzepte diskutiert werden. Den folgenden Textteilen liegt u. a. ein Projekt- VHN 3 | 2025 182 JOHANN HARTL, ANDREAS MAIRHOFER Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz FACH B E ITR AG vorhaben zugrunde, das mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01SR2108B gefördert wurde. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt beim Autor. 3.1 Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung in stationären Wohngruppen Bislang war empirisch nur wenig bekannt zu der Frage, in welchem Umfang in stationären Wohngruppen junge Menschen mit und ohne Behinderungen bereits zusammenleben. Erste Hinweise dazu geben Befunde einer DJI-Befragung von Einrichtungen stationärer Hilfen zur Erziehung aus dem Jahr 2019, an der 470 Einrichtungen unterschiedlicher Größe, Trägerschaft und Angebotsspektrum aus dem gesamten Bundesgebiet teilnahmen (Pluto, Mairhofer, Peucker & van Santen, 2024). In dieser Befragung berichteten 63 % der Einrichtungen, Bewohner: innen mit einer Behinderung zu betreuen. Am höchsten war dabei der Anteil der Einrichtungen mit Bewohner: innen mit einer seelischen (48 %) und einer Lernbehinderung (42 %), gefolgt von geistigen (24 %) und Sinnesbehinderungen. In Relation zur Gesamtzahl der jungen Menschen in der Einrichtung liegt der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Behinderung bei 20 %. Aus der gleichen Befragung geht hervor, dass von den jungen Menschen mit einer Behinderung, die in den Einrichtungen leben, 52 % eine seelische, 28 % eine Lern-, 10 % eine geistige, 5 % eine Sinnes-, und je 2 % eine Mehrfach-, Körper- oder sonstige Behinderung haben (ebd., eigene Berechnungen). Als Organisationsbefragung gibt die DJI-Befragung bei Einrichtungen der stationären Hilfen zur Erziehung nur die Sichtweise der Einrichtungen wieder. Aus Perspektive der Adressat: innen stationärer Hilfeleistungen und Schutzbemühungen sowie mit Blick auf organisationale Rahmenbedingungen für die (Weiter-) Entwicklung inklusiver Schutzmaßnahmen können erste Hinweise aus aktuellen Daten der Studie „Schutzinklusiv“ (Hartl & Schönecker, 2026) entnommen werden. In der Studie wurden 76 Kinder und Jugendliche aus neun stationären Einrichtungen gefragt, ob sie aus ihrer Sicht Schwierigkeiten in mehreren Verhaltensdimensionen haben. Knapp die Hälfte der befragten Kinder und Jugendlichen berichten von Schwierigkeiten in ihrem Sozialverhalten (49 %), knapp ein Drittel von Einschränkungen im Bereich Sinneswahrnehmung (Sehen oder Hören; 30 %) und knapp ein Fünftel von Problemen im körperlich-motorischen Bereich (19 %). Insgesamt verdeutlichen die Befunde beider DJI-Studien, dass auch aktuell bereits ein „inklusiver“, diversitätsorientierter Blick auf die Adressat: innen von Hilfeleistungen und entsprechend auf fachliche Rahmenbedingungen im stationären Bereich der Kinder- und Jugendhilfe angebracht erscheint. 3.2 Viktimisierung bei Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung In den Daten der Studie „Schutzinklusiv“ bestätigt sich die eingangs getroffene Annahme einer hohen Belastung von Kindern und Jugendlichen durch Erfahrungen von körperlicher, seelischer oder sexueller Gewalt in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Insgesamt haben in der Zeit seit Aufnahme in die betreffenden Einrichtungen je drei Viertel der befragten Kinder und Jugendlichen emotionale wie auch körperliche Gewalt erlebt. Sexuelle Gewalterfahrungen mit Körperkontakt erleben im gleichen Zeitraum ca. ein Viertel der befragten Kinder und Jugendlichen. Der Schwerpunkt der Übergriffe liegt bei allen drei Viktimisierungsformen innerhalb der Einrichtungen (Tabelle 1). VHN 3 | 2025 183 JOHANN HARTL, ANDREAS MAIRHOFER Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz FACH B E ITR AG Insgesamt gehen Übergriffe aller drei Formen zu einem überwiegenden Teil bzw. im Fall von sexueller Gewalt fast ausschließlich von anderen Jugendlichen aus, sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Wohngruppen. Erwachsene kommen in internen wie auch externen Settings in nur sehr niedrigen Fallzahlen (n < 5) vor. Mit Blick auf die Unterscheidung zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen zeigen sich signifikante Unterschiede, wenn nach Formen von Beeinträchtigungen differenziert wird. Kinder und Jugendliche, die bei sich Schwierigkeiten im sozio-emotionalen Bereich wahrnehmen, erleben zu einem höheren Anteil emotionale und sexuelle Gewalt als Kinder und Jugendliche ohne Auffälligkeiten in diesem Bereich. Ebenfalls sind Kinder und Jugendliche mit Sinnesbeeinträchtigungen signifikant häufiger von körperlicher und sexueller (mit Körperkontakt) Gewalt betroffen im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen ohne Einschränkungen beim Sehen oder Hören (Tab. 1). Damit stellt sich die dringliche Frage, inwieweit organisationale Schutzkonzepte und -prozesse aktuell den heterogenen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen mit und ohne Behinderung entsprechen. 3.3 Schutzkonzepte Auf Basis der Befragung von Fachkräften im Gruppendienst in der DJI-Studie „Schutzinklusiv“ zeigt sich ein widersprüchliches Bild hinsichtlich der Umsetzung von Schutzkonzepten. Formale Elemente wie Leitbild, Handlungsplan zur Intervention oder die institutionelle Verfügbarkeit von Vertrauenspersonen und Beschwerdemöglichkeiten sind demnach überwiegend gut umgesetzt. erlebte Gewaltformen emotionale Gewalt körperliche Gewalt sexuelle Gewalt (mit Körperkontakt) % n % n % n gesamt ◾ nur intern ◾ nur extern ◾ beide Settings 76 38 6 56 53 18 3 27 74 29 26 45 54 15 13 23 28 21 58 21 19 4 11 4 Beeinträchtigungen (self-report) ◾ Sehen/ Hören ◾ nein ◾ ja 70 91 33 19 64 100 30 21 *** 21 45 10 9 Sozial-emotional ◾ nein ◾ ja *** 67 90 22 28 67 84 22 26 *** 16 42 5 13 körperlich-motorisch ◾ nein ◾ ja 75 92 39 11 71 92 37 11 26 42 13 5 Tab. 1 Erlebte Viktimisierung befragter Kinder und Jugendlicher (N = 76) (Lesehilfe: 76 % der befragten Kinder und Jugendlichen haben emotionale Gewalt erlebt.) Anmerkung: *** p < 0.05 VHN 3 | 2025 184 JOHANN HARTL, ANDREAS MAIRHOFER Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz FACH B E ITR AG Als ausbaufähig erscheinen Elemente organisationaler Prozesse wie vor allem eine systematische Risiko- und Potenzialanalyse oder die Inanspruchnahme externer Beratung zur Entwicklung von Schutzkonzepten. Gleiches trifft auf pädagogische Teilaspekte von Schutzelementen zu (Tab. 2). 3.4 Personalentwicklung Pädagogische Prozesse erscheinen als wichtige Ausgangspunkte für Prävention, die ausreichend personeller Ressourcen und fachlicher Qualifizierung bedürfen (Fegert, Kölch & Kliemann, 2018, S. 127ff.). Mit Blick auf heterogene fachliche Anforderungen einer inklusiven stationären Kinder- und Jugendhilfe stellt sich daher die Frage, welche Berufsgruppen hier aktuell tätig sind. Daten der Fachkräftestichprobe aus der Studie „Schutzinklusiv“ - befragt wurden 81 Mitarbeitende im Gruppendienst - zeigen, dass sich das pädagogische Personal im Gruppendienst überwiegend aus Erzieher: innen (58 %) und Sozialpädagog: innen (28 %) zusammensetzt. Andere Berufsgruppen kommen in der analysierten Stichprobe kaum vor. Damit spiegelt die Fachkräfteverteilung in der Stichprobe weitgehend die Verteilung pädagogischen Personals in den stationären Hilfen zur Erziehung nach der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik wider (Pluto et al., 2024, S. 119). Eine weitere, eher qualifizierungsbezogene Frage bezieht sich auf fachliche Möglichkeiten, auf behinderungsspezifische Bedarfe einzugehen. Vonseiten der befragten Fachkräfte überwiegen hier positive Einschätzungen vor allem bezogen auf Dimensionen, die in Verbindung mit lern- oder kommunikationsbezogenen Problemen von Kindern und Jugendlichen stehen. Hier berichten lediglich 11 bzw. 17 % von subjektiv empfundenen Schwierigkeiten bzw. Unsicherheiten im fachlichen Umgang. Größere Schwierigkeiten werden vor Schutzmaßnahme (noch) nicht gut umgesetzt ausbaufähig/ gut umgesetzt N gesamt n % n % ◾ Beratung trägerinterne Kinderschutzfachkraft (InsoFa) ◾ Aufklärung über Kinderrechte ◾ Verhaltensregeln zum grenzachtenden Umgang ◾ Handlungsplan für Fälle vermuteter Kindeswohlgefährdung ◾ interne Beschwerdemöglichkeit für Kinder und Jugendliche ◾ Leitbild ◾ Formal benannte Vertrauensperson für Kinder/ Jugendliche ◾ Externe Beratung zu Prävention und Intervention ◾ Präventionsangebote ◾ systematische Potenzialanalyse ◾ systematische Risikoanalyse ◾ sexualpädagogisches Konzept ◾ Verhaltensregeln: digitale Kommunikation MA - K/ J ◾ Angebote zu Jugendmedienschutz/ Medienkomp. 5 9 9 9 10 12 14 24 26 25 26 27 31 39 6,8 11,8 12 12,2 13 16,9 18,7 32 34,2 34,7 35,6 36,5 40,8 51,3 69 67 66 65 67 59 61 51 50 47 47 47 45 37 93,2 88,2 88 87,8 87 83,1 81,3 68 65,8 65,3 64,4 63,5 59,2 48,7 74 76 75 74 77 71 75 75 76 72 73 74 76 76 Tab. 2 Umsetzungsgrad von Schutzkonzeptelementen (Fachkräftebefragung) VHN 3 | 2025 185 JOHANN HARTL, ANDREAS MAIRHOFER Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz FACH B E ITR AG allem im Fall von pflegerischem Assistenzbedarf (57 %) gesehen. Das Eingehen auf verhaltensbezogene Probleme im Gruppenalltag stellt für immerhin ein Viertel der befragten pädagogischen Mitarbeitenden eine relevante Herausforderung dar (25 %). Diese Probleme scheinen vonseiten der Fachkräfte durchaus wahrgenommen zu werden. Etwa knapp jede zweite Fachkraft sieht zur Erfüllung der aktuell relevanten beruflichen Erfordernisse bereits zusätzlichen Qualifizierungsbzw. Fortbildungsbedarf (42 %). 3.5 Inklusiver Schutz - Readiness und Blick auf weitere Entwicklungen? Mit Blick auf die anstehende Notwendigkeit fachlicher Weiterentwicklungen zur Etablierung inklusiver Schutzkonzepte und -prozesse zeigt die Rückmeldung befragter Fachkräfte einen realistischen Optimismus. Der überwiegende Anteil befragter Fachkräfte im Gruppendienst sieht die inklusive Weiterentwicklung der Schutzkonzepte als notwendigen nächsten Schritt an (83 %), der zudem als gut bewältigbar (81 %), wenngleich anspruchsvoll in der Entwicklung eingeschätzt wird (53 %). Gleichzeitig sehen befragte Fachkräfte Entwicklungsbedarf in den bestehenden pädagogischen Konzepten, damit diese für inklusive Settings geeignet erscheinen (40 %). Die für diese Prozesse notwendigen organisationalen Voraussetzungen werden überwiegend positiv bewertet. Im Detail zeigen sich dann aber doch Fallstricke, etwa wenn es um konkretere prozessbezogene Aspekte bei der Weiterentwicklung von Schutz geht. So werden Bedarfe insbesondere mit Blick auf strukturelle Flexibilität, also der Fähigkeit zu einer kurzfristigen Anpassung von Vorgehensweisen und Verfahren (53 %), und damit einhergehend auf Anforderungen an Kommunikationsstrukturen (65 %) sowie planvolles Vorgehen (66 %) geäußert. 4 Fazit und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wurde das Thema inklusiver Kinderschutz aus der Perspektive der Kinder- und Jugendhilfe beleuchtet. Dabei wurden zwei Dimensionen eines inklusiven Kinderschutzes in den Blick genommen: Zum einen Kinderschutz durch die Kinder- und Jugendhilfe, dargestellt am Beispiel von Anforderungen an eine inklusive Kinderschutzarbeit der Jugendämter, zum anderen Kinderschutz in der Kinder- und Jugendhilfe am Beispiel von inklusiven Schutzkonzepten in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Die Befunde zeigen, dass sich beide betrachteten Organisationen auf den Weg zu einer inklusiveren Ausrichtung gemacht haben. Weiter fortgeschritten scheint der Weg der inklusiven Weiterentwicklung bei den stationären Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe zu sein. Dies dürfte (auch) daran liegen, dass das Thema Inklusion in diesem Feld stärker diskutiert wird, da sich im Bereich der stationären Hilfen zur Erziehung weitreichende Veränderungen aufgrund der geplanten Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für Eingliederungshilfen für alle Kinder und Jugendlichen mit einer Behinderung abzeichnen. Dies führt offensichtlich dazu, dass in diesem Feld stärker über Herausforderungen einer inklusiven Arbeit nachgedacht wird als in der Kinderschutzarbeit der Jugendämter, die schon in der Vergangenheit für alle Kinder und Jugendlichen (unabhängig von bestehender Behinderung) zuständig waren und die den Fokus ihrer Inklusionsbemühungen weniger auf Fragen des Kinderschutzes als vielmehr auf Fragen der Umsetzung der Regelungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG), Fragen der Gesamtzuständigkeit bei der Hilfegewährung sowie eine inklusivere Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe insgesamt legen (van Santen et al., 2025). So konnten für das Feld des Kinderschutzes durch die Jugendämter auch keine spezifisch auf den Umgang mit Gefährdungen von Kin- VHN 3 | 2025 186 JOHANN HARTL, ANDREAS MAIRHOFER Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz FACH B E ITR AG dern und Jugendlichen bezogene Befunde präsentiert werden. Vielmehr konnte gezeigt werden, dass bei einem Teil der Jugendämter eine allgemeine Befassung mit dem Thema Inklusion erfolgt. Die Anforderung, in der intervenierenden Kinderschutzarbeit auf die spezifischen Schutzbedürfnisse und Risikolagen von jungen Menschen mit Behinderung einzugehen, kann somit als wichtige Zukunftsaufgabe formuliert werden. Für das Feld der stationären Hilfen zur Erziehung bestätigen die Befunde die Annahme einer höheren Betroffenheit von Gewalt bei Vorliegen einer Beeinträchtigung, was höhere Risiken für Viktimisierung impliziert. Die Befunde zeigen, dass die Viktimisierungsrisiken nicht gleichmäßig verteilt sind. Es gibt Risikokonstellationen, die auf besondere Schutzbedürfnisse von jungen Menschen mit Behinderung hinweisen. Auch wenn insgesamt die Befundlage aufgrund der geringen Datenbasis noch dünn ist und deutlich mehr an Forschung nötig erscheint, können erste praxisrelevante Hinweise formuliert werden. Für systematischen Schutz bedarf es eines gezielten Fokus auf Risikogruppen, eines Einbezugs der Gruppendynamik heterogener Gruppen in Konzepte sowie eines expliziten Blicks auf Peergewalt bzw. Konstellationen von Gewalt unter Jugendlichen. Für beide betrachteten Felder des inklusiven Kinderschutzes weisen die berichteten Daten auf Ansatzpunkte in zumindest den drei im Folgenden knapp skizzierten Bereichen hin. Zunächst lässt sich für Jugendämter und stationäre Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ein fachlicher Weiterentwicklungsbedarf konstatieren. Für beide Felder besteht die Notwendigkeit einer differenzierten Sicht auf die Adressat: innen, wobei herkömmliche Vorstellungen und Begrifflichkeiten (körperliche, geistige usw. Behinderung) zu kurz greifen. Daher scheint eine ableismuskritische Reflexion und der Einbezug professionsübergreifenden Wissens zur Weiterentwicklung des Kinderschutzes nötig. In diesem Sinne sind in Jugendämtern Verfahren und Instrumente zur Umsetzung der Kinderschutzarbeit dahingehend zu überarbeiten, dass sie den spezifischen Schutzbedürfnissen und Risikolagen von jungen Menschen mit Behinderung in angemessener Weise Rechnung tragen. Für die stationären Hilfen zur Erziehung verdeutlichen die Daten einen Weiterentwicklungsbedarf sowohl auf der Ebene pädagogischer Elemente von Schutzkonzepten wie auch der hierfür notwendigen fachlichen Schwerpunktsetzungen. Für Jugendämter wie für stationäre Einrichtungen besteht weiter ein personalbezogener Weiterentwicklungsbedarf. Hierbei wird auch zu klären sein, inwiefern eine heterogenere, d. h. stärker multiprofessionell geprägte Zusammensetzung des Personals gelingen kann. Dabei besteht die Herausforderung, zusätzliche, „behinderungsspezifische“ Kompetenzen aufzubauen, ohne auf die für die Arbeitsfelder originäre Qualifikation zu verzichten. So erfordert die Kinderschutzarbeit sowohl in den Jugendämtern als auch in stationären Einrichtungen zwingend sozialpädagogisch/ sozialarbeiterische Expertise. Eine Lösung für diese personalbezogene Herausforderung könnte in der Etablierung neuer Berufs- und Qualifikationsprofile liegen. Denkbar sind hier ebenso neue Ausbildungsund/ oder Studiengänge wie auch eine Verschränkung von Qualifikationswegen, etwa indem sozialarbeiterisch orientierte Masterangebote für Kinderschutz aufgelegt und für Absolvent: innen grundständiger heilpädagogischer Studiengänge geöffnet werden - et vice versa. Sowohl Jugendämter als auch stationäre Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe stehen vor der Aufgabe, diese zusätzlichen personellen Herausforderungen in einer Situation zu bewältigen, in der sich vielfach seit Jahren bestehende Überlastungen - beispielsweise durch VHN 3 | 2025 187 JOHANN HARTL, ANDREAS MAIRHOFER Heterogene Professionen, Institutionen und Zielgruppen im inklusiven Kinderschutz FACH B E ITR AG eine Ausweitung der Aufgaben oder zunehmend komplexere Fallkonstellationen (vgl. z. B. schon Hielscher, Nock, Kirchen-Peters & Blass, 2013; Mohr, 2017; aktuell z. B. AGJ, 2024) - durch den aktuellen Fachkräftemangel, von dem Jugendämter und stationäre Erziehungshilfen besonders betroffen sind, deutlich zugespitzt haben (vgl. z. B. Hollbach-Grömig et al., 2024; Mairhofer et al., 2024). Für beide Felder liegt dabei auf der Hand, dass solche fachlichen und personellen Weiterentwicklungen zusätzlicher Ressourcen und eines stabilen organisationalen Rahmens bedürfen. Die mit einer inklusiveren Ausrichtung verbundenen Herausforderungen können etwa organisational durch die Einrichtung von Stabsstellen für Inklusion bzw. einen inklusiven Kinderschutz in Jugendämtern oder Stabsstellen für Kinderschutz in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe flankiert werden. Solche aufzubauen und zu erhalten erfordert zusätzliche finanzielle Mittel, welche sozialpolitisch organisiert und perspektivisch abgesichert werden müssen. Welche Strategien letztlich erfolgversprechend sind und dazu beitragen, den Bedürfnissen und Rechten aller jungen Menschen, unabhängig vom Vorliegen einer Behinderung, Rechnung zu tragen, ist eine dringliche, wenngleich offene Frage. Diese zu beantworten, bedarf weiterer empirischer Grundlagen- und auch praxisbezogener Forschung - nicht nur aus der Perspektive der Kinder- und Jugendhilfe. Literatur AGJ/ Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (2022). Inklusion gestalten! 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Nockherstr. 2 D-81541 München E-Mail: mairhofer@dji.de jhartl@dji.de Bildung für alle 3. Auflage 2024. 384 Seiten. 42 Abb. 12 Tab. utb-L (978-3-8252-8838-9) kt a www.reinhardt-verlag.de Ein langer Weg: Das Recht auf Bildung für Menschen mit Behinderung. Ausgehend von Fragen der Gegenwart rollt diese Einführung in die Geschichte der Sonderpädagogik die wichtigsten Etappen chronologisch auf: Von der Zeit der Aufklärung über das 19. Jahrhundert bis hin zum Ende des 20. Jahrhunderts werden die Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in Theorie und Praxis beleuchtet und diskutiert. Die Widersprüche moderner Pädagogik werden entfaltet an ihrer Spezialdisziplin Sonderpädagogik. Unterschiedliche theoretische Ansätze wie Ideen-, Sozial-, Institutions- und Alltagsgeschichte finden dabei Berücksichtigung.