motorik
7
0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
71
2016
393
Auf den Punkt gebracht: Das aktuelle Stichwort: Selbstkompetenzen
71
2016
Peter Keßel
Michaela Kruse-Heine
Anna Maria Engel
Selbstkompetenzen können, vereinfacht ausgedrückt, als die Fähigkeit zur Emotionsregulation bezeichnet werden (Kuhl 2001). Selbstkompetent zu sein bedeutet, in sich verändernden und herausfordernden Situationen auf die Fähigkeiten zurückgreifen zu können, die benötigt werden, um z. B. weiter motiviert und aktiv gestaltend handeln zu können oder sich in Angst auslösenden Situationen selbst beruhigen zu können[...]
7_039_2016_003_0150
[ TITELRUBRIK ] [ 150 ] 3 | 2016 motorik, 39. Jg., 150-152, DOI 10.2378 / motorik2016.art27d © Ernst Reinhardt Verlag Das aktuelle Stichwort: Selbstkompetenzen Peter Keßel, Michaela Kruse-Heine, Anna Maria Engel [ AUF DEN PUNKT GEBRACHT ] Selbstkompetenzen können, vereinfacht ausgedrückt, als die Fähigkeit zur Emotionsregulation bezeichnet werden (Kuhl 2001). Selbstkompetent zu sein bedeutet, in sich verändernden und herausfordernden Situationen auf die Fähigkeiten zurückgreifen zu können, die benötigt werden, um z. B. weiter motiviert und aktiv gestaltend handeln zu können oder sich in Angst auslösenden Situationen selbst beruhigen zu können. Mit diesem Verständnis dienen Selbstkompetenzen als Basiskompetenz für die Sach-, Methoden- und Sozialkompetenz (Solzbacher / Calvert 2014, 23 f ). In überfordernden Situationen, in denen ein Mensch aufgrund zu hoher Belastung nicht über seine Selbstkompetenzen verfügen kann, ist es ihm auch nicht möglich, seine anderen Kompetenzen abzurufen. Daraus folgt z. B. für eine Lehrkraft, die unter Stress nicht mehr selbstkompetent ist, dass sie kaum in der Lage sein wird, ihre methodischen Kompetenzen in ihrer Vielfalt nutzen zu können, um einen guten Unterricht zu gestalten. Wie relevant Selbstkompetenzen für den individuell angemessenen Umgang mit Situationen des täglichen Lebens und auch in der Pädagogik sind, macht ein Überblick über Facetten und Subfacetten der Selbstkompetenzen deutlich (Kuhl/ Alsleben 2012). Selbstkompetenzen ermöglichen situativ und individuell angemessene Veränderungen der Affektlage, wodurch das Zusammenspiel psychischer Systeme reguliert wird, die für Zielbildungen und willentliches Handeln von großer Bedeutung sind (Engel et al. i. Vorb.). Das fühlende SELBST ist Teil eines dieser psychischen Systeme. Vereinfachend ausgedrückt sind im SELBST, aus dem sich die Selbstkompetenzen speisen, sämtliche persönlichen Erfahrungen und Bedürfnisse gespeichert, weshalb es auch als persönlicher Erlebnis- und Erfahrungsspeicher beschrieben wird. Das SELBST kann die Aufmerksamkeit auf einen sehr ausgedehnten Bereich der Innen- und Außenwelt lenken und alle Informationen parallel, also gleichzeitig, berücksichtigen. Das ist in der dadurch gegebenen Komplexität nur möglich, weil ein Großteil dieser Prozesse unbewusst abläuft (Kuhl 2001). Einem anderen, hier nicht weiter thematisiertem System, das seriell und bewusst arbeitet, wird das denkende ICH zugeordnet (ausführlich u. a. Schache / Künne 2012). Aus diesem Grund stehen Selbstkompetenzen hier, anders als noch beim ursprünglichen Kompetenzmodell von Roth (1971), nicht synonym für Ich-Kompetenz. Für die Entwicklung und den Ausbau der Selbstkompetenzen benötigt ein Kind eine tragfähige Beziehung zu einem empathischen, selbstkompetenten Gegenüber, damit es an dessen Modell seine eigenen Selbstkompetenzen entwickeln kann (Kuhl / Völker 1998). Wird ein kleines Kind z. B. getröstet oder ermutigt, erhält es von außen die Unterstützung, seine eigenen Emotionen zu regulieren und lernt im Wechselspiel mit dieser Person, zunehmend [ 151 ] Keßel, Kruse-Heine, Engel • Das aktuelle Stichwort: Selbstkompetenzen 3 | 2016 seine eigenen Emotionen alleine zu lenken (Künne / Kuhl 2014; Kuhl et al. 2011). Damit sind neben der wertschätzenden, vertrauensvollen Atmosphäre im pädagogischen Setting, wie sie für die Psychomotorik gemeinhin postuliert wird (Zimmer 2012; Keßel 2014), auch die Selbstkompetenzen der pädagogischen Fachkräfte zentral (Kuhl 2001). Ein Übermaß an Stress und Belastung kann aber dafür sorgen, dass die Selbstkompetenzen der Fachkräfte situativ oder chronisch nicht mehr abrufbar sind (Künne / Kuhl 2014). Dann ist, vereinfacht ausgedrückt, der Zugriff auf das SELBST als Erlebnis- und Erfahrungsspeicher stark eingeschränkt und damit die eigene Handlungsfähigkeit deutlich beeinträchtigt. Dieses kann sich im pädagogischen Kontext auch negativ auf die Entwicklung der Kinder auswirken, da sie an dem Modell lernen, also ihr eigenes System konfigurieren (Kuhl 2001). Wenn es dem Gegenüber eines Kindes jedoch gelingt, z. B. auch unter erschwerten Bedingungen, sich selbst zu beruhigen oder zu motivieren und zugleich das Kind auf Basis der guten Beziehung zu trösten oder zu ermutigen, wird das Kind prozesshaft lernen, immer mehr die Aufgabe der Selbstberuhigung oder Selbstmotivierung auch selbst für sich zu übernehmen. Erfreulicherweise lassen sich Selbstkompetenzen ein Leben lang trainieren und entwickeln, sodass auch Erwachsene ihre Selbstkompetenzen ein Leben lang beeinflussen können (Greenberg / Paivio 1997). Hier liegt ein großes Potenzial, um pädagogische Fachkräfte für sich selbst und ihren immer wieder herausfordernden Berufsalltag zu stärken. Dieses kommt letztendlich wiederum der Entwicklungsförderung der Kinder zugute (Kuhl et al. i. Vorb.; Schache / Keßel in diesem Heft). Abb. 1: Baum der Selbstkompetenzen (Engel et al. 2015) Willensbahnung SELBST Selbstregulation Selbstzugang Selbstmotivierung Planungsfähigkeit Initiative Konzentrationsstärke Selbstberuhigung Misserfolgsbewältigung Selbstkontrolle Selbstbestimmung Selbstgespür Integration Absichtsumsetzung Baum der Selbstkompetenzen angstfreie Zielorientierung Konzentrationsstärke Selbstkompetenzen [ 152 ] 3 | 2016 Auf den Punkt gebracht Literatur Engel, A., Gehrs, V., Keßel, P. (i. Vorb.): Professionalisierung am eigenen Leib erfahren: Selbstkompetenz als Basis der Handlungskompetenz im Lehrerberuf Engel, A., Pöpel, N., Keßel, P., Kruse-Heine, M. (2015): Baum der Selbstkompetenzen. Unveröffentlichtes Arbeitspapier aus dem Projekt »(Selbst-)kompetent bilden - Kinder nachhaltig stärken«. Universität Osnabrück Greenberg, L. S., Paivio, S. C. (1997): Working with emotions in psychotherapy. The Guilford Press, New York/ London Keßel, P. (2014): Prinzipien psychomotorischer Entwicklungsförderung. Überlegungen für die fachschulische Erzieherausbildung. motorik 37 (1), 23- 27 Künne, T., Kuhl, J. (2014): Warum die Beziehung so wichtig ist … Selbstkompetenz aus Sicht einer integrativen Persönlichkeitstheorie. In: Solzbacher, C., Lotze, M., Sauerhering, M. (Hrsg.): Selbst - Lernen - Können: Selbstkompetenzförderung in Theorie und Praxis. Schneider Hohengehren, Baltmannsweiler, 21-34 Kuhl, J. (2001): Motivation und Persönlichkeit. Hogrefe, Göttingen Kuhl, J., Alsleben, P. (2012): Manual für die Trainingsbegleitende Osnabrücker Persönlichkeitsdiagnostik TOP. Sonderpunkt, Münster Kuhl, J., Künne, T., Aufhammer, F. (2011): Wer sich angenommen fühlt, lernt besser: Begabungsförderung und Selbstkompetenzen. In: Kuhl, J., Müller- Using, S., Solzbacher, C., Warnecke, W. (Hrsg.): Bildung braucht Beziehung. Selbstkompetenz stärken - Begabungen entfalten. Herder, Freiburg, 15- 27 Kuhl, J., Solzbacher, C., Zimmer, R. (Hrsg.) (i. Vorb.): WERT: Wissen, Erleben, Reflektion, Transfer. Ein Konzept zur Stärkung der Selbstkompetenz von pädagogischen Fach- und Lehrkräften. Schneider Hohengehren, Baltmannsweiler Kuhl, J., Völker, S. (1998): Entwicklung und Persönlichkeit. In: Keller, H. (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. Huber, Bern, 207-240 Roth, H. (1971): Pädagogische Anthropologie. Band II - Entwicklung und Erziehung. Schroedel, Hannover Schache, S., Künne, T. (2012): Auf der Suche nach einer Haltung … - Persönlichkeitstheorie und Psychomotorik. motorik 35 (2), 86-92 Solzbacher, C., Calvert, K. (2014): Ich schaff ’ das schon, ich schaff ’ das schon … Grundlagen von Selbstkompetenzförderung in Theorie und Praxis. In: Solzbacher, C., Calvert, K. (Hrsg.): »Ich schaff ’ das schon …« Wie Kinder Selbstkompetenz entwickeln können. Herder, Freiburg, 19-34 Zimmer, R. (2012): Handbuch Psychomotorik. Theorie und Praxis der psychomotorischen Förderung. 1.-Ausg. d. überarb. Neuausg. Herder, Freiburg Die AutorInnen Peter Keßel Dipl. Motologe, wiss. Mitarbeiter am nifbe und der Universität Osnabrück im Projekt (Selbst)kompetent bilden - Kinder nachhaltig stärken, Dozent der dakp Michaela Kruse-Heine M.A. Erziehungswissenschaftlerin, Kunstpädagogin M.A., Transferwissenschaftlerin im nifbe u. a. im Projekt (Selbst) kompetent bilden - Kinder nachhaltig stärken Anna Maria Engel Dipl. Psychologin, wiss. Mitarbeiterin in der differentiellen Psychologie und in der Arbeits- und Organisationspsychologie mit Schwerpunkt interkulturelle Wirtschaftspsychologie an der Universität Osnabrück Anschrift Peter Keßel Nifbe Forschungsstelle Bewegung und Psychomotorik Jahnstr. 75 D-49080 Osnabrück peter.kessel@nifbe.de
