motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2015
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Aus der Praxis für die Praxis - Einsatz des BOT-2 in der motopädischen Praxis
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2015
Britta Gebhard
Manuela Rösner informiert über den praktischen Einsatz des BOT-2 I: Liebe Frau Rösner, ich möchte Sie heute über Ihre praktischen Erfahrungen mit dem BOT-2 (Bruininks-Oseretzky Test der motorischen Fähigkeiten, Blank et al. 2014) in Ihrer motopädischen Praxis befragen. Schildern Sie mir bitte einmal Ihre Beweggründe und Entscheidungskriterien für dieses Diagnostikinstrument. Rösner: Ich habe in den letzten Jahren mit dem M-ABC-2 (Movement Assessment Battery for Children Second Edition, Petermann 2011) gearbeitet und habe da aber festgestellt, dass Kinder in einer bestimmten Altersgruppe manchmal durch das Raster fallen. Und Kinder in der Frühförderung bekommen nur die Förderung bewilligt, wenn sie z. B. beim M-ABC-2 im Therapiebereich lagen. Oder zumindest stark im kritischen Bereich in Bezug auf die motorischen Fähigkeiten. Der M-ABC-2 hat die Kinder mit motorischen Auffälligkeiten, die im letzten Kindergartenjahr sind, eher schlecht erfasst. Gerade die Kinder benötigen aber noch kurz vor der Schule eine motorische Förderung, haben sie aber aufgrund der Testergebnisse häufig nicht bewilligt bekommen […]
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[ 186 ] 4 | 2015 Praxistipps Abb. 1: Manuela Rösner informiert über den praktischen Einsatz des BOT-2 I: Liebe Frau Rösner, ich möchte Sie heute über Ihre praktischen Erfahrungen mit dem BOT-2 (Bruininks- Oseretzky Test der motorischen Fähigkeiten, Blank et al. 2014) in Ihrer motopädischen Praxis befragen. Schildern Sie mir bitte einmal Ihre Beweggründe und Entscheidungskriterien für dieses Diagnostikinstrument. Rösner: Ich habe in den letzten Jahren mit dem M-ABC-2 (Movement Assessment Battery for Children - Second Edition, Petermann 2011) gearbeitet und habe da aber festgestellt, dass Kinder in einer bestimmten Altersgruppe manchmal durch das Raster fallen. Und Kinder in der Frühförderung bekommen nur die Förderung bewilligt, wenn sie z. B. beim M-ABC-2 im Therapiebereich lagen. Oder zumindest stark im kritischen Bereich in Bezug auf die motorischen Fähigkeiten. Der M-ABC-2 hat die Kinder mit motorischen Auffälligkeiten, die im letzten Kindergartenjahr sind, eher schlecht erfasst. Gerade die Kinder benötigen aber noch kurz vor der Schule eine motorische Förderung, haben sie aber aufgrund der Testergebnisse häufig nicht bewilligt bekommen. Dadurch, dass kein anderes Messinstrument für meine Praxis, welches auch vom Gesundheitsamt als Kostenträger genutzt und daher akzeptiert wird, um Förderungen zu genehmigen, zur Verfügung stand, habe ich mich dazu entschlossen, ein Einführungsseminar zum BOT-2 zu machen. Ich hatte zum Ziel zu entscheiden, ob dieses Messinstrument besser »alle« Kinder erfassen kann und die Ergebnisse umfangreicher und ganzheitlicher sind. Die Qualität kam beim M-ABC-2 nicht ganz so gut raus und es waren zu wenige Aufgaben insgesamt, um sich ein umfassendes Bild über das Kind machen zu können und seine motorischen Fähigkeiten beurteilen zu können. I: Was gibt Ihnen der BOT-2 als Messinstrument, was Ihnen beim M-ABC-2 gefehlt hat? Können Sie mir Beispiele nennen? Rösner: In jedem Fall die koordinativen Aufgaben, die beim BOT-2 wesentlich umfassender sind und was ich sehr schön finde, dass die Aufgaben für die visuelle Wahrnehmung in den graphomotorischen Bereich mit eingebaut sind. Teilweise entstammen diese aus dem FEW-2. Die Aufgaben im Bereich der vestibulären Wahrnehmung haben auch einen anderen Stellenwert. I: Bei den Zielgruppen, mit denen Sie arbeiten, benötigen Sie, um die Förderung bewilligt zu bekommen, ein quantitatives Messergebnis? Rösner: Das ist zum Teil richtig, natürlich mache ich ein Testverfahren auch, um zu gucken, wo steht das Kind jetzt wirklich. Das trifft z. B. für die Kindergartenkinder zu. Aber ich führe den BOT-2 auch mit älteren Kindern durch. Hier gebe ich den Ärzten und den Eltern Rückmeldung, wo steht das Kind bezüglich seiner motorischen Entwicklung. Sehr schön ist es, dass der BOT-2 die Möglichkeit gibt, nach mehreren Monaten eine Vergleichsdiagnostik durchführen zu können. Diese kann z. B. auch nur in ausgewählten Teilbereichen stattfinden, in denen das Kind [ PraxistiPPs ] Aus der Praxis für die Praxis - Einsatz des BOT-2 in der motopädischen Praxis Ein Interview mit Manuela Rösner Britta Gebhard [ 187 ] Praxistipps 4 | 2015 bei der ersten Testung Auffälligkeiten gezeigt hat. Hier kann dann untersucht werden, ob sich durch die Förderung eine positive Veränderung ergeben hat. I: Der Zweck, für den Sie den BOT-2 einsetzen, ist also zum einen die Eingangsdiagnostik und hierbei Bedarfsbegründung, um eine Förderung bewilligt zu bekommen, zum anderen die Einschätzung von Effekten, die nach einer Förderung stattgefunden haben. Rösner: Ja, und auch die Kinderärzte möchten einfach ein Verfahren im Bericht sehen, um die Entwicklung des Kindes besser einschätzen zu können, da in der kinderärztlichen Praxis häufig nur Momentaufnahmen zu sehen sind. Durch die umfassendere Diagnostik über mehrere Stunden in der motopädischen Praxis sind fundiertere Aussagen zum motorischen Entwicklungsstand möglich. Der BOT-2 ist auf Grund der Dauer eher nicht in der ärztliche Praxis durchführbar, da die Durchführung zwei Förderstunden beträgt. I: Mich würden Ihre Erfahrungen in Bezug auf die Handhabbarkeit des BOT-2 interessieren. Wie erleben Sie die praktische Umsetzung in Ihrer motopädischen Praxis? Rösner: Ich fand es sehr hilfreich, eine intensive Einführung durch ein Seminar zu bekommen. Dieses habe ich bei der Übersetzerin der deutschsprachigen Version belegt. Sie hat uns Hinweise und nützliche Hilfen mit an die Hand gegeben, die jetzt in der eigenen praktischen Umsetzung sehr gut genutzt werden können. Die Langfassung der 53 Aufgaben kann in zwei Fördereinheiten (insgesamt 90 Minuten) durchgeführt werden. Ich empfinde die Zeit als wichtig, und nehme sie mir auch für die Kinder. Die Kurzfassung habe ich noch nicht angewendet, diese wäre vielleicht für die Vergleichsdiagnostik hilfreich. I: Welchen Zeitumfang planen Sie für die Vorbereitung des Testes ein? Rösner: Die Materialien müssen kurz zurechtgelegt werden. Es ist jedoch nicht viel Vorbereitungszeit, diese ist sehr kurz. I: Wie haben Sie sich nach der Schulung auf den eigenen Einsatz des Diagnostikinstruments in Ihrer Praxis weiter vorbereitet? Rösner: Im Vorfeld habe ich erst einmal überlegt, ob das Instrument für meine Zwecke in der Praxis gut einsetzbar ist. Nach der Schulung hat sich das für mich bestätigt. Ich habe mich zuerst alleine intensiv mit den Aufgaben auseinander gesetzt und habe die Aufgaben ein wenig auswendig gelernt. Das finde ich sehr wichtig, damit ich während der Testung nicht ablesen muss. Das gibt mir Sicherheit. Ich habe im Vorfeld aus dem privaten Bereich »Testkinder« gesucht, bei denen die Diagnose nicht im Vordergrund steht, ich aber für mich die Aufgabedurchführung üben konnte. Ich habe versucht, verschiedene Altersstufen »probezutesten«. Danach habe ich erst den Test zur Befundaufnahme angewendet. Wichtig ist auch, die Aufgaben selbst einmal durchzuführen, z. B. das Stehen auf dem Kunststoffbalken, Zehen an Ferse, um die Gleichgewichtsfähigkeit zu messen. Dies ist für Kinder auch ohne Balken schon recht schwierig, obwohl die Kinder ab Grundschulalter diese Aufgabe lösen können müssten, die Kindergartenkinder eher noch nicht. I: Hatten Sie einen kollegialen Austausch, um z. B. Fehler in der Durchführung aufzudecken, die Ihnen selbst nicht aufgefallen wären? Rösner: Ich hatte mehrfach Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Arbeitsbereichen. Es wenden leider noch nicht so viele den BOT-2 an. Durch diesen Austausch haben wir uns gegenseitig bestätig, dass das Instrument gut ist und uns über Unsicherheiten ausgetauscht. Ich hatte aber auch Praktikanten als Beobachter während der Testungen. Mit diesen war die Zusammenarbeit sehr gut, weil sie spezifische Fragen gestellt haben, die mich veranlasst haben, über den Test nachzudenken und die Durchführung zu reflektieren, z. B. wo die Vorteile oder Nachteile liegen. I: Was sind für Sie Vorteile und was sind Nachteile von dem Verfahren? Z. B. in Bezug auf unterschiedliche Zielgruppen? Rösner: Vorteil: durch die Vielschichtigkeit der Aufgaben ist der Test natürlich viel differenzierter und aussagekräftiger. Und das gilt für alle Altersgruppen, die ich bisher getestet habe. Der Test greift sehr gut in den Altersgruppen, manchmal setzte bei mir auch ein Erstaunen ein, dass eine Leistung noch im Normalbereich liegt -, aber andere Bereiche zeigen sich bei dem Kind als auffällig, was mir durch eine freie Beobachtung noch nicht so aufgefallen war. Es können insgesamt die Stärken und Schwächen des Kindes gut differenziert analysiert werden. Die Qualität der Bewegung kommt in den Werten nochmal deutlich heraus. Ein Vorteil sehe ich auch darin, dass für alle Altersgruppen die Aufgaben immer gleich bleiben. Dies erleichtert die Handhabung und Einfachheit, denn es müssen keine Aufgaben individuell zusammengestellt werden. I: Mit der Qualität der Bewegung meinen Sie aber eher nicht eine qualitative Beobachtung, die Ihnen der BOT-2 ermöglicht, oder? Gibt es denn zusätzliche qualitative Kriterien, die Sie in der Auswertung des quantitativen Teils mit anwenden können? Rösner: Hier haben wir den Vorteil, dass wir durch den Test zusätzlich zu [ 188 ] 4 | 2015 Praxistipps einer freien Beobachtung, z. B. der Gleichgewichtsqualität, diese noch quantitativ bewerten können. Wichtig ist auch, dass das Testverfahren Bewegungen provoziert, die die Kinder vielleicht von sich aus sonst gar nicht machen würden und wir sie in der freien Beobachtung daher eher nicht erfassen könnten. Ich bin auch froh, dass der Hampelmannsprung als Testaufgabe integriert ist. Auch diesen schaffen viele Kinder nicht mehr. Diese fehlte mir z. B. im M-ABC-2. I: Wenn wir uns das Testverfahren noch einmal insgesamt anschauen, wie ist für Sie die Gesamteinschätzung des Verfahrens hinsichtlich der Verständlichkeit der Aufgaben oder des Testaufbaus? Rösner: Ich finde den Test sehr verständlich und gut aufgebaut. Die leichte Einarbeitung hat sicherlich mit an dem Einführungstag gelegen. Das ist meines Erachtens nach schon notwendig, um gut mit dem Test arbeiten zu können. I: Welche Erfahrungen haben Sie hinsichtlich unterschiedlicher Zielgruppen gemacht? Rösner: Für die kleineren Kindergartenkinder ist es schon eine große Herausforderung, diesen Test mitzumachen, weil er sehr anstrengend für die Kinder ist. Für die älteren Kindergartenkinder und die Grundschulkinder und die Jugendlichen finde ich den Test völlig angebracht. In Bezug auf verschiedene Störungsbilder habe ich z. B. mit Kindern mit ADHS noch keine Erfahrung gemacht. Aber Kinder mit einer Störung im Bereich des Autismus-Spektrums, z. B. Asperger, da ist meine Erfahrung, dass mit hochbegabten Kindern der Test sehr gut durchführbar ist. Sie nehmen die Aufgabenerfüllung sehr genau. Meist sind die Kinder sehr ehrgeizig. Bei einem anderen Kind, das zwar auch eine Diagnose im Bereich Asperger-Autismus hat, aber das Störungsbild ausgeprägter ist und im Verhalten deutlich wird, habe ich lieber den M- ABC-2 durchgeführt, weil das Kind von der Ausdauer und Konzentration den BOT-2, glaube ich, eher nicht geschafft hätte. Die Entscheidung würde ich immer individuell vom Kind und vom Störungsbild abhängig machen. I: Versuchen Sie doch noch einmal eine Empfehlung auszusprechen für Ihre Kollegen und Kolleginnen in der motopädischen Praxis: Wann würde es sich Ihrer Meinung nach lohnen, den BOT-2 einzusetzen? Rösner: Das kommt alleine schon auf das Arbeitsfeld an. Z. B. in der Ambulanz einer Kinder- und Jugendpsychiatrie würde ich ihn auf jeden Fall empfehlen. Hier benötigen sie ein umfassendes Bild vom Kind, das können sie sich über den BOT-2 gut verschaffen. Im Arbeitsfeld freie Praxis finde ich den Einsatz auch sehr sinnvoll. Generell denke ich, wer mit motorischen Testinstrumenten arbeiten darf und kann, dem würde ich den BOT-2 in jedem Fall empfehlen, aber auch nur für die Fachkräfte, die mit verschiedenen Altersgruppen arbeiten. Nur für den Kindergartenbereich müsste es z. B. nicht sein, da gibt es sicherlich auch noch andere Instrumente. I: Welche Diagnostikverfahren würden Sie in der motopädischen Praxis ergänzend zum BOT-2 einsetzen? Rösner: Wenn z. B. in der feinmotorischen Genauigkeit starke Auffälligkeiten beim BOT-2 im Bereich des Nachzeichnens von Formen liegen, würde ich sicherlich den FEW-2 oder FEW- JE einsetzen. Für die jüngeren Kinder nutze ich auch Teile aus einem Entwicklungstest. Diesen setze ich mit ein, um auch ein Eindruck von der kognitiven und der sprachlichen Entwicklung der Kinder bekommen zu können. Das Interview wurde im Mai 2015 mit Frau Manuela Rösner, staatlich geprüfte Motopädin und SI-Mototherapeutin, stellv. Vorsitzende des Berufsverbandes des DBM e. V., Fachbuchautorin, Lehrbeauftrage am Franz Sales Berufskolleg / Fachschule für Motopädie und selbstständig in eigener Praxis in Gevelsberg geführt. Vielen Dank für das ausführliche und informative Gespräch! Literatur Blank, R., Jenetzky, E., Vinçon, S. (Hrsg.) (2014): BOT-2. Bruininks-Oseretzky Test der motorischen Fähigkeiten. Pearson, Frankfurt a. M. Petermann, F. (Hrsg.) (2011): M-ABC-2. Movement Assessment Battery for Children - Second Edition. 3.- Aufl. Pearson, Frankfurt a. M. Die Interviewerin: Prof. Dr. Britta Gebhard DOI 10.2378 / motorik2015.art29d
