motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2014.art21d
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Fachbeiträge: Gesundheit von PsychomotorikerInnen
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Thorsten Späker
Die deutsche Psychomotorik beschäftigt sich zunehmend mit dem Thema Gesundheitsförderung. Der Fokus liegt hierbei auf der konzeptionell gesundheitsbezogenen Begleitung von KlientInnen; gesundheitliche Fragestellungen zum Arbeitsplatz von PsychomotorikerInnen wurden noch nicht thematisiert. Daher beschäftigt sich dieser Beitrag mit der Gesundheit von professionell in Psychomotorik, Motopädie und Motologie tätigen PädagogInnen und TherapeutInnen. Es werden die Ergebnisse einer Fragebogen-Studie vorgestellt, in der die Zufriedenheit am Arbeitsplatz, die Selbstsorge, der Körper als Gesundheitsberater sowie die Stress- und Schutzfaktoren psychomotorisch Tätiger im Mittelpunkt des Interesses stehen.
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[ 121 ] motorik, 37. Jg., 121-129, DOI 10.2378 / motorik2014.art21d © Ernst Reinhardt Verlag 3 | 2014 [ FACHBEITRAG ] Gesundheit von PsychomotorikerInnen Eine Befragung zur Gesundheit in Psychomotorik, Motopädie und Motologie Thorsten Späker Die deutsche Psychomotorik beschäftigt sich zunehmend mit dem Thema Gesundheitsförderung. Der Fokus liegt hierbei auf der konzeptionell gesundheitsbezogenen Begleitung von KlientInnen; gesundheitliche Fragestellungen zum Arbeitsplatz von PsychomotorikerInnen wurden noch nicht thematisiert. Daher beschäftigt sich dieser Beitrag mit der Gesundheit von professionell in Psychomotorik, Motopädie und Motologie tätigen PädagogInnen und TherapeutInnen. Es werden die Ergebnisse einer Fragebogen-Studie vorgestellt, in der die Zufriedenheit am Arbeitsplatz, die Selbstsorge, der Körper als Gesundheitsberater sowie die Stress- und Schutzfaktoren psychomotorisch Tätiger im Mittelpunkt des Interesses stehen. Schlüsselbegriffe: Gesundheit, Selbstsorge, Stressoren, Stressentlastung, Schutzfaktoren Health of Psychomotricians A survey on health in the areas of Psychomotricity, Motopädie and Motology German Psychomotricity deals increasingly with the issue of health promotion while the focus thus far has been exclusively on conceptualized health programs for clients. Health issues of psychomotricians at their workplace have not yet been addressed. Consequently this article deals with the health of professional educators and therapists in Psychomotricity, Motopädie and Motology. The results of a questionnaire-study are represented with inquiries about Psychomotrician’s job satisfaction, self-care, the body as a health-advisor, stress and protective factors. Key words: health, self-care, stress, stress relief, protective factors [ 122 ] 3 | 2014 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis Fragestellung Das Paradigma der Gesundheitsförderung hat mittlerweile in vielen Publikationen und Tagungen im psychomotorischen Kontext Einzug gefunden. Der Schwerpunkt im kinderbezogenen Anwendungsbereich liegt in der individuellen Förderung der Resilienz und einer setting-orientierten Organisationsberatung. Zudem liegt ein theoriefundiertes Konzept für erwachsene KlientInnen vor (Seewald 2012). Eine Grundvoraussetzung für das gesundheitsorientierte Arbeiten mit KlientInnen ist in diesem Zusammenhang- - nicht zuletzt durch steigende Anforderungen- - die Reflexion des eigenen balancierten Gesundheitsverhaltens, insbesondere bezogen auf das professionelle Setting. Um also die Frage zu beantworten, wie es um gesundheitliche Aspekte am Arbeitsplatz von PsychomotorikerInnen bestellt ist, wurde eine vergleichende Betrachtung angrenzender pädagogisch / therapeutischer Berufe nach gesundheitsrelevanter Veröffentlichungslage durchgeführt und durch berufsspezifische psychomotorische Perspektiven ergänzt, aus denen fünf Schwerpunkte für die Befragung extrahiert wurden, um eine erste Handhabung des komplexen Themas Gesundheit am Arbeitsplatz angehen zu können 1 : 1. Die allgemeine Zufriedenheit am Arbeitsplatz 2. Die Selbstsorge 3. Der Körper als Gesundheitsberater 4. Stressoren am Arbeitsplatz 5. Maßnahmen zur Stressentlastung Methode Der verwendete Online-Fragebogen umfasste neben dem Bereich »Gesundheit« auch Aspekte zum »Einsatz von Natur in der psychomotorischen Praxis«, welcher aber gesondert ausgewertet wurde und in diesem Artikel nicht berücksichtigt wird. Der hier vorgestellte Frage- 1 Das Phänomen »Gesundheit« wird hierbei als sehr vielschichtig verstanden, herausgehoben werden an dieser Stelle die Kernaspekte der »Balance« und der »Selbstsorge« (ausführliche Diskussion vgl. Seewald 2012). bogenschwerpunt »Gesundheit« umfasste insgesamt 30 Items und bestand aus vier Teilen. Der erste Teil erfasste mit sieben Items die demographischen Grunddaten zu Ausbildung, Geschlecht, Alter und Arbeitsfeld. Der zweite Teil bestand aus sechs Items zur Zufriedenheit am Arbeitsplatz und zum Gesundheitsverhalten (Selbstsorge, Körper als Gesundheitsberater). Der dritte Teil beschäftigte sich durch acht geschlossene und eine offene Frage mit den Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz, während der vierte Teil mit sieben geschlossenen und einer offenen Frage nach Maßnahmen zur Stressentlastung fragte. Die statistische Auswertung erfolgte mit dem Programm SPSS. Vorgehen und Stichprobe Die Online-Befragung wurde Anfang 2012 mit Hilfe der entsprechenden Berufsverbände, Dachorganisationen und Fortbildungsinstitutionen unter PsychomotorikerInnen mit Zusatzqualifikation (im Umfang von 180-200 Unterrichtseinheiten), MotopädInnen und MotologInnen durchgeführt. Es konnten 222 Fragebögen ausgewertet werden, beantwortet von 100 Motopäd- Innen, 66 PsychomotorikerInnen mit Zusatzqualifikation, 51 MotologInnen und 5 Personen mit anderen einschlägigen psychomotorischen Ausbildungen. Teilgenommen haben 196 Frauen (88 %) und 26 Männer (12 %), wovon 33 % zwischen 21 und 30 Jahren, 24 % zwischen 31 und 40 Jahren, 27 % zwischen 41 und 50 Jahren, 15 % zwischen 51 und 60 Jahren und 1 % zwischen 61 und 70 Jahren alt waren. 204 Personen arbeiteten hierbei mit Kindern und Jugendlichen (vorrangig in Kindertagesstätten, Schulen oder Vereinen), 34 mit Erwachsenen (überwiegend sonderpädagogische Einrichtungen und Kliniken) und 20 mit SeniorInnen (meist Seniorenheime und Vereine) (Mehrfachnennung war möglich, daher erhöhte TN-Zahl). Im Folgenden werden die Ergebnisse der Befragung vorgestellt und u. a. im Vergleich zu angrenzenden pädagogisch / therapeutischen Berufsgruppen diskutiert. [ 123 ] Späker • Gesundheit von PsychomotorikerInnen 3 | 2014 Ergebnisse und Interpretation Zufriedenheit am Arbeitsplatz Die deutliche Mehrheit mit 84 % aller Befragten hat angegeben, zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit ihrer psychomotorischen Arbeit zu sein 2 . Ein möglicher Grund für eine hohe Zufriedenheit in der psychomotorischen Arbeit lässt sich aus einem negativen Zusammenhang erschließen. Es zeigte sich eine mittlere negative Korrelation zum Belastungs-Item »wenig Erfolge in der Arbeit« (r = -0,47; p = 0,000). Dies deutet darauf hin, dass die Zufriedenheit am Arbeitsplatz von PsychomotorikerInnen u. a. in Zusammenhang mit der Wahrnehmung von subjektiven 2 Da es keine statistisch relevanten Geschlechts- und Berufsgruppenunterschiede gab, werden im Folgenden die MotologInnen, MotopädInnen und PsychomotorikerInnen mit Zusatzqualifikation als »PsychomotorikerInnen« und ihre Tätigkeiten als »Psychomotorik« bezeichnet. Erfolgen in der Arbeit zu sehen ist. Ein vergleichender Blick zu anderen Hilfsberufen, wie z. B. der PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen scheint hierzu lohnenswert. Nach Farber und Heifetz (1982) liegen mögliche Gründe für eine hohe Zufriedenheit in therapeutischen Berufen u. a. in der Beteiligung an sichtbar positiven Veränderungsprozessen oder der Weiterentwicklung der eigenen Person durch die Arbeit. Fehlen sichtbare Erfolge trotz intensiver Anstrengungen, kann dies ein sehr belastender Zustand sein. So zeigte sich in einer Studie von Braun et al. (2010), dass 42 % aller ca. 1000 befragten PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen schon mindestens eine depressive Phase erlebt haben und ca. 3/ 5 aller Befragten unter einer akuten Depression litten. Es wird vermutet, dass die vielfältigen psychischen Belastungen der KlientInnen (z. B. Suizidgefährdung, Aggression etc.) sowie die bewusstere und feinfühligere 66; 30% 100; 45% 51; 23% 5; 2% Zusatzqualifikation PM (180-200 UE) Motopädie Motologie andere Ausbildung Abb. 1: Psychomotorische Weiterbildungen der BefragungsteilnehmerInnen Abb. 2: Zufriedenheit mit der psychomotorischen Arbeit 0; 0% 10; 5% 25; 11% 127; 57% 60; 27% 0 50 100 150 nicht zufrieden weniger zufrieden weder zufrieden noch unzufrieden zufrieden sehr zufrieden Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer psychomotorischen Arbeit insgesamt? (N = 222) [ 124 ] 3 | 2014 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis Wahrnehmung des eigenen seelischen Zustandes und insbesondere der eigenen Fehler und Schwächen Hauptgründe für die depressiven Verstimmungen sind. Hier zeigen sich schon einige Schutz- und Risikofaktoren helfender Berufe, die im Folgenden noch ergänzt werden. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass anzunehmen ist, dass- - genau wie in anderen Hilfsberufen- - auch PsychomotorikerInnen als Personen maßgeblich am Erfolg der psychomotorischen Entwicklungsbegleitung beteiligt sind. Es lässt sich vermuten, dass diese umso wirksamer wird, je größer das Wohlbefinden am Arbeitsplatz ist und je zufriedener die psychomotorisch Tätigen ihre Arbeit durchführen. Gleichzeitig lassen sich subjektiv in der Psychomotorik offenbar viele Erfolge in der Arbeit wahrnehmen. Hier schließt sich der Kreis, zufriedene PsychomotorikerInnen arbeiten mutmaßlich erfolgreicher, was wiederum zu Zufriedenheit am Arbeitsplatz führt. Selbstsorge Die Selbstsorge wird von Seewald (2012) als ein wesentlicher Bestandteil einer motologisch orientierten Gesundheitsförderung gesehen: »Die Selbstsorge greift die allzu menschliche Neigung der ängstlichen Sorge auf und entwickelt daraus einen reflexiven Prozess aufgeklärten Eigeninteresses, der nicht mit Egoismus zu verwechseln ist. Dieses »Sich-um-sich-selbst- Kümmern« ist eine Art der »Selbst-Bemutterung«. Sie benötigt ein Vorbild und findet es bestenfalls in einer ›guten Mutter‹, die sich um uns gesorgt hat, als wir klein waren« (Seewald 2012, 57). Wie sieht es aber mit der Selbstsorge von PsychomotorikerInnen aus? Hierzu schätzten zunächst 65 % der Befragungs-Teilnehmer ihren Lebensstil allgemein als (sehr) gesund ein. Immerhin 34 %, also ca. jeder Dritte gab demgegenüber an, sich sowohl gesund als auch ungesund zu verhalten. Diese Frage korrelierte positiv mit der direkten Frage »Können Sie gut für sich sorgen? « (r = 0,330; p = 0,000), auf die 61 % antworteten, dass dies voll oder überwiegend zutrifft, wohingegen 39 %, also ca. zwei von fünf Personen sich so einschätzten, nur wenig oder teilweise gut für sich sorgen zu können. Hier spiegelt sich möglicherweise u. a. auch ein bekanntes Problem gesundheitsbezogenen Verhaltens. Den meisten Menschen sind die Fakten gesundheitsbewussten Verhaltens (Bewegung, Stress, Ernährung, Haltung etc.) bekannt. Das Problem ist, dass nicht unbedingt so gehandelt wird, wie es auch nach eigenen Vorstellungen am besten wäre. Das sozial-kognitive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns von Schwarzer (2008) gibt eine Erklärung hierfür, indem motivationale und volitionale Aspekte des Gesundheitshandelns unterschieden werden. Die motivationale Phase wird hierbei entscheidend beeinflusst durch die Selbstwirksamkeitserwartung (»Habe ich die Fähigkeit, mein Gesundheitsverhalten zu ändern? «), die Handlung-Ergebnis-Erwartung (»Was bringt es mir, und was kostet es mich, mein Gesundheitsverhalten zu ändern? «) und die Risikowahrnehmung (»Wie notwendig ist eine Veränderung meines Gesundheitsverhaltens? «). Ist die motivationale Phase erfolgreich durchlaufen, wird ein Ziel bestimmt, und in der volitionalen Phase kommt es zur konkreten Handlungsplanung des Vorhabens (»Ich gehe 1 × die Woche Walken«). Hier ist eine Bewältigungsplanung im Sinne eines Barrieremanagements entscheidend (»Wenn es regnet, habe ich entsprechende Kleidung parat und eine feste Verabredung, damit ich es auch wirklich tue«). Wenn ich mich vorher damit beschäftige, was mich von einem gewollten Handeln abhalten kann und welche Möglichkeiten ich dann habe, diesen Barrieren etwas entgegenzusetzen, steigt die Wahrscheinlichkeit erheblich, dass ich mein angestrebtes Handeln auch wirklich durchführe. Besonders positiv für eine auch langfristige Umstellung des Verhaltens ist zudem eine- - mit einem guten Gefühl verbundene-- bereichernd wahrgenommene Handlung (»Das Walken hat sehr gut getan und ein schönes Körpergefühl erzeugt«). Natürlich wirken zudem noch eine Menge andere Faktoren des Alltags, wie Berufstätigkeit, soziales Netzwerk, Familien- Die Mehrheit der PsychomotorikerInnen ist mit der eigenen Arbeit sehr zufrieden. [ 125 ] Späker • Gesundheit von PsychomotorikerInnen 3 | 2014 situation etc. mit ein. Außer Acht gelassen wird hierbei auch die Frage, wo-- unabhängig von Verhaltensmodifikationen- - ein tieferer Ursprung einer mangelnden Selbstsorge, trotz besseren Wissens, liegt (Warum tue ich mir nichts Gutes? , Warum achte ich nicht gut auf mich, trotz besseren Wissens? ). Hierzu müssten tiefergehende, biographisch begründete Ausgangspunkte, wie z. B. eine Selbstwert-, Anerkennungs- oder Abgrenzungsproblematik bzw. grundlegende Defizite im Fundament der (Selbst-)Sorge durch die primären Bezugspersonen hinterfragt werden. Wie sieht nun aber eine Selbstsorge im psychomotorischen Setting aus? Auffällig war zunächst, dass die PsychomotorikerInnen, die ihren Lebensstil gesünder eingeschätzt haben, vermehrt sportliche Aktivitäten und Bewegung als Maßnahme zur Stressentlastung nutzen (r = 0,421; p = 0,000). Weitere Beispiele wären, die eigenen Stärken und Ressourcen zu kennen und am Arbeitsplatz bewusst zu integrieren, das eigene Zeitmanagement zu verbessern, Aufgaben abzugeben (auch an die KlientInnen) oder die Rahmenbedingungen möglichst gesundheitsförderlich zu gestalten (z. B. Gruppengröße, Raumgestaltung, Ruherituale in die Stunden integrieren, zu zweit arbeiten etc.). Diese Selbstsorgemaßnahmen werden natürlich auch in Vorbildfunktion bei den KlientInnen wahrgenommen und können dort Resonanz finden. Auffällig war ebenfalls, dass die Berufstätigen im Arbeitsfeld »Erwachsene« im Mittel ihren Lebensstil gesünder (t[219] = 3,179, p < 0.01), ihre Selbstsorgefähigkeit höher (t[218] = 2,730, p < 0.01), und den Stress am Arbeitsplatz niedriger (t[220] = 2,403, p < 0.05) einschätzten. Möglicherweise ist dies im Zusammenhang damit zu sehen, dass sie vermehrt bewusste Entspannungssequenzen (t[218] = 2,791, p < 0.01) einsetzen. Der Körper als Gesundheitsberater Auf die Frage, inwieweit die befragten PsychomotorikerInnen bei Belastungen auf die Rückmeldung ihres Körpers achten, gaben ca. 2/ 3 (69 %) an, dies »meist« oder »immer« zu tun, während ca. 1/ 3 (31 %) die körperbezogene Rückmeldung nur »wenig« oder »teilweise« für sich nutzen. Interessanterweise zeigte sich hierbei ein positiver Zusammenhang zum Selbstsorge- Item (r = 0,469; p = 0,000). Dies bedeutet, dass die Personen, die nach eigener Einschätzung gut für sich sorgen, auch vermehrt ihren Körper als reflexiven Partner in Anspruch nehmen. Eine Grundlage für gesundheitsorientierte Entscheidungen und eine funktionierende Selbstsorge könnte also eine sensibilisierte Körperwahrnehmung sein. Durch das genaue Wahrnehmen, Beobachten und Berücksichtigen von körperlichen Empfindungen kann der Körper als »Gesundheitsberater« bzw. Navigator eine Hilfe darstellen, gesundheitsrelevantes Verhalten zu beeinflussen. Dieser Gedanke findet sich auch im Konzept der »reflexiven Leiblichkeit« nach Seewald (2007), welches die Vorstellung beinhaltet, durch ein bewusst absichtsloses »Hineinspüren« in Situationen, Menschen oder Umgebungen sensible leibliche Befindlichkeiten wahrzunehmen und intentional zu nutzen. Im Zusammenhang der vorgenommenen Be- Abb. 3: Selbstsorgefähigkeit von PsychomotorikerInnen 0; 0% 10; 5% 75; 34% 113; 51% 22; 10% 0 50 100 150 trifft gar nicht zu trifft wenig zu trifft teilweise zu trifft überwiegend zu trifft voll zu Können Sie gut für sich sorgen? (N = 220) Können Sie gut für sich sorgen? (N = 220) [ 126 ] 3 | 2014 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis fragung wäre dies insbesondere hilfreich für die Beeinflussung der eigenen Gesundheit. Eine gute körperlich-leibliche Wahrnehmung für sich selbst und seine Umwelt zu haben, hilft zu entscheiden, was gut (gesund) und was schlecht (ungesund) für das individuelle Wohlbefinden ist. Um also für sich sorgen zu können, ist es wichtig, die Hinweise des Körpers wahrzunehmen, sie anzunehmen und bewusst im Hinblick auf eine gesundheitsorientierte Balance einzusetzen (Was tut mir gut? , Was genieße ich? , Wann überlaste ich mich? ). Hierzu gibt es einen interessanten Zusammenhang zum Umgang mit Grenzen: Personen, welche nach eigenen Angaben in Belastungssituationen stärker auf die Grenzen ihres Körper achten, grenzen sich auch allgemein zur Stressentlastung stärker ab und sagen »Nein« (r = -0,411; p = 0,000). Der kontinuierliche Kontakt mit den momentanen körperlich-leiblichen Empfindungen muss allerdings geübt werden. Oft werden im Alltag unreflektierte, festgefahrene Verhaltensmuster aktiviert, die quasi im »Autopilot« gesundheitsrelevante Entscheidungen abnehmen. Beim Essen wird der Teller unabhängig von Sättigungsgefühl leer gegessen, bei der Arbeit wird »automatisch« weiterfunktioniert, ohne auf evtl. Verspannungen oder Müdigkeit zu achten usw. Hier wird kein Kontakt zur körperlichen Wahrnehmung hergestellt bzw. nicht entsprechend gehandelt. Dieser Kontaktverlust ist ein Nährboden für gesundheitsschädigendes Verhalten, Unbehagen und Unzufriedenheit. Demgegenüber stehen das bewusste Anhalten und die achtsame Wahrnehmung körperlich-leiblicher Signale. So kann sich z. B. die Leserin / der Leser in diesem Augenblick fragen, ob eine kurze Pause sinnvoll wäre, weil der Körper z. B. Verspannung, Hunger, Müdigkeit, Bewegungsdrang o. ä. signalisiert. Stressoren am Arbeitsplatz Um einen ersten Eindruck zur Einstellung am Arbeitsplatz zu bekommen, wurde nach der Eingruppierung in vier gesundheitlichen Verhaltensmustern gefragt: den Typen »Gesundheit«, »Schonung«, »Selbstüberforderung« und »Resignation«. Diese Verhaltensmuster lehnen sich an die bisher größte deutsche Studie zur Verteilung beruflicher Risikogruppen bei ca. 20.000 LehrerInnen an, welche im Auftrag des Beamtenbundes durch Schaarschmidt (2008) durchgeführt wurde. Bei den LehrerInnen zeigte sich nämlich, dass nur 20 % das günstigste Muster »Gesundheit« aufwiesen, in dem ein hohes, aber nicht überhöhtes Engagement gezeigt wird und eine hohe Belastbarkeit und Zufriedenheit festzustellen ist. Ebenfalls ca. 20 % zeigten das Muster »Schonung« mit einem verminderten Engagement, einhergehend mit einem Gefühl von Ruhe, Gelassenheit und relativer Zufriedenheit. Auffällig war die Zuordnung der SchulpädagogInnen mit jeweils rund 30 % in die Risikomuster- A und B. Das Risikomuster A »Selbstüberforderung« zeichnet sich durch eine exzessive Verausgabung bei verminderter Erholungsfähigkeit und einer eingeschränkten Belastbarkeit und Zufriedenheit aus. Die LehrerInnen im Risikomuster B »Resignation« zeigen ein reduziertes Engagement bei geringer Erholungs- und Widerstandsfähigkeit sowie Unzufriedenheit und 0; 0% 9; 4% 61; 27% 128; 58% 24; 11% 0 50 100 150 gar nicht wenig teilweise meist immer In wie weit achten Sie bei Belastungen auf die Rückmeldungen Ihres Körpers? (N = 222) Abb. 4: Der Körper als »Gesundheitsberater« von PsychomotorikerInnen In wie weit achten Sie bei Belastungen auf die Rückmeldungen Ihres Körpers? (N = 222) [ 127 ] Späker • Gesundheit von PsychomotorikerInnen 3 | 2014 Niedergeschlagenheit. In keiner anderen untersuchten Berufsgruppe (z. B. Pflege, Polizei, Feuerwehr, Strafvollzug, Verwaltung, ExistenzgründerInnen) wurde bislang ein vergleichbar hoher Anteil insbesondere der Kategorie B festgestellt, welche dem Burn-Out-Syndrom sehr nahe kommt (Schaarschmidt 2008). Ohne auf einzelne Faktoren der Verhaltensmuster einzugehen, wurden die PsychomotorikerInnen gefragt, welchem der Muster sie sich selbst zuordnen würden. In Einschränkung der Möglichkeit sozial erwünschter Antworten zeigte sich ein klares Bild: Der überwiegende Anteil mit 82 % der Befragten setzen sich in ihrer psychomotorischen Arbeit nach eigener Einschätzung viel, aber nicht zu viel ein und können somit dem günstigsten Verhaltensmuster »Gesundheit« zugeordnet werden. Dennoch geben 12 % an, sich zu verausgaben, 5 % schonen sich und nur 1 % sieht sich überfordert. Empfinden 49 % der Befragten ihre psychomotorische Arbeit hierbei als wenig oder überhaupt nicht stressig, stehen dem 40 % gegenüber, die sie teilweise und 11 % als häufig stressig erleben. Für 22 %, bzw. ca. jede/ n 4.-5. PsychomotorikerIn ist der Zeitdruck eine Belastung, sodass es nicht verwunderlich ist, dass es zwischen Stressempfinden und Zeitdruck bei der Arbeit einen klaren Zusammenhang gibt (r = 0,531, p = 0,000). Ein vergleichender Blick mit Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz von ErzieherInnen zeigt, dass in Kindertagesstätten besonders die Aspekte »Vielzahl von Arbeitsaufgaben«, »zu viele Kinder in der Gruppe«, »fehlende Möglichkeiten zur Entspannung«, »körperliche Anstrengung«, »Unterbesetzung« und »Zeitdruck« bedeutsam sind (Rudow 2004). Hinzu kommt insbesondere der Aspekt des Lärms, da nach Buch / Frieling (2002) in ca. 30 % der untersuchten Kindertagesstätten Lärmpegel gemessen wurden, die nach Unfallverhütungsvorschriften eigentlich das Tragen von Ohrenschützern zur Folge hätten. Spitzenwerte entsprachen hierbei dem Geräusch eines Düsenjets in 200 Metern Entfernung. Kontinuierlicher Lärm, häufig durch eine schlechte Raumakustik begünstigt, ruft hierbei körperliche Stressreaktionen hervor und wirkt sich negativ auf Konzentration und Kommunikation aus. Bei den PsychomotorikerInnen zeigte sich hierzu folgendes Bild: 18 % der Befragten empfanden die »Unterbesetzung«, 12 % die »Vielzahl an Arbeitsaufgaben«, 9 % »zu viele Klienten«, 6 % »keine Entspannungsmöglichkeiten« und 6 % die »körperliche Beanspruchung« als belastend. Der Lärm und die Lautstärke wurden lediglich von 13 % als besondere Belastung dargestellt, wobei Tätige im Arbeitsfeld »Kinder und Jugendliche« erwartungsgemäß signifikant eher belastet sind (t[215] = ,684, p < 0.01). Generell ist dies offensichtlich jedoch in den kleineren psychomotorischen Gruppen weniger ein Problem, arbeitet doch ein Großteil der Befragten in Kindertagesstätten. Sehr aufschlussreich waren aber auch die freien Angaben zu weiteren Stressoren, in denen insbesondere genannt wurde, dass die mangelnde Anerkennung der Psychomotorik am Arbeitsplatz als belastend empfunden wird, kombiniert mit zu wenigen Austauschmöglichkeiten mit ähnlich arbeitenden KollegInnen. Auch die Rahmenbedingungen, in Form von Raum- und Materialproblemen, wurden als zusätzlicher Stressfaktor mehrfach genannt. Maßnahmen zur Stressentlastung Nach dem Stressmodell von Lazarus / Launier (1981) kann ungesunder Stress immer dann entstehen, wenn die eigenen Ressourcen als nicht ausreichend erlebt werden, eine anstehende Aufgabe zu lösen. Es sind also nicht nur die besonderen Herausforderungen am Arbeitsplatz, die negativen Stress auslösen können, sondern auch die Einschätzung, welche Möglichkeiten ich habe, diese Herausforderungen zu bewältigen. Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung, verbunden mit einer als beständig wahrgenommenen Handlungskompetenz und einer guten Problemlösefähigkeit, ein positives Selbstkonzept, eine internale Kontrollattribution (Ich bin selbst verantwortlich für meinem Erfolg) und eine hohe soziale Kompetenz sind also aus- Mangelnder Austausch und fehlende Anerkennung sind Belastungsfaktoren. [ 128 ] 3 | 2014 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis schlaggebende Schutzfaktoren, um nicht in ungesunde Stressmuster zu verfallen. Trotz allem wird es in der psychomotorischen Arbeit immer wieder Situationen geben, die Stress erzeugen und das Befinden auf dem Kontinuum der Gesundheit in Richtung »krank« verschieben, da Gesundheit nie ein Zustand, sondern immer ein fortlaufender Prozess der Balance ist. Welche Dinge helfen also PsychomotorikerInnen, dem Stress etwas entgegenzusetzen? In der Befragung zur Anwendung einzelner Maßnahmen zeigte sich, dass 74 % bzw. ca. 3 von 4 psychomotorisch arbeitenden Personen zur Stressentlastung meist oder sehr oft Freizeitaktivitäten und Hobbys nachgehen. Insbesondere sind »sportliche Aktivitäten und Bewegung« (65 %), und »in die Natur gehen« (64 %) sehr häufig angewandte Stressentlastungsmaßnahmen. Außerdem nutzen 29 % eine bewusste Entspannung (z. B. Atmung, Entspannungstechnik)-- wobei dies eher auf die älteren Befragten (41-60 J.) im Vergleich zu den jüngeren (21-30 J.) zutrifft (F[4, 215] = 4,003, p < 0.01). 26 % nutzen eine gute Abgrenzung, 18 % »Sich-Hilfe-Zu-Holen« und 12 % eine Abgabe der Verantwortung und Verteilung von Aufgaben als häufige Maßnahme, Stress zu vermeiden. In einer offenen Frage zeigte sich ergänzend, dass auch der Austausch mit der Familie oder Freunden sowie Gespräche mit KollegInnen bedeutsame Möglichkeiten sind, sich vom Stress zu entlasten. Fazit Für PsychomotorikerInnen ist es hilfreich, sich mit eigenen Stressoren und Ressourcen für die professionelle Tätigkeit auseinanderzusetzen: Wie gesund lebe ich? Wie gehe ich mit meinen Belastungen, Freuden, Widerständen im Alltag um? Habe ich »eingeschliffene« Gewohnheiten, die mir nicht gut tun? Habe ich das Gefühl, manchen Anforderungen nicht gewachsen zu sein? Wie kann ich meine Gesundheit selber beeinflussen? Bin ich unzufrieden mit meiner Arbeits- oder Lebenssituation, meinem Bewegungs-, Ernährungs-, Stressverhalten, und wenn ja, ändere ich etwas daran? Wenn nein, warum nicht? In der erstmaligen Untersuchung zur Gesundheit von PsychomotorikerInnen in Deutschland zeigte sich, dass diese überwiegend sehr zufrieden an ihrem Arbeitsplatz sind, nicht zuletzt, weil sie in der psychomotorischen Arbeit subjektiv viele Erfolge wahrnehmen. Auch die Einschätzung der eigenen Gesundheit fällt positiv aus und der überwiegende Anteil der Befragten zeigt das gesundheitsdienliche Verhaltensmuster, sich in ihrer Arbeit viel, aber nicht zu viel einzusetzen. Eine gute Selbstsorge in Kombination mit einem guten Barrieremanagement und einer bewussten Auseinandersetzung mit biographischen Gesundheitsmotiven können hierbei wichtige Bausteine sein, gesundheitswidrigen Umständen entgegenzuwirken. Als Ausgangspunkt einer Selbstsorge agiert der »Körper als Gesundheitsberater« und gibt sensibel wahrzunehmende Hinweise zu gesundheitsförderlichem Verhalten. Der größte Belastungsfaktor am psychomotorischen Arbeitsplatz ist hierbei der Zeitdruck. Auch die mangelnde Anerkennung der psychomotorischen Arbeit sowie Raum- und Materialprobleme werden teilweise als belastend empfunden. Demgegenüber nutzen Psychomo- 3; 1% 14; 7% 60; 27% 70; 32% 73; 33% 0 20 40 60 80 trifft gar nicht zu trifft wenig zu trifft teilweise zu trifft überwiegend zu trifft voll zu Zur Stressentlastung betreibe ich sportliche Aktivitäten oder bewege mich … (N=220) Abb. 5: Bewegung als Maßnahme zur Stressentlastung Zur Stressentlastung betreibe ich sportliche Aktivitäten oder bewege mich ... (N = 220) trifft gar nicht zu trifft wenig zu trifft teilweise zu trifft überwiegend zu trifft voll zu [ 129 ] Späker • Gesundheit von PsychomotorikerInnen 3 | 2014 torikerInnen Freizeitaktivitäten und Hobbys, insbesondere auch sportliche Aktivitäten und Bewegung, das Aufsuchen von Natur sowie den Austausch mit Familie, Freunden oder KollegInnen als Maßnahmen zur Stressentlastung. Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz zielt auf die Fähigkeit, immer wieder eine Balance zwischen den Anforderungen der Umwelt (Sollen), den eigenen Bedürfnissen (Wollen) und den eigenen Möglichkeiten (Können) zu finden. In einem ständigen Prozess erfordern neue Herausforderungen also immer wieder neue Handlungsstrategien der flexiblen Anpassung oder Veränderung. Literatur Braun, M., Schönfeldt-Lecuona, C., Freudenmann, R. W., Mehta, T., Hay, B., Kächele, H., Beschoner, P. (2010): Depression, Burnout and Effort-Reward Imbalance among Psychiatrists. Psychotherapy and Psychosomatics 79 (5), 326-327, http: / / dx.doi. org/ 10.1159/ 000319531 Buch, M., Frieling, E. (2002): Arbeitsgestaltung in Kindertagesstätten. In: Badura, E., Litsch, M., Vetter, C. (Hrsg.): Fehlzeitenreport 2001. Gesundheitsmanagement im öffentlichen Sektor. Zahlen, Daten, Analysen aus allen Branchen der Wirtschaft. Springer, Heidelberg, 103-118 Farber, B.A., Heifetz, L.J. (1982): The Process and Dimensions of Burnout in Psychotherapists. Professional Psychology 13 (2), 293-301, http: / / dx.doi. org/ 10.1037/ 0735-7028.13.2.293 Lazarus, R. S., Launier, R. (1981). Stressbezogene Interaktionen zwischen Person und Umwelt. In: Nitsch, J. R. (Hrsg.): Stress. Theorien, Untersuchungen, Maßnahmen. Hans Huber, Bern, 213-259 Rudow, B. (2004): Belastungen und der Arbeits- und Gesundheitsschutz bei Erzieherinnen (Projektbericht). Institut für Gesundheit und Organisation (IGO), Mannheim & Mühlhausen / Thüringen Schaarschmidt, U. (2008). Beanspruchungsmuster als Indikatoren psychischer Gesundheit im Lehrerberuf. Sportunterricht 57 (9), 279-281 Seewald, J. (2007): Der Verstehende Ansatz in Psychomotorik und Motologie. Ernst Reinhardt, München / Basel Seewald, J. (2012): Motologisch orientierte Gesundheitsförderung- - Konzeptionelle Überlegungen und praktische Konsequenzen. motorik 35 (2), 54- 60 Schwarzer, R. (2008): Modeling health behavior change: How to predict and modify the adoption and maintenance of health behaviors. Applied Psychology. An International Review 57 (1), 1-29, http: / / dx.doi.org/ 10.1111/ j.1464-0597.2007.00325.x Der Autor Thorsten Späker Dipl.-Sportlehrer, Motopäde, Motologe M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter im Master- Studiengang Motologie an der Philipps-Universität Marburg Anschrift Thorsten Späker Philipps-Universität Marburg Barfüßerstr. 1 D-35032 Marburg spaekert@staff.uni-marburg.de
