motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2016
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Zur Bedeutung von Bewegung in Sozialtrainings für die Grundschule
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2016
Karina Teschke
Caterina Schäfer
Anna Südkamp
Eine Möglichkeit, die soziale Kompetenz vieler Kinder gleichzeitig präventiv zu fördern, stellen Sozialtrainings dar, die im schulischen Kontext durchgeführt werden können. Welche Bedeutung die Bewegung innerhalb der Sozialtrainings hat, wird in diesem Beitrag analysiert. Dazu wurden drei im deutschen Sprachraum verbreitete Sozialtrainings ausgewählt und mithilfe eines eigens entwickelten Kategoriensystems hinsichtlich der qualitativen und quantitativen Aspekte von Bewegung ausgewertet. Es zeigt sich, dass Bewegung in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlichem Ziel in allen drei Trainingsprogrammen eingesetzt wird.
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Zusammenfassung / Abstract Eine Möglichkeit, die soziale Kompetenz vieler Kinder gleichzeitig präventiv zu fördern, stellen Sozialtrainings dar, die im schulischen Kontext durchgeführt werden können. Welche Bedeutung die Bewegung innerhalb der Sozialtrainings hat, wird in diesem Beitrag analysiert. Dazu wurden drei im deutschen Sprachraum verbreitete Sozialtrainings ausgewählt und mithilfe eines eigens entwickelten Kategoriensystems hinsichtlich der qualitativen und quantitativen Aspekte von Bewegung ausgewertet. Es zeigt sich, dass Bewegung in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlichem Ziel in allen drei Trainingsprogrammen eingesetzt wird. Schlüsselbegriffe: Sozialtraining, Bewegung, Grundschule, Prävention, soziale Kompetenz The significance of physical activity in social skill training programs for elementary school children. An analysis of three existing programs. Conducting social skill trainings in schools is one way of fostering children’s social skills in a preventative way, while addressing a large group of children simultaneously. This article analyzes the role of physical activity within those trainings. For this purpose, three prevalent social skill programs in and around Germany were selected and assessed according to categories of qualitative and quantitative aspects of movement. It could be shown that physical activity is inherent in all three training programs - to various extents and with different objectives. Key words: social skill training, physical activity, elementary school, prevention, social skills [ 182 ] 4 | 2016 motorik, 39. Jg., 182-189, DOI 10.2378 / motorik2016.art33d © Ernst Reinhardt Verlag [ FACHBEITRAG ] Zur Bedeutung von Bewegung in Sozialtrainings für die Grundschule Eine Analyse von drei bestehenden Sozialtrainings Karina Teschke, Caterina Schäfer, Anna Südkamp Die soziale Kompetenz stellt eine zentrale Entwicklungsaufgabe im Kindes- und Jugendalter dar. Internationalen Studien zufolge weisen ca. 7 bis 20 % aller Kinder und Jugendlichen eine Verhaltens- und Erlebensstörung auf. Deutsche Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen (Beelmann / Raabe 2007). Hillenbrand und Hennemann (2005, 2006) leiten aus den aktuellen Daten internationaler Studien die Notwendigkeit frühzeitig einsetzender, universeller Maßnahmen ab. Auch Pfingsten (2009) betont, dass es wichtig ist, bei Kindern und Jugendlichen »die prinzipielle Fähigkeit zu angemessenem Sozialverhalten zu verbessern« (Pfingsten 2009, 159). Eine präventive Maßnahme stellt das Sozialtraining im schulischen Kontext dar. Die Auswahl ist groß - unterschiedliche Fachbereiche entwickeln zunehmend Programme zur Förderung der sozialen Kompetenz von Kindern und Jugendlichen. Gleichzeitig wird davon ausgegangen (Beudels 2007; Zimmer 2013, 2014), dass eine ganzheitliche Entwicklung von Kindern ohne Bewegung nicht möglich ist - Bewegung wird als »Motor der Entwicklung« betrachtet. Aus dieser Vorstellung leitet sich der regelmäßige Einsatz von Bewegung in Sozialtrainings ab. Definition sozialer Kompetenz Kanning (2002) unterscheidet in seiner Definition zwischen der sozialen Kompetenz und sozial kompetentem Verhalten: Sozial kompetentes Verhalten ist demnach das »Verhalten einer [ 183 ] Teschke, Schäfer, Südkamp • Bewegung in Sozialtrainings 4 | 2016 Person, das in einer spezifischen Situation dazu beiträgt, die eigenen Ziele zu verwirklichen, wobei gleichzeitig die soziale Akzeptanz des Verhaltens gewahrt wird« (Kanning 2002, 155). Die soziale Kompetenz hingegen ist die »Gesamtheit des Wissens, der Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Person, welche die Qualität eigenen Sozialverhaltens - im Sinne der Definition sozial kompetenten Verhaltens - fördert« (Kanning 2002, 155). Das bedeutet, dass jemand, der die Fähigkeit besitzt, sich sozial kompetent zu verhalten, eigene Interessen in der sozialen Interaktion verwirklichen kann und gleichzeitig auf die Interessen des Interaktionspartners achtet. Je nach Situation und sozialem bzw. kulturellem Kontext wird das Verhalten von den Mitmenschen als sozial kompetent oder als sozial inkompetent bewertet (Kanning 2009). Sozialtrainings zur Prävention von Verhaltensauffälligkeiten Bereits im Vorschulalter weisen 10 bis 20 % aller Kinder zumindest vorübergehend Probleme im Sozialverhalten auf, auch wenn diese nicht immer behandelt werden müssen. Ungefähr 50 % aller Kinder mit einer Verhaltensauffälligkeit übertragen diese vom Vorschulbis ins Grundschulalter (Beelmann / Raabe 2007). »Diese Ergebnisse zeigen, dass dissoziales Verhalten im Kindes- und Jugendalter nicht nur ein relativ häufiges Phänomen darstellt, sondern auch mit einem beträchtlichen Risiko einhergeht, sich im Entwicklungsverlauf zu verfestigen oder andere psychische Erkrankungen auszubilden« (Beelmann / Raabe 2007, 45). Da abweichendes Verhalten mit zunehmendem Alter der Kinder und Jugendlichen nur schwer veränderbar ist und enorme gesellschaftliche Kosten verursacht, »erwächst die Forderung, Verhaltensstörungen schon möglichst frühzeitig präventiv zu begegnen« (Hillenbrand / Hennemann 2005, 133). Daraus resultiert, dass zum einen pädagogische Fachkräfte qualifiziert und zum anderen wissenschaftlich fundierte Präventionsleistungen, insbesondere in der Grundschule, geleistet werden müssen (Hillenbrand / Hennemann 2006). Eine Maßnahme zur Förderung der sozialen Kompetenz ist das Sozialtraining. Es verfolgt das Hauptziel, Defiziten im sozialen Kompetenzbereich vorzubeugen oder sie zu kompensieren (Beelmann / Raabe 2007). Sozialtrainings für Kinder und Jugendliche, die in der Schule durchgeführt werden können, bringen viele Vorteile mit sich: Aufgrund der Schulpflicht kann nahezu die gesamte Schülerschaft erreicht werden, sodass universell präventiv gearbeitet werden kann. Da alle Personen der Gruppe einbezogen werden, findet keine Stigmatisierung einzelner Beteiligter statt. Darüber hinaus können Programme von Lehrkräften der jeweiligen Schule durchgeführt werden, sodass diese nur geringe Kosten verursachen. Sie sind in der Regel einfach in der täglichen Praxis umsetzbar (Hillenbrand et al. 2013; Lösel/ Beelmann 2003). In der Meta-Analyse von Lösel und Beelmann (2003) wurde die Wirksamkeit von 84 Präventions- und Interventionsprogrammen bei Verhaltensstörungen mit 135 unterschiedlichen Maßnahmen erfasst (N=16.723 SchülerInnen). Die Analyse ergab, dass Kinder zwischen fünf und sechs Jahren am meisten von emotional-sozialen Programmen profitieren. Die Maßnahmen können aber auch bei älteren Kindern und Jugendlichen gewinnbringend eingesetzt werden (Hillenbrand / Hennemann 2005, 2006). Bedeutung der Bewegung für die kindliche Entwicklung Aus (entwicklungs-)pädagogischer Perspektive wird Bewegung als »Motor der Entwicklung« definiert: »Bewegung existiert nie allein. Sie wird immer begleitet von kontrollierender Wahrnehmung oder von Gefühlen, Erinnerungen oder Plänen. Jede Bewegung wird von irgendeiner Wahrnehmung ausgelöst und von irgendeiner Art der Motivation veranlasst« (Köckenberger 1999, 13). Bahr et al. (2012) kategorisieren die Bedeutung Präventive Sozialtrainings in der Schule erreichen viele SchülerInnen gleichzeitig. [ 184 ] 4 | 2016 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis von Bewegung für Bildungs- und Entwicklungsprozesse im Kindesalter in vier Felder: Bewegung als Lerngegenstand, Bewegung als Medium zur Gesundheitserziehung, Bewegung als Medium des Lernens und Bewegung als Medium der Persönlichkeitsentwicklung. Hinsichtlich des Lernens machen die AutorInnen deutlich: »Vor allem (zunehmend) komplexe Bewegungs- und Spielsituationen fördern den Transfer von Bewegungserfahrungen auf den Bereich basaler schulischer sowie metakognitiver Kompetenzen« (Bahr et al. 2012, 103). Auf die soziale und emotionale Entwicklung bezogen kann sich das Kind über das Medium Bewegung ausdrücken, sich selbst als wirksam erleben, mit anderen in Beziehung treten und Kooperationen eingehen. Auch für Zimmer (2014) spiegelt sich die soziale Funktion von Bewegung in folgenden Erfahrungen wieder: »Mit anderen gemeinsam etwas tun, mit- und gegeneinander spielen, sich mit anderen absprechen, nachgeben und sich durchsetzen« (Zimmer 2014, 21 f ). Gemeinsame Tätigkeiten werden zum Austesten der Regeln des Sozialverhaltens genutzt, sodass sie die Entwicklung der sozialen Kompetenz fördern. »Bewegung kann hierbei als lustvolles und motivierendes Element dienen, soziale Prozesse anzustoßen und Kindern vielfältige Lern- und Bildungsprozesse in der Balance zwischen Anregung und Selbstbildung zu ermöglichen« (Niedersächsisches Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung 2012, 13). Richard et al. (2015) konnten in zwei empirischen Studien zeigen, dass das aufgabenbezogene Verhalten von SchülerInnen dritter und vierter Klassen durch kurze körperliche Aktivitäten ansteigt. Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspiele sowie Kooperationsübungen sind häufig in Verbindung mit Bewegung ein Bestandteil der Sozialtrainings. Auf Basis entwicklungspsychologischer und bewegungspädagogischer Theorie stellen wir uns die Frage, welchen quantitativen und qualitativen Anteil Bewegung in Sozialtrainings für die Schule hat. Methode Im Folgenden wird die konkrete Rolle der Bewegung in Sozialtrainings analysiert. Dazu wird in dieser Studie untersucht, in welchem Ausmaß (quantitativer Aspekt) und mit welcher Zielsetzung (qualitativer Aspekt) Bewegung in drei ausgewählten Sozialtrainings für die Grundschule eingesetzt wird. Bei den Sozialtrainings handelt es sich um das »Sozialtraining in der Schule« von Petermann et al. (2012), das Programm »Lubo aus dem All! - 1.- und 2. Klasse« von Hillenbrand et al. (2013) und das Training »Locker Bleiben« von Schatz und Bräutigam (2012). Alle drei Sozialtrai- Abb. 1: Kategoriensystem zur Einordnung von Übungen in Sozialtrainings mit hohem, niedrigem und ohne Bewegungsanteil [ 185 ] Teschke, Schäfer, Südkamp • Bewegung in Sozialtrainings 4 | 2016 nings wurden in den letzten vier Jahren verfasst bzw. überarbeitet und verfügen über ein ausführliches und theoretisch fundiertes Konzept sowie bei den beiden Erstgenannten über Evaluationsstudien mit positiven Effekten. Im Zuge der Untersuchung wurden die theoretischen Grundlagen aller drei Trainingsprogramme, ihre Grundprinzipien sowie die darin eingesetzten Spiele und Übungen im Einzelnen betrachtet. Die Strukturierung von Petillon (2007) diente als Orientierung für ein neues Kategoriensystem (Abb. 1), in dem unterschieden wird zwischen: Übungen mit einem hohem Bewegungsanteil (ÜhB), Übungen mit einem niedrigem Bewegungsanteil (ÜnB) und Übungen ohne Bewegungsanteil (ÜoB). Um die Häufigkeit der Bewegung in den Sozialtrainings zu ermitteln, wurden alle Übungen der jeweiligen Programme zunächst tabellarisch erfasst und anschließend in das Kategoriensystem eingeordnet. Um die Zielsetzung des Einsatzes von Bewegung in den Sozialtrainings zu ermitteln, wurden die Unterkategorien genauer betrachtet: In der Kategorie ÜhB befinden sich alle Übungen, welche mit einer hohen körperlichen Aktivität einhergehen. Die Bewegung als Methode steht hier im Fokus. In der Kategorie befinden sich Übungen, die die Förderung von Konzentration, Aufmerksamkeit und Wahrnehmung zum Ziel haben. In den Unterkategorien Spiele im Kreis, Wett- und Ausscheidungsspiele, Geschicklichkeitsspiele und Kooperationsspiele steht die Stärkung des Wir-Gefühls im Vordergrund. Körperkontakt und Disziplin sowie Vertrauen wird in den Vertrauensspielen und beim Ringen und Raufen gefördert. Auch Entspannungsübungen sollen die Wahrnehmung verbessern und das Wohlbefinden stärken. Die Kategorie ÜnB kennzeichnet sich durch Übungen, in denen Bewegung eher eine geringe Rolle spielt. Andere Faktoren wie Kognition, Gestik, Mimik oder Musik sind vordergründig. In die Unterkategorie kognitive / kommunikative Übungen wurden kognitive, kommunikative und kooperative Aufgaben eingeordnet, in denen Bewegung begleitend eingesetzt wird, z. B. zur Aufgabenbewältigung nach vorher erarbeiteter Strategie. Zur Unterkategorie Übungen zur Vertiefung von Verhaltensweisen gehörten Übungen zur Gestik, Mimik und Emotion wie Pantomime und situative Besprechungen wie Rollenspiele, Mitmachgeschichten oder Theater. In die letzte Unterkategorie rhythmischmusikalische Übungen wurden Übungen eingeordnet, die von Musik oder Rhythmen begleitet werden wie Mitmach-Lieder oder Spiele, in denen bestimmte Rhythmen imitiert werden sollen. Die Kategorie ÜoB muss für den qualitativen Aspekt der Bewegung nicht betrachtet werden, da in diese alle Übungen fallen, die keine Bewegung vorsehen. Ergebnisse Sozialtraining in der Schule Das »Sozialtraining in der Schule« von Petermann et al. (2012) ist für SchülerInnen an Grund-, Förder- und allen weiterführenden Schulen ausgelegt. Zu den Hauptzielen des Programms zählen die Ausbildung, Entwicklung und Förderung der sozialen sowie sozial-emotionalen Fertigkeiten und Kompetenzen. Es werden sowohl verhaltensorientierte und kognitive Methoden als auch soziales Fertigkeitstraining (strukturierte Rollenspiele) durchgeführt, sodass von einem multimodalen Vorgehen gesprochen wird (Petermann et al. 2012). Insgesamt liegen im Manual 23 Sitzungen à 90 Minuten vor. Die Betrachtung der quantitativen Aspekte des Trainings ergibt, dass das Programm insgesamt über 92 Übungen verfügt. Davon lassen sich elf Übungen der Kategorie ÜhB zuordnen. Knapp ein Drittel (28) der Übungen fallen in die Abb. 2: Übersicht der Kategorien von allen drei Sozialtrainings 0 50 100 150 200 250 Sozialtraining für die Schule "Lubo aus dem All! " "Locker Bleiben" Anzahl der Übungen Übungen ohne Bewegungsanteil (ÜoB) Übungen mit niedrigem Bewegungsanteil (ÜnB) Übungen mit hohem Bewegungsanteil (ÜhB) [ 186 ] 4 | 2016 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis Kategorie ÜnB und der Großteil (53) in die Kategorie ÜoB (siehe Abb. 2). Das Besondere ist, dass zu Anfang jeder Einheit eine Aufmerksamkeitsübung oder ein Warmup und zum Ende ein Abschlussspiel durchgeführt werden. Hierfür schlagen die AutorInnen insgesamt neun Aufmerksamkeitsübungen, sieben Warm-ups und zehn Abschlussspiele vor, aus denen der/ die TrainerIn nach ihren individuellen Vorstellungen für jede Stunde eine Aufmerksamkeitsübung oder ein Warm-up sowie ein Abschlussspiel auswählt. Es kann demnach nicht nachvollzogen werden, wie oft bzw. ob eine Übung zum Einsatz kommt, sodass diese jeweils nur einfach in die Gesamtrechnung einbezogen wurden. Insgesamt werden durchschnittlich 15-Minuten für eine Aufmerksamkeitsübung bzw. Warm-up und ein Abschlussspiel verwendet. Im Folgenden wird die Zielsetzung der Bewegung im vorliegenden Sozialtraining mithilfe der Unterkategorien genauer analysiert. Zu den 53- Übungen der Kategorie ÜoB gehören beispielsweise das Brainstorming, das Bearbeiten von Arbeitsblättern sowie Gesprächs- und Reflexionsrunden. Die 28 ÜnB setzen sich ausschließlich aus Rollenspielen und Standbildern zusammen. Diese verteilen sich auf knapp 50 % der Trainingseinheiten. Die elf ÜhB sind Aufmerksamkeitsübungen und Abschlussspiele. Diese können in vier Unterkategorien eingeteilt werden: Konzentrationsübungen (4), Spiele im Kreis (5), Vertrauens- (1) und Entspannungsspiele (1). Diese Spiele dienen der Förderung von Kooperation und Fokussierung der Aufmerksamkeit. Lubo aus dem All! - 1. und 2. Klasse Das Sozialtraining »Lubo aus dem All! « von Hillenbrand et al. (2013) richtet sich an SchülerInnen der 1.-2. Klasse einer Regelschule. Eine Durchführung an Förderschulen oder in inklusiven Settings ist auch möglich. Zu den zentralen Zielen des Programms zählen die Förderung von sozial-emotionalen Basiskompetenzen, der Emotionsregulation und der Selbststeuerungsfähigkeit. Das Training besteht insgesamt aus 53-curricularen Stunden à 60 Minuten. Bei der Erfassung der quantitativen Anteile der Bewegung wurden alle 53 Trainings- und Vertiefungsstunden berücksichtigt. Das Programm besteht insgesamt aus 211 Übungen (Abb. 2), von denen ein Großteil in die Kategorie ÜoB (173) fällt. In die Kategorie ÜnB konnten 23 Übungen und in die Kategorie ÜhB 15 Übungen eingeordnet werden. Bei den insgesamt 173 Übungen der Kategorie ÜoB handelt es sich um Gesprächsrunden, die Bearbeitung von Arbeitsblättern, Austauschgruppen, Gefühlsäußerungen, Reflexionsrunden, Puzzle und Dominospiele. Die 23 Übungen der Kategorie ÜnB können überwiegend in die Unterkategorie Übungen zur Vertiefung von Verhaltensweisen wie Rollenspiele, pantomimische Darstellungen, Standbilder und Mitmachgeschichten eingeordnet werden. Die Übungen dienen beispielsweise dazu, vorher besprochene Gefühle darzustellen und erlebbar zu machen. Zu Beginn jeder Stunde wird ein trainingsbegleitendes Mitmach-Lied gesungen und mit passenden Bewegungen verbunden. Dies aktiviert die Klasse und unterstützt deren Lernfreude (Hillenbrand et al. 2013). Anschließend findet eine gegenseitige Begrüßung statt. Dieser Teil der Stunde dauert ca. sieben Minuten und die darin eingesetzten Übungen zählen ebenfalls zur Kategorie ÜnB. Von der 60-minütigen Sitzung nimmt der Einstieg ca. 12 % ein. Der Einstieg wurde nur einfach in die Gesamtanzahl der Übungen eingerechnet, dennoch ist er Bestandteil jeder Stunde. Der größte Anteil der 15 Übungen der Kategorie UhB fällt in die Unterkategorie Spiele im Kreis (6). Daneben sind Übungen der Unterkategorien Konzentrations- (3), Entspannungs- (1), Wett- und Ausscheidungs- (2) sowie Kooperationsspiele (3) vorhanden. Primär fördern diese Spiele den Zusammenhalt in der Klasse, fokussieren die Aufmerksamkeit und wirken entspannend auf das Klassenklima. In einigen Sitzungen sind die Spiele lediglich Vorschläge zur Aktivierung der Kinder, wodurch die Entscheidung der Umsetzung dem/ der TrainerIn überlassen bleibt. Der Bewegungsanteil ist bei »Locker Bleiben« am größten. [ 187 ] Teschke, Schäfer, Südkamp • Bewegung in Sozialtrainings 4 | 2016 Es wird empfohlen, die Bewegungsspiele auch im Schulalltag bzw. in anderen Stunden zu wiederholen und einfließen zu lassen. Locker Bleiben Das Sozialtraining »Locker Bleiben« von Schatz und Bräutigam (2012) wurde ursprünglich für Kinder und Jugendliche mit einer geistigen Behinderung oder einer Auffälligkeit im emotionalen und sozialen Bereich entwickelt. Es wird in Regelschulen, inklusiven Settings und in der Berufsschule eingesetzt. Da das Training in einer Turnhalle durchgeführt wird, hat die Bewegung einen entsprechend hohen Stellenwert (Schatz / Bräutigam 2012). Insgesamt dauert die wöchentliche Trainingsstunde 60 Minuten. Für das Umkleiden und die Verabschiedung werden weitere 30 Minuten angesetzt, die bei der Analyse der quantitativen und qualitativen Anteile der Bewegung nicht beachtet wurden. Im Manual zum Trainingsprogramm befinden sich zahlreiche Spielvorschläge, aus denen der/ die TrainerInnen die für die Gruppe passenden Übungen auswählen kann. Insgesamt sind 96-Spiele in dem Buch beschrieben, von denen 56 in die Kategorie ÜhB und 40 in die Kategorie ÜnB fallen (Abb. 2). ÜoB sind nicht vorgesehen. Da in diesem Trainingsprogramm die Auswahl an Übungen aus der Kategorie ÜhB am größten ist, werden dessen Unterkategorien grafisch dargestellt. Die Abb. 3 zeigt, dass die Unterkategorie Ringen und Raufen mit 14 Spielen am stärksten vertreten ist. Es folgen Konzentrationssowie Wett- und Ausscheidungsspiele mit jeweils zehn Spielen pro Unterkategorie. Sechs bis sieben Spiele können jeweils den Unterkategorien Vertrauens- (7) und Geschicklichkeitsspiele (6) sowie Spiele im Kreis (6) zugeordnet werden. Insgesamt gibt es zwei Entspannungsspiele, wobei die »Chill-out-Runde« am Ende jeder Sitzung nicht dazu gezählt wird. Die Kategorie ÜnB teilt sich in drei Unterkategorien. In der Unterkategorie kognitive Übungen befinden sich insgesamt 30 Übungen, wohingegen die Unterkategorie rhythmisch-musikalische Übungen mit drei Übungen und die dritte Unterkategorie Übungen zur Vertiefung von Verhaltensweisen mit sieben Übungen vertreten sind. Methodendiskussion In der vorliegenden Untersuchung wurden drei umfassende Sozialtrainings für Kinder und Jugendliche detailliert betrachtet und hinsichtlich des Ausmaßes und der Zielsetzung der vorgesehenen Bewegungsübungen analysiert. Als Grundlage der Analyse wurden die Vorgaben in den Trainingsmanualen verwendet. Da alle drei Trainingsprogramme jedoch individuelle Gestaltungs- und Auswahlmöglichkeiten vonseiten der TrainerInnen zulassen, ist bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen, dass die Angaben zur Quantität der Bewegung in den Sozialtrainings in der praktischen Umsetzung leicht von den hier berichteten Zahlen abweichen können. In die Analyse wurden darüber hinaus le- Abb. 3: ÜhB in »Locker Bleiben« 02468 10 12 14 16 Anzahl der Übungen Übungen mit hohem Bewegungsanteil (ÜhB) [ 188 ] 4 | 2016 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis diglich drei bestehende Sozialtrainings aus dem deutschen Sprachraum einbezogen. Fazit Bei der Betrachtung der vorgestellten Sozialtrainings wird deutlich, dass Bewegung, je nach Konzept, einen quantitativ kleinen bis großen Anteil einnimmt. Der Anteil an ÜhB ist am größten im Trainingsprogramm »Locker Bleiben« (Schatz / Bräutigam 2012) und am niedrigsten im Sozialtraining in der Schule (Petermann et al. 2012). Auch hinsichtlich der Ziele, die mit dem Einsatz von Bewegung verbunden sind, unterscheiden sich die Trainingsprogramme. Das Programm »Locker Bleiben« (Schatz / Bräutigam 2012) fokussiert auf bewegungsorientierte Angebote zur Konzentrations- und Wahrnehmungsförderung sowie Kooperationsspiele. In diesem Training werden Inhalte ausschließlich über das Medium Bewegung vermittelt. Die Konzepte Sozialtraining in der Schule von Petermann et al. (2012) und Lubo aus dem All von Hillenbrand et al. (2013) beziehen sich überwiegend auf Rollenspiele, Reflexionsgespräche und Äußerungen von Emotionen. Beide setzen nur zum Einstieg und Abschluss Bewegungsspiele ein, welche der Aktivierung und Belohnung dienen. Im Hinblick auf weiterführende Forschung kann diese Analyse der einzelnen Bestandteile der Sozialtrainings als Grundlage für Evaluationsstudien genutzt werden. Dabei wäre es interessant zu untersuchen, in welchem Zusammenhang die hier analysierten Aspekte von Bewegung mit der Wirksamkeit der Sozialtrainings stehen. Bisher liegen unseres Wissens keine Evaluationsstudien vor, die die Bewegung explizit als separaten Faktor für die Wirksamkeit von Sozialtrainings berücksichtigen. Aus praktischer Perspektive kann dieser Beitrag als Entscheidungshilfe bei der Auswahl eines Sozialtrainings für den schulischen Kontext dienen. Entsprechend der individuellen Bedürfnisse der SchülerInnen kann z. B. ein Trainingsprogramm mit eher niedrigem oder eher hohem Bewegungsanteil ausgewählt werden. Dieser Beitrag durchlief das Peer-Review. Literatur Bahr, S., Kallnich, K., Beudels, W., Fischer, K., Hölter, G., Jasmund, C., Krus, A., Kuhlenkamp, S. (2012): Bedeutungsfelder der Bewegung für Bildungs- und Entwicklungsprozesse im Kindesalter. motorik 35 (2), 98-109 Beelmann, A., Raabe, T. (2007): Dissoziales Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Erscheinungsformen, Entwicklung, Prävention und Intervention. Hogrefe, Göttingen Beudels, W. (2007): Kinder lernen in und durch Bewegung. Theoretische Hintergründe und praktische Konsequenzen. In: Beins, H. J. (Hrsg.): Kinder lernen in Bewegung. Borgmann Media, Dortmund, 149-171 Hillenbrand, C., Hennemann, T. (2006): Präventive Erziehungshilfe in der Grundschulstufe. Zeitschrift für Heilpädagogik 57 (2), 42-51 Hillenbrand, C., Hennemann, T. (2005): Prävention von Verhaltensstörungen im Vorschulalter. Überblick und theoretische Grundlegung. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 74 (2), 129-144 Hillenbrand, C., Hennemann, T., Hens, S., Hövel, D. (2013): »Lubo aus dem All! « - 1. und 2. Klasse. Programm zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen. 2. Aufl. Ernst Reinhardt Verlag, München / Basel Kanning, U. P. (2009): Diagnostik sozialer Kompetenzen. 2. Aufl. Hogrefe, Göttingen Kanning, U. P. (2002): Soziale Kompetenz - Definition, Strukturen und Prozesse. Zeitschrift für Psychologie 210 (4), 154-163, http: / / dx.doi.org/ 10.1026/ / 0044-3409.210.4.154 Köckenberger, H. (1999): Kinder müssen sich bewegen: Spielend lernen und wachsen. Urania-Ravensburger, Berlin Lösel, F., Beelmann, A. (2003): Effects of Child Skills Training in Preventing Antisocial Behavior. A Systematic Review of Randomized Evaluations. The Annals of the American Academy of Political and Social Science 587 (1), 84-109, http: / / dx.doi.org/ 10.1177/ 0002716202250793 Niedersächsisches Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (2012): Sozial-emotionale Kompetenzen. Fördermöglichkeiten durch Spiel und Bewegung. nifbe-Themenheft 12, 1-16. In: https: / / www.nifbe.de/ component/ themensammlung? vie w=item&id=328: sozial-emotionale-kompetenzennifbe-themenheft-12&catid=70, 30.07.2014 Petermann, F., Jugert, G., Tänzer, U., Verbeek, D. (2012): Sozialtraining in der Schule. 3. Aufl. Beltz, Weinheim / Basel Petillon, H. (2007): 1000 Spiele für die Grundschule. Von Adlerauge bis Zauberbaum. 3. Aufl. Beltz, Weinheim / Basel Pfingsten, U. (2009): Soziale Kompetenzen. In: Lohaus, A. (Hrsg.): Psychologische Förder- und Interventionsprogramme für das Kindes- und Jugendalter. Springer, Heidelberg, 158-174, http: / / dx.doi.org/ 10.1007/ 978-3-540-88384-5_12 Richard, S., Eichelberger, I., Döpfner, M., Hanisch, C. (2015): Schulbasierte Interventionen bei ADHS und [ 189 ] Teschke, Schäfer, Südkamp • Bewegung in Sozialtrainings 4 | 2016 Aufmerksamkeitsproblemen: Ein Überblick. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie 29 (1), 5-18, http: / / dx.doi.org/ 10.1024/ 1010-0652/ a000141 Schatz, H., Bräutigam, D. (2012): Locker Bleiben. Sozialtraining für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Handlungsorientierte Methoden zum sozialen Lernen und zur Gewaltprävention. Borgmann Media, Dortmund Zimmer, R. (2013): Bildung durch Bewegung - Motorische Entwicklungsförderung. In: Stamm, M., Edelmann, D. (Hrsg.): Handbuch frühkindliche Bildungsforschung. Springer VS, Wiesbaden, 587- 601, http: / / dx.doi.org/ 10.1007/ 978-3-531-19066- 2_41 Zimmer, R. (2014): Handbuch Bewegungserziehung. Grundlagen für Ausbildung und pädagogische Praxis. Verlag Herder, Freiburg i. Br. Die Autorinnen Karina Teschke BA Rehabilitationspädagogin, Mitarbeiterin im St. Vincenz Jugendhilfe-Zentrum Dortmund, Berufsqualifikation Psychomotorik, Sportassistentin »Bewegungszwerge« (2-4-Jährige), cand. MA Rehabilitationswissenschaften Caterina Schäfer Dipl. Rehabilitationspädagogin, Promovendin an der TU Dortmund zum Thema »Psychomotorik und Familie«, Therapeutin im Bewegungsambulatorium Dortmund, seit 2012 Leiterin von Ruhrbewegung Dr. Anna Südkamp Dipl. Psychologin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lehrgebiet Rehabilitationspsychologie - Psychologische Diagnostik an der TU Dortmund Anschriften Karina Teschke Marienburger Weg 27 D-44369 Dortmund karina.teschke@tu-dortmund.de Caterina Schäfer Ruhrbewegung gemeinnützige UG (haft.) Virchowstraße 47 45147 Essen c.schaefer@ruhrbewegung.de Dr. Anna Südkamp Fakultät Rehabilitationswissenschaften Emil-Figge-Str. 50 D-44227 Dortmund anna.suedkamp@tu-dortmund.de
