motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2013
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Innenräume für die Kleinsten
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2013
Rudolf Lensing-Conrady
Im vorliegenden Beitrag wird die Bedarfssituation für U3-Kinderräume im Innenbereich thematisiert. Dabei werden, neben allgemeinen raumgestalterischen Aspekten, einige im Grunde selbstverständliche Besonderheiten des frühen Kindesalters inhaltlich zugrunde gelegt: Die Kinder befinden sich in einem früheren Stadium der sensorischen, psychomotorischen und geistigen Entwicklung. Ihre Körpergröße ist geringer und unterschiedlich. Die Mobilität der Kinder ist noch relativ wenig entwickelt. Die Verselbstständigung ist in vollem Gang. Es besteht allerdings noch ein höherer Bindungsbedarf als bei älteren Kindern. Der Schlaf-, Ruhe- und Pflegebedarf ist ebenfalls noch sehr hoch
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[ 204 ] 4 | 2013 motorik, 36. Jg., 204-207, DOI 10.2378 / motorik2013.art16d © Ernst Reinhardt Verlag [ fachforum ] Innenräume für die Kleinsten Zum spezifischen Bedarf der u3-Kinder rudolf Lensing-conrady Im vorliegenden Beitrag wird die Bedarfssituation für U3-Kinderräume im Innenbereich thematisiert. Dabei werden, neben allgemeinen raumgestalterischen Aspekten, einige im Grunde selbstverständliche Besonderheiten des frühen Kindesalters inhaltlich zugrunde gelegt: Die Kinder befinden sich in einem früheren Stadium der sensorischen, psychomotorischen und geistigen Entwicklung. Ihre Körpergröße ist geringer und unterschiedlich. Die Mobilität der Kinder ist noch relativ wenig entwickelt. Die Verselbstständigung ist in vollem Gang. Es besteht allerdings noch ein höherer Bindungsbedarf als bei älteren Kindern. Der Schlaf-, Ruhe- und Pflegebedarf ist ebenfalls noch sehr hoch. Schlüsselbegriffe: Innenräume, Raumgestaltung, Mobilität, Psychomotorik, Bewegungslandschaft, Kinder unter Drei Interiors for the little ones - To the specific needs of children U3 The demand situation for U3 children interior rooms is discussed in this article. In addition to general interior design aspects, some natural basically peculiarities of early childhood have been taken as a basis: the children are at an earlier stage of the sensory, psychomotor and intellectual development. Their body seize is lower and varies. The mobility of children is still relatively undeveloped. The development of independence is in full progress. There is still a higher need for bonding than in older children. The need for sleep, rest and care are also very high. Key words: Interiors, interior design, mobility, psychomotricity, exercise area, children under three [ 205 ] Lensing-Conrady • Innenräume für die Kleinsten 4 | 2013 Zur Bedeutung des früheren Stadiums der sensorischen, psychomotorischen und geistigen Entwicklung Kleinkinder bauen in vielfältigen spielerischen Bewegungsaktivitäten ihre Sensomotorik auf. Hier geht es zunächst um archaische Bewältigungsmuster, die helfen, mit den physikalischen Lebensbedingungen zurecht zu kommen (Lensing-Conrady 2001). Diese Aktivitäten lassen sich in drei Dimensionen einteilen (Ayres 1984), die sich als Identifikationsprozess mit den Flieh- und Schwerkräften dieser Erde deuten lassen (s. Abb. 1). Für diese Suchbewegungen muss jeder U3-Kitaraum vielfältigen Anlass bieten. Es reicht für diese Altersgruppe nicht, eine entsprechende Turnhalle vorzuhalten. Der Bewegungsraum muss der Gruppenraum selbst sein. Hieraus folgt selbstverständlich, dass der klassische »Hutschachtelraum« mit ebenem Fußboden und unbespielbarer Decke so verändert werden muss, dass er die genannten Aktivitäten unterstützt. Insbesondere mehrdimensionale Bewegungslandschaften im Raum sowie Aufhängungen an den Decken und geeignete Ergänzung mit Bewegungsgeräten sind von grundlegender Bedeutung. Mehrdimensionale Bewegungslandschaften und raumspezifische Konstruktionen Neue Wege eines bewegungsorientierten Raumangebotes für Kleinkinder zeigen Projekte auf, wie beispielsweise die Kinderkrippe der Uni Bayreuth (Ungerer-Röhrig 2011). In einer konsequent neu erdachten Raumkonstruktion, in der die Nebenräume wie große Käfige unter der Decke hängen und über vielfältige Bewegungsanforderungen erreicht bzw. verlassen werden können, entsteht eine große Bewegungsfreiheit. Eine Reihe von Kletterlandschaften in sich neu orientierenden Kindertagesstätten sind unter Anleitung von Fachleuten in Verbindung mit gut organisierter Elternmitarbeit und damit kostengünstiger entstanden (Abb. 2). Auch die Nutzung von Raumecken für vieldimensionale Bewegungspodeste schafft ein reichhaltiges Bewegungsangebot (Abb. 3). Podeste Einfache Podeste sind bereits Anlass für Bewegungserfahrungen und Veränderungen der Perspektive. An ihnen zieht sich ein Kind hoch. Sie Abb. 1: Archaische Aktivitäten zum Aufbau der Sensomotorik Beschleunigung Rotation Schwingung Abb. 1: Archaische Aktivitäten zum Aufbau der Sensomotorik Abb. 2: Ein bewegender Raum für die Jüngsten in der Kinderkrippe der Uni Bayreuth (kurz vor der Fertigstellung) (Quelle: www. schilling-raumkonzepte.de) Abb. 3: Bewegungspodest und Deckenbalken im Gruppenraum der U3-Kita St. Georg, Bonn (Foto: Hans Jürgen Beins) [ 206 ] 4 | 2013 Fachforum müssen erklettert werden, bieten einen veränderten Blick auf die Raumumgebung und werden wieder über Rutschen, Stufen, Leitern usw. verlassen. Wer mit Materialien flexibel umgehen möchte, kommt an einer Lagerung nicht vorbei. Da in vielen Einrichtungen hierfür wenig Platz vorhanden ist, ist die Verwendung bespielbarer Einbauten, die auch als Stauraum dienen (Podeste, zweite Ebenen etc.), eine geeignete Alternative. Podeste bieten solche Lagerräume für Material, der nicht von der verfügbaren Grundfläche abgeht (Abb. 4). Einfache und flexible Raumveränderungen Es sind nicht nur dauerhafte Raumarrangements, die Anlässe für Bewegungserfahrungen bieten, sondern auch spontane Veränderungen im Raumangebot. Für solche Bewegungsbaustellen wird die unmittelbare Umgebung verändert. Diese Veränderungen sollten so einfach und flexibel wie möglich sein, damit sie auch häufig geschehen. Beispielsweise kann über das Kuschelkissen eine faltbare Matte geworfen werden, und fertig ist die Bewegungslandschaft für heute. Deckenkonstruktionen und Aufhängung Je jünger die Kinder sind, desto weniger kann der Verweis auf die Existenz eines Bewegungsraumes genügen. Kinder unter Drei müssen sich vor allem dort bewegen können, wo sie gerade sind: im Gruppenraum. In jedem Raum sollte daher für die Möglichkeit gesorgt werden, Geräte an der Decke zu befestigen: Schaukelbretter und Schaukelrollen, Hängematten - die Auswahl an Variationen ist groß. Wenn die Decken tragend sind, ist die Anbringung unproblematisch. Es empfiehlt sich allerdings, statt der oft verwendeten Schraubhaken, Ankerplatten zu verwenden, die zuverlässig halten und nicht abbrechen können. Trägt die Decke nicht, oder lässt sie aus anderen Gründen (abgehängte Schallschutzdecke etc.) keine direkte Befestigung zu, wird die Aufhängekonstruktion aufwändiger. So können beispielsweise Holzträger direkt unter der Decke in Wände eingelassen oder in einer selbsttragenden Konstruktion eingebaut werden (Abb. 5). Abb. 4: Baupodest als bespielbarer Lagerraum (Foto: Hans Jürgen Beins) Abb. 5: Ankerplatten als kostengünstige Möglichkeit einer stabilen Aufhängung [ 207 ] Lensing-Conrady • Innenräume für die Kleinsten 4 | 2013 Geräte, die zusätzliche Bewegungsmöglichkeiten eröffnen Eine Kindertagesstätte sollte sich das Qualitätsmerkmal »in Bewegung« insbesondere dadurch verdienen, dass sie Kindern vielfältige und umfangreiche Bewegungserfahrungen vermittelt. Hierzu ist neben der verfügbaren Fläche an sich sowie der Raumdisposition ein attraktiver Bestand an Bewegungsgeräten Voraussetzung. Diese sollten möglichst nicht nur in der Turnhalle präsent sein, sondern in alle Lernräume integriert werden können. Insbesondere für Bewegungsgrundinformationen wie Beschleunigung, Rotation und Schwingung sollten ausreichend Gerätschaften vorhanden sein. Insgesamt gilt auch für diese Geräte: Vielfalt vor Häufigkeit und Variabilität vor Spezialisierung. Welches Gerät sich im Einzelnen eignet, hängt natürlich vom jeweiligen Raum ab. Eine Sprossenwand braucht einen gewissen Fallraum, die Hängematte einen geeigneten Schwingbereich, die Rollbrettbahn einen entsprechenden Auslauf. Ein besonders auch auf kleinem Raum sehr vielseitige und intensive Bewegungsmöglichkeiten im Bereich der Drehungen eröffnet das Varussell. Bewährt hat sich auch die Bewegungsbaustelle, die mit einigen wenigen Materialien wie zum Beispiel Reifen, Schläuche, Bretter, Seile und so weiter sehr viel Bewegung, Kreativität und Gestaltungsraum für Kinder eröffnet. Perspektiven Die Verjüngung der Kinder, die eine Kindertagesstätte besuchen wird zunächst weitergehen. Die Krippe mit Kindern unter einem Jahr wird zur Regel werden. Damit wird die Aufgabe nicht geringer, die Räumlichkeiten immer wieder zu überdenken. Bei aller Bemühung um funktionale Verbesserungen wird der Entwicklung einer angenehmen Atmosphäre im Lebensort Kindertagesstätte besondere Bedeutung zukommen (Lensing-Conrady 2008, 1). Literatur Ayres, J. (1984): Bausteine der kindlichen Entwicklung. Springer, Berlin-Heidelberg Lensing-Conrady, R. (2008): Bewegungsfreundliche Raumgestaltung in der Kindertagesstätte. Haltung & Bewegung 28 (1), 18-25 Lensing-Conrady, R. (2001): Von der Heilsamkeit des Schwindels. Gleichgewichtswahrnehmungen als Motor für Entwicklung und Lernen. borgmann, Dortmund Ungerer-Röhrig, U. (2011): Bewegungsförderung. Kindergarten heute Praxis kompakt Der Autor Rudolf Lensing-Conrady Geschäftsführer des Fördervereins Psychomotorik e. V. Bonn, Ansprechpartner Fachgruppe PRAEGUNG© für Beratungsprojekte und Fortbildungen zur Raumgestaltung in Kindertagesstätten Anschrift Rudolf Lensing-Conrady Wernher-von-Braun-Str. 3 D-53113 Bonn Tel: +49 (0)228 243394-0 rudolf.lensing-conrady@psychomotorikbonn.de
