eJournals motorik 36/2

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2013
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Praxiskonzept: Elternarbeit im Kölner Therapiezentrum

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2013
Carmen Wöhler
Im vorliegenden Bericht wird exemplarisch ein Einblick in die Möglichkeiten einer interdisziplinär ausgerichteten Elternarbeit gegeben. Dabei liegt der Fokus auf der Vorstellung des Konzeptes, nach dem im Kölner Therapiezentrum gearbeitet wird.
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[ 105 ] motorik, 36. Jg., 105-107 © Ernst Reinhardt Verlag 2 | 2013 [ Auf den Punkt gebrAcht ] Praxiskonzept: Elternarbeit im Kölner Therapiezentrum carmen Wöhler Im vorliegenden Bericht wird exemplarisch ein Einblick in die Möglichkeiten einer interdisziplinär ausgerichteten Elternarbeit gegeben. Dabei liegt der Fokus auf der Vorstellung des Konzeptes, nach dem im Kölner Therapiezentrum gearbeitet wird. Das Kölner Therapiezentrum Das Kölner Therapiezentrum für Kinder und Jugendliche mit Teilleistungsstörungen ist eine Einrichtung, in der das Kind angelehnt an ICD- 10 in einem interdisziplinären Team behandelt wird. Die eltern- und umfeldbezogene Arbeit besitzt dabei den gleichen Stellenwert wie die Therapie des Kindes. Mittlerweile werden wöchentlich ca. 330 Kinder und ihre Familien in den Bereichen Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie, Psychomotorik, Aufmerksamkeitstraining nach Lauth / Schlottke oder Marburger Konzentrationstraining, Verhaltenstherapie, systemische Familientherapie und Heilpädagogik behandelt. Auch der regelmäßige Austausch mit der Schule bis hin zu Unterrichtshospitationen ist ein wichtiger Bestandteil der täglichen Arbeit im Kölner Therapiezentrum. Die Leistungen für Kind und Familie werden aufgeteilt in medizinisch-therapeutische Leistungen, die per Heilmittelverordnung von den Krankenkassen übernommen werden, und heilpädagogische Leistungen, die vom Jugendamt der Stadt Köln übernommen werden. Beide Leistungen finden - ähnlich wie die Komplexleistung eines Frühförderzentrums - parallel statt. Der interdisziplinäre Ansatz spiegelt sich auch in den einzelnen Behandlungsstellen wieder, die über Köln verteilt sind: Alle vier Standorte sind eng an Schulen gekoppelt und eine enge Zusammenarbeit zwischen Schule, Elternhaus und TherapeutInnen findet gewinnbringend statt. Elternarbeit zu Beginn der Therapieaufnahme Das Anamnesegespräch Die Aufnahme des Kindes im Kölner Therapiezentrum erfolgt mit einem Anamnesegespräch der Eltern, in dem ressourcenorientiert und systemisch bisherige Praktiken der Eltern erfragt werden, mit den Schwierigkeiten des Kindes umzugehen. ■ Wie schätzen die Eltern die beschriebene Schwierigkeit ein? ■ Was tun sie, um das Kind zu unterstützen? ■ Wann zeigt sich schwieriges Verhalten des Kindes nicht? ■ Was traut es sich zu? ■ In welchen Bereichen ist es selbständig? In der Art, in der die Eltern dadurch wahrgenommen werden, fühlen sie sich ernst genommen und gleichberechtigt, auch in ihrer Sorge um das Kind verstanden. Als Experten ihres Kindes verstanden zu werden, macht es sie offen für an- [ 106 ] 2 | 2013 Auf den Punkt gebracht dere Ideen und für die Sicht eines weiteren Experten: dem Kölner Therapiezentrum. Nach einer Befunderhebung des Kindes mittels diverser Testverfahren und dem gemeinsamen Austausch in der Teamsitzung werden den Eltern nach dieser Eingangsphase die Ergebnisse vermittelt. Daran anknüpfend wird der weitere Therapie- und Förderplan aufgestellt. Erst wenn die Eltern diesen verstanden haben und auch damit einverstanden sind, beginnt die eigentliche Therapiephase. Elternarbeit im Therapieprozess Die Elternberatung Flankierend zu den wöchentlichen Therapieterminen der Kinder finden regelmäßige Elternberatungsgespräche statt. Inhalt dieser Gesprächstermine ist der elterliche Umgang bei der Bewältigung des Alltags. ■ Wo benötigt das Kind mehr Unterstützung? ■ Wie ist die Hausaufgabensituation? ■ Wie die Probleme beim abendlichen Schlafengehen? ■ Wie kann man auch den Bedürfnissen der Geschwisterkinder gerecht werden? Ideen für Veränderungen im Umgang mit dem Kind können so gemeinsam zielgenau für jede Familie und ihr Kind erarbeitet werden. Grundlage dieser Arbeit sind verhaltenstherapeutische Manuale für Kinder und Jugendliche oder Elterntrainings. Gerade belastete Eltern bekommen dadurch einen Raum, eigene Sorgen und Ängste zu thematisieren. Sie können so selbst einmal in den Mittelpunkt rücken und eine Entlastung bei Fragen, wie zum Beispiel der eigene Akku aufgefüllt werden kann, erfahren. Sehr einfühlsam wird die Familie in Stresssituationen begleitet und auf dem Weg zu einer individuellen Lösung unterstützt. Systemische Familientherapie Die Notwendigkeit familientherapeutischer Hilfen für Familien mit Kindern mit Teilleistungsstörungen oder ADHS ergibt sich aus den besonderen Bedürfnissen und Belastungen, denen sich eine Familie in dieser Situation häufig ausgesetzt sieht. Die Sitzungen, an denen die gesamte Familie, die Eltern oder nur ein Elternteil teilnehmen können, finden in einem Rhythmus von ca. drei Wochen statt. Die Eltern erhalten auf diese Weise die notwendige Unterstützung, um Kräfte für den Alltag freizusetzen. Die jeweiligen Schwerpunkte der familientherapeutischen Arbeit ergeben sich im Prozess mit den Beteiligten. Es ist grundsätzlich wichtig, dass Veränderungen jeglicher Art von den Familien verantwortlich getragen werden und sich im Alltag bewähren müssen. Es geht nicht darum, den Familien vorgefertigte Lösungen für ihre Probleme anzubieten. Stattdessen sollen sie mit Hilfe der Familientherapeutin in dem Prozess begleitet werden, sich selbst aus ihren Problemen zu lösen. Anknüpfungspunkte sind dabei die familiären Ressourcen, die das jeweilige Familiensystem zu bieten hat. Folgende Fragen stehen im Mittelpunkt der Familientherapie: ■ Wie ist die Verteilung der innerfamiliären Belastungen? Sind alle damit zufrieden? Was kann zu einer entlastenden Familiensituation beitragen? ■ Welche positive Funktion hat das Verhalten des Kindes für die Stabilität der Familie? Was wäre, wenn das Kind plötzlich nicht mehr die Symptome zeigen würde? Müsste das Kind eine Trennung der Eltern befürchten, wenn sie nicht mehr in der Sorge um das Kind vereint wären? ■ Wie können Eltern eine hinsichtlich der Umsetzbarkeit realistische Erziehungshaltung erwerben? Welche Erziehungsmaßnahmen wollen sie ergreifen? Wie können friedliche Situationen mit dem Kind entstehen? Die Elterngruppe Angelehnt an das Modell einer angeleiteten Elternselbsthilfegruppe finden im Kölner Therapiezentrum jährlich mehrere Elterngruppen auf der Basis von Elternkompetenztrainings statt. Hier steht das klassische Konzept der Selbsthilfegruppe im Vordergrund: Zum einen sollen die TeilnehmerInnen erfahren, dass andere Eltern [ 107 ] Wöhler • Elternarbeit im Kölner Therapiezentrum 2 | 2013 ähnliche Probleme haben. Zum anderen erhalten sie Schritt für Schritt Hilfen an die Hand. Hierdurch werden sie selbst gestärkt, um sich wieder handlungsfähig zu fühlen. Auch externe Interessierte können an den Treffen teilnehmen. In der ersten Phase nach Beginn der Gruppentreffen soll die Interaktion zwischen dem Kind und den Eltern verbessert werden. Positive Elemente werden bewusst gemacht und gestärkt. In der zweiten Phase werden gezielt Handlungsstrategien für häusliche Situationen angeboten, die bekanntermaßen konfliktträchtig sind. In der letzten Phase stehen die Eltern im Mittelpunkt: Nur wenn sie selbst gut auf sich achten, sind sie in der Lage, im Erziehungsalltag den Bedürfnissen des Kindes gerecht zu werden. Als elterliches Vorbild ist es wichtig, sich dieser Rolle bewusst zu sein. Während der gesamten Treffen werden systemische Elemente angewendet, um neue Denkweisen hervorzurufen und alte Handlungsmuster zu verändern. Elternarbeit im Kölner Therapiezentrum - Der Versuch eines Resümees Der interdisziplinäre Arbeitsansatz hat in den vergangenen Jahren vermehrt zur Vorstellung von Familien mit Kindern mit komplexen Störungsbildern geführt. Die komplexen Störungsbilder beim Kind bedeuten in der Regel eine gleichzeitig höhere Belastung von Müttern und Vätern. Seit 2012 ist die Elternarbeit mit einem neuen Vertrag ein festgeschriebener Bestandteil der heilpädagogischen Arbeit mit dem Kind. Die Elternarbeit wird dabei verstärkt durch Diplom PädagogInnen, Diplom HeilpädagogInnen und PsychologInnen angeboten. Für die TherapeutInnen aus dem medizinisch-therapeutischen Bereich bedeutet es eine enorme Entlastung, da sie für viele der elterlichen Bedürfnisse zuvor die Ansprechpartner waren. Viele der beruflichen Aufgaben gingen über ihr ursprüngliches Tätigkeitsfeld hinaus und hatten nur noch bedingt etwas mit ihrer täglichen Arbeit zu tun. Dies führte häufig zu Frustrationen: viele eingeforderte Ratschläge wurden von den Eltern nicht umgesetzt. Stattdessen standen sie Woche für Woche neben ihrem Kind und hatten neue Fragen; sie thematisierten immer wieder neue Anliegen an das therapeutische Personal. Diese Entwicklung hat sich nun verändert: Mit dem Fachpersonal und dessen Beratungserfahrung ergibt sich ein anderer Umgang mit den Eltern. Elterliche Fragen werden aufgegriffen, und nach spezifischen Lösungsansätzen kann geschaut werden. Die Eltern haben nun einen eigenen Ansprechpartner. Sie erleben dadurch eine andere Wahrnehmung ihrer eigenen Themen und Belastungen. Auch auf die zeitlichen Kapazitäten wirkt sich diese Veränderung aus: Während sie vorher die Therapieminuten ihres Kindes schmälern, haben sie nun ein eigenes Zeitbudget und sie können ihre Sorgen ausführlich thematisieren. Die Autorin Carmen Wöhler, Diplom-Pädagogin, Systemische Familienberaterin, Leitung des Kölner Therapiezentrums (Geschäftsführender Vorstand) Anschrift Carmen Wöhler Kölner Therapiezentrum Wendelinstr. 64 D-50933 Köln tz-koeln@t-online.de Von der intensiven Elternarbeit profitiert die ganze Familie: Die Eltern fühlen sich gestärkt, ihrem Kind und den besonderen Herausforderungen zu begegnen.