motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2014
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Körperkontrolle und kindliche Entwicklung
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Friedhelm Schilling
Die Entwicklung der Körperbeherrschung ist als eine der tragenden Säulen der kindlichen Entwicklung anzusehen. Der vor 40 Jahren in einer jugendpsychiatrischen Einrichtung begründete und erprobte Körperkoordinationstest für Kinder (KTK) hat sich als Standard zur Messung des Entwicklungstandes der Körperbeherrschung bei normalen und leicht motorisch Behinderten etabliert. Der Autor untersucht, ob Veränderungen in der kindlichen Entwicklung seit der Standardisierung des Tests 1974 in den Normen zu finden sind. Für motorisch geförderte Kinder gelten die Normen von 1974, für wenig geförderte Kinder werden ergänzende Normentabellen 2014 vorgestellt und begründet.
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[ 167 ] motorik, 37. Jg., 167-177, DOI 10.2378 / motorik2014.art29d © Ernst Reinhardt Verlag 4 | 2014 [ FACHBEITRAG ] Körperkontrolle und kindliche Entwicklung KTK-Normentabellen erweitert Friedhelm Schilling Die Entwicklung der Körperbeherrschung ist als eine der tragenden Säulen der kindlichen Entwicklung anzusehen. Der vor 40 Jahren in einer jugendpsychiatrischen Einrichtung begründete und erprobte Körperkoordinationstest für Kinder (KTK) hat sich als Standard zur Messung des Entwicklungstandes der Körperbeherrschung bei normalen und leicht motorisch Behinderten etabliert. Der Autor untersucht, ob Veränderungen in der kindlichen Entwicklung seit der Standardisierung des Tests 1974 in den Normen zu finden sind. Für motorisch geförderte Kinder gelten die Normen von 1974, für wenig geförderte Kinder werden ergänzende Normentabellen 2014 vorgestellt und begründet. Schlüsselbegriffe: Körperkoordination, Test, motorische Entwicklung, Normentabellen, KTK Body-control and child development-- Norms tables for body-control test for children (KTK) extended The development of the body control is regarded as one of the main pillars of child development. The body coordination test for children (KTK), which was evaluated and verified in child psychiatry, has established itself as the standard for measuring the level of development of body control in normally developing children with slight motor disabilities. The author examines whether changes in the child’s development are among the norm since the standardization of the test in 1974. The norms of 1974 apply for children who received motor encouragement, while for less encouraged children new norm tables were created and presented in 2014. Key words: Body-control, test, motor development, norm tables, KTK [ 168 ] 4 | 2014 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis Motorik und Persönlichkeitsentwicklung des Kindes Die Stabilisierung des aufrechten Ganges erfordert ein hohes Maß an Körperkoordination und Körperkontrolle. Der Säugling versucht, wenn es Reifung und Entwicklung des Skeletts und der Muskulatur erlauben, sich aufzustellen und die Erwachsenen nachzuahmen. Auf nur zwei Beinen zu stehen und zu laufen bedarf enormer Halte- und Gleichgewichtsarbeit, die im Laufe der frühen Kindheit immer mehr verfestigt und verfeinert wird. Seinen Körper in verschiedenen Situationen im Gleichgewicht zu halten, bildet die Grundlage für alle weiteren Ausdifferenzierungen der frühen motorischen Entwicklung. Das Kind bekommt durch einen stabilen aufrechten Gang die Möglichkeit, sein Umfeld zu erkunden, mit ihm zu experimentieren und mit der sozialen Umwelt in Kontakt zu treten. Auffälligkeiten in der Entwicklung der Körperkoordination können daher erhebliche Auswirkungen auf die sensomotorische, emotionale und soziale Entwicklung haben (Schilling 1973). In den 1960er Jahren wurden in einer durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanzierte Studie insgesamt 304 Kinder im Alter von 7-12 Jahren mit dem Ziel untersucht, die Folgen frühkindlicher Hirnfunktionsstörungen für das Schulalter aufzudecken. Dabei erreichten der Körperkoordinationstest für Kinder (KTK) und der Punktiertest für Kinder (PTK Schilling 2009) die höchsten Gültigkeitswerte. Die Alltagsmotorik ist oft hochgeübt und eignet sich daher nur bedingt zur Befunderhebung. Erst wenn es darum geht, motorische Erfahrungen auf neue Bewegungsabläufe zu generalisieren und zu transferieren, treten diese versteckten motorischen Auffälligkeiten in Erscheinung. Tests zur Prüfung der motorischen Entwicklung im Kindesalter Um Entwicklungsrückstände in der motorischen Entwicklung aufzudecken, stehen dem Therapeuten eine Reihe von Testverfahren zur Verfügung. Zu unterscheiden sind allgemeine motorische Entwicklungstests und spezifische Verfahren, die auch versteckte motorische Beeinträchtigungen in der Entwicklung aufdecken können. Allgemeine Tests zur Darstellung der Bewegungsentwicklung im Kindesalter sind in der Regel dem Oseretzky-Test angelehnt. Meist sind es sog. Motorikproben, die altersspezifisch für die einzelnen Altersstufen ausgesucht wurden, nicht aber an Gruppen von Kindern mit Behinderungen validiert wurden. Die Ergebnisse charakterisieren eine dem Alter typische durchschnittliche motorische Entwicklung und sind daher weniger geeignet, von den Kindern oft verdeckte und überspielte motorische Schwierigkeiten aufzuzeigen. Testverfahren zur motorischen Entwicklung werden mit unterschiedlichen Normentabellen angeboten, die in aller Regel an der Standard- Normalverteilung orientiert sind. Häufig findet man bei weniger differenzierenden Testdaten 9er-Skalen oder Prozentrangskalen. Sinn dieser Standardisierungen ist es, aufgrund der erbrachten Leistung des Kindes den Stellenwert seiner Leistung innerhalb seiner Altersklasse zu ermitteln. Je nach Skalenniveau werden die Werte unterhalb einer Streubreite als auffällig und unter zwei Streubreiten als gestört bzw. therapiebedürftig definiert. Motorische Auffälligkeit bzw. motorische Störung werden nicht qualitativ, sondern rein quantitativ an den Leistungen anderer Kinder gleichen Alters gemessen, wobei die Grenzen zur Normalität relativ willkürlich festgelegt sind. Als Beispiel für Testverfahren, die nach dem Oseretzky-Prinzip aus wenigen altersspezifischen Aufgaben aus verschiedenen Tätigkeitsbereichen zusammengestellt sind, ist die M-ABC (Petermann 2009) zu nennen. Die Handgeschicklichkeit wird lediglich nach den Aufgaben Stifte einstecken, Schnur einfädeln und Spur nachzeichnen beurteilt und aufwendig mit Beobachtungsdaten ergänzt. Es darf angezweifelt werden, dass diese drei Aufgaben den gesamten Bereich der Handgeschicklichkeit repräsentieren. Für die einzelnen Altersklassen werden jeweils Mindest-Zeitwerte angegeben, die für eine Punktwertung erreicht werden müssen. Dabei gibt es keine Hinweise, nach welchen Kriterien diese Aufgaben ausgewählt wurden. Ähnliches gilt für die Bereiche Ballfertigkeiten und [ 169 ] Schilling • Körperkontrolle und kindliche Entwicklung 4 | 2014 Balance. Testmaterial und Testanweisungen sind sorgfältig und aufwendig beschrieben, die Skalenwerte erwecken den Eindruck, als handele es sich hier um ein hocheffizientes Testverfahren. Leider gibt es keine Aussage darüber, inwieweit die Ergebnisse dieser wenigen Aufgaben eine allgemeine motorische Entwicklung repräsentieren. Die Ergebnisse wurden nur unzureichend an Kindern mit Behinderungen validiert. Dies gilt ebenfalls für den LOS KF-18 von Eggert (1971), die MOT 4-6 von Zimmer / Volkamer (1973) oder den Frostig-Test der Motorik (Frostig 1985). Für den sportmotorischen Bereich hat sich der Deutsche Motorik Test 6-18 (DMT) (Bös et al. 2009) etabliert, der nach Testgütekriterien konstruiert wurde und dessen Testrohwerte an 3000 Kindern geeicht wurden. Körperkoordinationstest für Kinder (KTK) Für den Bereich der Körperkoordination und Körperbeherrschung entstand in den kinderpsychiatrischen Einrichtungen Hamm und Marburg 1974 der Körperkoordinationstest für Kinder (KTK, Kiphard / Schilling 1974). Er wurde 1973 und 1974 an 1228 Kindern im Alter von 5-14 Jahren standardisiert und an verschiedenen klinischen Gruppen validiert. Nach 2000 zeigten verschiedene Untersuchungen mit dem KTK (Schilling 2007), dass die Normen von 1974 den heutigen Entwicklungsbedingungen unserer Kinder nicht mehr gerecht werden. In einer Neuauflage des KTK-Manuals (Schilling 2007) wurde versucht, die alten Normen von 1974 zu verteidigen, da von Kindern, die motorisch geschult waren, die alten Normen erreicht werden konnten. Normentabellen des KTK von 1974 gelten als veraltet Seit 2011 hat der Autor anhand aktueller Dissertationen und im Internet veröffentlichter Daten und Ergebnisse versucht, aktuelle Normentabellen zum KTK zu erstellen. Zwei Quellen schienen erfolgsversprechend: Die Untersuchungen zum Deutschen Motorik Test 6-18 (DMT) unter Federführung von Bös et al. (2009) und die KTK-Normierungsuntersuchungen in Belgien von Vandorpe et al. (2010). Der DMT 6-18 wurde vom ad-hoc-Ausschuss »Motorische Tests für Kinder und Jugendliche« der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) erarbeitet. Unter den Testitems befinden sich das »Balancieren Rückwärts (BR)« und das »Seitliche Hin- und Herspringen« (SH) mit Original-Testmaterial aus dem KTK. Beim Rückwärts Balancieren wurden allerdings nur zwei Durchgänge anstelle von drei Durchgängen des KTK durchgeführt. Um die Testergebnisse für erweiterte Normierungstabellen verwenden zu können, wurden die Rohwerte von Bös et al. (2009) auf drei Durchgänge hochgerechnet. Beim SH wurde der Mittelwert aus zwei Versuchen gewertet, im ursprünglichen KTK-Untertest SH die Summe aus beiden Versuchen. Um die Werte übernehmen zu können, wurden die Summe der SH-Rohwerte aus beiden Versuchen gewertet. Da es sich bei dem KTK um ein sehr zuverlässiges Verfahren handelt, dürften diese Umrechnungen kaum von Bedeutung sein. Bös war auf Anfrage damit einverstanden, dass seine Daten aus der DMT-Normierung für die aktuelle Normierung des KTK übernommen werden. Der DMT-Normierung liegen Daten von 2773 5-14jährigen Kindern zugrunde. Die belgische Normierungsstichprobe von 2010 umfasst die KTK-Daten von 2470 6-12-jährigen Kindern. Verwendet wurde das Original KTK-Testmaterial von 1974. Die Autoren haben vorgeschlagen, ihre Daten für eine deutsche Normierung zu übernehmen (Abb. 1). In den Untertests liegen allerdings die belgischen Normwerte teils unter und teils über den deutschen Normwerten von 1974, sodass eine generelle Übernahme für eine erweiterte deutsche Normierung wenig sinnvoll erscheint. Häufig wurde der KTK in Studien verwendet, die die motorische Leistungsfähigkeit bei Kindern mit bestimmten Behinderungen überprüfen. Die Fallzahlen sind in diesen Studien sehr gering, sodass die Ergebnisse kaum Verallgemeinerungen erlauben. In folgenden Forschungsprojekten wurden allerdings auch größere Stichproben zum Vergleich herangezogen. Bjarnason-Wehrens et al. (2007) untersuchten 194 herzkranke Kinder im Vergleich zu 455 Kont- [ 170 ] 4 | 2014 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis rollkindern im Alter von 7-14 Jahren mit dem KTK. Sie fanden signifikante Minderleistungen der herzkranken Kinder gegenüber den Kontrollkindern. In den Untertests Monopedales Überhüpfen (MÜ) und Seitliches Hin- und Herspringen (SH) erreichen die Kontrollkinder die Normwerte von 1974, in den Aufgaben Balancieren Rückwärts und Seitliches Umsetzen lediglich Mittelwerte von 92,1 und 95,6 MQ (Motorik-Quotient). Vergleicht man die Mittelwerte des Deutschen Motorik-Tests (Bös et al. 2009) mit den Normierungsdaten von 1974, so liegt die Vermutung nahe, dass sich seit 1974 durch geringere motorische Stimuli unserer Kinder heute die Normwerte etwa parallel verschlechtert haben (siehe Abb. 2). Weitere Untersuchungen nach 2000 mit dem KTK zeigen allerdings diese Tendenz nicht durchgehend. Außerdem sind die Untertests des KTK in unterschiedlichem Maße von dieser Tendenz betroffen, sodass es notwendig war, jeden einzelnen Untertest daraufhin zu untersuchen, welche Werte unsere Kinder heute im Durchschnitt in den einzelnen Untertests erzielen. Results Gender and age differences of the Flemish sample Gender and age differences for the Flemish sample are presented in Table 2. A 2 6 ANOVA with the raw scores as dependent variables revealed that performance on the four subtests improved significantly with increasing age (all P-values o 0.001). Post hoc analysis showed that each age group scored significantly better than their 1-year younger counterparts on all four subtests, with all P-values o 0.001. Significant gender differences were found for the subtests WB (P o 0.001) and HH (P o 0.001). On the dynamic balance task, post hoc results revealed girls scoring significantly better than boys for all but one age groups (6 years: P 5 0.007; 7 years: P 5 0.002; 8 years: P 5 0.007; 9 years: P 5 0.016; 10 years: NS; 11 years: P 5 0.002). On the hopping task, boys outscored the girls in every age group. However, post hoc results elucidated those differences as significant at ages 7 (P 5 0.017), 8 (P 5 0.027), 9 (P o 0.001) and 10 (P o 0.001), but not at ages 6 and 11. Both genders did not score significantly different on MS and JS at all ages. No significant interactions occurred. Comparison between German and Flemish children An overview of the raw subtest scores from boys and girls from 2008 as compared with boys and girls from 1974 is presented in Fig. 1. Boys and girls of all age groups from 2008 performed significantly worse on the subtests WB and MS than the 1974 sample population. The Flemish boys scored significantly better on the subtests HH and JS for all age groups. The results of the Flemish girls for those tasks varied with the age group: in the youngest and the oldest age groups (6, 7 and 11 years), the differences between 1974 and 2008 were small or not significant. In the middle age groups (8, 9 and 10 years), a shift was found toward lower performance of the Flemish girls. The comparison of our results with the norms of the German population from 1974 is reported in Table 3. Overall, the children in the Flemish sample scored generally lower on the total KTK than the German standardization sample from 1974. The mean MQ (all age groups, both genders) of the German sample was 100 15. The mean result of the total test battery (MQ KTK) for the Flemish sample (96.50 14.3) was significantly lower than the mean of the German sample (t 5 12.029, P o 0.001). The Flemish boys scored significantly better than the Flemish girls (boys: 98.03 14.10; girls: 94.86 14.49, P o 0.001), with both genders scoring significantly worse than their German counterparts (girls: t 5 12.165, P o 0.001; boys: t 5 5.029, P o 0.001). Comparing the overall results on the four subtests, the Flemish children scored significantly worse on WB (total: t 5 31.947, P o 0.001; boys: t 5 26.924, P o 0.001; girls: t 5 18.212, P o 0.001) and MS (total: t 5 26.732, P o 0.001; boys: t 5 19.776, P o 0.001; girls: t 5 17.987, P o 0.001), whereas they outperformed the German children Table 2. Raw scores [mean (SD)] on the four items of the KTK of the Flemish boys and girls for all age groups WB 6 7 8 9 10 11 Age Gender Age gender Boys 23.99 (12.31) 31.13 (13.17) 36.55 (13.88) 41.04 (12.87) 44.07 (12.64) 47.25 (14.14) F 5 148.273 F 5 39.705 F 5 0.407 Girls 27.70 (11.13) 34.99 (11.62) 39.82 (12.54) 43.81 (13.73) 46.15 (12.46) 51.75 (13.07) P o 0.001 P o 0.001 P 5 0.844 Mean 26.01 (11.81) 32.85 (12.63) 38.15 (13.33) 42.46 (13.38) 44.92 (12.59) 49.23 (13.84) MS 6 7 8 9 10 11 Age Gender Age gender Boys 28.65 (4.91) 33.84 (5.39) 36.73 (5.83) 40.07 (6.61) 42.25 (5.36) 44.43 (7.26) F 5 328.477 F 5 1.193 F 5 1.973 Girls 29.99 (5.42) 32.75 (5.16) 37.11 (5.34) 40.03 (6.23) 42.24 (5.86) 45.45 (6.79) P o 0.001 P 5 0.275 P 5 0.080 Mean 29.38 (5.23) 33.35 (5.31) 36.92 (5.59) 40.05 (6.41) 42.24 (5.56) 44.88 (7.06) HH 6 7 8 9 10 11 Age Gender Age gender Boys 32.76 (9.84) 42.30 (11.33) 50.09 (11.96) 58.18 (11.69) 63.15 (11.34) 66.32 (12.99) F 5 376.165 F 5 47.611 F 5 2.686 Girls 31.57 (11.02) 39.69 (11.15) 47.65 (12.30) 52.92 (12.61) 56.84 (11.65) 64.06 (11.30) P o 0.001 P o 0.001 P 5 0.020 Mean 32.11 (10.50) 41.14 (11.32) 48.90 (12.18) 55.49 (12.44) 60.57 (11.87) 65.33 (12.31) JS 6 7 8 9 10 11 Age Gender Age gender Boys 35.16 (8.33) 44.45 (10.02) 50.16 (11.15) 57.95 (10.45) 62.16 (9.91) 68.05 (11.28) F 5 433.741 F 5 0.017 F 5 1.456 Girls 36.03 (9.37) 44.49 (10.81) 52.19 (10.07) 57.17 (11.04) 61.13 (10.86) 67.25 (9.73) P o 0.001 P 5 0.896 P 5 0.201 Mean 35.64 (8.91) 44.47 (10.37) 51.15 (10.67) 61.74 (10.31) 61.74 (10.31) 67.70 (10.62) Post hoc analysis showed significant differences (P o 0.001) between all age groups for the four different items. KTK, Ko¨ rperkoordinationsTest fu¨ r Kinder; WB, walking backwards; MS, moving sideways; HH, hopping for height; JS, jumping sideways. Vandorpe et al. 4 Abb. 1: Mittelwerte und Streuungen der Rohwerte der KTK-Untertests aus der flämischen Untersuchung für Jungen und Mädchen (Vandorpe et al. 2010, 4) Abb. 2: Mittelwerte des Balancieren Rückwärts weiblich des Deutschen Motorik- Tests 6-18 (Bös et al. 2009) und des KTK 1974 20 25 30 35 40 45 50 55 60 DMT KTK74 5 Jahre 6 Jahre 7 Jahre 8 Jahre 9 Jahre 10 Jahre 11 Jahre 12 Jahre 13/ 14 Jahre 25,45 32,71 39,99 43,42 46,86 48,99 50,52 51,49 52,01 28,4 37,2 42,7 48,2 52,1 53,5 54 55,1 56,8 Mittelwerte des Balancieren rückwärts weiblich des DMT und des KTK1974 [ 171 ] Schilling • Körperkontrolle und kindliche Entwicklung 4 | 2014 Kinder aus Förderprojekten der Motorik erreichen die Normwerte von 1974 Insgesamt ist davon auszugehen, dass die koordinative Leistungsfähigkeit unserer Kinder offenbar durch massive Aufklärungsarbeit der Sportverbände, des Gesundheitswesens und der Deutschen Sportjugend, vor allem aber durch groß angelegte Förderprojekte gestiegen ist. Im Bewusstsein der Bevölkerung hat die Bedeutung von Bewegung, Spiel und Sport zugenommen. Davon profitieren inzwischen viele Kinder in der Entwicklung ihrer Motorik und Persönlichkeit- - anscheinend aber nicht alle in gleichem Maße. Förderprojekte wie »Gut drauf« (Matern / Limbourg 2007, Abb. 3) erzielten anfangs KTK-Mittelwerte von 84,61 MQ im ersten Schuljahr, bereits im zweiten Schuljahr KTK-Mittelwerte von 101,92 MQ und im dritten Schuljahr Mittelwerte von 100,55 MQ. Umfangreiche Untersuchungsergebnisse mit dem KTK wurden in der Modellstudie »Kids Aktiv« (Abschlussbericht 2006) für das Grundschulalter gewonnen. Es liegen die Ergebnisse von 521 Kindern im Alter von 6-10 Jahren vor. Hier zeigt sich eine andere Situation: Die Normwerte von 1974 wurden zwar bei der Anfangsuntersuchung mit einem mittleren Gesamt-MQ-=-93,4 ebenfalls unterschritten, am Ende des Projektes konnte die koordinative Leistungsfähigkeit (N-=-448) in der Kids Aktiv-Gruppe auf einen mittleren MQ- Wert-=-111 gesteigert werden. Ähnliche Ergebnisse zeigt das Projekt »Pfiffikus«(Bittmann 2006). Untersucht und gefördert wurden 96 sechsjährige Kinder und mit 97 Kontrollkindern verglichen. Die geförderten Kinder erzielten einen mittleren MQ-Wert von 99,7 und die Kontrollkinder einen mittleren MQ- Wert von 92,3. Insgesamt zeigte sich, dass Kinder, die relativ früh mit Bewegungsaktivitäten gefördert werden, sich auf dem Niveau der Normwerte von 1974 bewegen. In dem Manual von 1974 haben wir gezeigt, dass die Aufgaben des KTK zwar nicht kurzfristig übbar sind, aber auch darauf hingewiesen, dass Bewegungsrückstände selbst bei gestörter Entwicklung durch psychomotorische und sportpädagogische Förderung aufgehoben werden können. Pieper (2010) untersuchte 786 Grundschulkinder (6-10- Jahre) mit einem für uns erstaunlichen Ergebnis: Die Kinder aus ca. 50 Schulen erreichen insgesamt die Normierungswerte von 1974 (Abb. 4). Pieper stellte zur Auswertung sämtliche KTK-Rohwerte ihrer Studien zur Verfügung, sodass diese Ergebnisse im Einzelnen überprüft werden konnten. Auf Anfrage, ob die Kinder denn besonders gefördert worden seien, berichtete sie, »dass es sich um ganz normale Grundschulklassen gehandelt habe, die allerdings freiwillig an dem ›Fit4future‹ Projekt teilgenommen hätten, d. h. sie haben sich beworben um eine Tonne mit Spielgeräten für die Hofpause zu bekommen, außerdem waren sie offen da- „Gut drauf! “ - Sicherheit und Gesundheit für Kinder in der Primarstufe 44 Ergebnis aus dem Jahre 2003 in einem Intervall von + / _ 3 Punkte wiederholen konnte. Tabelle 19: Ergebnis KtK -Mittelwerte der Untersuchungsschulen Beginn 1. Schuljahr (2002) Ende 1. Schuljahr (2003) Ende 2. Schuljahr (2004) Anzahl Mittelwert Anzahl Mittelwert Anzahl Mittelwert gesamt 137 84,61 123 101,92 131 100,55 Holthausen 21 89,10 23 102,09 21 105,19 Westfalendamm 44 86,68 42 107,69 41 104,02 Möllenkotten 44 82,43 43 98,09 43 95,33 Heggerfeld 28 81,43 15 96,47 26 99,96 (Darüber hinaus kann der Tabelle entnommen werden, dass die Schulen Holthausen und Westfalendamm zum dritten Mal in Folge die ersten beiden Rangplätze belegten.) Erneut keine signifikanten Differenzen (α>0,05) ergaben die Unterscheidung nach Versuchs- und Kontrollklassen (T=1,1<1,96) bzw. zwischen Jungen und Mädchen (T=0,2<1,96). Diese Ergebnisse entsprachen der Erwartung, da zum einen in den Versuchsklassen keine, an der Psychomotorik ansetzenden, umfassenden Interventionsmaßnahmen stattfanden, und zum anderen geschlechtsbedingte Entwicklungsunterschiede bei der Berechnung der Ergebnisse berücksichtigt werden (vgl. Tabelle 20). Tabelle 20: Ergebnis KtK: Mittelwerte für Versuchs- und Kontrollklassen und für Jungen und Mädchen Beginn 1. Schuljahr (2002) Ende 1. Schuljahr (2003) Ende 2. Schuljahr (2004) Anzahl Mittelwert Anzahl Mittelwert Anzahl Mittelwert gesamt 137 84,61 123 101,92 131 100,55 Versuchsklassen 44 85,34 43 103,98 42 102,76 Kontrollklassen 93 84,27 80 100,81 89 99,51 Jungen 70 85,69 62 100 61 17 100.44 Mädchen 67 83,49 61 103,87 48 101,21 Betrachtet man im Folgenden die vier verschiedenen Stationen im Detail (vgl. Abbildungen 9a-d), so zeigten die Jungen (dunkle Linie) wiederholt die größten Schwierigkeiten bei der von der koordinativ anspruchsvollsten Aufgabe dem „Rückwärts Balancieren“, während sie ihre besten Ergebnisse bei der Station „Seitliches Hin- und Herspringen“ erzielten. Allerdings hatten sich auch bei den einzelnen Stationen die Leistungen dem Erwartungswert von 100 Punkten angenähert, sodass die bei den vorhergehenden Untersuchungen attestierten starken Defizite in dem bisherigen Ausmaß nicht länger zu beobachten waren. 17 Bei einer Klasse (22 Kindern) fehlte die Angabe zu dem Geschlecht der Kinder. Diese Daten wurden mit den durchschnittlichen Modifikationen für Jungen und Mädchen berücksichtigt. Abb. 3: KTK-Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt »Gut Drauf« (Matern / Limbourg 2007, 44) 103 Die Stichprobengrößen der einzelnen Testverfahren zum ersten Messzeitpunkt stellen sich wie folgt dar: Tab. 13: Stichprobengrößen der Einzeltests zu Messzeitpunkt 1 Messverfahren KTK Sechs- Minuten- Lauf BMI (Perzentile) CFT 1 & CFT 20 DLKG Selbstkonzept Bewegungsaktivität GZT F%T SB%GZ N (t1) 786 759 834 834 708 698 643 422 536 7.1.1 Körperkoordinationstest für Kinder (KTK) Auf deskriptiver Ebene wurde bezüglich des durchschnittlichen MQ Gesamtwertes ein Mittelwert von 100,31 MQ-Punkten (s=15,00) für die gesamte Stichprobe (N=786) festgestellt. Die Jungen erreichten durchschnittlich einen etwas höheren Motorischen Quotienten (MQ) als die Mädchen (MQ Jungen (n=399): 101,43; s=14,08; MQ Mädchen (n=387): 99,15, s= 15,82). Dieser Unterschied stellt sich als statistisch signifikant heraus (p<.05, d=,15). Tab. 14: Mittelwerte (MW) und Standardabweichungen (s) KTK t1 Gesamt Mädchen Jungen MW s MW s MW s MQ (gesamt) 100,31 15,00 99,15 15,82 101,43 14,08 RB 97,63 14,47 99,95 14,64 95,38 13,95 MÜ 100,26 15,78 97,98 16,69 102,47 14,54 SH 101,33 15,78 98,57 16,19 104,02 14,92 SU 102,10 16,86 101,30 16,95 102,87 16,75 Abb. 4: KTK-Ergebnisse einer Verlaufsstudie (Pieper 2010, 103) [ 172 ] 4 | 2014 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis für, eine zusätzliche Sport-AG an ihrer Schule (in Form der Heidelberger Ballschule) anzubieten. Man kann aber schon davon ausgehen, dass das Interesse der Schulen und der Sportlehrer an Bewegungsförderung größer als an anderen Schulen einzuschätzen ist«. Entwicklung der ergänzenden Normentabellen 2014 des KTK Auf der einen Seite zeigen die KTK-Ergebnisse in Studien aus Förderprojekten der Motorik (z. B. Kids Aktiv (2004), Gut Drauf (2007), Pfiffikus (2006) oder Pieper (2010)), dass über alle Altersklassen die mittleren MQ-Werte aus der Normierungsstichprobe von 1974 erreicht werden. Auf der anderen Seite zeigen die Ergebnisse beispielsweise von Bös et al. (2009), Falkowski (2007), Leurs (2004) oder Ahnert (2005), dass für Kinder, die mit Handy und Spielkonsole ohne besondere körpermotorische Förderung aufwachsen, die KTK-Werte etwa 6-8 % unter den Normwerten von 1974 (Schilling 2007) liegen. Für diese Kinder werden die erweiterten Normentabellen 2014 erstellt. Damit wird vor allem einer Forderung der Anwender des KTK entsprochen, die Normwerte von 1974 seien veraltet und entsprächen nicht mehr den heutigen veränderten Entwicklungsbedingungen unserer Kinder. In Zukunft zwei unterschiedliche Normentabellen des KTK Dem Anwender werden in Zukunft zwei Normentabellen zur Beurteilung des Entwicklungsstandes der Köperkoordination zur Verfügung gestellt: Normentabelle A von 1974 für Kinder, die in Sportvereinen, in Förderprojekten der Psychomotorik und Motorik, in Schul- oder Vorschulprojekten motorisch gefördert werden, sowie Normentabelle B von 2014 für alle anderen Kinder. Die Auswahl bleibt dem Anwender des KTK überlassen. Er hat so die Möglichkeit, unter Umständen auch beide Normierungen zum Vergleich heranzuziehen, um der individuellen Beurteilung eines Kindes in Bezug auf seine körpermotorische Entwicklung möglichst gerecht zu werden. In ähnlicher Weise sind die Autoren des KTK- NL an der belgischen Universität Gent verfahren (Lenoir et al. 2014): Normentabelle A gilt für »typisch ontwikkelende kinderen (5-12- Jahre)« und Normentabelle B für »alle kinderen (6- 12- Jahre)«. Die belgische Normierung des KTK wurde für das gesamte niederländische Sprachgebiet erstellt. Da für die vier Untertests Ergebnisse unterschiedlicher Stichproben und Erhebungszeiträume vorliegen, wird für jeden Untertest getrennt das Procedere zur Findung veränderter Normwerttabellen dazustellen sein. Die von Bös et al. (2009) zur Verfügung gestellten aktuellen Normwerte für die KTK-Untertests Balancieren Rückwärts und Seitliches Hin- und Herspringen dienen in ihrem Verhältnis zu den Normwerten von 1974 und ihrem Wachstumsverlauf als Vorbild zur Findung aktueller Normwerte für die KTK- Untertests Monopedales Überhüpfen und Seitliches Umsetzen. Mittelwerte und Streuungen der KTK-Rohwerte aus größeren Vergleichsstichproben nach dem Jahr 2000 in den KTK-Untertests Monopedales Überhüpfen und Seitliches Umsetzen zeigen ebenfalls einen ähnlichen parallelen Wachstumsverlauf, der etwa 6-8 % unterhalb der Normen von 1974 liegt. Der KTK hat eine Sonderstellung unter den motorischen Entwicklungstests. Die Testitems wurden von Kiphard und Mitarbeitern (Hünnekens et al. 1967) in jahrelangem Beobachten und Experimentieren an der Klientel einer Kinder- und Jugendpsychiatrischen Einrichtung ausgelesen und erprobt. Die vier homogenen Aufgaben messen mit hoher Zuverlässigkeit und Genauigkeit jenes Merkmal der motorischen Entwicklung (nämlich den Körper in jeder Lage im Gleichgewicht zu halten, ihn zu beherrschen). Daher war es sicher etwas leichtfertig, dass die Leitlinienkommission »Internationale Leitlinien für Kinder mit UEFM (Umschriebene Entwicklungsstörung motorischer Funktionen)« 2011 den KTK aus den Abrechnungsmöglichkeiten der Kinder- und Jugendärzte wegen der »veralteten« Normierung gestrichen hat, denn bis heute gibt es keinen gleichwertigen Ersatz für dieses Testverfahren. [ 173 ] Schilling • Körperkontrolle und kindliche Entwicklung 4 | 2014 Die Erstellung erweiterter Normentabellen 2014 für die Untertests des KTK Die Daten für eine Neunormierung des KTK stammen aus sehr unterschiedlichen Stichproben von KTK-Untersuchungen nach 2000.- Teilweise mussten fehlende Mittelwerte in den Daten aus dem Kontext heraus ergänzt werden. Jeder Untertest hatte sein eigenes Procedere, um zu verlässlichen Normierungstabellen zu gelangen. Aus nicht ersichtlichen Gründen stimmen die kompletten Normierungsuntersuchungen aus Belgien (Vandorpe et al. 2010) mit den deutschen Normierungsergebnissen nur in dem Untertest Seitliches Umsetzen überein. Bei den Untertests BR und SH liegen die Altersmittelwerte sogar über den Werten von 1974 und den Werten des DMT. Die Untertests Balancieren Rückwärts (BR) und Seitliches Hin-und Herspringen (SH) aus dem KTK wurden mit leicht veränderter Auswertung in den Untersuchungen zum DMT 6-18 unter Federführung von Bös (2009) an 3133 Kindern im Alter von 5-14 Jahren normiert. Balancieren Rückwärts (BR) Da die Werte der DMT-Normierung repräsentativ erhoben sind, wurden die Normentabellen mit Zustimmung von Bös für den Untertest BR übernommen und für die ergänzenden Normentabellen 2014 die Werte in MQ-Werte umgerechnet. Abb. 5 zeigt als Beispiel die männlichen Altersmittelwerte und Streuungen des Untertests Balancieren rückwärts. Seitliches Hin- und Herspringen (SH) Bei dem Untertest SH handelt es sich offenbar um einen Bewegungsablauf, der heute durch Skateboard, Skitraining, Kinderroller u. a. fast das Niveau der Normierungsstichprobe von 1974 erreicht. Die Werte der Mädchen sind etwas weiter von dem Niveau von 1974 entfernt. Allerdings wurden in den Untersuchungen von Vandorpe et al. (2010) sowie von Pieper (2010) höhere Mittelwerte in diesem Untertest erzielt, die eher den Werten von 1974 entsprechen. Dennoch wurde entschieden, aufgrund der repräsentativen Stichprobe des DMT und der von Bös (2009) durchgeführten Normierung diese Werte für die ergänzende KTK-Normierung 2014 zu übernehmen. In Abb. 6 sind beispielhaft die Mittelwerte und Streuungen für Mädchen aus dem DMT für den Untertest SH graphisch dargestellt. Abb. 5: Altersmittelwerte und Streuungen des Untertests BR männlich (Bös et al. 2009, 86) 0 10 20 30 40 50 60 70 5 6 7 8 9 10 11 12 13/ 14 Balancieren rückwärts männlich Mittelwerte und Streuungen der Rohwerte [ 174 ] 4 | 2014 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis Monopedales Überhüpfen (MÜ) In dem Forschungsprojekt »Gut Drauf« (Matern / Limbourg 2007) wurde bei der Erstuntersuchung 2002 für den Untertest MÜ bei einem N- =- 206 ein mittlerer MQ von 88,79 ermittelt. Bereits ein Jahr später erreichten die Kinder aufgrund von Bewegungsprogrammen Werte der Normen von 1974 (mittlerer MQ- =- 101,92). Prätorius / Milani (2004) fanden bei einem N- =- 19 einen mittleren MQ-=-87,2 ± 17,5 für den Untertest MÜ. Falkowski (2007) errechnete bei 259 männlichen Probanden im Alter von durchschnittlich 6; 9 Jahren einen MQ- =- 93 ± 13,0 und bei 240 weiblichen Probanden im Alter von durchschnittlich 6; 8 Jahren einen MQ-=-92 ± 16,0. Bei den 10-Jährigen männlichen Probanden wurde zum zweiten Messpunkt ein mittlerer MQ-=-96,4 ± 15,0 und bei den weiblichen Probanden ein MQ- =- 93,0 ± 16,0 ermittelt. Leurs (2004) fand bei einem N- =- 31 für den Untertest MÜ einen MQ-=-93,8 ± 16,3. Versucht man einen Überblick über die berichteten Werte des Untertests MÜ aus unterschiedlichen Stichproben zu erhalten, so zeigt sich, Abb. 6: Altersmittelwerte und Streuungen des Untertests SH weiblich (Bös et al., 2009, 86) Abb. 7: Altersmittelwerte des Untertests MÜ männlich bei verschiedenen Stichproben 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 5 6 7 8 9 10 11 12 13/ 14 Seitliches Hin- und Herspringen weiblich Mittelwert und Streuungen der Rohwerte Mittelwerte des Untertests MÜ männlich [ 175 ] Schilling • Körperkontrolle und kindliche Entwicklung 4 | 2014 dass die Werte von nicht geförderten Kindern in etwa einen mittleren MQ von 93-95 nach den Normentabellen von 1974 erreichen. Das sind etwa 5-7 % unter dem Niveau von 1974. Jede einzelne Jahrgangsstufe wurde mit den so gefundenen Daten bestückt, sodass eine Alterskurve der Mittelwerte entstand, die auffällig parallel zu den Daten von 1974 verlief. In gleicher Weise wurde mit den gefundenen Daten der weiblichen Probanden in diesem Untertest verfahren. Die gefundenen Werte liegen noch näher an den Normierungsdaten von 1974. Die Mittelwerte nach Pieper (2010, N-=-786) sind in diesem Untertest für die weiblichen Probanden mit den von uns gefundenen Daten nahezu deckungsgleich. Unter Berücksichtigung der Streuungen der Mittelwerte wurden die Normentabellen von 1974 Jahrgang für Jahrgang auf die Werte 2014 getrennt für Jungen und Mädchen umgestellt. Abb. 8 zeigt die Ergebnisse beispielsweise für Mädchen. Seitliches Umsetzen (SU) In der Mehrzahl der von uns gefundenen Daten zum Untertest Seitliches Umsetzen (SU) waren die Unterschiede in den Mittelwerten von Jungen und Mädchen nicht signifikant. Leurs (2004) fand im Vortest (N-=-31, 7-14-Jahre) einen mittleren MQ von 86,6 ± 18,3 und nach acht Monaten »Bewegung, Spiel und Sport« einen MQ von 97,2 ± 16,1. Bjarnason-Wehrens (N-=-455, 7-14-Jahre) errechneten einen mittleren MQ von 96,6 ± 15,0. In dem Forschungsprojekt »Gut Drauf« (Matern / Limbourg 2007) wurden bei 6-Jährigen im Untertest SU ebenfalls keine Geschlechtsunterschiede gefunden. Nach Durchsicht der Daten zu dem Untertest SU wurde eine leichte Parallelverschiebung der Normwerte zu den Daten von 1974 gefunden (Abb. 9). Erstaunlicherweise deckte sich diese Alterskurve mit den Daten von Vandorpe (2010), sodass nach Überprüfung der Streuungen die Normierungsdaten von Vandorpe (N- =- 2470) ohne nach dem Geschlecht zu trennen komplett in die ergänzende Normierung 2014 übernommen wurden. Die Untersuchungsergebnisse von Ahnert (2005) waren ebenfalls mit diesem Ergebnis deckungsgleich. Insgesamt erreichen die Werte bei den 12-14-Jährigen kaum einen Deckeneffekt im Unterschied zu den Untertests BR und MÜ (Abb. 10). Diskussion Da die erweiterten Normentabellen 2014 aus Platzmangel hier nicht abgedruckt werden können, wird auf die Internetseite des KTK bei der Testzentrale in Göttingen (http: / / www.testzent- Abb. 8: Altersmittelwerte und Streuungen des Untertests MÜ weiblich (2014) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 5 6 7 8 9 10 11 12 13/ 14 Monopedales Überhüpfen weiblich Mittelwerte und Streuungen der Rohwerte [ 176 ] 4 | 2014 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis rale.de/ programm/ korperkoordinationstest-furkinder.html) verwiesen. Dort können die erweiterten Normentabellen 2014 als Zusatz zu den bisherigen Normentabellen von 1974 heruntergeladen werden (Schilling 2007). Es war das Ziel, aus dem sehr unterschiedlichen Datenmaterial zum KTK der Veröffentlichungen nach 2000-- bezogen auf 5-14-Jährige, wenig körperkoordinativ geförderte Kinder- - verlässliche Normentabellen zu erstellen, um die Fehlertoleranz bei der Anwendung des KTK vor allem im Behindertenbereich zu minimieren. Insgesamt dürften damit der Individualdiagnostik durch die Normentabellen 1974 und 2014 bessere Möglichkeiten gegeben sein, Entwicklungsstörungen der Körpermotorik aufzudecken und die Daten in eine umfassende Entwicklungsförderung des Kindes einfließen zu lassen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Rahmenbedingungen für eine gesunde motorische Entwick- Abb. 9: Altersmittelwerte des Untertests SU verschiedener Stichproben Abb. 10: Altersmittelwerte und Streuungen des Untertests SU m / w (2014) 20 25 30 35 40 45 50 55 Vandorpe KTK 1974 KTK 2014 Ahnert 5 Jahre 6 Jahre 7 Jahre 8 Jahre 9 Jahre 10 Jahre 11 Jahre 12 Jahre 13/ 14 Jahre 25 29,38 33,35 36,92 40,05 42,24 44,88 47,5 49,8 27,3 32,3 35,9 39,6 43,7 47,2 47,4 50,8 51,7 24 30 33 36,8 39,5 42,3 44,4 48 49,5 36,38 42,26 47,75 Mittelwerte des Untertests SU männlich+weiblich 0 10 20 30 40 50 60 5 Jahre 6 Jahre 7 Jahre 8 Jahre 9 Jahre 10 Jahre 11 Jahre 12 Jahre 13/ 14 Jahre Seitliches Umsetzen männlich/ weiblich Mittelwerte und Streuungen der Rophwerte [ 177 ] Schilling • Körperkontrolle und kindliche Entwicklung 4 | 2014 lung unserer Kinder in Zukunft so weit verbessern, dass die erweiterten Normentabellen 2014 überflüssig werden. Literatur Ahnert, J. (2005): Motorische Entwicklung vom Vorschulbis ins frühe Erwachsenenalter- - Einflussfaktoren und Prognostizierbarkeit. Dissertation Universität Würzburg Bittmann, F. (2006): Pfiffikus durch Bewegungsfluss. In: http: / / www.mbjs.brandenburg.de/ media_fast/ 4113/ Pfiffikus8-24.pdf, 10.08.2013 Bjarnason-Wehrens, B., Dordel, S., Schickedantz, S., Krumm, C., Bott, D., Sreeram, N., Brockmeier, K. (2007): Motor Development in Children with Congenital Heart Diseases Compared to Healthy Peers. Cardiol Young 17 (5), 487-498, http: / / dx.doi.org/ 10.1017/ S1047951107001023 Bös, K., Schlenker, L., Büsch, D., Lämmle, L., Müller, H., Oberger, J., Seidel, I., Tittlbach, S. (2009): Deutscher Motorik Test 6-18. Hamburg: Czwalina Eggert, D. (1971): Kurzform der Lincoln-Oseretzky- Skala für normale und behinderte Kinder. Beltz- Test, Weinheim Falkowski, G. (2007): Effekte einer primärpräventiven Schulintervention auf die Prävalenz des Übergewichts / der Adipositas und motorischer Leistungsschwächen im Grundschulalter. Dissertation Universität zu Köln Frostig, M. (1985): Frostig Test der motorischen Entwicklung (FTM). Testzentrale, Göttingen Hünnekens, H., Kiphard, E., Kesselmann, G. (1967): Untersuchungen zur Motodiagnostik im Kindesalter. Acta paedopsychiatrica, 34 (1), 17-27 Kids Aktiv (2006): Abschlussbericht Modellstudie. In: www.kids-aktiv-solingen.de/ projekte.html, 04.06.2013 Kiphard, E. J. (1966): Unser Kind ist ungeschickt. Heilpädagogische Schriftenreihe, 52, Ernst Reinhardt, München / Basel Kiphard, E. J., Schilling, F. (1974): Körperkoordinationstest für Kinder. KTK, Manual von Friedhelm Schilling. Beltz Test, Weinheim Leitlinie »Umschriebene Entwicklungsstörung motorischer Funktionen (UEMF)« (2011) In: http: / / www.awmf.org/ leitlinien/ detail/ ll/ 022-017.html, 15.01.2014 Lenoir, M., Vandorpe, B., D’Hondt, J., Pion, J., Vandendriessche, J., Vaeyens, R., Philippaerts, R. (2014): KTL-NL Körperkoordinationstest für Kinder. Herwerkte, gehernormeerde en vertaalde uitgave van de KTK voor het Nederlandstalig gebied. Sig vzw, Destelbergen (Belgien) Leurs, S. (2004): Die kardiale Leistungsfähigkeit, der motorische Entwicklungsstand und die psychosoziale Situation herzkranker Kinder und Jugendlicher sowie deren Beeinflussbarkeit durch eine Kinderherzgruppe. Dissertation Universität zu Köln Matern, St., Limbourg, M. (2007): »Gut Drauf! « Sicherheit und Gesundheit für Kinder in der Primarstufe. Untersuchungsbericht zum Forschungsprojekt. Uni Duisburg-Essen Petermann, F. (2009): Movement Assessment Battery for Children-2 (M-ABC-2; dt. Version). Pearson Assessment, Frankfurt/ M. Pieper, M. 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Hogrefe, Göttingen Dieser Artikel durchlief das Peer Review. Der Autor Prof.-Dr. phil., med. habil. Friedhelm Schilling, Dipl. Psychologe und emeritierter Prof. für Sozialpsychologie des Sports und Bewegungstherapie, etablierte 1983 den Dipl. Aufbaustudiengang Motologie an der Uni Marburg, Verantwortlicher Redakteur der »Motorik« bis 2006, bis 1993 Erster Vorsitzender des Aktionskreises Psychomotorik. Anschrift Prof.-Dr. em. Friedhelm Schilling Goethestrasse 56 D-35083 Wetter friedhelm.schilling@arcor.de
