motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
41
2016
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Praxistipp
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2016
Judith Sägesser
Michael Eckhart
Screening und Differentialdiagnostik der Grafomotorik im schulischen Kontext. Instrument zur Erfassung des grafomotorischen Entwicklungsstandes bei Kindern zwischen 4;8–8;5 Jahren Das Erlernen der Schriftsprache ist eine zentrale Aufgabe von Kindern in den ersten Schuljahren und bildet eine Grundvoraussetzung für akademische Leistungen (Fischer 2009; Oerter / Montada 2008; van Hartingsveldt et al. 2011; Volman et al. 2006). Dabei spielt die Grafomotorik eine wichtige Rolle. An der Pädagogischen Hochschule Bern wurde von den AutorInnen dieses Beitrags in einem dreijährigen Forschungs- und Entwicklungsprojekt ein Instrument zur Erfassung des Entwicklungsstandes der Grafomotorik und zur Ableitung von Förderschwerpunkten im schulischen Kontext entwickelt. Dieses wird 2016 in Buchform mit dem Titel »GRAFOS. Screening und Differentialdiagnostik der Grafomotorik im schulischen Kontext« bei Hogrefe erscheinen
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[ 94 ] 2 | 2016 Praxistipps GRAFOS screening und Differentialdiagnostik der Grafomotorik im schulischen Kontext. instrument zur Erfassung des grafomotorischen Entwicklungsstandes bei Kindern zwischen 4; 8-8; 5 Jahren Das Erlernen der Schriftsprache ist eine zentrale Aufgabe von Kindern in den ersten Schuljahren und bildet eine Grundvoraussetzung für akademische Leistungen (Fischer 2009; Oerter / Montada 2008; van Hartingsveldt et al. 2011; Volman et al. 2006). Dabei spielt die Grafomotorik eine wichtige Rolle. An der Pädagogischen Hochschule Bern wurde von den AutorInnen dieses Beitrags in einem dreijährigen Forschungs- und Entwicklungsprojekt ein Instrument zur Erfassung des Entwicklungsstandes der Grafomotorik und zur Ableitung von Förderschwerpunkten im schulischen Kontext entwickelt. Dieses wird 2016 in Buchform mit dem Titel »GRAFOS. Screening und Differentialdiagnostik der Grafomotorik im schulischen Kontext« bei Hogrefe erscheinen. Bedeutung der Erfassung der Grafomotorik Während Kinder mit guten grafomotorischen Voraussetzung die Buchstabenabläufe schnell automatisieren und den Kopf in der Folge frei haben für die Textproduktion, müssen andere Kinder die Aufmerksamkeit immer wieder auf die motorischen Abläufe und die Produktion der einzelnen Buchstaben richten (Berninger/ Winn 2008; Schneider et al. 2013). Kinder mit grafomotorischen Schwierigkeiten sind im Schulalltag mit Misserfolgen konfrontiert und werden von ihren Lehrpersonen in Bezug auf die Motivation zu schreiben schlechter eingeschätzt als andere Kinder (Eckhart/ Sägesser2016).31-60 %derUnterrichtszeit der Grundstufe sind fein- und grafomotorischen Tätigkeiten gewidmet (Hale / Cemak 1992 in: Feder/ Mejnemer 2007). Trägt man der zentralen Bedeutung der Grafomotorik auf dieser Stufe Rechnung, laufen Kinder mit grafomotorischen Schwierigkeiten Gefahr, ein negatives Fähigkeitsselbstkonzept in Bezug auf Schulleistungen zu entwickeln (Feder/ Mejnemer 2007). Die Bedeutung des Handschriftunterrichts ist entsprechend groß (Santangelo / Graham 2015). In einem entwicklungs- und förderorientierten Unterricht muss mit individualisierenden Förderplanungen gearbeitet werden. Das Instrument GRAFOS unterstützt Lehrpersonen in der entwicklungs- und prozessorientierten Erfassung der Grafomotorik in Kindergarten und Unterstufe. GRAFOS ist für den Schulalltag konzipiert und hat das Ableiten von Fördermaßnahmen zum Ziel. Instrument GRAFOS Die Kinder werden im dreiteiligen GRA- FOS durch die Geschichte »das Fest der Tiere« geführt. Das Verfahren GRA- FOS besteht aus Screening, Beobachtungsbogen und Differenialdiagnostik. Durchführung und Auswertung von Screening und Differentialdiagnose sind standardisiert. Screening und Beobachtungsbogen für den Einsatz im Klassenrahmen ■ Im Screening wird geprüft, ob ein Kind die Grundelemente der Schrift zeichnen kann und somit gute Voraussetzungen für den Erwerb der Handschrift vorhanden sind. Alle Tiere aus der Rahmengeschichte erhalten eine Fahne mit Symbolen (Grundelemente der Schrift). Die Auswertung erfolgt anhand klar definierter Kriterien. Die ermittelten Werte zu den Faktoren visuomotorische Integration (Formwiedergabe) und Feinmotorik (Strichführung) können in einen direkten Bezug zu den Erwartungswerten für das entsprechende Alter gesetzt werden. ■ Der Beobachtungsbogen ermöglicht eine strukturierte Erfassung des Schreibprozesses. Beobachtet werden ausgewählte Aspekte betreffend Haltung, Bewegungsfähigkeit, Motivation und Ausdauer. ■ Die Differentialdiagnose ist konzipiert für Kinder mit Auffälligkeiten im Screening oder im Schreibprozess (Beobachtungsbogen). Sie hat zum Ziel, systematisch zu analysieren, auf welcher Entwicklungsstufe ein Kind in den unterschiedlichen Bereichen der Grafomotorik steht und wo die Förderung angesetzt werden kann. Erfasst werden ausgewählte Aspekte der Motorik, der Wahrnehmung und des Zeichnens. Dabei bleibt »Das Fest der Tiere« Thema und jede Aufgabe steht in Verbindung zu Sprache, Ausdruck und altersgemäßem Spiel. Erreichte Werte können klar definierten Entwicklungsstufen in den verschiedenen Bereichen zugeordnet werden. Aus der altersbezogenen grafischen Darstellung können Förderbedarf und Stärken direkt abgelesen werden. [ 95 ] Praxistipps 2 | 2016 Gütekriterien (inkl. Normierung) Bei der Entwicklung des Instruments wurde von Beginn an auf eine sorgfältige und differenzierte Evaluation geachtet. So kann gewährleistet werden, dass die vielfältigen Testmaterialien nicht nur inhaltlich attraktiv, sondern auch testtheoretisch gut abgestützt sind. Die Überprüfung der Gütekriterien erfolgte in verschiedenen Phasen und wurde insbesondere bei den standardisierten Teilen des Verfahrens beachtet. Die Evaluation des Screenings erfolgte in einem Pretest mit 106 Schülerinnen und Schülern. Die Ergebnisse des Vorlaufs entsprechen den theoretischen Erwartungen. Zur Normierung und testtheoretischen Prüfung wurde das Screening in einem zweiten Schritt bei einer großen Stichprobe mit 1.151 Kindern durchgeführt. Die Ergebnisse aus den Reliabilitäts- und den Validitätsberechnungen fallen gut bis sehr gut aus. Im Rahmen der Normierung konnten Vergleichswerte für Kinder im Alter von 4.8 bis 8.6 Jahren festgelegt werden. Des Weiteren wurde die Differentialdiagnose evaluiert. Berechnungen zur Reliabilität und Validität wurden für neun Kompetenzbereiche durchgeführt. Für die Analysen konnten die Daten von mehr als 100 Kindern mit grafomotorischen Auffälligkeiten ausgewertet werden. Auch für diese Skalen resultierten insgesamt gute bis sehr gute Werte. Der Vergleich mit einzelnen Verfahren, welche ähnliche Kompetenzen erheben, fällt positiv aus, sodass zusammenfassend von einer reliablen und validen Differentialdiagnose ausgegangen werden kann. Schließlich wurde der Beobachtungsbogen im Zusammenhang mit der Differentialdiagnostik angewendet und anschließend evaluiert. Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass mit GRAFOS ein reliables und valides Instrumentarium entwickelt wurde. Literatur Berninger, V. W., Winn, W. D. (2008): Implications and Advancements in Brain Re-search and Technology for Writing Development, Writing Instruction and Educational Evolution. In: Graham, S., Fitzgerald, J. (Eds.): Handbook of Writing Research. Guilford Press, New York/ London, 96-114 Eckhart, M., Sägesser, J. (2016): Förderplanung im Unterricht - Exemplarische Umsetzung am Beispiel der Grafomotorik. Schweizer Zeitschrift für Heilpädagogik 2 2016 (im Druck) Feder, K., Mejnemer, A. (2007): Handwriting Development, competency, and intervention. Developmental Medicine & Child Neurology 49 (4), 312-317. In: http: / / dx.doi.org/ 10.1111/ j.1469- 8749.2007.00312.x Fischer, K. (2009): Einführung in die Psychomotorik. Ernst Reinhardt, München / Basel Oerter, R., Montada, L. (2008): Entwicklungspsychologie. 6. Aufl. Beltz, Weinheim / Basel Santangelo, T., Graham, S. (2015): A Comprehensive Meta-Analysis of Handwriting Instruction. Educational Psychology Review. Springer, New York Sägesser, J., Eckhart, M. (2016): GRAFOS. Screening und Differentialdiagnostik der Grafomotorik im schulischen Kontext. Hogrefe, Bern (im Druck). Schneider, H. J., Becker-Mrozek, M., Sturm, A., Jambor-Fahlen, S., Neugebauer, U., Efing, C., Kernen, N. (2013): Wirksamkeit von Sprachförderung. Bildungsdirektion, Zürich. In: http: / / www.fhnw.ch/ ph/ zl/ publikationen/ Publikationen%2C%2 0Studien%2C%20Berichte%20und %20Lehrmittel, 15.12.2015 Van Hartingsveldt, M. J., De Groot, I. J. M., Aarts, P. B. M., Nijhuis-Van der Sanden, M. W. G. (2011): Standardized Tests of Handwriting Readiness: A Systematic Review of Literature. Developmental Medicine & Child Neurology 53 (6), 506-515. In: http: / / d x . d o i. o r g/ 1 0. 1 1 1 1 / j. 1 469 - 8749 . 2010.03895.x Volman, M. J. M., van Schendel, B. M., Jongmans, M. J. (2006): Handwriting Difficulties in Primary School Children: A Search for Underlying Mechanisms. The American Journal of Occupational Therapy 60 (4), 451-460. In: http: / / dx.doi.org/ 10.5014/ ajot.60.4.451 Judith Sägesser, Michael Eckhart DOI 10.2378 / motorik2016.art18d Abb. 1: Screeningbogen zum Fest der Tiere (Mit freundlicher Genehmigung des Hogrefe Verlages)
