motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2015
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Die Neuauflage des MOT 4-6: Weiterentwicklung, Testgüte und praktische Erfahrungen im Überblick
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2015
Brigitte Ruploh
Peter Keßel
Der MOT 4-6 ist ein weit verbreiteter Test mit psychomotorischem Konstruktionshintergrund zur Erfassung des motorischen Entwicklungsstandes von 4- bis 6-jährigen Kindern. Der Test wird in 2015 mit aktuellen Normen neu aufgelegt. Im Artikel werden Neuerungen wie die verstärkte Berücksichtigung qualitativer Kriterien und Befunde aus Untersuchungen zur Testgüte beschrieben, erste praktische Erfahrungen mit dem überarbeiteten Test geschildert und die Besonderheiten des Verfahrens im Vergleich zu weiteren Motoriktests aufgezeigt.
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[ TiTelRubRik ] 4 | 2015 motorik, 38. Jg., 156-##, DOI 10.2378 / motorik2015.art## © Ernst Reinhardt Verlag [ 156 ] [ FoRum PsychomoToRik ] Zusammenfassung / Abstract Der MOT 4-6 ist ein weit verbreiteter Test mit psychomotorischem Konstruktionshintergrund zur Erfassung des motorischen Entwicklungsstandes von 4bis 6-jährigen Kindern. Der Test wird in 2015 mit aktuellen Normen neu aufgelegt. Im Artikel werden Neuerungen wie die verstärkte Berücksichtigung qualitativer Kriterien und Befunde aus Untersuchungen zur Testgüte beschrieben, erste praktische Erfahrungen mit dem überarbeiteten Test geschildert und die Besonderheiten des Verfahrens im Vergleich zu weiteren Motoriktests aufgezeigt. Schlüsselbegriffe: MOT 4-6, motorischer Test, Motodiagnostik, motorischer Entwicklungsstand, qualitative Beobachtungskriterien, Förderdiagnostik, Neunormierung The New Edition of the MOT 4-6: Further Development, Test Quality and Practice at a glance The MOT 4-6 is a widely used test that was originally created from a psychomotor approach to child development. The test is designed to assess skill levels in children ranging in age from 4 to 6 years old and will be reissued in 2015 with updated norms. This article focuses on (1) improvements of the test such as elaboration of qualitative criteria for observation, (2) findings regarding the reliability and validity of the test, (3) examples for qualitative assessment, and (4) distinctive characteristics of the MOT 4-6 compared to other motor skills tests. Key words: MOT 4-6, motor assessment, motor development, qualitative criteria for observation in motor testing, educational diagnostics, new standardization [ 156 ] Einleitung Der Motoriktest für 4bis 6-jährige Kinder (MOT 4-6; Zimmer / Volkamer 1987), der in 2015 neu aufgelegt wird (Zimmer i. Druck), ist ein standar- Die Neuauflage des MOT 4-6: Weiterentwicklung, Testgüte und praktische Erfahrungen im Überblick brigitte Ruploh, Peter keßel disiertes und normiertes Testverfahren zur Erfassung des motorischen Entwicklungsstandes von 4bis 6-jährigen Kindern. Es besteht aus einer Aufwärmaufgabe und 17 Testaufgaben (wie z. B. Balancieren, beidhändig Streichhölzer einsammeln, einen Tennisball auf eine Zielscheibe werfen), die so zusammengestellt sind, dass sie »möglichst viele verschiedene Aspekte der Motorik« (Zimmer / Volkamer 1987, 7) erfassen und, den Testautoren nach, sieben, nicht voneinander unabhängigen, motorischen Bereichen zuzuordnen sind: 1. Gesamtkörperliche Gewandtheit und Koordinationsfähigkeit 2. Feinmotorische Geschicklichkeit 3. Gleichgewichtsvermögen 4. Reaktionsfähigkeit 5. Sprungkraft 6. Bewegungsgeschwindigkeit 7. Bewegungssteuerung Der MOT 4-6 ist ein in klinischen und pädagogischen Settings sehr häufig eingesetztes Verfahren (Ruploh 2014): Er wird z. B. genutzt in 53 % der untersuchten bewegungsdiagnostisch arbeitenden Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie (Welsche et al. 2005), in 33 % der in der Studie erfassten deutschen ambulanten und stationären kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen (Bölte et al. 2000) und in 33 % der deutschen Erziehungsberatungsstellen, die an der Untersuchung teilgenommen hatten (Nest- 4 | 2015 motorik, 38. Jg., 156-163, DOI 10.2378 / motorik2015.art25d © Ernst Reinhardt Verlag [ 156 ] [ 157 ] Ruploh, Keßel • Die Neuauflage des MOT 4-6 4 | 2015 ler / Castello 2003). In wissenschaftlichen Datenbanken fanden sich bei der letzten Zählung 55 Studien mit dem MOT 4-6 (Stand Dezember 2010). Dabei ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Anzahl höher ausfällt, insofern als frühe Studien seit der ersten Testauflage von 1984 elektronisch nicht erfasst sein könnten. Im vorliegenden Artikel wird beschrieben, welche Neuerungen am MOT 4-6 vorgenommen wurden, welche Ergebnisse Untersuchungen zur Testgüte anhand aktueller Daten gezeitigt haben und welche praktischen Erfahrungen bereits mit der neuaufgelegten Fassung gesammelt wurden. Der Artikel schließt mit einer kurzen Beschreibung der Besonderheiten des MOT 4-6 im Vergleich zu weiteren etablierten Motoriktests. Was ist neu? Die vertrauten Testaufgaben des MOT 4-6 wie auch ihre Reihenfolge und das Testmaterial blieben bei der Neuauflage des Tests unverändert, einige Testaufgaben wurden jedoch umbenannt. Die wesentlichen Neuerungen des MOT 4-6 werden nachfolgend im Einzelnen beschrieben. Neunormierung anhand aktueller Daten Der MOT 4-6 wurde anhand der Daten von 2.044 Kindern (49,5 % Mädchen, 50,5 % Jungen) aus den Jahren 2003 bis 2012 neu normiert. Die Kinder dieser Normstichprobe waren im Mittel 5; 2 Jahre alt (M = 62 Monate, SD = 8.10, für die detaillierte Stichprobenbeschreibung s.- Zimmer i. Druck). Ein bedeutsamer Geschlechtseffekt ließ sich nicht nachweisen (u. a. Rethorst 2003; Ruploh 2014), jedoch stieg der mittlere Testrohwert über die halbjahresgestuften Altersgruppen signifikant an (Ruploh 2014; Zimmer i. Druck), was als ein Hinweis auf die Konstruktvalidität eines Entwicklungstests interpretiert werden kann (Macha et al. 2005). Es wurden halbjahresgestufte Normen ermittelt (Prozentrang, Motorikquotient, T-Wert, C-Wert, Stanine), in der Normtabelle der Neuauflage des Tests ist nun die Klassifikation des individuellen Normwertes direkt ablesbar. Qualitative Beobachtungskriterien zu jeder Testaufgabe Eine zentrale Neuerung des MOT 4-6 ist die Erweiterung der qualitativen Beobachtungskriterien, die dem Testleiter wichtige Anhaltspunkte zur Einordnung des quantitativen Testergebnisses und zur Förderplanung liefern können. Diese Beobachtungskriterien betreffen neben dem Verhalten des Kindes während der Testdurchführung (z. B. Aufgabenverständnis, Motivation, Konzentrationsfähigkeit, Umgang mit Misserfolg) und seinen individuellen Voraussetzungen (z. B. situative Verfasstheit, Wahrnehmungs- oder Bewegungseinschränkungen) insbesondere das motorische Verhalten während jeder einzelnen Testaufgabe (z. B. für Aufgabe 3 Punktieren [Tapping]: Bewegungsgeschwindigkeit, Stifthaltung, Überkreuzung der Körpermittellinie, Handwechsel). Erweiterung des Protokollbogens Der Protokollbogen des MOT 4-6 erlaubt mit der Neuauflage nun, neben der rein quantitativen Auswertung, auch eine (von der Testautorin empfohlene) Dokumentation der qualitativen Aspekte der Motorik des Kindes. Der Protokollbogen bietet darüber hinaus viel Raum für wichtige eigene Beobachtungen. Abb. 1: Aufgabe 12, Einbeiniger Sprung in einen Reifen (Foto: Nadine Vieker) [ 158 ] 4 | 2015 Forum Psychomotorik Instruktionsheft für die Testdurchführung Neu ist auch das Instruktionsheft des MOT 4-6, das das Manual ergänzt und in kurzer Form alle relevanten Informationen zu den Testmaterialien, dem Testaufbau und den Instruktionen enthält. Testinstruktionen und Bewertungskriterien präzisiert Es wurden, Rückmeldungen aus der Praxis berücksichtigend, an einigen Stellen Testinstruktionen und Bewertungskriterien präzisiert (z. B. die Gewichtung von Probeversuchen und die Beidbeinigkeit beim Seil seitlich überspringen). Förderdiagnostische Überlegungen Der MOT 4-6 kann als klassisches Testverfahren zur Feststellung des motorischen Entwicklungsstandes betrachtet werden. Dadurch ist er aber auch der Kritik ausgesetzt, die alle quantitativen Testverfahren betrifft: Vor allem die Erfahrung, dass Diagnose und Förderung strikt voneinander getrennt betrachtet werden und die Verwendung quantitativer Testergebnisse zur defizitorientierten Selektion von Kindern genutzt werden, steht im Mittelpunkt der Kritik (Zimmer 2012, 93). Bereits in der letzten Auflage von 1987 wurde darauf verwiesen, dass während der Testdurchführung auch auf qualitative Aspekte der Bewegung und des Verhaltens zu achten sei. Es sollten neben den Schwächen der Kinder auch ihre Stärken dokumentiert werden. Die gesamte Testsituation und -durchführung sollte eher fördernd als fordernd für das Kind gestaltet sein. Zwar geht es darum, die bestmögliche Leistung des Kindes zu erfassen, aber es sollte nicht durch Druck seitens der Erwachsenen gefordert werden. Vielmehr sollte eine angenehme, spielerische Atmosphäre geschaffen werden, in der das Kind von sich aus gewillt ist, sein Bestes zu geben. Das darf und muss nicht auf Kosten der Ernsthaftigkeit realisiert werden. Etwas Zeit zum Ausprobieren eigener Ideen der Kinder mit den Materialien, eine kindgerechte Formulierung der Instruktionen und vor allem das Ermöglichen von Erfolgserlebnissen während der Testdurchführung können dazu beitragen, ohne dass dabei die Anforderung der standardisierten Bedingungen missachtet werden muss. Zum einen werden Misserfolgserlebnisse im MOT 4-6 eher vermieden, da bei den meisten Aufgaben eine »erfolglose« Ausführung dem Kind nicht bewusst wird (so balanciert das Kind auf dem Teppichstreifen auch weiter, wenn es bereits den Boden daneben berührt hat, wodurch es das Erfolgserlebnis hat, einmal den ganzen Streifen balancierend abgeschritten zu haben). Zum anderen wird nach offensichtlich nicht erfolgreichen Versuchen eine erleichternde Veränderung in der Aufgabe vorgenommen, sodass das Kind nach dem eigentlichen Hauptversuch die Möglichkeit bekommt, jede Aufgabe motivierend mit einem Erfolgserlebnis abzuschließen (z. B. wird beim Zielwurf die Entfernung beim Werfen so verringert, dass es dem Kind gelingt, die Zielscheibe mit einem Ball zu treffen, auch wenn als Testergebnis für diese Aufgabe »0 Punkte« protokolliert werden müssen). Die in früheren Auflagen bereits empfohlene Berücksichtigung qualitativer Merkmale wird in der Neuauflage u. a. durch den überarbeiteten Protokollbogen noch deutlicher gefordert. In einer zusätzlichen Spalte werden verschiedene Beobachtungskriterien je Aufgabe vorgegeben, um sich ein präziseres und umfassenderes Bild vom Kind und seinen motorischen Fähigkeiten machen zu können. Nur so ist es möglich, bereits während der diagnostischen Situation Informationen zu gewinnen, die für die Gestaltung von Fördersituationen relevant sein können (z. B. ein hohes Maß an Kreativität oder Angst vor Misserfolg). Reliabilität und Validität des MOT 4-6 Die interne Konsistenz des MOT 4-6 (als ein Maß für die Zuverlässigkeit oder Reliabilität eines Messergebnisses), die im Rahmen der Neunormierung mit Hilfe von Cronbachs Alpha geschätzt wurde, fällt mit α =.81 gut aus (Zimmer i. Druck). Dieser Befund bestätigt die Ergebnisse von Zimmer und Volkamer (1987; α =.81), Rethorst (2003; α =.86), Wydra (2008; α =.79) und Ruploh (2014; α =.78 in einer Teilstichprobe der Normierungsstichprobe). [ 159 ] Ruploh, Keßel • Die Neuauflage des MOT 4-6 4 | 2015 Eine neuere Untersuchung zur Retestreliabilität (die etwas über die Zuverlässigkeit wiederholter Messungen eines stabilen Merkmals aussagt) stammt von Wydra (2008). Das Ergebnis für den MOT 4-6 ist mit r tt = .78 (N = 443) nach einem Retestintervall, das nicht beziffert wird, aber dem Autor nach einen deutlich größeren Zeitraum umfasste als die 4- Wochen bei Zimmer und Volkamer (1987), zufriedenstellend. Der Wert erreicht damit etwa die Höhe des von den Testautoren 1987 berichteten: r tt = .85 (N = 47). Für die Schätzung der Validität des MOT 4-6, also seiner Gültigkeit, können z. B. Korrelationen mit Tests herangezogen werden, die Vergleichbares messen (dass bei unterschiedlichen Schwerpunkten und Konstruktionshintergründen der Tests keine vollständige Übereinstimmung bestehen kann, ist evident). Für die erste Auflage des Körperkoordinationstests für Kinder (KTK, Kiphard / Schilling 2007) wurde 1987 ein Koeffizient von r = .78 (N = 181) ermittelt (Zimmer / Volkamer 1987). Für den MOT 4-6 und die Movement Assessment Battery for Children (M-ABC; Henderson / Sudgen 1992) ergab sich ein Cohens Kappa von .67 (N = 48) und damit eine moderate konvergente Validität (Cools et al. 2010). Die Autoren resümieren später, der MOT 4-6 könne der M-ABC vorgezogen werden, da er eine höhere Test-Effizienz besäße (Cools et al. 2010, 603). Weitere Befunde bestätigen die Konstruktvalidität des MOT 4-6: Der Test unterscheidet z. B. zwischen Kindern mit und ohne ärztlich diagnostizierte Umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen (UEMF; N = 16; Zimmer i. Druck), zwischen Kindern mit und ohne Adipositas (N = 648; Ziegler et al. 2008) sowie zwischen Kindern, die einen Sportkindergarten besuchen und solchen aus normalen Kindergärten (N = 580; Wydra 2008). Im Längsschnitt können mithilfe des MOT 4-6 Interventionseffekte motorischer Förderung aufgezeigt werden, z. B. in einer Schulung der koordinativen Fähigkeiten zur Unfallverhütung (Kambas et al. 2004), in einer Rückenschule für Kinder (Weiß et al. 2004) und in einem Tanzprogramm (Venetsanou / Kambas 2004). Konstruktvalidität kann mit Cronbach und Meehl (1955) als eine empirische Bestätigung von theoretisch plausiblen Zusammenhängen des zu validierenden Konstrukts mit einem Netzwerk externer Variablen begriffen werden. Die Ergebnisse aus Korrelationsuntersuchungen, Mediations- und Cross-Lagged-Panel-Analysen sowohl des Gesamttestwertes wie auch zweier exploratorisch-faktorenanalytisch ermittelter Komponenten zeigen vielfältige Zusammenhänge mit Verhaltensvariablen, Selbst- und Sprachkompetenzen auf und unterstreichen die Konstruktvalidität des MOT 4-6 (Ruploh 2014). Die beiden genannten Komponenten differenzieren die Testaufgaben nach der Steuerungsform in solche, die vor allem Innensteuerung und solche, die zusätzlich mehr Kontextsensibilität erfordern (Top-down und Bottom-up). Die Innensteuerungskomponente des MOT 4-6 korreliert dabei z. B. signifikant mit Sprachentwicklungsvariablen, die v. a. interne Steuerung verlangen (z. B. Grammatikregeln anwenden können), die Kontextsensibilitätskomponente hingegen eher mit Sprachentwicklungsvariablen, die stärker die Beachtung des Kontextes erfordern (sich z. B. einstellen können auf die Sprechweise und die Lautstärke des Gegenübers; Ruploh 2014). Für eine ausführliche Beschreibung sämtlicher Ergebnisse zur Testgüte, die hier aus Platzgründen nicht geleistet werden kann, wird auf Zimmer (i. Druck) und Ruploh (2014) verwiesen. In der Zusammenschau aller Befunde kann festgehalten werden, dass »der MOT 4-6 […] einen vergleichsweise umfassenden Validierungsstand« (Wagner et al. 2011, 231) aufweist und ein reliables und valides Testverfahren darstellt. Abb. 2: Aufgabe 15, Sprung über ein Seil (Foto: Nadine Vieker) [ 160 ] 4 | 2015 Forum Psychomotorik Praktische Erfahrungen mit dem neuaufgelegten MOT 4-6 Neben der wissenschaftlichen Überarbeitung des MOT 4-6 ist die Erweiterung der Ergebnisprotokollierung um qualitative Aspekte die größte Neuerung im Testverfahren (siehe oben). An einigen Beispielen soll deutlich gemacht werden, wie zentral diese Erweiterung ist und welcher zusätzliche Informationsgewinn für die Diagnostik daraus resultiert. In vielen Fällen wurden relevante Zusatzinformationen bereits extra notiert. Wenn ein Kind beispielsweise beim Aufgreifen des Tuchs mit den Zehen (Aufgabe 4) null Punkte erhält, weil es die Aufgabe nicht innerhalb der Zeitbegrenzung schaffte, werden die meisten Praktiker dies vermerkt haben: Denn das Kind kann ja ein Tuch mit den Zehen aufgreifen, es braucht lediglich mehr Zeit dazu, was unterschiedliche Gründe haben kann (und unter Umständen einen längeren Einbeinstand erfordert). Bei allen Aufgaben sind solche Beobachtungen möglich und als Zusatzinformation nicht zu unterschätzen: Es gibt Kinder, die beim Punktieren bzw. Tapping (Aufgabe 3) sehr ehrgeizig sind, die Punkte sehr ordentlich oder sogar gleichmäßig verteilt auf das Blatt zu setzen. Im Normalfall wird dies zu einer geringeren Anzahl an Punkten auf dem Papier führen. Trotz des Hinweises, dass so schnell wie möglich Punkte gesetzt werden sollen, entscheiden sich manche Kinder, anderen Kriterien den Vorrang zu geben. Möglicherweise könnte das Kind viel schneller punktieren, hält sich aber nicht vollständig an die Testanweisung. Ebenso würde sich ein Handwechsel während der Aufgabendurchführung negativ auf das Ergebnis auswirken und könnte zudem ein wichtiger Hinweis für die Einschätzung des motorischen Entwicklungsstandes des Kindes sein. Das seitliche Überspringen eines Seils (Aufgabe 5) ist dem Manual zufolge dem motorischen Bereich der Bewegungsgeschwindigkeit zuzuordnen. Die zusätzliche qualitative Auswertung in Form beobachteter Besonderheiten in der Ausführung kann den Punktwert relativieren: So kann ein Kind sehr schnell und unkoordiniert springen, mehrere Seilberührungen haben, insgesamt aber dennoch auf zwei Punkte kommen. Das würde zwar eine hohe Bewegungsgeschwindigkeit zu Recht bestätigen, aber zusätzliche Hinweise bezüglich der Art der Ausführung können andere mögliche Probleme des Kindes im motorischen Bereich festhalten. Andererseits kann es sein, dass ein Kind insgesamt sehr wenige Sprünge schafft, weil es auf jeder Seite Zwischensprünge macht. Dennoch kann die Bewegungsgeschwindigkeit sehr hoch sein, was in der quantitativen Auswertung dieser Aufgabe aber u. U. nicht abgebildet wird. Ebenso können Seilberührungen Kinder aus dem Konzept bringen, was eine wichtige Erklärung für eine geringe Anzahl von Sprüngen wäre. Häufig ist bei Kindern auch eine deutliche Abnahme der Bewegungsgeschwindigkeit während der Ausführung zu beobachten, manchmal sogar Pausen. Auch das kann ein wichtiger Hinweis sein: Möglicherweise hat das Kind eine hohe Bewegungsgeschwindigkeit, kann diese aber nicht über einen längeren Zeitraum aufrecht halten. Das kann auf mangelnde Ökonomie oder geringe Ausdauer hinweisen, muss also nicht zwingend mit der grundsätzlichen Bewegungsgeschwindigkeit im Zusammenhang stehen. Für diese und weitere Beispiele genügt es nicht, Beobachtungskriterien vorzugeben, weshalb im Protokollbogen lediglich übergeordnete Besonderheiten formuliert wurden, die individuell und berufsgruppenspezifisch erweitert werden können und sollen. Das ist etwas aufwendiger und erfordert auch eine gewisse Erfahrung, erhöht die Aussagekraft und Verwertbarkeit des Testergebnisses aber um ein Vielfaches und wird dem einzelnen Kind eher gerecht. Sollte der MOT 4-6 in der Verlaufsdokumentation einer Fördermaßnahme zum Einsatz kommen, ist die qualitative Auswertung ebenfalls eine Erweiterung der Aussagekraft des Testergebnisses: Ein Kind, das z. B. große Schwierigkeiten beim Zielwurf (Aufgabe 9) hat, wirft bei der ersten Testdurchführung den Ball so schwach, dass der Ball keine zwei Meter entfernt landet. Wenn das Kind bei einer erneuten Testdurchführung nach einer einjährigen Förderung immer noch nicht die Zielscheibe trifft, nun aber die drei Meter entfernte Zielscheibe nur um wenige Zentimeter verfehlt, ist das eine große qualitative Verbesserung, auch im Empfinden des [ 161 ] Ruploh, Keßel • Die Neuauflage des MOT 4-6 4 | 2015 Kindes. In der quantitativen Auswertung ist die Veränderung jedoch nicht feststellbar: Das Kind erhält in beiden Fällen null Punkte für die Ausführung. Dennoch sollte auch die quantitative Auswertung in ihrer Relevanz nicht unterschätzt werden: Die Verbesserung beim Zielwurf könnte auch entwicklungsbedingt sein, da ein Kind im Normalfall auch ohne Förderung innerhalb eines Jahres seine motorischen Fähigkeiten verbessert. Dafür ist der Vergleich mit einer Normstichprobe ein wichtiger Indikator, denn dieser kann Auskunft darüber geben, inwiefern ein Kind sich im Vergleich zu anderen gleichaltrigen Kindern verbessert hat. Der MOT 4-6 in der motorischen Testlandschaft Welches sind nun die Besonderheiten des MOT 4-6 im Vergleich zu anderen bekannten Motoriktests wie dem Körperkoordinationstest für Kinder (KTK, Kiphard / Schilling 2007), der Movement Assessment Battery for Children (M-ABC-2, Petermann 2011) und der deutschsprachigen Version des Bruininks-Oseretzky Tests der motorischen Fähigkeiten (BOT-2, Blank et al. 2014)? Zum einen liefert der MOT 4-6 ab der Neuauflage (Zimmer i. Druck) eine Fülle differenzierter qualitativer Beobachtungskriterien, die erstens sowohl die allgemeine Verfassung des Kindes, sein Verhalten in der Testsituation als auch seine motorische Performanz während jeder Testaufgabe betreffen und dem Testleiter ein umfassendes Bild vom motorischen Entwicklungsstand des Kindes verschaffen, die zweitens die quantitative Testleistung des Kindes einzuordnen helfen und die drittens förderdiagnostische Hinweise liefern. Solche Beobachtungskriterien sind beim KTK und BOT-2 nicht angeführt, bei der M-ABC-2 und dem MOT 4-6 hingegen wohl: Bei der M-ABC-2 können Beobachtungsbeispiele angekreuzt werden, der MOT 4-6 bietet Beobachtungshinweise an, die als Ausgangs- und Anhaltspunkte für die Dokumentation (auch weiterer) bedeutsamer und für die individuelle Situation des Kindes relevanter Informationen dienen. Zum anderen werden im Gegensatz zu den genannten motorischen Tests für die Durchführung des MOT 4-6 Materialien verwendet, die eine hohe ökologische Validität aufweisen. Ökologische Validität bedeutet, dass es sich um Materialien handelt, die den Kindern meist bereits aus ihrer Umgebung vertraut sind und somit gemäß dem psychomotorischen Ansatz die Aussagekraft des Tests für motorische Kompetenzen im Kindesalter erhöhen. Sie können dazu beitragen, das »Fremde« der ungewohnten Testsituation ein wenig zu mindern, sodass das Kind möglichst unbefangen agieren und dabei sein volles motorisches Potenzial entfalten kann. Die Materialien sind in den meisten psychomotorisch ausgerichteten Einrichtungen bereits vorhanden oder können preisgünstig selbst zusammengestellt werden. Ein dritter Punkt betrifft die Dimensionalität des MOT 4-6: Die Testautoren postulierten sieben den Testaufgaben zugrunde liegende motorische Bereiche (Zimmer / Volkamer 1987, 8), die bei der Testauswertung qualitative Hinweise liefern. Die Passung dieses Modells konnte anhand aktueller Daten in einer konfirmatorischen Strukturgleichungsmodellierung - unter eingeschränkten Überprüfbarkeitsbedingungen - annähernd bestätigt werden, gleichzeitig unter- Abb. 3: Titelblatt Neuauflage MOT 4-6 (aus: Motoriktest für vierbis sechsjährige Kinder [MOT 4-6], 3.-rev. u. neunorm. Aufl., © Hogrefe Verlag Göttingen, in Vorbereitung) [ 162 ] 4 | 2015 Forum Psychomotorik stützen Befunde die Annahme, dass sich die sieben motorischen Facetten auf einer gemeinsamen Dimension abbilden lassen, was die Verwendung eines Gesamtkennwertes rechtfertigt (Ruploh 2014). Dieser Gesamttestwert (z. B. als Motorikquotient) spiegelt die theoretisch und empirisch begründete Auffassung der Autoren wider, dass für den Altersbereich von 4-6 Jahren eine ganzheitliche Betrachtung des motorischen Entwicklungsstandes adäquat ist. Während der KTK ebenfalls ein eindimensionaler Test ist, lassen sich M-ABC-2 und BOT-2 (neben der Verwendung eines Gesamttestwertes) für eine aufgefächerte quantitative Auswertung in Skalen aufteilen: Für die M-ABC-2 sind dies drei Skalen in der Altersgruppe 3-6, die sich aber faktorenanalytisch nicht bestätigen ließen (Petermann 2011), im BOT-2 werden vier Skalen genannt, eine Überprüfung der inhaltlichen Struktur des Tests steht für die deutsche Ausgabe jedoch noch aus (Blank et al. 2014). Resümee Mit der Neuauflage des MOT 4-6 werden für ein etabliertes und weit verbreitetes motorisches Testverfahren aktuelle Normen vorgelegt. Die psychometrische Qualität und Testgüte des MOT 4-6 konnte anhand aktueller Daten bestätigt werden. Im Rahmen der Überarbeitung wurde insbesondere dem psychomotorischen Konstruktionshintergrund des MOT 4-6 Rechnung getragen, insofern als qualitative Beobachtungskriterien in den Protokollbogen aufgenommen wurden, die ein umfassenderes Bild vom Kind ermöglichen und Hinweise für die Gestaltung von Fördersituationen liefern können. Hinweis zur Transparenz Die beiden Autoren weisen darauf hin, dass sie im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Renate Zimmer an der Neuauflage des MOT 4-6 mitgewirkt haben. Literatur Blank, R., Jenetzky, E., Vinçon, S. (Hrsg.) (2014): BOT- 2. Bruininks-Oseretzky Test der motorischen Fähigkeiten. Pearson, Frankfurt a. M. Bölte, S., Adam-Schwebe, S., Englert, E., Schmeck, K., Poustka F. (2000): Zur Praxis der psychologischen Testdiagnostik in der deutschen Kinder- und Jugendpsychiatrie: Ergebnisse einer Umfrage. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 28 (3), 151-161, http: / / dx.doi. org/ 10.1024/ / 1422-4917.28.3.151 Cools, W., De Martelaer, K., Vandaele, B., Samaey, C., Andries, C. (2010): Assessment of movement skill performance in preschool children: Convergent validity between MOT 4-6 and M-ABC. Journal of Sports Science and Medicine 9 (4), 597-604 Cronbach, L. J., Meehl, P. E. (1955): Construct validity in psychological tests. Psychological bulletin 52 (4), 281, http: / / dx.doi.org/ 10.1037/ h0040957 Henderson, S. E., Sudgen, D. (1992): Movement Assessment Battery for Children: Manual. Psychological Cooperation, London Kambas, A., Antoniou, P., Xanthi, G., Heikenfeld, R., Taxildaris, K., Godolias, G. (2004): Unfallverhütung durch Schulung der Bewegungskoordination bei Kindergartenkindern. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 55 (2), 44-47 Kiphard, E. J., Schilling, F. (2007): Körperkoordinationstest für Kinder. KTK. Beltz Test, Göttingen Macha, T., Proske, A., Petermann, F. (2005): Allgemeine Entwicklungsdiagnostik. Validität von Entwicklungstests. Kindheit und Entwicklung 14 (3), 150-162, http: / / dx.doi.org/ 10.1026/ 0942- 5403.14.3.150 Nestler, J., Castello, A. (2003): Testdiagnostik an Erziehungsberatungsstellen. Ergebnisse einer repräsentativen Untersuchung in der Bundesrepublik. Unveröffentlichter Forschungsbericht. Institut für Psychologie, Universität Freiburg i. Br. Petermann, F. (Hrsg.) (2011): M-ABC.2. Movement Assessment Battery for Children - Second Edition. 3. Aufl. Pearson, Frankfurt a. M. Rethorst, S. (2003): Der motorische Leistungsstand von 3bis 7-Jährigen - gestern und heute. motorik 26 (3), 117-126 Ruploh, B. (2014): Zur Diagnostik des motorischen Entwicklungsstandes bei Kindern: Untersuchungen der Struktur und Konstruktvalidität des MOT 4-6. Shaker, Aachen Venetsanou, F., Kambas, A. (2004): How can a traditional Greek dances programme affect the motor proficiency of pre ‐ school children? Research in Dance Education 5 (2), 127-138, http: / / dx.doi. org/ 10.1080/ 14617890500064019 Wagner, M. O., Macha, T., Kastner, J., Petermann, F., Jekauc, D., Worth, A., Bös, K. (2011): Frühdiagnostik motorischer Funktionen. Diagnostica 57 (4), 225-233, http: / / dx.doi.org/ 10.1026/ 0012-1924/ a000051 [ 163 ] Ruploh, Keßel • Die Neuauflage des MOT 4-6 4 | 2015 Weiß, A., Weiß, W., Stehle, J., Zimmer, K., Heck, H., Raab, P. (2004): Beeinflussung der Haltung und Motorik durch Bewegungsförderungsprogramme bei Kindergartenkindern. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 55 (4), 101-105 Welsche, M., Rosenthal, S., Romer, G. (2005): Bewegungsdiagnostik und bewegungstherapeutische Professionalisierung in der klinischen Kinder- und Jugendpsychiatrie. Bewegungstherapie und Gesundheitssport 21 (5), 199-205, http: / / dx.doi. org/ 10.1055/ s-2005-872489 Wydra, G. 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Mitarbeiter, Forschungsstelle Bewegung und Psychomotorik des Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung, Universität Osnabrück; Dozent der Deutschen Akademie für Psychomotorik (dakp) Anschrift Dr. Brigitte Ruploh Niedersächsisches Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung, FS Bewegung und Psychomotorik Universität Osnabrück Jahnstraße 75 D-49080 Osnabrück brigitte.ruploh@nifbe.de
