motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2016
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Psychomotorik innerhalb des luxemburgischen Schulsystems
11
2016
Jessica Casanova
Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine mehrperspektivische Momentaufnahme der Psychomotorik innerhalb des luxemburgischen Grundschulsystems. Neben den offiziellen Rahmen und Richtlinien werden wahrgenommene und potenzielle Möglichkeiten und Spannungen mit »Stimmen« aus der Praxis illustriert und thematisiert.
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Zusammenfassung / Abstract Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine mehrperspektivische Momentaufnahme der Psychomotorik innerhalb des luxemburgischen Grundschulsystems. Neben den offiziellen Rahmen und Richtlinien werden wahrgenommene und potenzielle Möglichkeiten und Spannungen mit »Stimmen« aus der Praxis illustriert und thematisiert. Schlüsselbegriffe: Psychomotorik, Luxemburg, Mehrperspektivität, Schulsystem Psychomotricity in the Luxembourgish educational system from multiple perspectives This paper looks at psychomotricity in the Luxembourgish primary school system from multiple perspectives. Legal texts and official references offer general frameworks. Some »voices« from concrete settings offer a snapshot of possible translations into practice including perceived and potential plus-values and tensions. Key words: Psychomotricity, Luxembourg, multiple perspectives, school system [ 11 ] motorik, 39. Jg., 11-18, DOI 10.2378 / motorik2016.art03d © Ernst Reinhardt Verlag 1 | 2016 [ FORUM PSyCHOMOTORIK ] Psychomotorik innerhalb des luxemburgischen Schulsystems Eine mehrperspektivische Momentaufnahme Jessica Casanova Im folgenden Beitrag wird eine Momentaufnahme der Psychomotorik im Rahmen des luxemburgischen Bildungswesens mit Fokus auf die Grundschule aus mehreren Perspektiven dargeboten. Die Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen sowie deren vielfältigen Übersetzungen in die Praxis gibt einen Einblick in die Möglichkeiten und Spannungen, die vorgefunden werden können. Unterschiedliche »Sprachen« und »Stimmen« kommen hierbei zum Vorschein, da für diesen Beitrag zum einen offizielle Richtlinien als Grundlage dienten und zum anderen insgesamt 54 Personen befragt wurden. Diese Personen schildern einige ihrer Erfahrungen und Gedanken zu ihrem Verständnis von Psychomotorik, zu Arbeitsbedingungen, zu wahrgenommenen Wirklichkeiten inklusive Erwartungen und Wünsche mit Blick auf potenzielle Weiterentwicklungen. Inspiriert wurde diese Befragung durch Konstrukte der kulturhistorischen Tätigkeitstheorie (insbesondere Engeströms Ideen und deren Weiterentwicklungen (Engeström 2011a; 2011b)). Wichtig ist, dass der vorliegende Beitrag nicht die Absicht verfolgt, dem Anspruch einer vollständigen empirischen Arbeit zu genügen. Vielmehr geht es um eine mehrperspektivische Momentaufnahme. Allgemeiner Auftrag der luxemburgischen Grundschule - »Enseignement fondamental« Laut Art. 3 des Mém. A-173 (2014) soll die schulische Bildung die Entfaltung des Kindes, seiner Kreativität und seines Vertrauens in die eigene Fähigkeit fördern. Eine gute Allgemeinbildung und die Vorbereitung auf das Berufsleben sowie die Fundamente für ein lebenslanges Lernen [ 12 ] 1 | 2016 Forum Psychomotorik sind Kernelemente des allgemeinen Bildungsauftrages. Chancengerechtigkeit soll dadurch ermöglicht werden, dass Gegebenheiten, Vorkehrungen und Maßnahmen an die individuellen Fähigkeiten und Bedarfe angepasst werden. Rechtlich festgelegte Strukturen und Ziele regeln die Grundschulbildung, um dem allgemeinen Auftrag des Bildungswesens gerecht zu werden. In vier Zyklen unterteilt, gilt die Grundschule mit dem Erreichen von Zielen innerhalb bestimmter Bereiche und Zeitfenster als erfolgreich abgeschlossen (Mém. A-173 2014, 3247 ff, Art. 1, Art. 6-8). Ein Lehrplan rahmt die Ziele anhand eines Kompetenzrasters ein und formuliert im Bereich »Psychomotorik, körperliche Ausdrucksfähigkeit, Sport und Gesundheit« u. a. folgende Ziele: ■ Verbesserung der Feinmotorik ■ Mobilisierung grobmotorischer Grundfähigkeiten ■ Beteiligung an Sportspielen ■ Bewusstsein für eigenes geistiges und körperliches Wohlbefinden ■ Training einfacher und komplexer Bewegungen im Wasser (Mém. A-178 2011, 3024 f ) Kinder mit besonderem Förderbedarf, d. h. Kinder, welche laut Art. 2 des Mém. A-173 (2014) aufgrund von besonderen mentalen, charakterlichen, sensorischen oder motorischen Merkmalen die vorgesehenen Kompetenzstufen nicht in der vorgegebenen Zeit erreichen können, haben ein Recht auf Hilfeleistungen (Mém. A-173 2014; 3247, Art. 2; 3253, Art. 27 ff ). Diesbezüglich sind folgende Kommissionen, Institute und Fachdienste ins Leben gerufen worden: die nationale schulmedizinische Kommission (CMPPn), die lokalen Kommissionen für schulische Inklusion (CIS), der Fachdienst für Sonderschulung (Ediff ) und die multidisziplinären Teams (EMP). Die Kommission CMPPn arbeitet unter der geteilten Verantwortung des Ministeriums für Bildung, Kindheit und Jugend (=pädagogische Aspekte), des Gesundheitsministeriums (=medizinische Aspekte) und des Familienministeriums (=soziale und familiäre Aspekte). Der Auftrag der CMPPn umfasst medizinische, psychologische und pädagogische Aufgabenbereiche für Kinder mit besonderem Förderbedarf. Weitere Aspekte dieses Auftrages sind u. a. das Erstellen von Richtlinien und die Stellungnahme zu wichtigen Entscheidungen in Zusammenarbeit mit regionalen CIS. Die Direktion der Ediff, die Direktion des Logopädiezentrums und Schulinspektoren sind neben Vertretern des Gesundheits- und Familienministeriums unter den Mitgliedern der CMPPn zu finden und sind für die allgemeine Zusammensetzung und Koordination der multidisziplinären Teams (EMPs) zuständig. Erwähnenswert sind die Berufsgruppen, die in EMPs vertreten sein können: Neben SprachtherapeutInnen sind dies LehrerInnen, SonderpädagogInnen, PädagogInnen, PsychologInnen, ErgotherapeutInnen, PhysiotherapeutInnen, KinderkrankenpflegerInnen, SozialarbeiterInnen, SozialpädagogInnen, ErzieherInnen und PsychomotorikerInnen. Die Arbeitsbedingungen variieren je nach Vertragsform (FreiberuflerInnen, Staatsangestellte, StaatsbeamtInnen), je nach Auftrag und Kontext. Der Einfachheit halber wird im Folgenden die Abkürzung CIS / EMP für die regionale CIS samt dem dazugehörenden multidisziplinären Team (EMP) benutzt. Im Bereich der »integrierten Sonderschulung« können Kinder auf Anfrage von Erziehungsberechtigten, von pädagogischen Teams und/ oder von CIS / EMP-Personen gemeldet werden, wenn Schwierigkeiten jeglicher Natur auftauchen. Die Anmeldeprozedur erfolgt in Absprache und mit der Genehmigung der Erziehungsberechtigten. Dann entscheidet die CIS / EMP zusammen mit den pädagogischen Schulteams, den Erziehungsberechtigten und wenn möglich mit dem Kind über denkbare Unterstützungsmaßnahmen und den schulischen Werdegang. Um diesem allgemeinen Auftrag der CIS / EMPs gerecht zu werden, bilden u. a. Beratung, Orientierung, Diagnostik und pädagogische / therapeutische Maßnahmen sowie eine enge Kooperation mit allen Beteiligten und externen PartnerInnen (ÄrztInnen, …) den Kern der Aufgabenstellung. Für jedes Kind mit besonderem Förderbedarf wird eine individuelle Betreu- Chancengleichheit durch Anpassung der Maßnahmen an individuelle Fähigkeiten und Berufe [ 13 ] Casanova • Psychomotorik innerhalb des luxemburgischen Schulsystems 1 | 2016 ung mit allen beteiligten AkteurInnen ausgearbeitet, welche in regelmäßigen Abständen neu evaluiert und gegebenenfalls angepasst wird. Diese wird formal in einem individuellen »Förderplan« festgelegt (Code Education Nationale, chapitre VI, 3 f, Art. 1, Art. 3; Mém. A-9 1998, 145 f, Art. 1; Mém. A-139 2013, 2789, Art. 11; Mém. A-173 2014, 3247, Art. 2, 3253 f, Art. 27-31). Der Förderplan basiert auf Inhalten des Lehrplans der Ediff und beinhaltet sog. »psychopädagogische« Maßnahmen. Von insgesamt zehn möglichen Förderbereichen sieht der Lehrplan auch psychomotorische Erziehung vor, die allgemein eine harmonische Entwicklung unterstützen soll. Hierfür werden Erfahrungsmöglichkeiten angeboten, welche die Schwierigkeiten bei Entwicklungsverzögerungen kompensieren sollen. Wichtig sind die Förderung von grob- und feinmotorischen Grundfertigkeiten, der sensorischen Entwicklung, der Raum-Zeit-Organisation und der Körperwahrnehmung. Die psychomotorische »Erziehung« ersetzt jedoch keine therapeutischen Maßnahmen, welche bei Bedarf zusätzlich von anerkannten Psychomotorikern übernommen werden (Education différenciée: Plan d’Etudes 1996, 8, 17, 99 ff ). PsychomotorikInnen haben eigene Rahmenwerke, welche die Ausübung ihres Berufes als Gesundheitsberuf regeln. Einige Aspekte bezüglich der sog. »paramedizinischen« Richtlinien sowie des Auftrages der PsychomotorikerInnen in EMPs werden im folgenden Abschnitt beleuchtet. Psychomotorik als Gesundheitsberuf In Luxemburg ist der »psychomotricien diplômé«, »rééducateur en psychomotricité« oder »psychorééducateur« eine geregelte und geschützte Berufsbezeichnung. Eine Konvention mit der CNS, der Nationalen Gesundheitskasse, und weitere offizielle Texte regeln Tarife, Bedingungen, Rechte und Pflichten der PsychomotorikerInnen (Psychomotricien ou Psychorééducateur 2009; Conventions et nomenclatures 2013; Mém. A-100 1993, 2109 ff, Art. 1-35; Mém. A-94 2007, 1796 ff, Art. 1-6, Art. 21-26; Mém. A-83 2011, 1286 ff, Art. 2, Art 11, Art 15). Eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Kriterien kann hier nicht vorgenommen werden. Ein paar Bemerkungen sind jedoch nötig, um die Arbeitsbedingungen mancher PsychomotorikerInnen in EMPs verstehen zu können. Abb. 1: Beziehung CMPPn - CIS / EMP [ 14 ] 1 | 2016 Forum Psychomotorik Versicherte der CNS (oder einer anderen Kasse) bekommen unter bestimmten Bedingungen (u. a. mit ärztlicher Verordnung) die Kosten für psychomotorische Leistungen aktuell bis zu 88 % rückerstattet. Der restliche Betrag wird von den Versicherten oder deren Erziehungsberechtigten getragen (Statuts de la Caisse nationale de santé 2015, Art. 67). Die Aufgabenfelder der PsychomotorikerInnen beinhalten präventive, erzieherische und therapeutische Maßnahmen, welche auf den Körper, die Bewegung, die Gestaltung und die Entspannung fokussieren. Mithilfe von berufsspezifischen Techniken und Herangehensweisen sollen Schwierigkeiten und Störungen (u. a. motorischer, sozio-emotionaler Natur) behoben oder kompensiert werden. Relevante Bereiche psychomotorischer Leistungen werden im Folgenden zusammenfassend aufgezählt: ■ »Erziehung« und Stimulation ■ Entspannung ■ Begleitung, Förderung und Unterstützung bei Störungen und Schwierigkeiten in den Bereichen: ■ Emotionsregulation ■ Tonus / Tonusregulation ■ Gleichgewicht ■ Wahrnehmung ■ Körperschema und Körperbild ■ Lateralität ■ Raum-Zeit-Organisation ■ Koordination ■ Handlungskompetenz ■ Grafomotorik ■ Hemmungs- oder Aktivitätsdosierung ■ psychomotorische Entwicklung Nach einer Anamnese und anhand qualitativer und quantitativer Diagnostikverfahren werden Behandlungsziele und -prioritäten in einem Bericht zusammengefasst (Mém. A-94 2007, 1799 f, Art. 22-26). Psychomotorik als Gesundheitsberuf im Rahmen des Schulsystems in CIS / EMPs PsychomotorikerInnen arbeiten in EMPs entweder als FreiberuflerInnen mit Zusammenarbeitsvertrag (Finanzierung über eine Gesundheitskasse), als Staatsangestellte oder als StaatsbeamtInnen (kostenlos für die Erziehungsberechtigten), mit einem Psychomotorik-Auftrag, mit einem Auftrag als »Integrationshilfskraft« oder einer Kombination beider Aufgabenfelder. Im Folgenden wird eine praktische Ausgestaltung der Psychomotorik zusammenfassend in Anlehnung an Blos (2013) vorgestellt. Die Zielgruppe der Psychomotorik sind Kinder mit vielfältigen Schwierigkeiten. Die Psychomotorik erstreckt sich in folgende Aufgabenbereiche: Früherkennung, Diagnostik, Beratung, Behandlung, Unterstützung als Integrationshilfskraft, Verwaltung und Zusammenarbeit mit vielfältigen Akteuren. Zudem soll das Lernen schulisch relevanter Inhalte über Bewegung, Spiel und den Körper ermöglicht, unterstützt und begleitet werden. Bezüglich der Raum- und Materialgegebenheiten werden innerhalb und außerhalb der Schulen Klassenräume oder andere zweckentfremdete Räume benutzt, wenn keine Psychomotorikräume zur Verfügung stehen. Was das Stundenpensum anbelangt, so sind bei einer 40-Stunden-Woche (100 %), 32 Einheiten mit einem oder mehr Kindern und acht Stunden u. a. für Berichte, Zusammenarbeit usw. vorgesehen. Der Ferienanspruch entspricht den Schulferien bis auf zwei Wochen administrativer Arbeit in den Sommerferien. Psychomotorik aus verschiedenen Perspektiven mit Fokus auf Mehrwert, Wünsche und Spannungen Psychomotorik hat viele Facetten, welche durch die unterschiedlichen Rahmen beeinflusst werden. PM aus der Perspektive des Schulsystems PM aus der Perspektive der CIS / EMP Psychomotorik aus der paramedizinischen Perspektive Allgemeine psychomotorische Angebote mit Fokus auf: ■ fein- und grobmotorische Grundfertigkeiten ■ Sportspiele ■ Wohlbefinden ■ Körperhygiene ■ Sicherheit ■ Körperentwicklung Ganzheitliche Entwicklungs- und Lernbegleitung mit Schwerpunkten: ■ Erfahrungsmöglichkeiten ■ Kompensation bei Entwicklungsverzögerungen ■ Psychomotorische Erziehungsangebote mit Fokus auf Kinder mit besonderem Förderbedarf ■ Psychomotorische Behandlungsmaßnahmen von anerkannten Psychomotorikern geleistet ■ Verwaltung ■ Zusammenarbeit mit mehreren Akteuren ■ Diagnostik ■ Psychomotorische »Erziehung« und Stimulation ■ Entspannung ■ Begleitung, Förderung und Unterstützung bei Störungen und Schwierigkeiten ■ Zusammenarbeit mit mehreren Akteuren »Hier müssen nicht alle das Gleiche machen.« [ 15 ] Casanova • Psychomotorik innerhalb des luxemburgischen Schulsystems 1 | 2016 Psychomotorik als Gesundheitsberuf im Rahmen des Schulsystems in CIS / EMPs PsychomotorikerInnen arbeiten in EMPs entweder als FreiberuflerInnen mit Zusammenarbeitsvertrag (Finanzierung über eine Gesundheitskasse), als Staatsangestellte oder als StaatsbeamtInnen (kostenlos für die Erziehungsberechtigten), mit einem Psychomotorik-Auftrag, mit einem Auftrag als »Integrationshilfskraft« oder einer Kombination beider Aufgabenfelder. Im Folgenden wird eine praktische Ausgestaltung der Psychomotorik zusammenfassend in Anlehnung an Blos (2013) vorgestellt. Die Zielgruppe der Psychomotorik sind Kinder mit vielfältigen Schwierigkeiten. Die Psychomotorik erstreckt sich in folgende Aufgabenbereiche: Früherkennung, Diagnostik, Beratung, Behandlung, Unterstützung als Integrationshilfskraft, Verwaltung und Zusammenarbeit mit vielfältigen Akteuren. Zudem soll das Lernen schulisch relevanter Inhalte über Bewegung, Spiel und den Körper ermöglicht, unterstützt und begleitet werden. Bezüglich der Raum- und Materialgegebenheiten werden innerhalb und außerhalb der Schulen Klassenräume oder andere zweckentfremdete Räume benutzt, wenn keine Psychomotorikräume zur Verfügung stehen. Was das Stundenpensum anbelangt, so sind bei einer 40-Stunden-Woche (100 %), 32 Einheiten mit einem oder mehr Kindern und acht Stunden u. a. für Berichte, Zusammenarbeit usw. vorgesehen. Der Ferienanspruch entspricht den Schulferien bis auf zwei Wochen administrativer Arbeit in den Sommerferien. Psychomotorik aus verschiedenen Perspektiven mit Fokus auf Mehrwert, Wünsche und Spannungen Psychomotorik hat viele Facetten, welche durch die unterschiedlichen Rahmen beeinflusst werden. PM aus der Perspektive des Schulsystems PM aus der Perspektive der CIS / EMP Psychomotorik aus der paramedizinischen Perspektive Allgemeine psychomotorische Angebote mit Fokus auf: ■ fein- und grobmotorische Grundfertigkeiten ■ Sportspiele ■ Wohlbefinden ■ Körperhygiene ■ Sicherheit ■ Körperentwicklung Ganzheitliche Entwicklungs- und Lernbegleitung mit Schwerpunkten: ■ Erfahrungsmöglichkeiten ■ Kompensation bei Entwicklungsverzögerungen ■ Psychomotorische Erziehungsangebote mit Fokus auf Kinder mit besonderem Förderbedarf ■ Psychomotorische Behandlungsmaßnahmen von anerkannten Psychomotorikern geleistet ■ Verwaltung ■ Zusammenarbeit mit mehreren Akteuren ■ Diagnostik ■ Psychomotorische »Erziehung« und Stimulation ■ Entspannung ■ Begleitung, Förderung und Unterstützung bei Störungen und Schwierigkeiten ■ Zusammenarbeit mit mehreren Akteuren Diese werden anknüpfend zusammengefasst ausgeführt, um den Blick auf die Kernaussagen zu lenken. Im Folgenden werden das Verständnis von Psychomotorik, Mehrwert, Spannungen und Wünsche bezüglich der Psychomotorik innerhalb des Schulsystems CIS / EMP mithilfe einiger »Stimmen« aus der Praxis illustriert. Bemerkenswert sind die Stimmen der Kinder, welche Hinweise auf deren Bedürfnisse nach selbstbestimmter Freizeit innerhalb der Schule geben. Bei den Erwachsenen schimmern Grundideen zur Psychomotorik durch, welche deren Wahrnehmung erkennen lassen. Psychomotorik tritt hierbei vorrangig als ganzheitliches und schulergänzendes Angebot in den Vordergrund. Verständnis von Psychomotorik Einige feine Unterschiede in der Wahrnehmung des Psychomotorikers im Vergleich zu anderen erwachsenen AkteurInnenen lassen nicht sofort das Ausmaß der Spannungen durchblicken, welche weiter unten dargelegt werden. Mehrwert der Psychomotorik Trotz der zustimmenden Tendenz über die Bedeutsamkeit von Psychomotorik werden Spannungen sichtbar, welche zusätzlich von den geäußerten Wünschen untermauert und folglich thematisiert werden. Tab. 1: Zusammenfassung: Psychomotorik innerhalb des Schulsystems und als Gesundheitsberuf Kinder Erwachsene ohne psychomotorischen Hintergrund »Hier darf man«: ■ »spielen« ■ »Spaß haben« ■ »entspannen« ■ »frei entscheiden« ■ »gegen Ängste kämpfen« ■ »Lärm machen« ■ »trainieren und üben« ■ »lernen und arbeiten« ■ »laufen, springen, tanzen …« »Hier müssen nicht alle das Gleiche machen« Psychomotorik: spielerische Methode mit Fokus auf Zusammenwirkung von Körper, Geist und Emotionen zur Förderung von: ■ Körperschema ■ Raumorientierung ■ Körperbeherrschung ■ Körperkenntnis ■ Bewegung / Motorik ■ schulischen Inhalten über Bewegung, Körper und Spiel Tab. 2: Verständnis von Psychomotorik mit Fokus auf wahrgenommene Inhalte [ 16 ] 1 | 2016 Forum Psychomotorik Spannungen und Wünsche Eine gewisse Offenheit der SchulakteurInnen bezüglich der psychomotorischen Maßnahmen ist nicht immer vorhanden. Manchmal wird von PsychomotorikerInnen erwartet, ausschließlich die schulische Hilfskraftrolle zu übernehmen oder nur schulisch relevante Aspekte zu fördern. Es kann diesbezüglich zu einer Verwischung von Aufgaben und Rollen kommen, was Konflikte hervorrufen kann. Zudem wird manchmal viel Leistungsdruck durch Erziehungsberechtigte und/ oder durch andere SchulakteurInnen auf das Kind und auf die PsychomotorikerInnen erzeugt. Die Zielsetzungen des Lehrplans, zum Teil auf Performanz und Leistung basierend, sind oft nicht mit den Prioritäten des Kindes und der PsychomotorikerInnen zu vereinbaren, welche auf die Interessen, Ressourcen und dem wahrgenommenen Leidensdruck des Kindes aufbauen. Das Berufsbild wird überdies oft noch schwerpunktmäßig mit dem Aspekt der »Motorik« gleichgestellt, sodass die »Psycho«-Anteile von Außenstehenden teilweise nicht wahrgenommen werden. Weitere Spannungen können aufgrund organisatorischer Gegebenheiten und Inkompatibilitäten (Psychomotorik/ schulischer Alltag) auftauchen, die manchmal Umsetzungs- und Kommunikationsschwierigkeiten hervorrufen. Arbeitsabläufe sowie mehr Austausch könnten durch eine flexiblere Einteilung der Zeit erleichtert werden, welche bei Bedarf für administrative Aufgaben, für Versammlungen und für Gespräche eingesetzt werden könnten. Außerdem sind zweckentfremdete Räume nicht immer passend für die Umsetzung psychomotorischer Ziele. Bezüglich der Erwartungen und Wünschen aller Beteiligten ist eine Tendenz in Richtung evidenzbasierter Maßnahmen und Verfahren und deren möglichen Verknüpfungen zu schulischen Inhalten zu erkennen. In der Tat stellen sich AkteurInnen (bspw. Lehrpersonen) oft Fragen hinsichtlich der konkreten, überprüfbaren Resultate, die durch Psychomotorik erreicht werden können. Auf der anderen Seite wird der Wunsch geäußert, mehr PsychomotorikerInnen in Schulen zu beschäftigen, um mehr Kinder betreuen sowie eine intensivere Versorgung von Kindern mit komplexen Förderbedarfen gewährleisten zu können. Abschließend wurde das Anliegen verbalisiert, neben einer großflächig angelegten Früherkennung, konkrete Ideen, Übungen und Methoden übermittelt zu bekommen, damit Psychomotorik in den Alltag integriert werden kann und regelmäßige Austauschmöglichkeiten entstehen können. Fazit Die Berücksichtigung der Vielfalt an Stimmen und Sprachen kann sich als eine komplexe Aufgabe herausstellen (Blos 2014). Die Betrachtung des Bildungssystems als Haupt-System mit vielen Unter-Systemen (wie CIS / EMP, Schule, Klasse …) mit entsprechenden Tätigkeiten, Wertvorstellungen, Gewohnheiten, Perspektive des Psychomotorikers Perspektiven anderer Akteure ■ Kind kann oft in bekanntem Umfeld betreut werden ■ mögliche Anpassung an Tagesstimmung ■ interdisziplinäre Zusammenarbeit ■ regelmäßige Austauschmöglichkeiten ■ Flexibilität: Einzel- oder Kleingruppenbegleitung ■ alternativer Raum mit Recht auf Fehler und Mitgestaltung ■ keine Miete, keine Kosten für Material ■ als Staatsangestellte oder als Staatsbeamte: finanzielle Absicherung und geregelte Zeiten ■ Möglichkeit: Einzelbetreuung oder Betreuung in kleinen Gruppen ■ spezifische Bereiche gezielt fördern ■ Abwechslung: Angebote innerhalb und außerhalb des Klassenraumes ■ Bewegungsförderung in der Schule ■ Kommunikation und Zusammenarbeit mit vielen Akteuren ■ anderer Blick auf das Kind ■ mögliche Multiplikatorenrolle Tab. 3: Wahrgenommener Mehrwert der Psychomotorik [ 17 ] Casanova • Psychomotorik innerhalb des luxemburgischen Schulsystems 1 | 2016 Umgangsformen, Interpretationsmechanismen, Erwartungen, Rollenverständnissen, Aufgabenteilungen, Rahmenwerken usw., könnte einen Orientierungsrahmen bieten, um das Ganze auf unterschiedlichen Ebenen zu betrachten (Engeström 2011a; 2011b; Hedegaard et al. 2008). Offizielle Richtlinien stellen ein grundlegendes Gerüst mit entwicklungs- und lernrelevanten Aspekten dar, welches auf der individuellen, sozialen / institutionellen Ebene vielseitig mit Inhalten gefüllt und mehr oder weniger von den Gegebenheiten (Raum, Organisation, dem sozioökonomischen Umfeld …) mitbestimmt wird. Hierbei koexistieren Möglichkeiten und Spannungen und beeinflussen sich gegenseitig. Im Falle der Psychomotorik gibt es innerhalb des luxemburgischen Schulsystems vielerlei Interpretationen bezüglich des Auftrages. So kann Psychomotorik als Maßnahme zur Begleitung von Entwicklungs- und Lernprozessen verstanden werden. Bewegungserziehung steht hierbei im Vordergrund, Körper und Bewegung werden schwerpunktmäßig als Mittel zum schulischen Zweck eingesetzt. Wird Psychomotorik im Rahmen der CIS / EMPs angeboten, stehen Behandlung, Förderung und Unterstützung im Vordergrund. PsychomotorikerInnen dürfen dabei sowohl pädagogische als auch therapeutische Aufgaben übernehmen. Psychomotorik kann sowohl als Mittel zu schulischem Zweck als auch als Zweck an sich verstanden werden (Vetter 2009; Blos 2014). Pädagogische und therapeutische Aspekte überschneiden sich oft, was dementsprechend folgende Chancen beinhaltet: Der/ die PsychomotorikerIn kann einzelnen Kindern oder kleinen Gruppen von Kindern eine intensive Zuwendung geben. Dabei werden der Körper, die Bewegung und das Spiel bevorzugt eingesetzt, was den Erlebnis- und Ausdrucksformen vieler Kinder entgegenkommt. Leistungsfreie Zonen können angeboten werden, innerhalb deren Kinder ohne Eile bei Tätigkeiten verweilen können. Somit wird ihnen ein Schutz- und Entwicklungsrahmen geschenkt, wo sie den eigenen Prioritäten nachgehen können. Zusammenfassend kann die Tendenz festgehalten werden, dass die beteiligten AkteurInnen im Idealfall am gleichen Ziel arbeiten: dem Wohlbefinden des Kindes und der bestmöglichen Begleitung und Unterstützung der kindlichen Entwicklungs- und Lernwege. Die Aufgabenfelder und Rollen der jeweiligen Berufsgruppen und Beteiligten überschneiden sich öfters, jedoch haben die Personen rund um das Kind oftmals eine andere Gewichtung bezüglich der Zielsetzungen von Maßnahmen und der Reihenfolge von Prioritäten. Somit sind viel Aufklärungsarbeit und ständiger Dialog zu gewährleisten, um eine bestmögliche und für alle Beteiligten nachvollziehbare Begleitung gewährleisten und bei Spannungen gemeinsam nach Alternativen suchen zu können (Engeström 2011a; 2011b). Es sei noch die Option der psychomotorischen Betreuung außerhalb des Schulsystems erwähnt, welche eine Dekontextualisierung ermöglichen und entsprechend wertvolle Chancen beinhalten kann. Abschließend soll auf ein vielversprechendes Weiterentwicklungspotenzial der Psychomotorik auf individueller, sozialer / institutioneller und gesellschaftlicher Ebene hingewiesen werden: Die Kernelemente der Psychomotorik - Körperlichkeit, Leiblichkeit, Bewegung und Spiel - könnten expliziter innerhalb des Schulsystems thematisiert werden. Dieses Bewusstwerden könnte das Augenmerk zurück auf die Gegenwart lenken. Das Kind würde dementsprechend nicht mehr nur als »Becoming«, d. h. als zukünftiger Erwachsener gesehen werden, sondern als »Being«, als Kind - im Hier und Jetzt - mit viel Mitgestaltungskapazitäten, die manchmal nur als solche anerkannt und angestoßen werden müssten (Ben-Arieh 2009, 2). Das Kind nicht mehr nur als »Becoming«, sondern als »Being« zu sehen. [ 18 ] 1 | 2016 Forum Psychomotorik Anmerkungen zu Abkürzungen und Übersetzungen CMPPn: Commission médico-psycho-pédagogique nationale CIS: Commission d’inclusion scolaire régionale EMP: Équipe multiprofessionnelle Ediff: Service de l’Éducation différenciée »erzieherisch« und »pädagogisch« werden als Übersetzung für »éducatif« benutzt »therapeutisch« wird als Übersetzung für »rééducatif« und »thérapeutique« benutzt Literatur Ben-Arieh, A. (2009): Social Indicators of Children Well Being: Past, Present and Future. In: Ben-Arieh, A., Frones, I. (Hrsg.): Indicators of Children’s Well- Being: Theory and Practice in a Multi-Cultural Perspective. Springer, Dordrecht, 1-13, http: / / dx.doi. org/ 10.1007/ 978-1-4020-9304-3_1 Blos, K. (2014): Wenn zwei dasselbe tun, ist einer überflüssig - über Heterogenität und Individualisierung in Schule und Psychomotorik. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik 20 (4), 38-45 Blos, K. (2013): Psychomotorik in der Schule: Vortrag zum Jubiläum: »30e anniversaire LAP - 20e anniversaire SCAP« in Luxembourg (20. 04. 2013) Conventions et nomenclatures (2013): In: www.cns. lu/ ? p=121&lm=3-0-0&lp=125, 16.09.2015 Code de l’Éducation nationale. In: www.legilux.public.lu/ leg/ textescoordonnes/ compilation/ code_ education_nationale/ CHAPITRE_6.pdf, 16.09.2015 Engeström, Y. (2011a): Lernen durch Expansion: Zehn Jahre danach. In: Seeger, F. (Hrsg.): Yrjö Engeström: Lernen durch Expansion. 2.- stark erw. Aufl. International Cultural-historical Human Sciences ICHS, Berlin, 15-24 Engeström, Y. (2011b): Lernen durch Expansion. In: Seeger, F. (Hrsg.): Yrjö Engeström: Lernen durch Expansion. 2. stark erw. Aufl. International Culturalhistorical Human Sciences ICHS, Berlin, 29-349 Hedegaard, M., Fleer, M., Bang, J., Hviid, P. (2008): Studying Children: a Cultural-Historical Approach. Open University Press Mc Graw-Hill Education Berkshire, New York Mém A-9 du 17 février 1998. In: www.legilux.public.lu/ leg/ a/ archives/ 1998/ 0009/ a009.pdf, 16.09.2015 Mém. A-83 du 6 mai 2011. In: www.legilux.public.lu/ leg/ a/ archives/ 2011/ 0083/ a083.pdf, 16.09.2015 Mém. A-94 du 18 juin 2007. In: www.legilux.public.lu/ leg/ a/ archives/ 2007/ 0094/ a094.pdf, 16.09.2015 Mém. A-100 du 24 décembre 2013. In: www.legilux. public.lu/ leg/ a/ archives/ 1993/ 0100/ a100.pdf, 16.09.2015 Mém. A-139 du 29 juillet 2013. In: www.legilux.public.lu/ leg/ a/ archives/ 2013/ 0139/ a139.pdf, 16.09.2015 Mém. A-173 du 4 septembre 2014. In: www.legilux.public.lu/ leg/ a/ archives/ 2014/ 0173/ a173. pdf#page=57, 16.09.2015 Mém. A-178 du 22 août 2011. In: www.legilux.public. lu/ leg/ a/ archives/ 2011/ 0178/ a178.pdf#page=2, 16.09.2015 Education différenciée: Plan d’études (1996): In: www.ediff.lu/ resources/ pdf/ faarweg/ plan_d_etudes_1996.pdf, 16.09.2015 Psychomotricien ou Psychorééducateur (2009): In: www.cedies.public.lu/ fr/ choisir-metier/ santesocial/ p/ psychomotricien-ou-psychoreeducateur/ index.html, 16.09.2015 Statuts de la Caisse nationale de santé. Chapitre 3, Section 5, Soins de psychomotricité (2015): In: www.cns.lu/ ? p=121&lm=2-0-0&lp=124#P1_T2_C3, 16.09.2015 Vetter, M. (2009): Welche Ziele verfolgt Psychomotorik im Gesellschafts- und Bildungskontext? Anmerkungen aus dem Vergleich zweier Nachbarländer. motorik 32 (2), 59-66 Die Autorin Jessica Casanova Motologin M. A. / Psychomotorikerin, Lehrerin für Kindergarten / Vorschule Anschrift Jessica Casanova 20 D, rue des Écoles - Pavillon L-3461 Dudelange jessica.casanova@education.lu
