eJournals motorik 37/1

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2014.art04d
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2014
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Fachforum: Variantenreiche Bewegung

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2014
Judith Sägesser Wyss
In diesem Beitrag steht die Idee im Zentrum, die natürliche Bewegungsfreude der Vorschul- und Grundschulkinder, auch derjenigen mit Bewegungsschwierigkeiten, als wichtiges Element in Schulalltag und Lernprozess einzubinden. Die Beziehungsgestaltung und eine wertschätzende Lernatmosphäre im Klassenverband ­werden zentral gewichtet - Vielfalt muss selbstverständlich sein und im Schulalltag gelebt werden.
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[ 16 ] 1 | 2014 motorik, 37. Jg., 16-22, DOI 10.2378 / motorik2014.art04d © Ernst Reinhardt Verlag [ FachForum ] Variantenreiche Bewegung Ein Konzept unterstützt die Differenzierung von Bewegungsangeboten in heterogenen Klassen Judith Sägesser Wyss In diesem Beitrag steht die Idee im Zentrum, die natürliche Bewegungsfreude der Vorschul- und Grundschulkinder, auch derjenigen mit Bewegungsschwierigkeiten, als wichtiges Element in Schulalltag und Lernprozess einzubinden. Die Beziehungsgestaltung und eine wertschätzende Lernatmosphäre im Klassenverband werden zentral gewichtet---Vielfalt muss selbstverständlich sein und im Schulalltag gelebt werden. Schlüsselbegriffe: Körperkonzept, Selbstkonzept, variantenreiches Bewegen, Bewegungsentwicklung, Heterogenität, Kindesalter Varied movement. A concept supports the differentiation of opportunities for physical activity in heterogenous classes The idea behind this article is that natural joy of movement in preschool and primary school children, also of those with large-motor coordination difficulties, is important and should be integrated in everyday school life as part of the children’s learning process. Building relationships and a respectful learning environment in the classroom, is seen as central---diversity must be considered natural and be fostered in everyday school life. Key words: body image, self-concept, versatile movements, motor skills development, diversity, school-aged children [ 17 ] Sägesser Wyss • Variantenreiche Bewegung 1 | 2014 Vielfältige Bewegungsvoraussetzungen Während Britta das Kunstturnen besucht und ihre Freizeit mit anderen Kindern zusammen bewegend in den Gärten des Quartiers verbringt, ist Nina die meiste Zeit zu Hause, bewegt sich nicht so gerne und will sich nicht mit den Nachbarskindern im Freien treffen---sie liebt es aber, zusammen mit einer Freundin mit den Puppen zu spielen und erfindet phantasiereiche Rollenspiele. In der Klasse von Nina und Britta sind viele andere Kinder: Avram, der begeistert ist vom Karate und von Computerspielen; Naima, welche im Sommer am liebsten im Wasser planscht und im Winter Brettspiele spielt; Nejc, welcher seit Geburt motorische Schwierigkeiten hat, von seinen Eltern intensiv gefördert wird und bereits viele Bewegungstherapien besuchte. Nejc wirkt unsicher, wenn sich viele Kindern gleichzeitig bewegen, da er die Übersicht verliert und sein Gleichgewicht unsicher wird. Sarah hingegen ist eine Leseratte---sie verschlingt Bücher richtiggehend---Bewegung mag sie nicht. Kinder aus unterschiedlichen Lebenswelten finden in einer Klasse zusammen, und es besteht der berechtigte Anspruch auf individuell angepasste Lernangebote. Die Bedeutung von Bewegung und Körperwahrnehmung droht unter dem allgemeinen Druck der Lehrpläne immer wieder vergessen zu werden, obwohl motorische Lernvoraussetzungen elementar sind für den Erwerb diverser Kulturtechniken. In einer Schule für alle gehen Kinder mit unterschiedlichsten (psycho-)motorischen Lernvoraussetzungen in dieselbe Klasse. Durch die individuelle, einzigartige Art sich zu bewegen und wahrzunehmen tritt jedes einzelne dieser Kinder in einen Dialog mit der Welt, mit Dingen und Menschen. Findet es angepasste Bewegungsangebote vor, bewegt es sich variantenreich und kreativ und tritt in einen einzigartigen Dialog mit der Welt ein. Als Lehrperson gilt es, in diesen Dialog einzusteigen, Verständnis für die Welt und den Entwicklungsstand des Kindes zu entwickeln und im Kontakt mit dem Kind Lernangebote zu (er-)finden. Als Lehrperson einer heterogenen Klassengemeinschaft steht aber nicht nur das Individualisieren im Vordergrund, sondern es besteht auch der Auftrag, gemeinsame Themen für alle Kinder zu finden. Gemeinsame Bewegungsaktivitäten verbinden. Auf der Basis der Bewegungsentwicklung ist es möglich, Bewegungsformen wie beispielsweise das Rollen und Drehen so aufzubereiten, dass die ganze, heterogene Klasse an diesem Bewegungsthema arbeitet: Während das eine Kind Vorübungen zum Purzelbaum macht, dreht ein anderes um die Reckstange oder um den Barrenholmen, ein drittes wiederum wagt es noch nicht, sich um die Querachse des Körpers zu drehen und rollt daher um die Längsachse die schiefe Ebene hinunter (Lienert et al. 2013, 123 ff ). Zentrale Bedeutung der Beziehung Der Eigenaktivität und sozial-emotionalen Verbundenheit kommt eine Schlüsselfunktion für eine erfolgreiche Bewegungsentwicklung und die allgemeine Entwicklung des Kindes zu (Fischer 2009; Orth 2006, 126). Eine Bewegungsförderung, welche möglichst viele Kinder erreichen will, erfordert von der Lehrperson ein breites entwicklungspsychologisches und fachdidaktisches Wissen. Sie braucht ein gutes Handwerk, um theoriegeleitet Beobachtung, Interpretation und Förderangebot aufeinander abzustimmen und zu evaluieren. Aktuelle theoretische Erkenntnisse aus Psychomotorik, Sportpädagogik und damit verbundenen Entwicklungsbereichen sind in diesem Zusammenhang zentral wichtig, um das Bewegungsverhalten von Kindern zu verstehen. »Wenn Lehrerinnen und Lehrer in Kenntnis entwicklungspsychologischer Zusammenhänge handeln, tritt Kontakt anstelle von Kontrolle, Dialog anstelle von Machtkampf« (Bühler 2012, 78). Das Finden, beziehungsweise das Geben zwischenmenschlicher Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung und Zuneigung sind für die Motivation und den Antrieb des Kindes sehr wichtig. Ein enger Zusammenhang zwischen Motivation, Handlungsbereitschaft und Bewegungsfähigkeit kann nachgewiesen werden (Bauer 2006, 29 ff ). Interaktionen in der frühen Kindheit gestalten sich zu einem großen Teil durch Bewegung und Wahrnehmung. Der motorische Ausdruck [ 18 ] 1 | 2014 Fachforum des Kindes muss von der Bezugsperson verstanden, richtig gedeutet und beantwortet werden. Kann das Kind in diesem Wechselspiel zu seiner Bezugsperson eine sichere Bindung aufbauen, wird es unbesorgt die Umwelt erkunden (Frank 2008, 9). Ist die Sicherheit in der Beziehung da, weitet das Kind seinen Erkundungsradius kontinuierlich aus und es kommen Lernprozesse auf verschiedenen Ebenen in Gang. Pikler (zit. n. Stephan et al. 2011, 3) beschreibt die Mehrdimensionalität dieser Lernprozesse wie folgt: »Im Laufe seiner Bewegungsentwicklung lernt der Säugling nicht nur sich auf den Bauch drehen, nicht nur das Rollen, Kriechen, Sitzen, Stehen oder Gehen, sondern er lernt auch---das Lernen. Er lernt sich selbstständig mit etwas zu beschäftigen, an etwas Interesse zu finden, zu probieren, zu experimentieren. Er lernt, Schwierigkeiten zu überwinden. Er lernt die Freude und die Zufriedenheit kennen, die der Erfolg- -- das Resultat seiner geduldigen, selbstständigen Ausdauer- -- für ihn bedeutet.« Diese Fähigkeiten sind auch im Kindergarten und frühen Schulalter essenziell wichtig, damit Kinder lernen und eigene Interessen entwickeln können. Schulkinder erforschen aus eigener Initiative die Beschaffenheit von Steinen; dafür sind differenzierte motorische Fähigkeiten und das eigenständige Setzen von Zielen notwendig (s. Abb. 1). Die Eigenaktivität ist auch im Schulalter der Motor, um Neues zu erforschen und zu lernen. Bewegung, Wahrnehmung und Selbstkonzept »Selbstkonzept« wird hier verstanden als die Summe von Einstellungen und Überzeugungen eines Menschen zur eigenen Person (Mummendey 2006, 38). Die wichtige Bedeutung der Körpererfahrung in der Entwicklung des Selbstkonzepts wird von verschiedenen Autoren hervorgehoben (Eggert et al. 2003; Mummendey 2006; Zimmer 2012). Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter verfügen noch nicht über gefestigte Selbstkonzepte und bauen diese im Verlaufe der Entwicklung erst auf (Conzelmann et al. 2011, 49 f ). Für die Bildung des Selbstkonzepts ist nicht die objektive Fähigkeit des Kindes aus der Sicht erwachsener Bezugspersonen ausschlaggebend, sondern die Bewertung, welche das Kind seiner Leistung selbst zuschreibt. Fuhrer et al. (2000) weisen darauf hin, dass im Grundschulalter viele Kinder Tätigkeiten zu vermeiden beginnen, in denen sie sich im Vergleich mit anderen Kindern selbst schlecht bewerten. Während sich Kleinkinder oft unrealistisch positiv sehen (Conzelmann et al. 2011, 49), ist der Schritt zu einer etwas kritischeren Betrachtung seiner selbst für die Entwicklung eines realistischen, moderat positiven Selbstkonzepts möglicherweise zentral. Kennedy-Behr et al. (2009, 164) stellen in ihrer Studie fest, dass sich Kinder, solange sie jünger als acht sind, grundsätzlich als motorisch kompetent wahrnehmen. Sie sprechen damit ebenfalls auf das Selbstkonzept bezogene Entwicklungsschritte im Grundschulalter an, welche das Kind sich selbst kritischer betrachten lassen. Demzufolge wird ein Vorschulkind mit motorischen Schwierigkeiten vermutlich in Bewegung bleiben und auf seinem individuellen Niveau kleinere oder größere Fortschritte machen, während ein etwas älteres Kind sich selbst, auch aufgrund des wachsenden Vergleichs mit der Peergruppe, kritischer betrachtet und eventuell in Bezug auf die Bewegungsfähigkeit negativ bewertet (Lienert et al. 2013). In heterogenen Kindergruppen sind die Leistungsunterschiede groß und es ist besonders wichtig, die Selbstkonzeptentwicklung der Kinder, unabhängig von der effektiven Leistungsfähigkeit, sorgfältig zu be- Abb. 1: Antea und Vera entdecken den Bach. [ 19 ] Sägesser Wyss • Variantenreiche Bewegung 1 | 2014 gleiten, damit an diesem Punkt der Entwicklung nicht ein grundsätzliches Vermeiden von Bewegung einsetzt. Unterstützung beim Aufbau von Selbstkonzepten Folgende Parameter sind für die Unterstützung von Kindern im Aufbau realitätsangemessener Selbstkonzepte zentral (Lienert et al. 2013; Zimmer 2012, 73 ff; Conzelmann et al. 2011, 64 ff; Möller 2006, 39): ■ Die wertschätzende Beziehung der Bezugsperson zum Kind. ■ Ein selbstverständlicher, tolerierender Umgang mit Vielfalt und ein Lernklima, in welchem Fehler machen selbstverständlich ist und zum Lernprozess gehört. ■ Die Lernumgebung wird den unterschiedlichen Fähigkeiten der Kinder angepasst. ■ Lernerfahrungen werden immer wieder mit den Kindern reflektiert. Praxis Förderorientierte Bewegungspädagogik Das wiederholte Beobachten der Kinder ist für die Förderung zentral- -- hier steht das einzelne Kind im Zentrum. Förderplanung geschieht in einem Kreislauf, in welchem sich die Schritte immer wiederholen und ist keine einmalige Bestandsaufnahme (Bühler et al. 2013, 32). Ideal ist es, die Förderplanung in Zusammenarbeit im interdisziplinären Team an der Schule anzugehen (je nach Thematik Klassenlehrperson, Lehrperson für Schulische Heilpädagogik, Psychomotorik und / oder Logopädie). Eine möglichst neutrale Beschreibung der Bewegung des beobachteten Kindes bildet den Ausgangspunkt. Die Interpretationen der Beobachtungen müssen zwingend auf verschiedenen, theoretisch fundierten Ebenen und mit unterschiedlichen Perspektiven erfolgen (Lienert et al. 2013, 111 ff ). Interpretationen bilden die Brücke von der Beobachtung / Beschreibung zur gezielten, theoriegeleiteten Förderung. Es geht immer auch darum, das Kind besser verstehen zu lernen in seiner Bewegung und Handlung im Sinne des persönlichen Ausdruckes. Ferner ist das fachdidaktische Wissen grundlegend wichtig, um die gemachten Beobachtungen entwicklungslogisch einzuordnen und für das Kind weiterführende Bewegungsangebote vorzubereiten. Mit dem Förderangebot ist der Kreislauf nicht abgeschlossen. Es folgt die Evaluation des Förderangebots, welche ihrerseits wieder das genaue Beobachten voraussetzt. Die Lehrperson muss immer die Bereitschaft zeigen, einen bereits eingeschlagenen Weg zu hinterfragen, falls die Fördermaßnahmen das Kind nicht wie erhofft unterstützen und ein anderer Weg gesucht werden muss. Materialien zur Förderung Die folgenden Praxisideen aus dem Konzept »bewegt und selbstsicher« (Lienert et al. 2013) bewähren sich in der Arbeit mit Kindergruppen. Die Bewegungs- und die Wahrnehmungsentwicklung dienen dabei als zentrale Bezugstheorien. Orientiert man sich an der Entwicklung, offenbaren sich automatisch Spielräume in Bezug auf Anforderung und Komplexität der Bewegung. Daneben ist fachdidaktisches Wissen wie beispielsweise die Entwicklung der koordinativen Fähigkeiten unumgänglich, damit Bewegung analysiert, vereinfacht oder erschwert werden kann. 1) Schulalltag / Klassenzimmer und Pausenplatz Für den Schulalltag und den Pausenplatz werden die elementaren Bewegungsbedürfnisse (Nickel 1990) vorgestellt. Die elementaren Bewegungsbedürfnisse sprechen den natürlichen Bewegungsdrang der Kinder an und fordern sie implizit auf, Bewegungsangebote eigenaktiv, dem eigenen Leistungsniveau entsprechend, zu variieren---sie stellen ein anregendes Bewegungsangebot für Kinder mit unterschiedlichen Voraussetzungen dar. Die folgenden elementaren Bewegungsbedürfnisse werden in den Praxismaterialien von Lienert et al. (2013) in die Lebenswelt der Kinder eingebunden, je ein exemplarisches Beispiel wird aufgezeigt und variiert: Spielerisches Lau- [ 20 ] 1 | 2014 Fachforum fen, Davonlaufen und Schnelllaufen; hochspringen und von oben herab springen; schaukeln und weit durch den Raum schwingen; den Taumel des Rollens und Drehens erleben; konzentriert und erfolgreich im Gleichgewicht bleiben; riskante Situationen suchen und sie mit Herzklopfen meistern; Bewegungskunststücke lernen und vorführen; sich bis zur wohltuenden Erschöpfung anstrengen; Gleiten und Rutschen; an und mit Sportgeräten intensiv spielen; sich von fliegenden und rollenden Bällen faszinieren lassen; sich im Rhythmus bewegen; mit und am Wasser spielen; raufen, kämpfen, Kräfte messen; in eine Nische kriechen und sich verstecken. Zu jedem aufgezeigten Beispiel werden neben den Variationen mögliche Beobachtungen bei Kindern mit Bewegungsschwierigkeiten beschrieben und exemplarisch interpretiert. Auch mögliche Förderansätze werden aufgezeigt, damit sich Kinder mit Bewegungsschwierigkeiten gemeinsam mit den anderen Kindern bewegen können (Lienert et al. 2013, 59 ff ). 2) Wahrnehmungsförderung Wahrnehmung ist ein aktiver Prozess und muss in Verbindung mit Inhalten aus der Lebenswelt der Kinder gefördert werden. Im Kindergarten- und Schulalltag drängt es sich auf, in Verbindung mit Spielen und Lerninhalten die verschiedenen Sinnessysteme anzusprechen und in den Lernprozess mit einzubeziehen. Dies braucht möglicherweise etwas mehr Zeit, hilft aber gleichzeitig auch, Gelerntes besser im Gehirn zu verankern. Wahrnehmungsspiele können analog zu den elementaren Bewegungsbedürfnissen von Erwachsenen und Kindern variiert und den Bedürfnissen angepasst werden. Abbildung 2 zeigt ein Kind, welches seine Sinne aus eigenem Antrieb auf verschiedenen Ebenen herausfordert. Auf dem Tisch balancieren und sich gleichzeitig mit dem Bau des wackeligen Turmes auseinandersetzen---Wahrnehmung und motorische Anpassung sind gefordert! 3) Förderung im Sport- oder Bewegungsunterricht In ihrer Bewegungsentwicklung zeigen Kinder, wie sie Bewegung lernen. Orientiert man sich an diesen elementaren Bewegungsformen, kann man Themen für den Bewegungsunterricht ableiten. Die Kopfbewegungen stehen am Anfang, gefolgt vom Stützen, Rollen / Drehen, Aufrichten, Stehen, Krabbeln und Kriechen, Gehen, Laufen, Hüpfen, Niederspringen etc. Die Abbildungen 3-5 zeigen Kinder, welche sich mit dem Thema Drehen auf verschiedenen Fähigkeitsstufen beschäftigen. Lienert et al. (2013) zeigen auf insgesamt 135 Praxiskarten auf, wie eine elementare Bewegungsform über verschiedene Variationen zu komplexen Fertigkeiten wie Hocksprung, Hock- und Hochwende führen kann. Die elementare Herausforderung an die Lehrperson, welche dieses Material anwendet, besteht darin, komplexe Bewegungsformen nicht als »besser« zu gewichten als elementare Bewegungsformen - es ist zentral wichtig, dass beide Varianten als gleich wertvoll nebeneinanderstehen. Dies ist in einer Leistungsgesellschaft keine einfache Aufgabe, verhilft aber Kindern mit Bewegungsschwierigkeiten dazu, auf eigene Bewegungsfortschritte stolz zu sein und erlaubt es auch bewegungsbegabten Kindern, auf ihrem Niveau Bewegungs-Herausforderungen zu finden. Die vielfältige, dem Entwicklungsstand der Kinder angepasste Variation von Bewegungsfor- Abb. 2: Alltägliche Wahrnehmungsschulung [ 21 ] Sägesser Wyss • Variantenreiche Bewegung 1 | 2014 Abb. 3: Die Augen, der Kontakt zum Kollegen und die schiefe Ebene helfen, um Nacken und Körper rund zu machen und ins Rollen zu kommen. Quelle: bewegt und selbstsicher © 2013 Schulverlag Abb. 4: Mit Partnerhilfe aus dem Handstand ins Abrollen ist auch für bewegungsbegabte Schülerinnen und Schüler eine Herausforderung. Quelle: bewegt und selbstsicher © 2013 Schulverlag © 2010 Schulverlag plus AG © 2010 Schulverlag plus AG Abrollen über Physioball Bäuchlings auf Physioball liegend nach vorne rollen, bis die Oberschenkel auf dem Ball liegen. Abstützen, Kopf einziehen und auf der Matte abrollen. Lernimpulse / didaktische Hinweise K Stütz dich gut ab, zieh dein Kinn zur Brust, biege die Arme ganz langsam und lege den Hinterkopf sanft auf die Matte, bevor du mit rundem Rücken abrollst! L Grösse des Physioballs den Kindern anpassen. L Zu Beginn Stützen auf dem Boden und abrollen auf einer halbdicken Matte. L Mögliche Hilfestellungen: » Die eine Hand stützt am Nacken und unterstützt das Einrollen des Kopfes, die andere Hand liegt unter der Hüfte, um zu entlasten. » Vorgedrehter Klammergriff am Oberarm, um die Bewegung zu begleiten. » Klammergriff an den Oberschenkeln, um die Bewegung zu verlangsamen und den Nacken zu entlasten. qims: C2_2.SJ (B) (Rolle vorwärts mit Physioball) Rollen/ Drehen vorwärts: Rolle vorwärts auf einer schiefen Ebene erwerben Vestibuläre Wahrnehmung stimulieren | Orientierungsfähigkeit verbessern Rollen aus der Grätschposition Zwischen den gegrätschten Beinen hindurch zum Partner schauen, Hände aufstützen und vorwärts rollen. Lernimpulse / didaktische Hinweise K Schau zwischen den gegrätschten Beinen hindurch und steck dabei den eingezogenen Kopf möglichst weit zwischen den Beinen hindurch, stütze dich und beuge deine Knie, bis dein Hinterkopf den Boden berührt! Stoss mit den Füssen ab und roll mit rundem Rücken in der Kauerposition! L Die schiefe Ebene unterstützt die Rollbewegung. L Erschweren: auf horizontaler Ebene rollen, ohne Hände aufzustützen - Hände umfassen die Fussgelenke (diese Übung unterstützt das Einrollen des Kopfes). L Mögliche Hilfestellungen: » Die eine Hand stützt am Nacken und unterstützt das Einrollen des Kopfes, die andere Hand liegt unter der Hüfte, um zu entlasten. » Vorgedrehter Klammergriff am Oberarm, um die Bewegung zu begleiten. Rollen/ Drehen vorwärts: Rolle vorwärts auf einer schiefen Ebene erwerben Vestibuläre Wahrnehmung stimulieren | Orientierungsfähigkeit verbessern 74 73 K Mögliche Rückmeldung an das Kind | L Wichtige Botschaften an die Lehrperson K Mögliche Rückmeldung an das Kind | L Wichtige Botschaften an die Lehrperson Abb. 5: Der Physioball unterstützt das Drehen und führt das Kind in den Felgaufschwung. Quelle: bewegt und selbstsicher © 2013 Schulverlag men in geleiteten Sequenzen, Wahrnehmungsförderung und eine Bewegungsumgebung im Alltag, welche die natürlichen Bewegungsbedürfnisse der Kinder anspricht, bilden das bewegungspädagogische Fundament für die Arbeit mit heterogenen Kindergruppen. Der Aufbau einer wertschätzenden Beziehung und die sorgfältige Begleitung auf dem Weg zu realitätsnahen, grundsätzlich positiven körperbezogenen Selbstkonzepten sind dabei entscheidende Fak- [ 22 ] 1 | 2014 Fachforum toren. Die natürliche Bewegungsfreude der Kinder soll unabhängig von dem individuellen Leistungsvermögen erhalten bleiben, Fortschritte sollen auf dem eigenen Leistungsniveau ermöglicht und von den Kindern selbst erkannt werden. Gemeinsame Bewegungsaktivitäten in heterogenen Kindergruppen sind möglich, wenn diese durch Lehrpersonen unter Einbezug von Fachwissen variantenreich gestaltet werden- -- das Gefühl mittun zu können und dazuzugehören ist insbesondere für Kinder mit Bewegungsschwierigkeiten enorm wichtig. Literatur Bauer, J. (2006): Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Hofmann und Campe, Hamburg Bühler, G. (2012): Gemeinsam für Vielfalt. Briefe an eine Lehrerin. Stiftung Schweizer Zentrum für Heilpädagogik, Bern Bühler, G., Eckhart, M., Schindler, V. (2013): Förderplanung im Unterricht. 2013---16. Erziehungsdirektion des Kantons Bern, Amt für Kindergarten, Volksschule und Beratung, Bern Conzelmann, A., Schmidt, M., Valkanover, S. (2011): Persönlichkeitsentwicklung durch Schulsport. Theorie, Empirie und Praxisbausteine der Berner Interventionsstudie Schulsport (BISS). Huber, Bern Eggert, D., Reichenbach, Ch., Bode, S. 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Aufl. schulverlag plus AG, Bern Mummendey, H. D. (2006): Psychologie des »Selbst«. Theorien, Methoden und Ergebnisse der Selbstkonzeptforschung. Hogrefe, Göttingen Möller, J (2006): Attribution. In: Rost, D. H. (Hrsg.): Handwörterbuch pädagogische Psychologie. Beltz, Berlin / Basel Nickel, U. (1990): Kinder brauchen ihren Sport. Pohl, Celle Orth, B. (2006): Motorisches Lernen und seine Beziehung zu weiteren Dimensionen der kindlichen Entwicklung. Frühförderung interdisziplinär 25 (4), 145-156 Stephan, G., Grajcárová, J., Diederichs, N. (2011): Pädagogisches Konzept für das Kinderhaus. In: http: / / www.montessori21.de/ media/ pdf/ 110404_m21_ KiHaKonzept_GSJGND.pdf, 10.12.2011 Zimmer, R. (2012): Handbuch der Psychomotorik. Theorie und Praxis der psychomotorischen Förderung. 13. Aufl. Herder, Freiburg Die Autorin Judith Sägesser Wyss Dipl. Psychomotoriktherapeutin und Pädagogin. Dozentin für Psychomotorik an der Pädagogischen Hochschule Bern. Anschrift Pädagogische Hochschule Bern Institut für Heilpädagogik Fabrikstr. 8 CH-3012 Bern judith.saegesser@phbern.ch