eJournals motorik 36/1

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
11
2013
361

Zusammenarbeit, die bewegt

11
2013
Jutta Schneider
Die Zusammenarbeit von Eltern und Fachkräften in Kindertageseinrichtungen hat in den letzten Jahren im Kontext aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und der Neubewertung frühkindlicher Bildung an Bedeutung gewonnen. Der Artikel thematisiert die Notwendigkeit einer intensiven Zusammenarbeit von Fachkräften und Eltern und beschreibt das Konstrukt der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft als ein zentrales Element moderner Frühpädagogik. Der zweite Teil macht deutlich, wie Bewegung die Zusammenarbeit fördern und unterstützen kann. Zudem wird aufgezeigt, welche Möglichkeiten bewegungsorientierte Angebote bieten, Beziehungen zwischen Eltern und Fachkräften aufzubauen und die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit Leben zu füllen.
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[ 33 ] [ TiTelRubRik ] motorik, 36. Jg., 33-41, DOI 10.2378 / motorik2013.art04d © Ernst Reinhardt Verlag 1 | 2013 Zusammenarbeit, die bewegt Wie Erziehungs- und Bildungspartnerschaften bewegt gestaltet werden können Jutta Schneider Die Zusammenarbeit von Eltern und Fachkräften in Kindertageseinrichtungen hat in den letzten Jahren im Kontext aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und der Neubewertung frühkindlicher Bildung an Bedeutung gewonnen. Der Artikel thematisiert die Notwendigkeit einer intensiven Zusammenarbeit von Fachkräften und Eltern und beschreibt das Konstrukt der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft als ein zentrales Element moderner Frühpädagogik. Der zweite Teil macht deutlich, wie Bewegung die Zusammenarbeit fördern und unterstützen kann. Zudem wird aufgezeigt, welche Möglichkeiten bewegungsorientierte Angebote bieten, Beziehungen zwischen Eltern und Fachkräften aufzubauen und die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit Leben zu füllen. Schlüsselbegriffe: Zusammenarbeit von Eltern und Fachkräften, Erziehungs- und Bildungspartnerschaft, Bewegung, bewegungsorientierte Zusammenarbeit, Beziehungsgestaltung, Eltern-Kind-Arbeit Moving partnership in early education - how to establish partnership between professionals and parents by means of movement The paper focuses on the importance of an intensive collaboration between parents and professionals and describes the idea of educational partnerships as one of the essential elements in early education. The second part shows how movement can be used to build up relationship and interaction between parents and educators and that psychomotor activity is an appropriate medium to support and encourage partnership. Key words: Collaboration between parents and professionals, educational partnership, movement, movement based collaboration, relationship, Parent-child-collaboration [ FACHFORUM ] [ 34 ] [ 34 ] 1 | 2013 Fachforum Zur aktualität der thematik Die durch das Pisa-Debakel ausgelöste Diskussion zur Situation frühkindlicher Bildung innerhalb und außerhalb Deutschlands, hat insgesamt zu einer gesellschaftlichen Aufwertung des Systems der Kindertagesbetreuung geführt. Besonders die Bedeutung der ersten Lebensjahre im Bildungsprozess von Kindern, ist in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Stand lange Zeit die Betreuung und Erziehung von Kindern im Vordergrund, werden Kindertageseinrichtungen heute zunehmend auch als wichtige Bildungseinrichtungen wahrgenommen. Im Zuge dieser Entwicklung wird auch dem Themenkomplex »Zusammenarbeit von Fachkräften und Eltern« neue Aufmerksamkeit geschenkt. Die große Bedeutung, die der Zusammenarbeit mit der Familie gegenwärtig beigemessen wird, muss jedoch auch im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen und politischen Diskussionen zur Situation der Familie gesehen werden. Familien sehen sich heute bei der Übernahme ihrer Erziehungsverantwortung mit vielfältigen sozialen und materialen Belastungen konfrontiert. Gesellschaftliche Veränderungen, neue Familienstrukturen und unsichere ökonomische Lebensbedingungen wirken sich negativ auf die Qualität des Erziehungshandelns und die Tragfähigkeit der familialen Beziehungen aus (BMFSFJ 2005, 6). Prekäre Arbeitsverhältnisse verlangen eine hohe Flexibilität und Mobilität von Arbeitnehmern, und vor allem Frauen sind wachsenden Ansprüchen in Bezug auf eine Erwerbstätigkeit ausgesetzt. Diese gesellschaftlichen Veränderungen und deren Auswirkungen auf die Lebenslagen von Familien haben zur Folge, dass die Kindertagesstätte als Sozialisationsinstanz mit gestiegenen Anforderungen und neuen Bedarfen quantitativer und qualitativer Art konfrontiert wird. »Neben der Bildung des Kindes haben Kindertageseinrichtungen auch den Auftrag, die Eltern bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen, sowie ihre Erziehungskompetenz zu fördern« (WIFF 2011, 23). Dieser erweiterte Auftrag der Kindertagesbetreuung hat in § 22 des Sozialgesetzbuch (SGB VIII) zwischenzeitlich Niederschlag in den rechtlichen Grundlagen der Kindertagesbetreuung gefunden. Der neu eingefügte § 22a SGB VIII betont ausdrücklich die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Tageseinrichtung und Tagespflege mit den Eltern und anderen Institutionen zur Förderung des Kindes. Die Zusammenarbeit von Eltern und frühpädagogischen Fachkräften gilt daher heute - neben der direkten pädagogischen Arbeit mit dem Kind und der Vernetzung mit anderen Einrichtungen - als einer von drei zentralen Bestimmungsmomenten moderner Frühpädagogik (Fröhlich- Gildhoff et al. 2011, 121). Gute Gründe für die Zusammenarbeit von Fachkräften und Eltern Die Grundlage für die Zusammenarbeit von Fachkräften und Eltern ist bereits im Grundgesetz verankert. In Artikel 6 heißt es diesbezüglich: »Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft«. Demnach sind Eltern grundsätzlich für die Pflege und Erziehung ihrer Kinder zuständig. Auch wenn sie diese Aufgabe zeitweise an eine Kindertagesstätte delegieren, verbleibt die Verantwortung letztlich bei ihnen. Die zentrale Rolle der Eltern hinsichtlich der Erziehungsvorstellungen und Entwicklungschancen des Kindes muss daher von Fachkräften anerkannt und berücksichtigt werden. anerkennung der Bedeutung von Bildung Bildung ist heute wichtiger denn je. Besonders frühkindlicher Bildung wird ein langfristiger Nutzen für den Lernerfolg und die Sozialisation während der weiteren schulischen und beruflichen Laufbahn attestiert (Kommission der europäischen Gemeinschaften 2006, 5). Familie und Kindertagesstätte sind die ersten und wichtigsten Sozialisationsinstanzen in der frühen Kindheit und diejenigen, die diese frühen Bildungserfahrungen vorrangig prägen. Der Frage nachgehend, welchen Anteil Institu- »Es macht keinen Sinn, ein Kind zu erziehen, ohne dabei die für das Kind bedeutendsten Menschen zu berücksichtigen« (Tina Bruce) [ 35 ] Schneider • Zusammenarbeit, die bewegt 1 | 2013 [ 35 ] tionen am Bildungsprozess des Kindes im Verhältnis zur Familie haben, zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass der Familie »ein stärkeres Gewicht und eine nachhaltigere Wirkung zukommt als der institutionellen Erziehung« (Liegle 2004,-3). Der Effekt kann sich jedoch in beide Richtungen auswirken, d. h. familiäre Belastungen und Risiken können sich auch entsprechend negativ auf den Bildungserfolg von Kindern auswirken (Liegle 2004, 4). In diesem Fall kann eine qualitativ gute institutionelle Betreuung wiederum ausgleichend und unterstützend wirken. Aus diesen Ergebnissen lassen sich zwei Schlussfolgerungen ableiten: 1. Familien sind bedeutsame Bildungskontexte für Kinder. Daher sind Eltern als Partner in Bildungsfragen anzuerkennen (Thiersch 2006, 82), 2. Bildung und Erziehung müssen als Summe des Einwirkens beider Personengruppen verstanden werden. Nur ein gemeinsames Verständnis kann den Bildungsprozess des Kindes optimieren. ausbau der Kindertagesbetreuung Der quantitative Ausbau des Systems der Kindertagesbetreuung betrifft besonders die Altersgruppe der unter Dreijährigen. Schon in den letzten Jahren hat sich die Zahl der U3-Plätze in Kitas unübersehbar erhöht und soll bis 2013 flächen- und bedarfsdeckend ausgebaut werden. Besonders bei jungen Kindern ist eine enge Kooperation von Familie und Kita unabdingbar. Eltern kennen ihr Kind - seine Gewohnheiten, Rituale und Sprache - am besten. Es ist daher selbstverständlich, dass sie ein großes Bedürfnis haben, dieses Wissen an die Fachkräfte weiter zu geben und sich mit ihnen auszutauschen. Gerade die Zeit der Eingewöhnung ist weichenstellend für die weitere Zusammenarbeit von Fachkräften und Eltern. Kita als familienunterstützendes System Dem Auftrag von Kindertagesstätten, familienergänzend tätig zu werden und Familien in Bezug auf die Erziehung, Bildung und Betreuung der Kinder zu unterstützen, sowie zu entlasten, wird vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Bedingungen und deren Auswirkungen auf das Familienleben besondere Bedeutung zugesprochen. Untersuchungen zeigen, »dass (…) viele Eltern verunsichert sind, ein Drittel fühlt sich im Erziehungsalltag oft bis täglich gestresst (…)« (Henry-Huthmacher 2008, 14). Für Familien besteht zunehmend ein Unterstützungsbedarf. »Erzieherinnen und Erzieher sind neben den Ehepartnern die wichtigsten Ansprechpartner in Sachen Erziehung« (Fröhlich-Gildhoff et al. 2006). Sie werden von Eltern als Berater angenommen und zeichnen sich durch schnelle Hilfe vor Ort aus. Kindertagesstätten sind demnach geeignete Orte der Elternbildung. Die Möglichkeiten von Kindertageseinrichtungen zur Zusammenarbeit von Fachkräften und Eltern sind von anderer Intensität und Vertrautheit geprägt, als die Arbeit mit Eltern in Elternkursen oder anderen Hilfeeinrichtungen. Eltern können über die Kitas niedrigschwellig erreicht und für Themen der Elternbildung sensibilisiert werden (Fröhlich- Gildhoff et al. 2011, 121). Weitere Gründe Zwei weitere Aspekte sollen an dieser Stelle lediglich kurz benannt werden: 1. Die präventive Funktion der Kita: ■ Angebote für alle Kinder und Eltern können Entwicklungsauffälligkeiten vorbeugen, ■ Auffälligkeiten und Familienprobleme können frühzeitig erkannt und notwendige päd. Maßnahmen eingeleitet werden. 2. Die Vorbild-Funktion der Kita: Kindertagesstätten und ErzieherInnen können Eltern helfen zu verstehen, ■ welche Lernumgebung und Spielmaterialien Kinder brauchen und ■ wie sie sich entwicklungsfördernd verhalten können. Erziehungs- und Bildungspartnerschaft: ein neues Verständnis von Zusammenarbeit Auch wenn der Aspekt der Zusammenarbeit von Fachkräften und Eltern im Kontext der Kindertagesbetreuung kein gänzlich neuer ist, so wird die Neubewertung und Neuinterpretation [ 36 ] [ 36 ] 1 | 2013 Fachforum des Themas schon alleine im Wandel der Begrifflichkeiten deutlich. Angestrebt wird heute eine Erziehungs- und Bildungspartnerschaft von Fachkräften und Eltern als zentrales Element der Zusammenarbeit. Beide Begriffe lassen sich in nahezu allen Bildungs- und Orientierungsplänen der Bundesländer finden und haben den Begriff der Elternarbeit weitgehend verdrängt. »Während es bei der Elternarbeit in früheren Jahrzehnten vor allem darum ging, die Eltern zu informieren, ihnen etwas vorzustellen, etwas anzubieten, sie anzuregen oder einzuladen, zeichnet sich der neue Weg der Erziehungspartnerschaft dadurch aus, dass nicht mehr alle Aktivitäten und Anregungen von den Erzieherinnen ausgehen, sondern dass miteinander auf einer gemeinsamen Basis gedacht und geplant wird« (Wehinger 2010, 9). Eltern sollen demnach nicht mehr »bearbeitet« oder »bedient« werden. Sie werden vielmehr als aktive und emotional involvierte Mitgestalter wahrgenommen, können selbst Initiative ergreifen und eigene Ideen und Themen einbringen. Die Idee der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft setzt voraus, dass Fachkräfte Eltern als Experten hinsichtlich der Entwicklung ihres Kindes im familiären Alltag ernst nehmen und die Bedeutung der jeweils anderen Lebenswelt für das Kind anerkennen. Im Fokus der Partnerschaft stehen die gemeinsame Sorge für das Wohl des Kindes und die geteilte Verantwortung für seinen Bildungsprozess. Die Gestaltung einer solchen Erziehungs- und Bildungspartnerschaft verlangt vor allem von Fachkräften eine hohe Professionalität und stellt neue strukturelle Anforderungen an Kindertagesstätten. Trotz der heute angestrebten Begegnung der Partner auf Augenhöhe, ist es primär Aufgabe der Fachkräfte, die wechselseitigen Beziehungen, Partizipation und Kooperation von Familie und Kita zu inszenieren und zu institutionalisieren. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit erfordert von Fachkräften Grundhaltungen wie Offenheit, Transparenz, Geduld, Wertschätzung, Toleranz, Respekt, Vertrauen, Empathie, Echtheit und Dialogbereitschaft. Insgesamt geht diese Haltungsänderung eng einher mit einer Blickänderung vom Kind zur Familie, einem aktiven Zugehen auf die Eltern und einen Orientierung an den Stärken und Interessen der Eltern (Fröhlich-Gildhoff et al. 2008, 22). Sie ist entscheidend für den Beziehungsaufbau und Zugang zu den Familien und bestimmt letztlich die Qualität der Partnerschaft. Die Begriffe Erziehungs- und Bildungspartnerschaft beschreiben demnach vielmehr eine Haltung, als eine Methode. aktuelle Situation der Zusammenarbeit Zwar finden die Begriffe »Erziehungs- und Bildungspartnerschaft« in der Praxis der Kindertagesbetreuung zunehmend Verwendung, jedoch scheint bis heute der defizitorientierte und hierarchisch-autoritäre Habitus der Jugendhilfe immer wieder durch. Studien zur Verunsicherung von Eltern und deren Beratungs- und Unterstützungsbedarfe werden überinterpretiert und als Bestätigung für eine überwiegend belehrende Haltung der Fachkräfte benutzt (BMBF 2005, 25). »Erst allmählich werden die Begriffe Erziehungspartnerschaft und Eltern als Experten mit Leben gefüllt und konkretisiert, sowie als Handlungs- und Orientierungsrahmen konstruiert« (Brock 2012, 9). Die folgenden Ausführungen sollen Anregungen und Ideen geben, wie die Fiktion einer Erziehungs- und Bildungspartnerschaft durch Bewegung bzw. bewegungsorientierte Angebotsformen konkret gestaltet und mit Leben gefüllt werden kann. Abb. 1: Experten unter sich [ 37 ] Schneider • Zusammenarbeit, die bewegt 1 | 2013 [ 37 ] Funktionen Formen • Gewährleisten von Kontinuität von Bildung, Erziehung und Betreuung des Kindes vor dem Hintergrund der geteilten Verantwortung zwischen Familie und Kita • Information • Austausch hinsichtlich der Entwicklung des Kindes • Gestaltung von Übergängen • Wegweiser, Flyer, Broschüren, Elternbriefe, Spielzeug- und Buchausstellungen • »Sprechende Wände«, Fotowände • Allgemeine Elternabende • Tür- und Angelgespräche, Hospitation, Hausbesuch • Entwicklungsgespräch, Elternsprechtag, Portfolio und Bildungsdokumentation, Videoaufnahmen, Vermittlung von Hilfsangeboten, Helferrunden • Aufnahmegespräch, Eingewöhnungs- und Kennlernangebote, Eltern-Kind-Stunden und Themennachmittage rund um die Schule • Stärkung der Erziehungskompetenz • Elterninformation • Elternberatung • Elternbildung • Elternkurse, Eltern-Kind-Kurse • Themennachmittage / -abende • Elternbibliothek • Spieleverleih, Spielberatung • Themenspezifische Gesprächskreise, • Entwicklungs- und Erziehungsberatungsgespräche • Mitbestimmung in der Kita und Beteiligung der Eltern an Entscheidungsprozessen • Elternmitarbeit • Gremien- und Öffentlichkeitsarbeit • Mitarbeit bei Gestaltungsarbeiten und Umbaumaßnahmen in der Kita, Reparieren und Bauen von Spielmaterialien • Zusätzliche Angebote von Eltern für Kinder, z. B. Märchenstunde (Eltern erzählen ihre Lieblingsgeschichten), Berufe der Großen, Eltern stellen ihre Berufe vor, Kochen international (Eltern kochen mit den Kindern Gerichte aus ihrer Heimat) • Elternbeirat/ Elternvertretung, Elternbefragung • Themenspezifische Arbeitsgruppen, z. B. Gestaltung einer Kita- Homepage, Redaktion der Kitazeitung • Förderung von Kontakten zwischen Familien • Vernetzung • Selbsthilfe • Interkulturelle Verständigung • Inklusion von Randgruppen • Feste, Märkte und Ausflüge • Elterncafé, Elternsitzgruppe in der Kita • Familien- oder Eltern-Kind-Spielgruppen, Hobbygruppen, Angebote von Eltern für Eltern • Gesprächsgruppen • Mehrgenerationenprojekte Tab. 1: Funktionen und Formen der Zusammenarbeit von Fachkräften und Eltern [ 38 ] [ 38 ] 1 | 2013 Fachforum Bewegung in der Kindertagesbetreuung An dieser Stelle sei angemerkt, dass dem Begriff Bewegung im vorliegenden Beitrag ein psychomotorisches Bewegungsverständnis zugrunde liegt. Im Text finden daher auch die Begriffe Psychomotorik oder psychomotorisch Verwendung. Die Bedeutung der Bewegung für die kindliche Entwicklung und die Gestaltung kindlicher Bildungsprozesse ist mittlerweile unumstritten. In der pädagogischen Praxis der Kindertagesstätten zeigt sich jedoch bislang ein eher heterogenes Bild hinsichtlich der Umsetzung und Ausgestaltung von Bewegung. Obwohl bewegungsorientierte Angebote und Projekte insgesamt in der täglichen Bildungsarbeit zunehmend Realisierung finden, beschränken sie sich in der Regel auf die pädagogische Arbeit mit dem Kind. Dabei bleibt Bewegung auch über die frühe Kindheit hinaus bis ins Erwachsenenalter grundlegend für die menschliche Persönlichkeitsentwicklung und kann für die Zusammenarbeit von Eltern und Fachkräften nutzbar gemacht werden. Warum eine bewegte Zusammenarbeit sinnvoll ist Die Beziehungsgestaltung zwischen Fachkraft und Eltern stellt einen zentralen Aspekt der Zusammenarbeit dar. »Die Akzeptanz von Angeboten durch Eltern und der Zuspruch hängen im hohen Maße von der Qualität der Beziehung zwischen Eltern und Erzieherinnen ab« (Seifert 2007, 19). Der Aufbau einer tragfähigen Beziehung zwischen Fachkraft und Eltern muss demnach als Grundvoraussetzung für eine gelingende Zusammenarbeit verstanden werden. In der Regel gibt es allerdings in der ErzieherIn-Eltern-Beziehung bei Eintritt in die Kita keine Bindung, keine intensiven positiven Gefühle und keine echte Zusammenarbeit (Textor 2011, 7). Die Beziehungsgestaltung mit den Eltern sollte daher - ebenso wie die Beziehungsarbeit mit dem Kind---in der pädagogischen Arbeit Berücksichtigung finden und als Aufgabe der Fachkräfte verstanden und anerkannt werden. »Sich aufeinander zu bewegen«, »Sich näher kommen« »Auf jemanden zugehen« oder »Jemandem aus dem Weg gehen« - schon diese Redewendungen machen deutlich, dass das Aufnehmen von Beziehungen und gemeinsames Handeln immer auch mit Bewegung zu tun haben. »Kontakten heißt wörtlich, mit jemandem über die Haut Berührung haben« (Anders / Weddemar 2001). Haut und Berührung, im weiter gefassten Sinne also der Körper und die Bewegungshandlung, sind daher unabdingbare Voraussetzungen für ein zwischenmenschliches Miteinander. Auch aus dem in der Psychomotorik zugrunde liegenden Entwicklungsverständnis geht hervor, dass Bewegung zum einen emotional-körperliche Erfahrungen ermöglicht, zum anderen aber auch in der interaktiven Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt als soziales Handlungsmuster und Medium der Inter- Abb. 2: Eltern Sinneserfahrungen ermöglichen Abb. 3: Bewegt aufeinander zugehen [ 39 ] Schneider • Zusammenarbeit, die bewegt 1 | 2013 [ 39 ] aktion verstanden werden muss. Grundlegende Beziehungsthemen, wie z. B. Vertrauen aufbauen, Kontakt aufnehmen, Nähe und Distanz regulieren, kooperieren, sich helfen oder sich mit jemandem auseinandersetzen, sind der Bewegung als wesentliche Ausdrucksform des Menschen immanent. In der Psychomotorik existiert eine Vielzahl an Spielen und Bewegungsangeboten, die für eine derartige Beziehungsarbeit genutzt werden können und Begegnungen in Bewegung ermöglichen. Beispielhaft können an dieser Stelle die psychomotorischen Angebote rund um die Themen »Ringen und Raufen« oder »Akrobatik und Zirkus« genannt werden, da bei beiden Themen eine vertrauensvolle Beziehung und ein achtsamer Umgang miteinander grundlegende Voraussetzungen sind. Beim Einsatz von Bewegungsspielen im Kontext der Zusammenarbeit von Fachkräften und Eltern ist zu beachten, dass das Spiel von Erwachsenen, im Gegensatz zu dem der Kinder, nicht mehr prinzipiell zweckfrei ist. Die Bewegungsthemen und -spiele sollten daher in einen für den Erwachsenen sinnvollen Kontext eingebunden, für die Zielgruppe passend ausgewählt und wohl dosiert sein. Zu viel Bewegung oder Bewegungsangebote, deren Sinn sich der Zielgruppe nicht erschließt, können eher zu Unverständnis und Ablehnung führen. Um die positive Beeinflussung der Beziehungsdynamik zu gewährleisten, ist eine ressourcenorientierte Haltung unbedingt notwendig. »Die Beziehung zwischen der Pädagogin / dem Pädagogen und Eltern leidet darunter, wenn die Kompetenz der Eltern nur als defizitär betrachtet wird. In diesen Fällen ist es schwierig, die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu schaffen« (Bauer / Brunner 2006). Beziehungen brauchen gemeinsames Tun und die daraus resultierenden verbindenden Erlebnisse, um entstehen und wachsen zu können. Bewegungsangebote zur Förderung der Beziehungsgestaltung zwischen Fachkraft und Eltern sollten daher bei Aktivitäten zur Eingewöhnung, bei Elternabenden, themenspezifischen Veranstaltungen für Eltern, Elternkursen und gemeinsamen Festen Berücksichtigung finden. Ein weiterer Aspekt der Zusammenarbeit von Fachkräften mit Eltern betrifft die Methodik, also die Formen der Kooperation, sowie das didaktische Vorgehen. Es stellt eine große Herausforderung an die Fachkraft dar, eine der Zielsetzung und Zielgruppe adäquate Form auszuwählen, die Inhalte aufzubereiten und zu präsentieren. Generell sollten Angebote auf der Basis von Bedarfserhebungen und gezielten Analysen erfolgen und möglicherweise hinsichtlich der verschiedenen Elterngruppen differenziert werden - »die Eltern« als homogene Gruppe gibt es nicht! (Fröhlich-Gildhoff et al. 2011, 22). In jüngeren Forschungsprojekten konnte jedoch gezeigt werden, dass es bestimmte Elterngruppen gibt, die über praktische und handlungsorientierte Ansätze gut oder sogar besser zu erreichen sind. Reuter (2007, 140) kommt im Rahmen des Projekts »Stärkung der Erziehungskraft der Familie durch und über den Kindergarten« zu dem Ergebnis, dass handlungsorientierte Angebote am besten geeignet sind, um Väter in den Kindergarten zu integrieren. Als Beispiele werden gemeinsame Aktionen von Vater und Kind, Familienausflüge und Spieltage mit Erzieherinnen, sowie gemeinsame Aktionen zur Unterstützung der Kindergartenarbeit und Förderung des Kennenlernens genannt. Grimm und Mackowiak (2006) konnten bei der Evaluation verschiedener Elternbildungsangebote belegen, dass Kurse, die praktische Übungselemente beinhalten, die besten Effekte zeigen. Textor formuliert diesbezüglich, dass solche Elternangebote als besonders positiv zu bewerten sind, die durch ungezwungene, offene Kommunikation zwischen Eltern, sowie zwischen Eltern und ErzieherInnen, durch partnerschaftliche Kooperation, aktive Mitwirkung der Eltern, eine gesellige, gemütliche Atmosphäre und einen unmittelbaren Erlebnisbezug zur Arbeit in der Kindergruppe gekennzeichnet sind (Textor 2002, 4). Diesen Forderungen kann eine bewegungsorientierte Zusammenarbeit von Eltern und Fachkräften Rechnung tragen. Zusammenkommen ist ein Beginn, Zusammenbleiben ein Fortschritt, Zusammenarbeiten ein Erfolg. (Henry Ford) [ 40 ] [ 40 ] 1 | 2013 Fachforum abschließende Betrachtungen Die der psychomotorischen Arbeit zugrundeliegenden didaktischen Prinzipien und das geforderte Verhalten des Psychomotorikers, weisen eine deutliche Nähe zu den oben beschriebenen Aspekten auf. Bewegung muss daher als sinnvolle Ergänzung im Methodenpool der Zusammenarbeit von Fachkräften und Eltern anerkannt werden. Da sich in einer bewegten Zusammenarbeit gemeinsames Erleben, Kommunizieren und Verstehen über den Körper und im Handeln generieren, können Bewegungsangebote die Zusammenarbeit mit Eltern / Familien mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Hintergründen bereichern und zur kulturellen Verständigung und Inklusion von Randgruppen beitragen. Auch im Hinblick auf den gestiegenen Elternbildungs- und Erziehungsberatungsbedarf in Kitas, kann ein bewegungsorientiertes Vorgehen von Vorteil sein. Der handlungsbezogene Zugang zu beziehungs- und erziehungsrelevanten Themen kommt zum einen besonders Eltern aus bildungsfernen Schichten entgegen, die häufig nicht in der Lage sind, ihr Erziehungsverhalten zu reflektieren. Zum anderen ist Bewegung ein gleichermaßen für Kinder und Erwachsene ansprechendes und geeignetes Medium und kann in der Eltern-Kind-Arbeit als vermittelndes Element zwischen Eltern und Kind eingesetzt werden. Im gemeinsamen Bewegungshandeln werden entwicklungsfördernde und -hemmende Verhaltensweisen für Eltern und Kind konkret erlebbar, verstehbar und änderbar. Betrachtet man beide Aspekte der Zusammenarbeit und die nachweisbaren Bezüge zur Bewegung, lässt sich insgesamt festhalten, dass der gezielte Einsatz psychomotorischer Bewegungselemente die Zusammenarbeit von Fachkräften und Eltern bereichern und im Hinblick auf bestimmte Familien eine bessere Erreichbarkeit und größere Effekte bewirken kann. Literatur Anders, W., Weddemar, S. (2002): Häute scho(e)n berührt? Körperkontakt in Entwicklung und Erziehung. 2. Aufl.. modernes lernen, Dortmund Die Autorin Jutta Schneider Diplom Heilpädagogin, Marte Meo Therapeutin, seit 2003 als Heilpädagogin im Zentrum für Frühbehandlung und Frühförderung in Köln tätig, seit 2006 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität zu Köln; freiberufliche Fortbildungstätigkeit für frühpädagogische Fachkräfte Anschrift Jutta Schneider Universität zu Köln Lehrstuhl für Bewegungserziehung Gronewaldstr. 2a 50931 Köln J.Schneider@uni-koeln.de Abb. 4: Gemeinsam etwas erleben Abb. 5: Sich trauen und vertrauen [ 41 ] Schneider • Zusammenarbeit, die bewegt 1 | 2013 [ 41 ] Bauer, P., Brunner, E. J. (Hrsg.) (2006): Elternpädagogik. Von der Elternarbeit zur Erziehungspartnerschaft. Lambertus, Freiburg im Breisgau Brock, I. (2012): Frühpädagogische Fachkräfte und Eltern---Psychodynamische Aspekte der Zusammenarbeit. 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