motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2013
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Raus aus dem Abseits mit Unified Sports!?
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2013
Stefanie Frings
Der vorliegende Beitrag skizziert in diesem Zusammenhang das Spielfeld einer sportorganisations-gerichteten Inklusion und Exklusion anhand des Best Practice Beispiels Unified Sports Special Olympics Deutschland e. V. Im Zuge der Zielerreichung einer Inklusion ALLER sollen Hürden und Möglichkeiten der Überwindung skizziert werden.
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[ 85 ] motorik, 36. Jg., 85-89, DOI 10.2378 / motorik2013.art07d © Ernst Reinhardt Verlag 2 | 2013 [ FachFORUM ] Raus aus dem Abseits mit Unified Sports! ? Inklusionsbemühungen versus Exklusionsrealitäten Stefanie Frings Der vorliegende Beitrag skizziert in diesem Zusammenhang das Spielfeld einer sportorganisations-gerichteten Inklusion und Exklusion anhand des Best Practice Beispiels Unified Sports Special Olympics Deutschland e. V. Im Zuge der Zielerreichung einer Inklusion ALLER sollen Hürden und Möglichkeiten der Überwindung skizziert werden. Schlüsselbegriffe: Inklusion, Leistungsverständnis, Unified Sports, Neukonfiguration Get off the sidelines with Unified Sports? This paper outlines the playing field in the context of a sports organization-directed inclusion and exclusion on the basis of the best-practice example of Special Olympics Unified Sports Germany e.V. It describes obstacles and ways to overcome these obstacles in order to achieve the goal of an inclusive sports system. Key words: Inklusion, new performance orientation, Unified Sports, Reconfiguration [ 86 ] 2 | 2013 Fachforum Ungeachtet der Chancen, die mit der Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Sport einhergehen - die Steigerung des körperlichen und psychischen Wohlbefindens, die Stärkung der Autonomie oder aber die Anreicherung sozialer Kontakte (Anneken 2010; Scheid 2008) - fehlt es gegenwärtig vor allem an Konzepten, die einen barrierefreien Zugang zu Sportstätten und deren lokalen Angebotsstrukturen ebnen. Darüber hinaus fehlen Konzepte, die die Wahlfreiheit zwischen homogenisierten Angeboten und solchen Angeboten garantieren, die auf eine Explikation und Spezifizierung verzichten. Die Zielrichtung steht hingegen unlängst fest. Sie liegt dem Artikel 30 der UN Behindertenrechtskonvention zugrunde, der die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung an Sportaktivitäten a la Couleur akzentuiert und die Akteure dazu auffordert, Selbstverständnis, Konzeptionen und Angebotsprofile regulärer aber vor allem auch behindertenspezifischer Sportorganisationen an die Zielvorgabe der Inklusion ALLER anzupassen und weiterzuentwickeln. Sicherlich hatten Sie schon Gelegenheit, eine Mannschaftssportart, wie etwa ein Fußballspiel, mitzuerleben? ! Sie erinnern sich vielleicht noch an die unterschiedlichen Spielertypen, taktischen Vorgaben und Aufgaben, die den einzelnen Akteuren zugeordnet werden? Vielleicht sind Ihnen darüber hinaus solche Spieler/ innen im Gedächtnis geblieben, die eine besonders gute Leistung zeigten oder aber unglücklich agierten? Unbemerkt indessen bleiben vielfach jene, die »abseits« des Spielfeldes, auf der Ersatzbank sitzend, auf ihren Einsatz warten müssen. Vor allem Menschen mit Behinderung wird, trotz eines gesetzlich normierten Anspruchs gleichberechtigte »Gesellschafts-Teammitglieder« zu sein, die Rolle eines aktiven und gestalterischen »Spielmachers« zumeist vorenthalten. Die Sportorganisation Special Olympics Deutschland e. V. Innerhalb des Spielfelds von Inklusion und Exklusion versteht sich Special Olympics Deutschland e. V. (SOD) als Akteur, der für Menschen mit geistiger Behinderung inkludierende Angebote im organisierten Sport schafft. Als Bindeglied zwischen den Sportverbänden und -vereinen, den diversen Rehabilitationseinrichtungen sowie den Athlet/ innen und ihren Angehörigen arrangiert SOD für mehr als 40 000 Menschen mit geistiger Behinderung in insgesamt 26 Sportarten regelmäßige und leistungsorientierte Wettkämpfe auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Dabei richtet sich SOD programmatisch und konzeptionell an den Aufforderungen und Zielsetzungen der UN BRK aus. Mit dem Ziel, sowohl auf institutionell-struktureller als auch auf personeller Ebene entsprechende Grundvoraussetzungen für den Inklusionsprozess zu schaffen und Menschen mit Behinderung die gleichberechtigte Teilnahme an Sportaktivitäten zu ermöglichen, wurde das Programm UNIFIED SPORTS ®1 Mitte der 1980er- Jahre initiiert. Das Programm soll die Akteure der verschiedenen Sportorganisationen darin unterstützen, Antworthinweise auf die Frage zu generieren, wie die Inklusion von Menschen mit (geistiger) Behinderung in den (Breiten-)Sport erfolgreich gelingen kann. 1 Der Ausdruck »UNIFIED SPORTS« ist eine geschützte Marke. Foto: SOD / Luca Siermann [ 87 ] Frings • Raus aus dem Abseits 2 | 2013 Das Programm Unified Sports An der Schnittstelle schulischer Inklusion, öffentlicher Vereinsarbeit sowie bürgerschaftlichen Engagements zielt das Unified Konzept darauf ab, Special Olympics Athleten mit Sportler / innen ohne geistige Behinderung (Partner) in Sportteams zum Training und Wettbewerb zusammenzubringen und dabei ALLEN eine wertgeschätzte Akteursrolle im fairen Wettbewerb zukommen zu lassen. Sie trainieren unter der Anleitung ausgebildeter Trainer gemeinsam als gleichberechtigte Sportler / innen in Sportstätten vor Ort und nehmen als ein Team an Wettbewerben in den verschiedensten Disziplinen, u. a. Basketball, Fußball, Eiskunstlauf (Paarlauf und Eistanz) Team-Golf, Handball, Kanu (Doppel), Schwimmen, Ski Langlauf (Staffel) u. v. m. teil. Hierfür werden die Athleten unabhängig der Behinderung zu vergleichbaren Alters- und Leistungsniveaus gemäß den jeweiligen Sportartenrichtlinien in Teams zusammengefasst. Neben den spezifischen Regeln in Bezug auf das zahlenmäßige Verhältnis von Unified-Athleten und Partnern während eines Wettbewerbs wird empfohlen, ein proportionales Verhältnis von Athleten und Partnern (von möglichst 50 : 50) einzuhalten. Zu den zentralen und charakteristischen Bausteinen des Unified-Sports gehören weiterführend die Verortung außerhalb von Sonderinstitutionen und die zeitgleiche Anbindung an reguläre Sportvereine in unmittelbarer Nachbarschaft. So sind die Unified Sports-Programme an die Freizeitaktivitäten zuständiger Ämter und Schulen anzubinden und in die bereits existierenden örtlichen Sportvereine einzubetten. Das Konzept zielt darauf ab, Berührungspunkte zu schaffen und Möglichkeiten zu initiieren, um mit Gleichaltrigen auf sportlicher Augenhöhe zusammenzukommen und sich als vollwertige und gleichberechtigte Mitglieder einer Mannschaft zu fühlen. Das Arrangement gemeinsamer Erfolge und Misserfolge bietet ein Forum für positive soziale Interaktionen zwischen Mannschaftskollegen / innen im öffentlichen Raum und damit die Chance, ihr Können auch außerhalb behindertenspezifischer Einrichtungen zu demonstrieren. Unified Sports - zwischen Inklusionsbemühungen und Exklusionsrealitäten Die Grundkonzeption des Unified Sports führt eine Reihe von positiv zu wertenden Inklusionsmerkmalen an. Hierzu gehören insbesondere die wertgeschätzte Rollenübernahme von Sportler / innen als gleichberechtigte Teammitglieder oder auch die Inklusion in Regelsportorganisationen. Zugleich lassen diese inklusive Merkmale, aber auch exkludierende Bedingungen sichtbar werden, die einmal mehr deutlich machen, dass Inklusion und Exklusion die beiden Seiten derselben Form sind. Die Parallelität von Segregation und Integration zeigt sich vor allem im Zugang zum Unified Sports. Für die Teilhabe sind die Sportler / innen mit und ohne (geistige) Behinderung vorab als solche »exklusiv« durch Differenzierung zu adressieren und von anderen Adressaten, wie beispielsweise lernbehinderten Menschen, abzugrenzen. So entscheidet, entgegen der postulierten Absicht, Menschen mit und ohne Behinderung anhand »gleicher« Leistungsniveaus in Teams zusammenzuführen, nicht das Können, sondern das zugewiesene und verifizierte Label geistig behindert/ nicht-behindert über die Aufnahme in ein Unified-Team. Ergänzt wird das exklusive Adressierungsangebot durch die 50 : 50 Regelung. In Anknüpfung an den Leistungsgedanken und die postulierte Zielsetzung des Programms, neue Herausforderungen zu schaffen sowie die Möglichkeit, die individuellen Fähigkeiten weiterzuentwickeln und im kompetitiven Wettkampf zu erproben, stellt sich hier zudem die Frage, inwiefern diese Zielsetzungen angesichts eines weitestgehend homogenisierten Teams realisiert werden können. Ungeachtet der Frage nach der Auflösung der soeben gezeigten Ambivalenz exklusiver Inklusionsvoraussetzungen stellt sich die Frage nach der Abhängigkeit von Altersstrukturen im Hinblick auf einen Etablierungserfolg der Unified Sports-Programmatik. Während eine gelingende Umsetzung für Teams im Vorschul- und Grundschulalter grundsätzlich möglich scheint, weist [ 88 ] 2 | 2013 Fachforum die Konzeption in der Phase der Pubertät einige Umsetzungsbarrieren auf. Hier stehen im Gegensatz zur erst genannten Altersgruppe nicht länger der Spaß an der gemeinsamen Bewegung und dem gemeinsamen Spiel im Vordergrund, sondern vielmehr der leistungsorientierte und individualisierte Abgrenzungsgedanke. Während die sportspezifischen Fähigkeiten im frühen Kindesalter noch nicht in zentralen Leistungsaspekten ausgeprägt sind, das Regelwerk und taktische Vorgaben von ALLEN nur in Grundzügen und mit vielen Hilfestellungen eingehalten werden können, unterscheidet sich die nachfolgende Altersgruppe in ihren Fähigkeiten und physischen Ausprägungsmerkmalen erheblich, so dass Fähigkeiten und Defizite unmittelbar behinderungsspezifischen Merkmalen zuzuordnen sind (Hölter 2011). So ist davon auszugehen, dass es erst im Erwachsenenalter zu einer erneuten Veränderung der Motivationslage kommt, die den Motiven der Sportler / innen im Vorschul- und Grundschulalter ähnelt. Abseits personenzentrierter Zugangsvoraussetzungen zeigen sich auf Organisationsebene weitere Konstellationen, die eine Lücke zwischen Inklusionsabsichten und Exklusionsrealitäten bedingen. Hierzu zählt insbesondere die Kooperationsbereitschaft der behindertenspezifischen und regulären Sportangebotsakteure. Diese verharren bis heute in ihren jeweiligen Konzepten und Angebotsstrukturen, die insgesamt eine ablehnende Haltung gegenüber verbandsübergreifenden und damit inklusiven Strukturen provoziert. Mit Blick auf die gegenwärtige Binnenstruktur von behindertenspezifischen und regulären Vereinen und Anbietern rückt die praktische Umsetzung des Programms in weite Ferne. So besteht SOD, trotz der eigens proklamierten und akzentuierten Ausrichtung inklusiven Sports, auf Unified-konzeptionsspezifische Wettkämpfe, während die Akteure der Regelsportorganisationen das Angebot lediglich als additives und damit im Vereinsgefüge separiertes Angebot wahrnehmen. Somit sind es, ungeachtet der vielfältigen Bemühungen, eine Pädagogik der Vielfalt und ein inklusions-orientiertes Sportsystems zu entwickeln, weiterhin vor allem die Sportler / innen mit Behinderung, die abseits des Spielfeldes auf ihren gleichberechtigten Einsatz warten müssen. Fazit Insgesamt zeigt sich, dass auf dem Weg, Sportler / innen aus dem Abseits herauszuholen, einige Hürden zu überwinden sind. Diese sind gemäß den Ausführungen weniger auf einer individuellen als vielmehr einer institutionellen und binnenstrukturellen Ebene zu suchen. Durch das kontinuierliche Beharren auf den systemeigenen Sportangeboten ist eine Kumulation und heterogene Angebotslandschaft, die über ein additives Moment hinausgeht, kaum vorstellbar. Um Inklusion praktisch zu realisieren, müssen anstelle der exklusiven Angebote mit eigenen Wettkämpfen und Richtlinien verbands- und vereinsübergreifende Regelstrukturen geschaffen und etabliert werden. Ferner ist zu überlegen, wie aus behindertenverbandspolitischer Sicht prinzipiell jeder Sportverein darin unterstützt werden kann, ein solches Angebot für ALLE auf den Weg zu bringen. Hinsichtlich der Konfigurationsbedingungen muss die Chance zur Teilhabe aller Mitglieder einer heterogenen Gesellschaft gewahrt werden, ohne dabei auf eine weitere Differenzierungsmarkierung zurückgreifen zu müssen. Die Angebote gilt es darüber hinaus zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt der Sozialisierung zu etablieren. Hier rücken vor allem die Institution Schule und der inklusive Schulsport in den Blickpunkt. Abschließend bleibt zu konstatieren, dass das Thema Inklusion und Sport Foto: SOD / Luca Siermann [ 89 ] Frings • Raus aus dem Abseits 2 | 2013 einem überaus komplexen Sachverhalt obliegt, der nicht allein in Richtung Inklusion aufzulösen ist. Für eine Veränderung additiver aber separierender und separierter Momente bedarf es einer Bewusstseinsveränderung, die Vielfalt, Diversität und Heterogenität von Sportler / innen als gestalterisches Element in Wettkampfkonzeptionen, Trainings und Unterrichtsgestaltung aufnimmt. Mit dem Programm »Get-Into-It«, das in vier grundlegenden Lektionen über Menschen mit (geistiger) Behinderung altersgerecht informiert, liegt zudem ein weiterer elementarer Baustein vor, der zur Überwindung von »Berührungsängsten« beitragen kann und sich als anknüpfungsfähig an die Konzeption inklusiven Sports erweist. Literatur Anneken, V. (2010): Teilhabe durch Sport. Gemeinsam Leben 2010 (3), 135-138 Hölter, G. (2011): Schulsport in der Förderschule - Bestandsaufnahme und Perspektiven. Sportunterricht 2011 (1), 14-21 Scheid, V. (2008): Behinderte helfen Nichtbehinderten - eine ungewöhnliche Initiative mit beachtlicher Wirkung. In: Fediuk, F. (Hrsg.): Inklusion als bewegungspädagogische Aufgabe. Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam im Sport. Schneider, Baltmannsweiler, 143-158 Special Olympics Deutschland (2013): Unified Sport. http: / / specialolympics.de/ angebote/ spor t/ unified-sport, 31. 01. 2013 Die Autorin Stefanie Frings Dipl.-Rehabilitationswissenschaftlerin, seit 2006 tätig als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Dortmund, Fakultät Rehabilitationswissenschaften und seit 2001 Mitglied Special Olympics Deutschland Anschrift Stefanie Frings Technische Universität Dortmund Fakultät Rehabilitationswissenschaften Emil-Figge-Str. 50 D-44221 Dortmund stefanie.frings@tu-dortmund.de
