eJournals motorik38/3

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2015.art22d
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Praxistipp: Die Bewegungsbaustelle in einer Kindertagesstätte

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Barbara Konze
Die folgenden Ausführungen zum kitabezogenen Einsatz von Bewegungsbaustellen liegen den Beobachtungen und Erkenntnissen eines Praxisprojektes zugrunde, das von Oktober bis Dezember 2013 im Rahmen meiner Masterarbeit zur Einführung und Dokumentation einer Bewegungsbaustelle in einer Kindertageseinrichtung für 20 2- bis 6-jährige Kinder des Deutschen Roten Kreuzes - Kreisverband Euskirchen e. V. durchgeführt wurde.
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[ 136 ] 3 | 2015 Praxistipps [ PraxistiPPs ] Die Bewegungsbaustelle in einer Kindertagesstätte Die folgenden Ausführungen zum kitabezogenen Einsatz von Bewegungsbaustellen liegen den Beobachtungen und Erkenntnissen eines Praxisprojektes zugrunde, das von Oktober bis Dezember 2013 im Rahmen meiner Masterarbeit zur Einführung und Dokumentation einer Bewegungsbaustelle in einer Kindertageseinrichtung für 20 2bis 6-jährige Kinder des Deutschen Roten Kreuzes - Kreisverband Euskirchen e. V. durchgeführt wurde. Das Projekt beinhaltete u. a. folgende zentrale Fragestellungen: ■ Wozu nutzen die Kinder das Material? ■ Welche Spielideen entwickeln die Kinder? ■ Welche Bewegungsanlässe schaffen sich die Kinder? Es wurde diesbezüglich ein Versuch unternommen, die Beobachtungen aus der Praxis vor dem Hintergrund der theoretischen Erkenntnisse aus der Psychomotorik und den entwicklungspsychologischen Grundlagen zum kindlichen Spielverhalten einzuordnen und miteinander zu verbinden. Im Folgenden werden einige ausgewählte Spiel- und Bewegungsanlässe beispielhaft aufgezeigt, die durch den Aufforderungscharakter des vorhandenen Baumaterials während des Projektes beobachtet werden konnten und den Erkenntnissen von Miedzinski und Fischer (2009) entsprechen. Balancieren Ein zentraler Schwerpunkt der Bewegungsaktivitäten der Kinder zeichnete sich durch vielfältige altersentsprechende Konstruktionen zum Balancieren aus. Demnach war ein Großteil des Spiels auf der Bewegungsbaustelle dem Bauen und Erproben von selbstgestalteten und mit der Zeit zunehmend komplexeren Balancierwegen, wie etwa Brücken und Stegen, gewidmet. Diese wurden sowohl mit einfachen Holzklötzen und Brettern als auch in Kombination mit Autoreifen und Getränkekisten gebaut. Insbesondere Letztere boten sich für ein abwechslungsreiches Spiel mit dem Gleichgewicht an. Die 2- und 3-jährigen Kinder hatten bereits großen Spaß daran, über ein flaches Holzstück oder einen Reifen zu balancieren. Eine besondere Herausforderung waren für die Kinder schräge Kasten- und Bretterkonstruktionen, die je nach Höhe und Neigung schnell oder langsam hinauf- und hinunterbalanciert wurden. Zudem forderten diese häufig auch zum Rutschen und Klettern auf. Abbildung 1 veranschaulicht, wie sich ein Kind mithilfe von zwei Getränkekisten eine Brücke zum Hinüberbalancieren baute. Abb. 1: Balancieren über eine »Brücke« [ 137 ] Praxistipps 3 | 2015 Diesbezüglich war folgende Beobachtungssituation festzuhalten: Sarah (5; 7 Jahre) stellt zwei Getränkekisten in einem Abstand von etwa einem Meter auf den Rasen. Sie holt sich ein Brett und legt dieses über die Kisten, sodass eine Brücke entsteht. Als sie auf die erste Kiste steigen will, rutscht das Brett auf der anderen Seite weg. Sie stellt fest, dass die Kisten nicht genug Stabilität haben und dreht die Kisten um 180 ° herum. Nun versucht sie erneut auf die Kiste zu steigen. Ihr Gewicht wird von der veränderten Konstruktion getragen und so balanciert sie wiederholte Male über die Brücke (Konze 2014). Turmbau Neben diversen Konstruktionen zum Balancieren entwickelten die Kinder auch kreative Ideen zum Spiel mit der Schwerkraft. So konnte beobachtet werden, wie die Getränkekisten, Autoreifen und großen Holzklötze die Kinder besonders zum kreativen Bauen in die Höhe anregten. Dabei standen vor allem Experimente im Vordergrund, bei denen sich die Kinder damit auseinander setzten, bis zu welcher Höhe ihre Türme stabil genug waren und ab welcher Etage ein Einsturz zu befürchten war. Dies wurde unter Umständen auch von Kletteraktivitäten auf den Kästen und stabilen Hölzern begleitet. Die gelungenen Bauten wurden oftmals einen Moment lang bewundert, bevor sie absichtsvoll zerstört und erneut aufgebaut wurden. Diese Konstruktionsspiele ermöglichten den Kindern eine spielerische Auseinandersetzung mit grundlegenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten, wie etwa der Stabilität und der Schwerkraft. Darüber hinaus konnten anhand des einstürzenden Turmes (Abb. 3) Selbstwirksamkeitserfahrungen gesammelt werden, wodurch sie auf anschauliche Weise erlebten, dass sie auf ihre Umwelt aktiv einwirken können. Die Baukonstruktionen forderten sie zugleich zur Suche nach eigenen Problemlösungen heraus - sie mussten sich bspw. der Herausforderung stellen, wie und mit welchen Mitteln sie einen stabilen Turm aufbauen konnten. Wippen und Wackeln Des Weiteren nutzen die Kinder die Bretter auf vielfältige Weise zur Konstruktion für diverse Wippbauten. Bereits die jüngeren Kinder hatten Freude daran, mit den Brettern eigene Wipp-Spiele zu generieren. Beim Wippen und Wackeln mit den Brettern und Reifen konnten sie elementare Erfahrungen und Erkenntnisse zur eigenen Kraft- und Hebelwirkung gewinnen. Zugleich wurde bei diesen Bewegungsspielen in besonderer Weise ihr Gleichgewichtssinn angesprochen und herausgefordert. Die eigenen Bauten wurden häufig mit dem Kommentar »Das habe ich gebaut! « begleitet, was darauf schließen lässt, dass diese Bewegungsanlässe für ihr Selbstwirksamkeitsempfinden bedeutend waren. Neben einfachen Wippkonstruktionen, bei denen sich auf ein Brett gestellt wurde, das auf einem Reifen oder Holzklotz auflag, konnten auch komplexere Konstruktionen beobachtet werden, die das Wippen zu einem Gemeinschaftserlebnis werden ließen. Abbildung 2 zeigt exemplarisch, wie durch die Kombination von Reifen und Brettern eine Wippe eigenständig gebaut wurde und zugleich das soziale Miteinander förderte. Abschließende Bemerkungen Wie diese Praxisbeispiele verdeutlichen, stellte das Spielen und Bewegen mit den Baumaterialien der Bewegungsbaustelle die Kinder in jeglicher Hinsicht vor die Aufgabe, mit den zur Verfügung gestellten Materialien eigenverantwortliche Bewegungsanlässe und zugleich Handlungspläne vorzunehmen. Dabei konnte beobachtet werden, dass den Bauwerken auch eine eigene Bedeutung gegeben wurde. So wurde aus diesen Konstruktionsspielen oftmals ein Symbolspiel (Oerter 1999): Balancierstege wurden beispielsweise Abb. 2: Spiel mit Stabilität und Schwerkraft [ 138 ] 3 | 2015 Praxistipps als Eisenbahn umfunktioniert oder zu einem Bett, auf dem die Kinder sich schlafen legten. Der Einsatz der Bewegungsbaustelle in der Kita hat sich während des Praxisprojekts als eine beliebte und anregungsreiche Alternative zu den zuvor vorhandenen Spiel- und Bewegungsangeboten im Außengelände der Einrichtung erwiesen. Im Gegensatz zu den häufig vorgefertigten Angeboten, die die Bewegungsanlässe der Kinder weitgehend vorgeben und begrenzen, haben die Kinder mit der Bewegungsbaustelle ein offenes Bewegungsangebot für zahlreiche großmotorische und elementare Bewegungserfahrungen zum Balancieren, Wippen, Klettern, Rutschen und auch zum Springen erhalten. Dabei sam- Mit allen Sinnen bewegen! ... für kleine und große Räume. Unsere hochwertigen Bauteile (DIN EN 1176) können in vielfältiger Weise bewegt, verändert und kombiniert werden. Auf optimale Funktionalität ausgerichtet, vermittelt LOQUITO fantasieanregende Körper- und Raumerfahrungen. Bestellen Sie unseren Katalog! Die Original-Bewegungsbaustelle Gebr. Hagedorn GbR · Im Westerbruch 33 · 49152 Bad Essen Telefon: 05472 / 95 444 90 · Website: www.hagedorn-spiel.de Abb. 3: Gemeinschaftliches Erleben von Kraft- und Hebelwirkung Anzeige melten sie durch ihr selbsttätiges Handeln mit den Baumaterialien wertvolle Selbstwirksamkeitserfahrungen. Durch ihre selbstbestimmte Bewegungshandlungen stellten sie sich vor individuelle Herausforderungen und lernten dabei ihre körperlichen Fertigkeiten kennen und bauten zugleich Vertrauen in ihre Fähigkeiten auf. Literatur Konze, B. (2014): Bewegungserfahrungen in der frühen Kindheit: Entwicklung und Begleitung einer Bewegungsbaustelle im Rahmen einer Projektarbeit in einer Kindertagesstätte. Unveröffentlichte Masterarbeit. Universität zu Köln Miedzinski, K., Fischer, K. (2009): Die neue Bewegungsbaustelle. Lernen mit Kopf, Herz, Hand und Fuß. Modell zur bewegungsorientierter Entwicklungsförderung. borgmann, Dortmund Oerter, R. (1999): Psychologie des Spiels. Ein handlungstheoretischer Ansatz. Beltz, Weinheim Barbara Konze DOI 10.2378 / motorik2015.art22d