motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2016
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Körperpsychotherapie und Motologie
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2016
Benajir Wolf
Körperpsychotherapie und Motologie sind in der klinischen Praxis kaum zu unterscheiden. Konzeptionell lassen sich jedoch sowohl Gemeinsamkeiten also auch Unterschiede finden, welche in diesem Beitrag veranschaulicht werden. In beiden Fachdiskursen existieren drei zentrale Sichtweisen auf die Bedeutung des Körpers in der therapeutischen Arbeit. Diesen Körperbedeutungen lassen sich die jeweiligen Verfahren und Ansätze zuordnen. In der Gegenüberstellung der Diskurse werden fließende Übergänge ebenso sichtbar wie inkompatible Arbeitsmodi und -haltungen.
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Zusammenfassung / Abstract Körperpsychotherapie und Motologie sind in der klinischen Praxis kaum zu unterscheiden. Konzeptionell lassen sich jedoch sowohl Gemeinsamkeiten also auch Unterschiede finden, welche in diesem Beitrag veranschaulicht werden. In beiden Fachdiskursen existieren drei zentrale Sichtweisen auf die Bedeutung des Körpers in der therapeutischen Arbeit. Diesen Körperbedeutungen lassen sich die jeweiligen Verfahren und Ansätze zuordnen. In der Gegenüberstellung der Diskurse werden fließende Übergänge ebenso sichtbar wie inkompatible Arbeitsmodi und -haltungen. Schlüsselbegriffe: Körperpsychotherapie, Motologie, Arbeitsmodus, Arbeitshaltung, Körperbedeutungen, Sinnverstehende Mototherapie Body psychotherapy and motology. Operating modes and work stances in comparison Body Psychotherapy and Motology hardly differ in clinical practice. Their concepts however show commonalities as well as differences. This article intends to provide a corresponding overview. Both discourses feature three central perspectives on the meaning of a client’s body in therapeutic practice. All methods and approaches can be associated with one of these body meanings. The comparison of the discourses shows fluent transitions as well as incompatible operating modes and work stances. Key words: body psychotherapy, motology, operating modus, work stance, body meanings, comprehending mototherapy [ 175 ] motorik, 39. Jg., 175-180, DOI 10.2378 / motorik2016.art32d © Ernst Reinhardt Verlag 4 | 2016 [ FORUM PSyCHOMOTORIK ] Körperpsychotherapie und Motologie Arbeitsmodi und -haltungen im Vergleich Benajir Wolf Als ich die Motologie erstmals kennenlernte, hatte ich bereits 20 Jahre in der Welt der Körperpsychotherapie (KPT) gelebt. Sich in einer Turnhalle zu treffen statt in einem kleinen Therapieraum war mir daher fremd. Auch die Umfunktionierung und leistungsfreie Benutzung von Sportgeräten war ungewohnt. Was ich aber in der Praxis des Verstehenden Ansatzes sofort wiedererkannte, war der Raum, der sich vor mir und für mich öffnete. In diesem etwas anderen Setting erlebte ich wieder ähnliche Prozesswege zu Selbsterkenntnis und Transformation. Die beiden Fachdiskurse waren für mich »zwei Türen, die in den selben Raum führen« (Wolf 2010a, 46 ff ). Konzeptionell konnte ich die Unterschiede und Gemeinsamkeiten noch nicht einordnen, aber mit der Erweiterung des Motologiestudienganges um die KPT gewann diese Frage natürlich an Bedeutung. Inzwischen glaube ich, mithilfe einer Gegenüberstellung der Arbeitsmodi und -haltungen beider Fachdiskurse erste Antworten gefunden zu haben. Die Fachdiskurse in der klinischen Praxis Ich beginne meine Ausführungen dort, wo für mich jede wissenschaftliche Frage beginnt: im leiblichen Erleben, in der Praxis. Stellen Sie sich vor, Sie betreten eine Klinik für Erwachsene, es könnte eine psychiatrische oder auch psychosomatische sein. Es wird zweifellos einen Richtungsweiser zur Sport- und Bewegungstherapie, vielleicht auch Körper(psycho)therapie geben. Dieser wird Sie wahrscheinlich in den Keller führen. Sie werfen einen Blick in einen Bewegungsraum für Gruppen. Was sehen Sie? ■ Patienten, die im Raum verteilt auf Matten liegen. ■ Eine wilde Rangelei um Seile, zwei gefesselte Patienten an der Sprossenleiter. [ 176 ] 4 | 2016 Forum Psychomotorik ■ Eine Gruppe im Kreis auf Sitzkissen. In der Mitte eine laut weinende Patientin, neben ihr der Therapeut. In einer psychosomatischen Klinik wird es auch noch einen kleineren Raum für Einzelsitzungen geben. Was sehen Sie dort? ■ Eine Patientin in einer Decke, die in den Armen der Therapeutin liegt und erzählt. ■ Einen Patienten mit hochrotem Kopf, der mit einem Buffer auf eine Weichbodenmatte einschlägt und schreit. ■ Eine junge Frau, die zu Trommelmusik im Kreis geht, eine ältere (die Therapeutin? ) dicht hinter ihr. Welche Art von Bewegungstherapie wird hier praktiziert? Welches Verfahren? Die Patienten auf den Matten könnten eine Entspannungsübung machen, oder autogenes Training. Es könnten TraumapatientInnen sein, die ihren »sicheren Ort« visualisieren, oder eine Gruppe, die gerade mit Holotropem Atmen beginnt. Der Patient mit dem Buffer, das ist wahrscheinlich Bioenergetik. Die Szene mit den Seilen weckt Assoziationen zur Konzentrativen Bewegungstherapie, zur Mototherapie oder auch Tanztherapie. Läuft Musik? Wir werden gewisse Grundzüge und -techniken eines bestimmten Verfahrens identifizieren können, oder aber die Zugehörigkeit zu einer Strömung der Körperpsychotherapieverfahren (Wolf 2010c): Sah die Szene nach Spüren aus? Nach Expression, nach Affektintensivierung oder nach Tanz im weitesten Sinne? Werfen wir bei unserem kurzen Moment in der offenen Tür noch einen Blick auf den/ die TherapeutIn, dann bekommen wir vielleicht auch noch ein Gefühl für die Haltung, mit der er/ sie arbeitet. Diese könnte uns Hinweise auf die Schule (z. B. sporttherapeutisch, kompetenztheoretisch, psychoanalytisch) geben, die ihrem Arbeitsmodus zugrunde liegt. Sah die Szene nach angeleiteten Übungen aus? Oder eher nach einem offenen Prozess? Wie haben wir diese/ n TherapeutIn erlebt? Als jemand, der/ die eher eine Struktur vorgibt oder lieber Bewegung entstehen lässt und ohne Plan arbeitet? Sah es so aus, als ob sie/ er Teil des Prozesses ist? Wenn ja, wie? Wurde mitgemacht oder eher eine Beobachterrolle eingenommen? Wirkte der/ die TherpeutIn, als ob sie die Beziehungsdynamik zwischen ihr und der/ dem PatientIn reflektiert und aktiv damit arbeitet? Es gibt zwei Anhaltspunkte, um solche Prozesse zu verorten: »Arbeitsmodus« und »Arbeitshaltung«. Der Arbeitsmodus zeigt sich z. B. in speziellen Techniken / Bewegungsvorgaben und Materialien (einschließlich Musik). In der Arbeitshaltung zeigt sich das Selbstverständnis des/ der TherapeutIn (AnleiterIn, BeobachterIn, Beteiligte/ r), sein/ ihr Menschenbild und sein/ ihr Blick auf den Körper. Die therapeutische Haltung eines Verfahrens und der dazugehörigen Schule hat ihren Ursprung im Menschenbild der SchulengründerIn. Über Verhaltensregeln für TherapeutInnen und/ oder über den Arbeitsmodus wird die Arbeitshaltung zum Teil explizit vorgegeben, sie kann aber - da sie in einem Menschenbild verankert ist, welches zwangsläufig auch die Identität des/ der TherapeutIn einschließt - nur bedingt gelehrt werden. Das Spektrum der Sport- und Bewegungstherapien Die an Kliniken unter dem Oberbegriff Sport- und Bewegungstherapie praktizierten Therapieverfahren haben ihr wissenschaftliches Fundament in den Fachdisziplinen Sport- und Bewegungswissenschaften, Psychologie und Medizin (Hölter 2011, 77). Die Physiotherapie (Manuelle Therapie, Lymphdrainage, Craniosakrale Therapie etc.) ist in den Kliniken zwar oft in denselben Räumlichkeiten verortet, sie fällt jedoch unter die rein medizinischen Behandlungen und findet deshalb hier keine Berücksichtigung. Die Sport- und Bewegungstherapien lassen sich in drei Therapierichtungen unterteilen: 1. Die Sporttherapie arbeitet mit der Interdependenz der physischen und psychischen Ebenen. Ähnlich wie der kompetenztheoretische Ansatz der Motologie zielt sie auf eine Stärkung der Ich- und Sozialkompetenz über Bewegung (Schüle / Huber 2012, 31), ihr Bewegungsangebot bezieht sie jedoch aus den Sportarten. [ 177 ] Wolf • Körperpsychotherapie und Motologie 4 | 2016 2. In den Körpertherapien (z. B. Alexandertechnik, Feldenkrais, Rolfing) dominiert ein funktioneller Blick auf den Körper als Behandlungsobjekt: Die physische Verfassung soll verbessert werden. Im Gegensatz zur Physiotherapie zielen die Körpertherapien aber auf eine aufmerksame Auseinandersetzung mit Körperfunktionen, Haltungen usw., denn sie gehen davon aus, dass Heilung einer inneren Intelligenz des Organismus folgt (Geuter 2015, 18). Konkrete psychische Veränderungen sind in den Körpertherapien nicht konzeptionell verankert, bei einigen Verfahren jedoch nachträglich angelegt (z. B. Funktionelle Entspannung). Die Übergänge zur übungsorientierten, funktionalen Körperpsychotherapie sind daher fließend. 3. Die Bewegungs- und Körperpsychotherapien setzen sich aus einem breiten Spektrum von Verfahren zusammen, zu denen auch die Mototherapie gehört. Ziel ist die Behandlung der Psyche, mit vorrangigem Ansatz an Körper und Bewegung. Die Verfahren werden in der klinischen Praxis nur selten in »Reinform« praktiziert, üblicher ist eine störungsspezifische, situative Kombination und Reihung von Interventionen aus verschiedenen Verfahren. Dem Körper werden in den verschiedenen Verfahren und Methoden unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben, welche wiederum den therapeutischen Arbeitsmodus und die Arbeitshaltung bestimmen. Diese unterschiedlichen Perspektiven auf den Körper müsste man analog zum »Menschenbild« eigentlich »Körperbild« nennen. Da dieser Begriff jedoch - in Abgrenzung zum Körperschema - bereits besetzt ist, werde ich den Begriff »Körperbedeutung« benutzen. Körperpsychotherapie und Motologie im Vergleich Folgende tabellarische Einordnung soll eine erste fachliche Gegenüberstellung vornehmen. Den aufgeführten drei Körperbedeutungen lassen sich die Verfahren der KPT (rot) und die Ansätze der Motologie / Psychomotorik (gelb) zuordnen und ermöglichen so einen Vergleich der Fachdiskurse, unter Berücksichtigung des brei- Tab. 1: Verfahren und Ansätze von Körperpsychotherapie und Motologie / Psychomotorik im Vergleich Kompetenztheoretisch Verstehend Analytisch/ dialogisch Wahrnehmend, expressiv oder selbstaktualisierend Affekt- und energieorientiert Embodiment Veränderung durch Übungen, Positionen, Bewegungsvorgaben Strukturiertes, planvolles Vorgehen Der/ die Therapeut*in als Anleiter*in, Begleiter*in Fokus auf den Prozessen der Klienten (und der Gruppe) geringe Komplexität Fortschritt = Besserung der Symptomatik, Annäherung an das Förder- / Therapieziel Veränderung durch Bewusstmachung, Verstehen der körperlichen Inszenierung, Selbstregulation Vorgehen: Situative Prozessgestaltung Der/ die Therapeut*in als Übertragungsobjekt, Beobachter*in, Deutungsinstanz, Begleiter*in Fokus auf den Prozessen der Klienten (und der Gruppe), der Dynamik zwischen Therapeut und Klient (und der Gruppe) und dem Eigenprozess des Therapeuten hohe Komplexität Fortschritt = Verstehen der Psychodynamik, Besserung oder Verschlimmerung d. Symptomatik, Auftauchen von Abwehr Körper als Resonanzinstrument in Systemfeldern KPT- Verfahren Ansätze der Motologie und PM Systemtheoretisch Systemisch Veränderung durch Verstörung des Systems und Korrekturerfahrungen Strukturiertes Vorgehen Der/ die Therapeut*in als Anleiter*in, Verstörer*in, Deutungsinstanz, Begleiter*in Fokus auf den Prozessen der Klienten (und der Gruppe) geringe Komplexität Fortschritt = Verstehen der Systemdynamik, internalisierte Korrekturerfahrungen Körper als Medium, um auf die psycho-physische Verfassung einzuwirken Physis Psyche Körper als Dialogpartner mit dem Unbewussten - + Übungsorientiert, funktional PMÜ angrenzende Methoden Sporttherapie Körpertherapien [ 178 ] 4 | 2016 Forum Psychomotorik ten Spektrums an Arbeitsmodi und -haltungen, welches für beide Diskurse charakteristisch ist. Der Körper als Medium, um auf die psycho-physische Verfassung einzuwirken Die Verfahren und Ansätze, welche dem Körper diese Bedeutung zuschreiben, geben Bewegungen und Körperhaltungen vor. Der Ablauf der Sitzung ist strukturiert und wird von dem/ der TherapeutIn durchgängig angeleitet. In den Verfahren, welche psychische Prozesse anstoßen sollen, werden diese auch begleitet. Der Fokus des/ der TherapeutIn liegt auf den Prozessen des/ der einzelnen PatientIn und der Gruppe als Ganzes. Fortschritt bedeutet Verbesserung und ist damit deckungsgleich mit dem offiziellen Therapie- oder Förderziel (Genesung, Wiedererlangung eines Normzustandes). Zugrunde liegt ein naturwissenschaftlich-medizinisches Menschenbild. Das Therapieziel dieser Praktiken befindet sich auf einem Spektrum von »wirkt auf die Physis« zu »wirkt auf die Psyche«. In der Körperpsychotherapie finden sich als eine von zwei Verfahrensrichtungen die übungsorientierten, funktionalen Verfahren. Sie weisen einen fließenden Übergang zu den Körpertherapien (angrenzende Methoden) auf und beschäftigen sich fast ausschließlich mit der Physis, sowohl als Medium als auch als Zielobjekt. Psychische Effekte sind nur bedingt konzeptionell intendiert. Das übungsorientierte, funktionale Vorgehen findet sich analog bei der Psychomotorischen Übungsbehandlung (PMÜ) (Kiphard 1989; Fischer 2009). Auch sie setzt Körperübungen zur Sinnes- und Bewegungsschulung ein und weist durch Kiphards Verwendung von Sportübungen Gemeinsamkeiten mit der Sporttherapie auf. Mit Blick auf Kinder als ihre Klientel bietet sie außerdem Spielaufgaben zur Verbesserung der emotional-sozialen Kompetenz. Hier schließen sich kompetenztheoretische Ansätze nahtlos an. Der ihnen zugrundeliegende und von Schilling (1993) entwickelte handlungsorientierte Ansatz arbeitet mit der Interdependenz von Physis und Psyche. Über physischen Kompetenzerwerb soll die psychische Entwicklung positiv beeinflusst werden. Damit ist das Therapieziel im Gegensatz zur PMÜ näher zur Psyche gerückt, der Ansatz berücksichtigt jedoch nicht alle Aspekte der Psyche. Basierend auf behavioristischen Konzepten zielt er auf eine Änderung von Verhaltens- und Erlebensmustern. Die verkörperte Biografie und das breite Spektrum der Emotionalität, das sich auftut, wenn man Erinnerungsspuren im Körper aufdeckt, werden nicht berücksichtigt. Genau diese Aspekte der menschlichen Psyche stehen im Fokus der affekt- und energieorientierten Verfahren der KPT. Trotz ihrer psychoanalytischen Wurzeln sehen sie den Körper als Medium für linear-kausale Prozesse an und weniger als Dialogpartner mit dem Unbewussten. Sie arbeiten am »Muskelpanzer«, um zum »Charakterpanzer« vorzudringen. Durch intensive kathartische Prozesse - körperlich wie auch emotional - soll die psychische Charakterstruktur des Menschen verändert werden. Die Sporttherapie liegt als angrenzende Therapierichtung zwischen beiden Diskursen. Sie arbeitet mit der Interdependenz von Physis und Psyche und intendiert, beide positiv zu beeinflussen. Deshalb liegt sie zwischen diesen Polen, deckt jedoch nicht die Extreme ab. Sie beschäftigt sich nicht so intensiv und detailliert mit dem Körper wie die Körpertherapien, sie öffnet aber auch nicht den Raum für das ganze Spektrum psychischen Erlebens. Beim Embodiment handelt es sich weniger um eine Methode als um ein Konzept der Kognitionswissenschaften (Storch et al. 2007), welches über entsprechende Studien belegen konnte, dass der Körper ein wirksames Medium ist, um auf die psychische Verfassung einzuwirken. In dieser Annahme und in den Grundprinzipien der Umsetzung liegen die Parallelen zum kompetenztheoretischen Ansatz. Der Körper als Dialogpartner mit dem Unbewussten Die zweite Körperbedeutung basiert auf tiefenpsychologisch-psychoanalytischen bzw. leibphänomenologischen Konzepten, in denen der Köper als verkörpertes Unbewusstes gesehen wird. Die Verfahren und Ansätze lassen sich auf einem Spektrum verorten, das anzeigt, inwieweit die gezielte Arbeit mit dem Unbewussten den Arbeitsmodus bestimmt: Mehr (+) oder weniger (-). [ 179 ] Wolf • Körperpsychotherapie und Motologie 4 | 2016 In dieser Rubrik finden sich die meisten Körperpsychotherapieverfahren. Sie arbeiten wahrnehmend (z. B. Konzentrative Bewegungstherapie), expressiv (z. B. Tanztherapie) oder selbstaktualisierend (z. B. Bonding, Holotropes Atmen). Bei den analytischen / dialogischen Verfahren steht die Arbeit mit dem Unbewussten im Sinne Freuds - zumindest konzeptionell - besonders im Fokus. Analog zu den körperpsychotherapeutischen Arbeitsmodi existiert in der Motologie der Verstehende Ansatz (Seewald 2007). Sie alle verbindet eine im Ursprung psychoanalytische Arbeitshaltung: erinnern, wiederholen und durcharbeiten (Freud 1914, 126 ff ). Im Verstehen und Bewusstmachen der körperlichen Inszenierung liegt der Schlüssel zur Veränderung und Heilung. Der/ die TherapeutIn vertraut dabei auf die Selbstregulation des/ r KlientIn, die sich einstellt, wenn unbewusste, konfliktbehaftete Themen bewusst gemacht und gelöst wurden. Der Prozessweg wird maßgeblich vom Unbewussten vorgegeben und erfordert eine situative Reaktion von TherapeutIn und KlientIn. Der/ die TherapeutIn bietet sich als Übertragungsobjekt für die unbewusste Reinszenierung früher Beziehungen an, bleibt aber gleichzeitig, i. S. einer doppelten Buchführung, BeobachterIn und Deutungsinstanz. Die bewusste Wahrnehmung des KlientInnenprozesses, der therapeutischen Beziehung und des Eigenprozesses (Übertragung und Gegenübertragung des/ der TherapeutIn) bringt eine enorme Komplexität in die Therapiesitzungen und erfordert eine hohe Präsenz der/ des TherapeutIn. Therapeutischer Fortschritt ist in der Arbeit mit dem verkörperten Unbewussten nicht linear. Das Bewusstmachen und Wiederbeleben früher Konflikte, ursächlich für die psychische Erkrankung, verbessern langfristig die Symptomatik. Die Reaktivierung kann jedoch kurzfristig intensive und averse Reaktionen hervorrufen, wie z. B. eine Verschlimmerung der Symptomatik, Abwehrreaktionen oder regressive Prozesse aufgrund von Übertragungsdynamiken. Der Körper als Resonanzinstrument in Systemfeldern Die dritte, systemische Körperbedeutung betrachtet weniger die Manifestation der Psyche im Körper als die Reaktionen von Körper und Psyche auf das umgebende System. Das Vorgehen der systemischen Methoden ist hinsichtlich Therapiefrequenz und Arbeitsmethoden strukturiert. Der/ die TherapeutIn gibt die Struktur vor, innerhalb derer sich das System zeigen soll. Durch Deutung bringen sie Verstehen in die Systemdynamik. Veränderung wird dadurch angestoßen, dass das dysfunktionale System verstört wird und KlientInnen Diskrepanz- und Korrekturerfahrungen machen, die bleibende Spuren in ihnen hinterlassen. Der Fokus liegt auf den KlientInnen und ihrem System, der/ die TherapeutIn selber bleibt BeobachterIn / Außenstehende/ r. Der größte Unterschied der systemischen Zugänge von Motologie und Körperpsychotherapie liegt in der Klientel. Die systemische Körperpsychotherapie arbeitet mit Erwachsenen (Köth 2007), die systemische Psychomotorik arbeitet vorrangig mit Kindern und ihren Familien (Richter 2012). Gemeinsamkeiten und Unterschiede Die Unterordnung bestimmter Verfahren und Ansätze in diese drei Körperbedeutungen soll nicht dazu verleiten, die Kategorien als Absolutum anzunehmen. Die Übergänge zwischen ihnen sind zum Teil fließend, vor allem in der klinischen Praxis. Hier finden wir durchaus eine Kombination bzw. Reihung von Interventionen dieser drei Körperbedeutungen. Es ist möglich, an eine expressive Tanzsequenz zum Thema »Beziehungen« (Körper als Dialogpartner mit dem Unbewussten) die Familienaufstellung eines Patienten (Körper als Resonanzinstrument in Systemfeldern) anzuschließen und - wenn deutlich wird, dass dem Patienten seine Stimme fehlt, wenn es darum geht, »Nein! « zu sagen - eine kathartische Übung (Körper als Medium, um auf die psychophysische Verfassung einzuwirken) folgen zu lassen. Der Kombination von Techniken sind - wie die Therapiepraxis zeigt - kaum Grenzen gesetzt. Auch zwischen den Fachdiskursen gibt es fließende Übergänge. Der Verstehende Ansatz der Motologie und körperdialogisch arbeitende KPT- Verfahren begegnen sich in der zweiten Körperbedeutungskategorie in einem »sinnverstehenden Raum«. Die Motologie hat dabei bewährte Konzepte aus der Psychoanalyse / Tiefenpsycho- [ 180 ] 4 | 2016 Forum Psychomotorik logie für die Arbeit mit Erwachsenen aufgegriffen (Psychodynamik der therapeutischen Beziehung, Arbeit mit biografischen Einleibungen und Affekten). Ohne dieses therapeutische Handwerkszeug wäre aufdeckendes Arbeiten, wie es der Verstehende Ansatz intendiert, nicht möglich bzw. nicht verantwortungsvoll (Wolf 2010b; Eckert 2010). Doch nicht alle Arbeitsmodi und -haltungen sind kombinierbar. Was meines Erachtens nicht möglich ist, ist der Wechsel zwischen einer zielgerichteten Haltung, bei welcher der Körper funktionalisiert wird, um psychische Prozesse anzustoßen, und einer verstehenden Haltung, bei welcher der Körper als Dialogpartner den Prozess initiieren und gestalten soll. Diese Inkompatibilität ist von zentraler Bedeutung für die »Sinnverstehende Mototherapie mit Erwachsenen« und ihre Abgrenzung zum kompetenztheoretischen Arbeiten. Fazit Eine Gegenüberstellung der Fachdiskurse Körperpsychotherapie und Motologie zeigt, dass die jeweiligen Verfahren und Ansätze vergleichbare Arbeitsmodi und -haltungen aufweisen. Diese basieren auf drei verschiedenen Perspektiven auf den Körper, die dem Körper in der therapeutischen Arbeit eine bestimmte Bedeutung zuschreiben (Körperbedeutungen). Die grafische Darstellung kategorisiert das für beide Fachdiskurse charakteristische, breite Spektrum an Arbeitsweisen und die fließenden Übergänge zwischen Methoden und Diskursen. Besonders in der Gegenüberstellung von Körperpsychotherapieverfahren, die vom verkörperten Unbewussten ausgehen, und dem Verstehenden Ansatz der Motologie zeigen sich große Überschneidungen. Arbeitsmodi, denen verschiedene Körperbedeutungen zugrunde liegen, werden in der Praxis häufig kombiniert, dem Wechsel in eine andere Arbeitshaltung sind jedoch Grenzen gesetzt. Literatur Eckert, A. (2010): Psychomotorik und Körperpsychotherapie - Annäherungen, Verbindungen, eigene und getrennte Wege. motorik, 33 (2),65-70 Fischer, K. (2009): Einführung in die Psychomotorik. Ernst Reinhardt, München / Basel Freud, S. (1914): Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten. In: Freud, A. (Hrsg.) (1999): Gesammelte Werke, Bd. 10. Fischer, Frankfurt, 126-136 Geuter, U. (2015): Körperpsychotherapie. Grundriss einer Theorie für die klinische Praxis. Springer, Bern Hölter, G. (2011): Bewegungstherapie bei psychischen Erkrankungen. Deutscher Ärzteverlag, Köln Kiphard, J. E. (1989): Psychomotorik in Praxis und Theorie. Ausgewählte Themen der Motopädagogik und Mototherapie. Flöttmann, Gütersloh Köth, A. (2007): Aufstellungen als Navigationssystem. VAS, Frankfurt a. M. Richter, J. (2012): Spielend gelöst: Systemischpsychomotorische Familienberatung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, http: / / dx.doi.org/ 10.13109/ 9783666402197 Schilling, F. (1993): Motodiagnostik und Mototherapie. In: Irmischer, T., Fischer, K. (Hrsg.): Psychomotorik in der Entwicklung. Hofmann Verlag, Schorndorf, 55-60 Schüle, K., Huber, G. (Hrsg.) (2012): Grundlagen der Sport- und Bewegungstherapie. Deutscher Ärzteverlag, Köln Seewald, J. (2007): Der Verstehende Ansatz in Psychomotorik und Motologie. Ernst Reinhardt, München / Basel Storch, M., Cantieni, B., Hüther, G. (2007): Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. Verlag Hans Huber, Bern Wolf, B. (2010a): Zwei Türen, die in denselben Raum führen - Körperpsychotherapie und Motologie. motorik. 33 (2), 46-51 Wolf, B. (2010b): Bearbeiten können was angestoßen wird - Körperpsychotherapie in der Motologie. In: Späker, T.; Jessel, H. (2010): Brücken bauen in der Psychomotorik. Verlag Aktionskreis Psychomotorik, 217-230 Wolf, B. (2010c): Körperpsychotherapie studieren - Entwurf eines universitären Curriculums nach dem Vorbild US-amerikanischer Masterstudiengänge. Dissertation, Philipps-Universität Marburg Die Autorin Dr. Benajir Wolf Diplom-Sportlehrerin, Diplom- Motologin, Körperpsychotherapeutin (DGK / EABP), Leitung und Lehre des Studienschwerpunktes Körperpsychotherapie und des Arbeitsfeldes »Klinik Erwachsene« im Masterstudiengang Motologie, Philipps-Universität Marburg Anschrift Dr. Benajir Wolf Philipps-Universität Marburg Institut für Sportwissenschaft und Motologie Barfüßerstrasse 1 D-35037 Marburg wolfb@staff.uni-marburg.de
