motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2013.art14d
101
2013
364
»Zwischen Freiheit und Grenze«
101
2013
Nicola Böcker
Judith Freitag
Stefanie Kuhlenkamp
Petra Graul-Mayr
Jutta Schneider
Das Forschungsprojekt »Bewegung in der frühen Kindheit« geht der Frage nach, ob der hoch bewertete Stellenwert des Faktors Bewegung für frühkindliche Bildungs- und Entwicklungsprozesse einen adäquaten Niederschlag in aktuellen Professionalisierungsprozessen der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte findet. Projektziel ist die kompetente Neuprofilierung des Qualifikationsrahmens zum Themenbereich »Bewegung«. Nachdem das Projekt bereits hinsichtlich der Bedeutung von Bewegung (Heft 3 / 2012) und ausgewählter Ergebnisse der quantitativen Hauptuntersuchung (Heft 3 / 2013) vorgestellt wurde, erfolgt jetzt ein Überblick über das Vorgehen sowie über erste Ergebnisse der qualitativen Erhebung.
7_036_2013_4_0004
[ 190 ] 4 | 2013 motorik, 36. Jg., 190-197, DOI 10.2378 / motorik2013.art14d © Ernst Reinhardt Verlag [ Fachbeitrag ] »Zwischen Freiheit und Grenze« erste ergebnisse der qualitativen hauptuntersuchung im rahmen des Verbundprojektes »bewegung in der frühen Kindheit« (biK) 1 Nicola böcker, Judith Freitag, Stefanie Kuhlenkamp, Petra graul-Mayr, Jutta Schneider, Michaela Koch, Stephanie bahr, anja Jaitner, Sabine bremser Das Forschungsprojekt »Bewegung in der frühen Kindheit« geht der Frage nach, ob der hoch bewertete Stellenwert des Faktors Bewegung für frühkindliche Bildungs- und Entwicklungsprozesse einen adäquaten Niederschlag in aktuellen Professionalisierungsprozessen der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte findet. Projektziel ist die kompetente Neuprofilierung des Qualifikationsrahmens zum Themenbereich »Bewegung«. Nachdem das Projekt bereits hinsichtlich der Bedeutung von Bewegung (Heft 3 / 2012) und ausgewählter Ergebnisse der quantitativen Hauptuntersuchung (Heft 3 / 2013) vorgestellt wurde, erfolgt jetzt ein Überblick über das Vorgehen sowie über erste Ergebnisse der qualitativen Erhebung. Schlüsselbegriffe: Qualitative Untersuchung, Bewegung, frühe Kindheit, Qualifikationsprofil, Ausbildung, frühpädagogische Fachkräfte, Lehrende, Fachberater / innen Early results of the qualitative survey from the research project »Movement in early childhood« (BiK) The research project »Movement in early childhood« (BiK) considers the question of whether the highly valued significance of movement for included early childhood education and development is adequately reflected in the current process of professionalizing the qualification of kindergarten teacher. The objective of the project is a competent reprofiling of the qualifications framework on the subject of »movement«. Main results of the quantitative analysis were presented in issue 3 / 2013, an overview of the methodology of the qualitative survey and early results are given in this issue. Key words: qualitative survey, movement, early childhood, qualification profile, qualification, kindergarten teachers, teachers, consultants 1 Das Forschungsprojekt »Bewegung in der frühen Kindheit« BiK ist eingebettet in die Ausweitung der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (AWIFF) und wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF (Förderkennzeichen 01NV1104, 01NV1105, 01NV1106, 01NV1107). Beteiligt an der Bearbeitung der Ergebnisse der qualitativen Hauptuntersuchung war weiterhin: Sylvia Siems. [ 191 ] Böcker et al. • »Zwischen Freiheit und Grenze« 4 | 2013 Forschungsdesign Übergeordnetes Ziel der qualitativen Hauptuntersuchung, die sich in zwei Teilbereiche gliedert, ist die Gewinnung von Anhaltspunkten für die Umsetzung von Bewegungsthemen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung frühpädagogischer Fachkräfte. Im ersten Teil der Untersuchung werden daher anhand einer interviewgestützten Befragung die Bewegungsbiografien von frühpädagogischen Fachkräften, Fachlehrer / innen an berufsbildenden Schulen sowie von Lehrenden frühpädagogischer Studiengänge im Bereich der Bewegungsförderung (n = 20) analysiert. Lehrende an Fach- und Hochschulen haben aufgrund der Vermittlung von Lehrinhalten an zukünftige frühpädagogische Fachkräfte eine Multiplikatorenfunktion inne. Sie sind Teil des Aus- und Weiterbildungssystems. Frühpädagogische Fachkräfte haben durch ihre konzeptionelle Arbeit in den Einrichtungen sowie durch ihr unmittelbares pädagogisches Handeln großen Einfluss auf die Umsetzung des Bewegungsbereichs in Kindertagesstätten. Im zweiten Teil der Untersuchung werden Fachberater / innen zu hemmenden und fördernden Bedingungen im Hinblick auf frühe Bewegung befragt. Methodisches Vorgehen Das gesamte Forschungsprojekt wird auf der Grundlage des Forschungsprogramms der »Grounded Theory Methodologie« (GTM) durchgeführt. Dies umfasst sowohl den Prozess der Auswahl der Stichprobe (Theoretisches Sampling), der Datengewinnung (Leitfadeninterview) als auch der Datenanalyse (offenes, axiales und selektives Kodieren im Rahmen des »Integrativen Basisverfahrens« nach Kruse et al. 2011; Helfferich et al. 2006; Helfferich / Kruse 2007). Die GTM »ist eine sehr umfassend offene, prozessgesteuerte und theoretisch weitgehend voraussetzungslose Methode rekonstruktiver Sozialforschung« (Kruse 2011, 186). Sie zielt darauf ab, »eine Tiefenstruktur gesellschaftlichen Wissens herauszuarbeiten, die den Akteuren nicht bewusst ist, die sich aber in spezifischen Mustern oberflächlicher Sinnstrukturen ausdrücken, über welche dann eben auf jene Tiefenstruktur geschlossen werden kann im Sinne einer Interpretation« (Kruse 2011, 322). Dieser Ansatz ermöglichte für die im Folgenden beschriebenen Forschungsfragestellungen nach den subjektiven Theorien zur Bewegung und den persönlichen Bewegungsbiografien der Erzählpersonen einen offenen, sinnverstehenden Zugang. Dabei wurden die Erkenntnisse bewusst sukzessiv in der Auseinandersetzung mit den Daten unter Einhaltung einer reflexiven theoretischen Sensibilisierung herausgearbeitet (Kruse 2011, 337). Diese Herangehensweise ermöglichte eine Annäherung und Erschließung der subjektiven Theorien zur Bewegung in der frühen Kindheit. Datenerhebung Aufgrund der vorliegenden Forschungsfragen und vor dem Hintergrund des beschriebenen Forschungsdesigns wurde als Erhebungsmethode das Leitfadeninterview gewählt. Wie alle qualitativen Forschungsmethoden zielt es darauf ab, »Lebenswelten, soziales Handeln oder Lebensgeschichten in den verschiedensten Bereichen von Erziehung und Bildung zu untersuchen« (Krüger 2009, 204). Der Leitfaden für die frühpädagogischen Fachkräfte sowie die Lehrenden umfasst dabei Fragen zur Bewegungsbiografie, zum Bedeutungsverständnis von Bewegung sowie zur eigenen Aus- und Fortbildung. Der Leitfaden der Fachberater / innen legt seinen Schwerpunkt auf das Bewegungsverständnis, die Einschätzung des Stellenwertes von Bewegung für die kindliche Entwicklung sowie auf Fragen nach hilfreichen und hemmenden Faktoren in der Umsetzung von Bewegungsthemen. Analyse Auf der Basis des Forschungsparadigmas der GTM bilden die von Strauss und Corbin (1996) benannten drei Stufen des Kodierens, das offene, das axiale und das selektive Kodieren, die Grundlage des Analyseprozesses. Für die Auswertung der sprachlich-kommunikativen Phänomene werden das von Kruse entwickelte »Integrative Basisverfahren« (Kruse et [ 192 ] 4 | 2013 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis al. 2011; Helfferich et al. 2006; Helfferich / Kruse 2007) in Anlehnung an die Dokumentarische Methode nach Mannheim (1964) und die Ethnomethodologische Konversationsanalyse nach Garfinkel (1967) als Grundlage gewählt. Die Feinanalyse des Datenmaterials der Interviews findet hierbei nach dem Prinzip der Verlangsamung des Analyseprozesses mithilfe der Sequenzanalyse (Deppermann 2008, 53 ff ) statt. Dies lässt eine Kombination verschiedener Analyseperspektiven, wie Positioning-, Agency- und Metaphernanalyse zu (Kruse et al. 2011; Helfferich / Kruse 2007; Kruse 2011). Während die Analyse der Leitfadeninterviews mit den Fachberater / innen im Rahmen des integrativen Basisverfahrens mit inhaltsanalytischem Schwerpunkt durchgeführt wird, stehen bei den biografischen Interviews die mikrosprachlichen Besonderheiten des Materials im Mittelpunkt. Ziel der gesamten Interviewanalyse ist es, unter Einsatz der verschiedenen Analyseperspektiven zentrale Motive und Thematisierungsregeln aus dem Text herauszuarbeiten. Die zentralen Motive beschreiben dabei, »was« gesprochen wird und umfassen wiederholt auftauchende sprachliche Bilder, Metaphern, semantische Figuren, Argumentationsfiguren, thematische Äußerungen und Positionierungen, die im Zusammenhang mit den subjektiven Deutungen und Konzeptsystemen der befragten Person stehen. Die zentralen Thematisierungsregeln beschreiben, »wie« gesprochen wird. Im engeren Sinne umfassen sie somit, was die Erzählperson im Interview wie ausführlich thematisiert oder auch nicht thematisiert (Thematisierungsgrenzen). Im weiteren Sinne umfassen sie, wie die Erzählperson das, was sie versprachlicht, thematisiert. Exemplarische Darstellung der ersten Ergebnisse Nachstehend werden erste und daher vorläufige Ergebnisse aus der Gruppe der frühpädagogischen Fachkräfte, der Lehrenden sowie der Fachberater / innen vorgestellt. Interviews mit frühpädagogischen Fachkräften und Lehrenden Folgende Forschungsfragen liegen der Untersuchung dieser Zielgruppen zugrunde: 1. Welche subjektiven Theorien zur Bewegungsförderung (und damit verbundene normative Vorstellungen) und welche persönlichen Bewegungsbiografien weisen die Befragten auf? 2. (Inwiefern) beeinflussen ihre subjektiven Theorien und ihre persönlichen Bewegungsbiografien ihr pädagogisches Handeln? In der Analyse der Interviews mit frühpädagogischen Fachkräften und Lehrenden konnten vielfältige Motive und somit subjektive Bedeutungsdimensionen von Bewegung herausgearbeitet werden. Der individual-biographische Zugang der Interviews ermöglichte den Erzählpersonen eine individuelle Beschreibung persönlich bedeutsamer Bewegungserfahrungen sowie Vorstellungen von Bewegung über die Lebensspanne. Dabei zeigt sich, dass die daraus resultierenden subjektiven Bewegungstheorien Einzelner sich im Verlauf der Biografie mehrfach wandeln können. Im Folgenden werden zwei zentrale Motive vorgestellt, die sich sowohl in den Interviews der Lehrenden als auch der frühpädagogischen Fachkräfte in unterschiedlichen Ausprägungen wiederfinden. Diese beiden Motive »Bewegung ist Freiheit« und »Bewegung ist Grenze« stehen in einem dichotomen Spannungsverhältnis zueinander. Sie werden auch aktuell in fachlichen und gesellschaftlichen Diskussionen fokussiert (Prohl 2010, 226; Grupe / Krüger 2007, 237; Grupe / Mieth 1998, 326 ff ). »Bewegung ist Freiheit« wird in der Bewegungsbiografie der frühpädagogischen Fachkräfte (in den Zitaten abgekürzt mit FK) und Lehrenden (in den Zitaten abgekürzt mit HschL für Hochschullehrende oder FschL für Fachschullehrer) insbesondere in der Beschreibung früher Kindheitserlebnisse und erster Bewegungserfahrungen thematisiert. Bewegung wird als etwas Natürliches beschrieben und zeichnet sich vor allem durch freie Bewegungstätigkeiten draußen sowie ein offenes und exploratives Erkunden in der Natur aus. Geäußert wird z. B.: [ 193 ] Böcker et al. • »Zwischen Freiheit und Grenze« 4 | 2013 »Woran ich mich gut erinnern kann, ist, dass ich sehr viel, immer sehr viel draußen unterwegs war. Also, das war schon sehr prägend für mich« (FK1 / 16). »Wir waren halt viel auch alleine unterwegs. Fahrrad gefahren oder waren eben draußen unterwegs, sind gerannt. Also, so ein ganz normales unbehütetes Aufwachsen war das. Mit viel Bewegung« (FK1 / 20). »Wo wir gerannt sind, Fangen gespielt haben, wo wir ganz viel draußen waren, uns frei bewegen konnten, in Natur, in der Auseinandersetzung mit allen möglichen spannenden Dingen« (HschL1 / 3). Im Gegensatz dazu nehmen die Erzählpersonen - vor allem in der Phase des Erwachsenenalters - auch zeitliche und räumliche Grenzen von Bewegung wahr: »Also Interesse für Bewegung ist natürlich durchgängig da, obwohl ich es selber halt nicht immer schaffe, außer meine Tochter, mich zu bewegen. Ich hab jetzt momentan keine Sportart, die ich kontinuierlich durchführen kann, keine Zeit (HschL3 / 9). Das Motiv »Bewegung ist Grenze« wird, wie aus diesem Beispiel hervorgeht, durch strukturelle Aspekte beschrieben. Darüber hinaus wird der Körper selbst als verletzbar / verwundbar dargestellt und damit die Vulnerabilität des Körpers als Grenze benannt, wie der folgende Interviewausschnitt zeigt: »Du kannst doch nicht den Körper als deine berufliche Grundlage nehmen. Der ist doch viel zu verletzbar und da kannst du nie sicher sein, dass du gesund bleibst. Hab’ dann wirklich innerhalb meines Studiums, so die ersten Schwierigkeiten bekommen mit einer Sprunggelenksverletzung. Danach hat sich eigentlich mein Verhältnis zur Bewegung auf eine andere Art und Weise nochmal intensiviert. Weil ich gemerkt habe: ja, ich bin wirklich massiv verletzbar. Das ist schon eine Traumatisierung gewesen, weil sich mein Lebensentwurf komplett ändern musste« (HschL1 / 5; 8). Das beschriebene Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Grenze wird im Zuge der Wiederentdeckung der Bedeutung der Bewegung (Kubesch / Walk 2009; Michaelis 2003) gegenwärtig auch gesellschaftskritisch diskutiert. Dabei sind für Bewegung im Kindergartenalltag vor allem Fragen nach Sicherheit und Haftung, im Kontext sowohl für die frühpädagogischen Fachkräfte als auch für die Lehrenden von Interesse. Wie frei sollen / müssen sich Kinder bewegen dürfen? Wo soll/ muss Freiheit zugunsten von Sicherheit aufgegeben werden? Die beiden zentralen Motive »Bewegung ist Freiheit« und »Bewegung ist Grenze« spiegeln - - Abb.-1: -Interviews-frühpädagogische-Fachkräfte/ Lehrende: -Zwei-zentrale-Motive-im-binären- Spannungsverhältnis- Abb. 1: Interviews mit frühpädagogischen Fachkräften / Lehrenden: zwei zentrale Motive im binären Spannungsverhältnis [ 194 ] 4 | 2013 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis sich dabei thematisch in der beschriebenen Dichotomie sozialromantischer Vorstellungen entgegen einer zunehmenden Juridifizierung (= Verrechtlichung sozialer Beziehungen, von Weber bereits 1922 beschrieben) wider. Sozialromantische Vorstellungen von Bewegung wie »Wir haben Pferde gehabt und wir sind ohne Sattel geritten, wir sind mit den Pferden zum Schwimmen gegangen. Das vergesse ich nie mehr. Und da so Indianer spielen natürlich mit Pferden. Das war richtig echt. Da erinnere ich mich ganz intensiv dran.« (FschL1 / 6) stehen einem Sicherheitsdenken gegenüber, das aus der Gegenwärtigkeit der Verletzbarkeit des Körpers resultiert und den Grad der Freiheit respektive der Sicherheit im Handeln bestimmt. »Also ich bin als Kind Rollschuh gelaufen und wollte gerne zum Beispiel Schlittschuh laufen, aber (das) wollten meine Eltern nicht. Das war zu gefährlich und ich war immer so dünn und zerbrechlich und da (lachen) machst du das lieber nicht« (FK 8 / 6). Weiterhin wird die Dichotomie Freiheit- - Grenze von den Erzählpersonen auch im Kontext ihres professionellen Handelns erläutert. Dem freien, explorativen und intrinsisch motivierten Bewegen steht - beeinflusst durch gesellschaftliche Veränderungen und die Institutionalisierung von Kindheit - eine Methodisierung und Instrumentalisierung von Bewegung entgegen. Bewegung findet nicht mehr natürlicherweise statt, sondern wird durch Institutionen räumlich, strukturell und methodisch gestaltet und gezielt angeboten: »Für das Gleichgewicht und für die Raumerfahrung ist Bewegung ganz wichtig und ja, da ertappe ich mich schon, dass ich also streng zu den Kindern bin und dass eigentlich fordere. Also ich zwinge sie jetzt nicht, ne. Dass ich die jetzt unter den Arm packe und mitschleife, aber ich bin schon jemand, der dann stark motiviert, dass die Spaß an der Bewegung haben, ne« (FK 4 / 22). Dieses Spannungsverhältnis wird von einigen Fachkräften und Lehrenden letztlich als Dilemmasituation geschildert und führt zur Verunsicherung ihres professionellen Selbstverständnisses: »Wenn die dann vormittags zwei Stunden im Garten waren und gespielt haben, dann ist das sehr wertvoll, ne. Aber ich habe ja nichts produziert im Sinne, was ich nachweisen kann. Also eine Aufgabe ist sicher in der Ausbildung von Erziehern oder von diesen Fachkräften […] ist, dass sie ihre Arbeit professionell vertreten können« (FschL1 / 21). Interviews mit Fachberater / innen Folgende Forschungsfragen liegen der Untersuchung dieser Zielgruppe zugrunde: 1. Über welches Bewegungsverständnis verfügen Fachberater / innen? 2. Welche Faktoren sind aus der Sicht der Fachberater / innen für die Umsetzung von Bewegungsthemen in Kindertagesstätten von Bedeutung? Welche wirken fördernd, welche hemmend? Im Folgenden wird eine Auswahl bedeutsamer Faktoren für die Umsetzung von Bewegungsthemen in Kindertagesstätten aus Sicht von Fachberater / innen dargestellt: Von größter Bedeutung für die interviewten Fachberater / innen (in den folgenden Zitaten abgekürzt mit Fa) ist der Einflussfaktor »Haltung und Einstellungen« auf die Umsetzung von Bewegung in Kindertagesstätten. Die »Haltung zur Bewegung« des pädagogischen Personals sowie der Eltern wird dabei als besonders bedeutsam angesehen, wie das folgende Zitat exemplarisch veranschaulicht: »Wenn ich die richtige Haltung habe, dann kann ich auch mit dem Kind auf die nächste Brachfläche gehen« (Fa5 / 27). Des Weiteren werden im Zusammenhang mit dem zentralen Motiv »Haltung und Einstellungen« die Einstellung zum Kind bzw. das »Bild vom Kind« - als kompetentem und aktivem Individuum - als Voraussetzung für die Umsetzung sowie das Zulassen von Bewegung gesehen. »Ja, die Haltung vor allem. Also ich finde die Haltung, die ist das A und O. Zu sagen, ja, das sind kompetente Kinder, die ihre Fähigkeiten mitbringen, und die den Raum brauchen, um sich da auszuprobieren, zu experimentieren und zu forschen und da gehört eine gewisse Risikobereitschaft dazu. Und das finde ich, das ist das A und O. Also das merkt man an den Einrichtungen« (Fa2 / 10). Um die »Haltung« zu beeinflussen, wird beispielsweise die Selbstreflexion des Personals in Bezug auf das Erkennen der eigenen Haltung be- [ 195 ] Böcker et al. • »Zwischen Freiheit und Grenze« 4 | 2013 tont. Dabei wird Haltung als dynamisch und damit veränderbar angesehen, wie beispielsweise das folgende Zitat veranschaulicht: »Also ich finde, eine Haltung ist das Wichtigste, was man haben muss und die muss man / sollte man erkennen. Und vielleicht auch wandeln, je nachdem, ne« (Fa6 / 7). »Raum und Material« ist ein weiteres zentrales Motiv, das nach Auffassung der Befragten erheblichen Einfluss auf die Umsetzung von Bewegungsthemen in der Kindertagesstätte nimmt: Bewegungsräume mit offenen (Raum-) Konzepten werden der Unterbindung von Bewegung durch starre (Raum-)Konzepte entgegensetzt. Aus Sicht der Fachberater / innen dient Raum einerseits für Rückzug, Ruhe und Entspannung der Kinder. Raum ermöglicht nach ihrer Auffassung aber auch kreative Bewegung. Auch veränderte gesellschaftliche Bedingungen werden im Hinblick auf die Bedeutung von Räumen genannt. Dieses Motiv wird in Zusammenhang mit dem gesteigerten Fernseh-und Medienkonsum von Kindern und verminderten Naturerfahrungen beschrieben. Auf diesen sollten die Kindertagesstätten nach Auffassung von Fachberater / innen mit der Bereitstellung adäquater Räume (insbesondere auch Außenräume) reagieren. Das in den Räumen befindliche (Natur-)Material könne fehlende Bewegungserfahrung in der Natur teilweise kompensieren. Das Wissen des pädagogischen Personals um die (Aus-) Wirkung einzelner Materialien auf das Bewegungsverhalten des Kindes wird dabei als besonders bedeutsam angesehen. Exemplarisch für weitere zahlreiche Einflussfaktoren soll abschließend das zentrale Motiv des »pädagogischen Konzepts« genannt werden, das von den Erzählpersonen mit folgenden Motiven verbunden wurde: Ein offenes pädagogisches Konzept, verbunden mit entsprechenden Funktionsräumen, schafft Raum für Bewegung. »Die Kita wird ja zum Bewegungsraum sozusagen, weil jeder Raum plötzlich frei ist. Da ist nicht mehr viel drin, also es sind nur noch die notwendigsten Sachen drin« (Fa5 / 9). Dieser Bewegungsfreiraum ermöglicht nach Auffassung von Fachberater / innen Partizipation und Selbsterfahrung der Kinder. Er ermöglicht dem pädagogischen Personal, sich auf das Individuum zu konzentrieren und durch die Möglichkeit von Beobachtungen Bildungsdokumentationen zu realisieren. Der Rahmen für eine alltagsintegrierte (Bewegungs-)Förderung mit Bewegungsfreiräumen kann so geschaffen werden. Letztlich wird von den befragten Fachberater / innen der Schluss gezogen, dass die (Aus-) Wirkungen eines offenen Konzepts mit Funktionsräumen das Personal entlasten und positive Auswirkungen auf die Kinder haben. Fazit Die beschriebenen Zwischenergebnisse basieren auf der Analyse von derzeit (Stand April 2013) 27 leitfadengestützten Interviews (Frühpädagogische Fachkräfte: n = 6, Lehrende: n = 6, Fachberaterinnen: n = 15), die mithilfe des »integrativen Basisverfahrens« nach Kruse (2011) ausgewertet wurden. Die Interviews der frühpädagogischen Fachkräfte sowie der Lehrenden an Fachschulen, Fachhochschulen und Universitäten wurden dabei, wie beschrieben, zunächst einer rekonstruktiv-hermeneutischen Analyse und folgend einer queranalytischen Komparation und Verdichtung unterzogen. Das Vorgehen im Rahmen der Feinanalyse ermöglichte den Forschenden, die Interviewtexte weitestgehend ohne vorherige Vorgaben zu analysieren. Die Anwendung der jeweiligen Analyseheuristik erfolgte auf der Basis des vorhandenen Datenmaterials - also direkt aus den Erfordernissen des Textmaterials heraus - und ermöglichte somit die Einnahme »einer Haltung, die als suspensive Haltung oder auch Verfremdungshaltung […] bezeichnet wird« (Kruse 2011). Die generierten Ergebnisse spiegeln dabei auf der Grundlage der im Text analysierten sprachlich kommunikativen Phänomene, neben den persönlichen Bewegungsbiografien, die wiederkehrenden Motive und Thematisierungsregeln und damit die subjektiven Theorien zur Bewegungsförderung der Erzählpersonen wider. Basierend auf Motiven wie »Bewegung ist institutionalisiert«, »Bewegung ist lustbetont/ Freude / Spaß«, »Bewegung ist Zwang«, »Bewegung ist Fundament«, »Bewegung struktu- [ 196 ] 4 | 2013 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis riert das Leben«, »Bewegung braucht Angebote« und »Bewegung ist Naturerleben« konnten in der ersten Analysephase die in diesem Artikel beschriebenen Motive »Bewegung ist Freiheit« und »Bewegung ist Grenze« als zentrale Motive herausgearbeitet werden. Beide Motive sind in unterschiedlichen Ausprägungen in den verschiedenen Lebensphasen aller bisher interviewten frühpädagogischen Fachkräfte und Lehrenden zu finden und verdeutlichen ein dichotomes Spannungsverhältnis, in dem sich die Erzählpersonen tagtäglich bewegen. Für sie selbst und in ihrer Arbeit mit den Kindern bzw. Studierenden findet Bewegung zwischen dem selbsttätigen, freien und explorativen Tun und den von außen vorgegebenen methodisierten und damit zielgerichteten Angeboten statt. Dieses Spannungsverhältnis muss bei den im Forschungsprozess folgenden konzeptionellen Überlegungen zu einer Aus- und Weiterbildungsstruktur einbezogen werden, da es, wie auch die Analyseergebnisse zeigen, die Fachkräfte und Lehrenden in ihrem pädagogischen Handeln beeinflusst. Die aus dem Interviewmaterial der Fachberater / innen herausgearbeiteten Einflussfaktoren für die Umsetzung von Bewegungsthemen in Kindertagesstätten liefern dabei zusätzlich wichtige Anhaltspunkte. Neben vielen weiteren extrahierten Einflussfaktoren wird hier der von den Fachberater / innen als besonders hoch eingeschätzte Faktor »Haltung und Einstellungen« im Hinblick auf Aus- und Fortbildungen zu berücksichtigen sein. Um die vorliegenden Ergebnisse zu überprüfen und gegebenenfalls weitere zentrale Motive zu generieren, werden im folgenden Analyseprozess acht weitere Leitfadeninterviews (Frühpädagogische Fachkräfte: n = 4, Lehrende: n = 4) mithilfe der beschriebenen Analysemethode ausgewertet und in einer Querschnittsanalyse mit dem vorhandenen Material abgeglichen. Ziel der gesamten Studie ist es, unter Einbezug von relevanten Berufsgruppen, empirische Erkenntnisse über institutionelle und personelle Voraussetzungen und Notwendigkeiten im Bereich der frühen Bewegungsförderung zu generieren und damit Empfehlungen für die Qualifizierung frühpädagogischer Fachkräfte im Bereich Bewegung zu geben. In der Zusammenschau aller im BiK Projekt gewonnenen Daten kann so ein Beitrag zur Planung zielgenauer und effektiver Aus- und Weiterbildungsangebote im Bereich Bewegung des Arbeitsfelds Kindertagesbetreuung geleistet werden. Literatur Bahr, S., Kallinich, K., Beudels, W., Fischer, K., Hölter, G., Jasmund, Ch., Krus, A., Kuhlenkamp, S. (2012): Bedeutungsfelder der Bewegung für Bildungs- und Entwicklungsprozesse im Kindesalter. motorik 35 (4), 98-109 Deppermann, A. (2008): Gespräche analysieren - Eine Einführung. 4. Aufl. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden Glaser, B. G., Strauss, A. L. (2010): Grounded Theory - Strategien qualitativer Forschung. 3. Aufl. Huber, Bern Garfinkel, H. (1967 / 1984): Studies in Ethnomethodology. Polity Press / Blackwell Publishing, Malden / MA Grupe, O., Krüger, M. (2007): Einführung in die Sportpädagogik. 3. Aufl. Hofmann, Schorndorf Grupe, O., Mieth, D. (1998): Lexikon der Ethik im Sport. Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft, Band 99. Hofmann, Schorndorf Helfferich, C., Kruse, J. (2007): Hermeneutisches Fremdverstehen als eine sensibilisierende Praxeologie für sozialarbeiterische Beratungskontexte. Oder: Vom »professionellen Blick« zum »hermeneutischen Ohr«. In: Miethe, I., Fischer, W., Giebeler, C., Goblirsch, M., Riemann, G. (Hrsg.): Rekonstruktion und Intervention. Interdisziplinäre Beiträge zur rekonstruktiven Sozialarbeitsforschung. Barbara Budrich, Opladen / Farmington Hills, 175-188 Helfferich, C., Klindworth, H., Kruse, J. (2006): Männer leben. Studie zu Lebensläufen und Familienplanung - Vertiefungsbericht. Forschung und Praxis der Sexualaufklärung und Familienplanung, Band 27. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Köln Kubesch, S., Walk, L. (2009): Körperliches und kognitives Training exekutiver Funktionen in Kindergarten und Schule. Sportwissenschaft 39 (4), 309-317 Krüger, H.-H. (2009): Einführung in Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft. 4. Aufl. Barbara Budrich, Opladen / Farmington Hills Kruse, J. (2011): Einführung in die Qualitative Interviewforschung, Reader. Eigendruck, Freiburg i. Br. Kruse, J., Biesel, K., Schmieder, C. (2011): Metaphernanalyse. Ein rekonstruktiver Ansatz. VS Verlag, Wiesbaden Mannheim, K. (1964): Beiträge zur Theorie der Weltanschauungs-Interpretation. In: Mannheim, K., Wolff, H. (Hrsg.): Wissenssoziologie. Luchterhand, Berlin und Neuwied, 91-154 Michaelis, R. (2003): Motorische Entwicklung. In: Keller, H. (Hrsg.): Handbuch der Kleinkindforschung. 3. Auflage. Huber, Bern, 815-860 [ 197 ] Böcker et al. • »Zwischen Freiheit und Grenze« 4 | 2013 Prohl, R. (2010): Grundriss der Sportpädagogik. 3. Auflage. Limpert, Wiebelsheim Strauss, A. L., Corbin, J. M. (1996): Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. Beltz, Weinheim Weber, M. (1922/ 2001): Wirtschaft und Gesellschaft - Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Gemeinschaften. In: Winkelmann, J. (Hrsg.): Max-Weber-Gesamtausgabe 1/ 22-1 Nachlaß, Mohr Siebeck, Tübingen Weitere Informationen zum Verbundprojekt unter: www.kompetenzprofil-bik.de. Dieser Beitrag durchlief das Peer Review. Die Autorinnen Nicola Böcker Diplomsportlehrerin, Psychomotorikerin und Systemischer Businesscoach, Wissenschaftliche Mitarbeiterin BiK Projekt, Standort Hochschule Koblenz Judith Freitag Diplom-Pädagogin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin BiK Projekt, Standort Fachhochschule Dortmund, Lehrbeauftragte der EFH Rheinland- Westfalen-Lippe Dr. Stefanie Kuhlenkamp Vertretungsprofessorin Behinderung und soziale Teilhabe an der Fachhochschule Dortmund, Projektleitung BiK Projekt, Standort Fachhochschule Dortmund Petra Graul-Mayr Diplomsportlehrerin, Psychomotorikerin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin BiK Projekt, Standort Universität zu Köln, dort auch Lecturer für Ästhetische Erziehung Jutta Schneider Diplom-Heilpädagogin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin BiK Projekt, Standort Universität zu Köln, Heilpädagogin im Zentrum für Frühbehandlung, Marte Meo Therapeutin Michaela Koch Diplom-Heilpädagogin, Gesamtkoordinatorin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin BiK Projekt, Standort Universität zu Köln Stephanie Bahr M. A. Sportwissenschaftlerin und Motologin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin BiK Projekt und »Forscherkids«, Standort Hochschule Niederrhein Sabine Bremser B. A. Bildungs- und Sozialmanagement, Schwerpunkt Frühe Kindheit, Wissenschaftliche Mitarbeiterin BiK Projekt, Standort Hochschule Koblenz Anja Jaitner Diplomsportlehrerin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin BiK Projekt, Standort Fachhochschule Dortmund Korrespondenzadresse Dr. Stefanie Kuhlenkamp FH Dortmund Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften Emil-Figge-Str. 44 44227 Dortmund stefanie.kuhlenkamp@fh-dortmund.de
