motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2016.art04d
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2016
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Bildungspolitische Entwicklungen in der Schweiz und die Organisation des Angebotes der Psychomotorik in der Stadt Zürich: Ein nachahmenswerter Prozess?
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2016
Martin Vetter
Psychomotorische Angebote gibt es in vielen Ländern Europas. Auch wenn sich die Angebote zum Teil deutlich unter-scheiden (siehe dazu die Internetpräsenz des European Forum of Psychomotricity, www.psychomot.org), so gibt es doch auch eine deutliche Schnittmenge, was die Inhalte betrifft. Bezüglich der Organisation und der Einbindung der Angebote gibt es wiederum sehr große Unterschiede. Im vorliegenden Beitrag wird versucht, die Abläufe, wie Schülerinnen und Schüler in der Schweiz zur Psychomotorik kommen, zu skizzieren.
7_039_2016_1_0005
Zusammenfassung / Abstract Psychomotorische Angebote gibt es in vielen Ländern Europas. Auch wenn sich die Angebote zum Teil deutlich unterscheiden (siehe dazu die Internetpräsenz des European Forum of Psychomotricity, www. psychomot.org), so gibt es doch auch eine deutliche Schnittmenge, was die Inhalte betrifft. Bezüglich der Organisation und der Einbindung der Angebote gibt es wiederum sehr große Unterschiede. Im vorliegenden Beitrag wird versucht, die Abläufe, wie Schülerinnen und Schüler in der Schweiz zur Psychomotorik kommen, zu skizzieren. Schlüsselbegriffe: Psychomotorik, sonderpädagogische Förderung, Schulisches Standortgespräch, schulische Förderung, Konkordat Sonderpädagogik Developments in education policy in Switzerland and the organization of psychomotricity in Zurich: A process to imitate? Psychomotor intervention is well-known in many European countries. Although the form of the interventions often significantly differ (see the website of the European Forum of Psychomotricity, www.psychomot.org), there is also a significant intersection in the content. Regarding to the organization and involvement, there are again large differences. In this paper an attempt is made to sketch the processes, how pupils in Switzerland will get psychomotor intervention. Key words: Psychomotricity, Special Education, School Assessment, School Support, Concordat Special Education [ 19 ] motorik, 39. Jg., 19-24, DOI 10.2378 / motorik2016.art04d © Ernst Reinhardt Verlag 1 | 2016 [ FORUM PSyCHOMOTORIK ] Bildungspolitische Entwicklungen in der Schweiz und die Organisation des Angebotes der Psychomotorik in der Stadt Zürich: Ein nachahmenswerter Prozess? Martin Vetter Im Beitrag wird zunächst die bildungspolitische Entwicklung und die daraus entstandene Verankerung der Psychomotoriktherapie im schweizweiten Rahmen in ihren Grundzügen erläutert, bevor dann die daraus abgeleiteten Regelungen im Kanton Zürich beschrieben werden. Die kantonale Ausgestaltung wird im Fortgang beispielhaft bezogen auf die Umsetzung dieser Vorgaben für die Psychomotorik in der Stadt Zürich. Das Bildungssystem der Schweiz hat sich im letzten Jahrzehnt massiv gewandelt. Die seit 2008 neu geregelte Einbindung der Psychomotorik in das Schweizer Bildungssystem gilt als vorbildhaft. Als eines der wenigen Länder in Europa hat man hier klar geregelte Anstellungsbedingungen für Psychomotoriktherapeutinnen und -therapeuten, so die hier übliche Bezeichnung, geschaffen. Es existieren in vielen Kantonen (diese entsprechen politisch ungefähr den Bundesländern in D und A) standardisierte Abläufe, was Diagnostik, Therapie bzw. Förderung sowie Therapieabschluss betrifft. Besonders detailliert ausgearbeitet sind die Abläufe und Vorgehensweisen in der Stadt Zürich. Hintergrund der Neuerungen im eidgenössischen, kantonalen und städtischen Bildungssystem sind die weiter unten genauer beschriebenen Elemente Neugestaltung des Finanzausgleiches und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (Eidgenössisches Finanzdepartement 2007), das Sonderpädagogikkonkordat der Schweizerische Kon- [ 20 ] 1 | 2016 Forum Psychomotorik ferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (2007) (kurz EDK, ungefähr vergleichbar mit der Kultusministerkonferenz in Deutschland), welches präventive, integrative und inklusive Bestrebungen formuliert, sowie die Verordnung über sonderpädagogische Maßnahmen im Kanton Zürich (Regierungsrat Kanton Zürich 2007). Der schweizweit einheitliche Rahmen Mit dem Stichtag zum 1. Januar 2008 wurde im Zuge der Neugestaltung des Finanzausgleiches (NFA) die Kompetenzverteilung innerhalb der staatlichen Aufgaben in der Schweiz neu organisiert. Eine dabei für das Bildungssystem und somit auch für die Psychomotoriktherapie bedeutsame Änderung war dabei der Transfer der Zuständigkeit für Sonderschulanliegen für Menschen von 0 bis 20 Jahren von der Invalidenversicherung (kurz IV) in den finanziellen und organisatorischen Verantwortungsbereich der Kantone. Hinter diesem Transfer steckten Überlegungen, dass die bisherige, finanzielle Zuständigkeit einer Versicherung für die Integration von Kindern mit Behinderungen oder problemanzeigenden Verhaltensweisen den Prozess der Integration und Inklusion per se eher zu verhindern schien. Die umgangssprachliche Bezeichnung von Schülerinnen und Schülern, welche bis dahin Unterstützungsleistungen erhielten, als »IV-Kinder«, belegte diese problematische Konstruktion. Die bereits existierende kantonale Schulhoheit erstreckte sich nun also neu auch auf Logopädie und Psychomotorik. Die Kantone waren in der Folge unter anderem verbindlich aufgefordert, die kantonale Sonderschulgesetzgebung anzupassen und genehmigungsfähige Sonderschulkonzepte, welche die Psychomotoriktherapie nun einbinden sollten, zu erarbeiten. Um den Prozess der im NFA beschlossenen Veränderungen zu begleiten und um deren Rahmen abzustecken, wurde von der EDK (2007), ein Sonderpädagogikkonkordat erarbeitet, welches die Grundzüge zukünftiger, integrativ ausgerichteter Bildungspolitik beschreibt. Konkordate sind, gemäß der Schweizerischen Bundesverfassung, verbindliche Vereinbarungen der Kantone, um Gesetze in Bereichen eigentlich kantonaler Zuständigkeit, beispielsweise im Bildungsbereich, untereinander zu harmonisieren. In Artikel 1 dieser interkantonalen Vereinbarung wird deren Zweck, vorrangig die Harmonisierung des sonderpädagogischen Angebotes, festgelegt. Daraus ergab sich für die Kantone, die dem Konkordat beitraten, unter anderem die Verpflichtung, Kinder mit besonderem Bildungsbedarf möglichst in eine Regelschule zu integrieren. Dazu mussten sie das sonderpädagogische Grundangebot festlegen und eine Vereinheitlichung wesentlicher Entscheidungen, wie beispielsweise der Entscheidung über eine Sonderschulzuweisung, erreichen. Bedeutend ist dabei, dass die Kantone diesem Konkordat nicht zwingend beitreten mussten. So ist beispielsweise der Kanton Zürich als derzeit letzter Kanton erst Mitte 2014 beigetreten, hatte jedoch bis zu diesem Zeitpunkt die Anliegen des Konkordats, als einer der ersten Kantone, kontinuierlich seit 2008 schon nahezu vollständig umgesetzt. Für den Stellenwert der Psychomotorik im Bildungssystem ist Artikel 4, Absatz a entscheidend, in dem sie als Grundangebot im Bereich der Sonderpädagogik benannt wird. Psychomotoriktherapie ist damit seit 2008 als eine der Säulen des sonderpädagogischen Angebots fixiert. Psychomotoriktherapie im Kanton Zürich Mit der Zustimmung der Bevölkerung zum neuen Züricher Volksschulgesetz am 5. Juni 2005 und im Nachgang des oben beschriebenen Konkordats hat die Bildungsdirektion des Kantons Zürich eigene Verordnungen entwickelt (2007). Diese bilden den kantonal vorgegebenen Rahmen für die Ausgestaltung und Organisation der Psychomotoriktherapie. Das Angebot der Psychomotoriktherapie im Kanton Zürich ist beschrieben und festgelegt in Dokumenten des Psychomotoriktherapie ist damit seit 2008 als eine der Säulen des sonderpädagogischen Angebots fixiert. [ 21 ] Vetter • Bildungspolitische Entwicklungen in der Schweiz 1 | 2016 Kantons. Psychomotoriktherapeutinnen und -therapeuten gehören hier zu den sogenannten sonderpädagogischen Fachpersonen (Bildungsdirektion Kanton Zürich 2011; Fachstelle Psychomotoriktherapie der Stadt Zürich 2011). Es sei hier noch einmal darauf hingewiesen, dass das hier vorgestellte Modell auf der kantonalen Ausgestaltung der interkantonal formulierten Vorgaben des Konkordats erfolgte. Andere Kantone haben somit zwar identische Vorgaben, haben diese auf kantonaler bzw. städtischer Ebene aber anders interpretiert. So wird beispielsweise das psychomotorische Angebot in den französischsprachigen Kantonen der Schweiz deutlich anders organisiert, obwohl die Rahmung des oben beschriebenen Sonderpädagogikkonkordats der EDK, auf welche sich die Ausgestaltung stützt, identisch ist. So sind die hier im Folgenden vorgestellten Besonderheiten als Züricher Lösungen und exemplarisch zu verstehen. Wichtig ist anzumerken, dass die Stadt Zürich eine politische Gemeinde des Kantons Zürichs ist. Die Stadt Zürich ist also nicht identisch mit dem Kanton Zürich, sondern lediglich ein Teil des Kantons. Züricher Besonderheiten Steuerung der Therapieangebote Psychomotorik gehört in der Regel formell zu den sogenannten schulnahen Therapien. Daneben gibt es zusätzlich sogenannte Förderlehrpersonen. Dies sind meistens Sonderpädagogen und Sonderpädagoginnen mit spezieller Ausbildung in Schulischer Heilpädagogik, die direkter in das Unterrichtsgeschehen involviert sind. Im Gegensatz zur integrativen Förderung durch Förderlehrpersonen, die gemäß der Verordnung über die sonderpädagogischen Maßnahmen (VSM) (Regierungsrat des Kantons Zürich 2007) über ein Mindestangebot gesteuert wird, werden die Therapien, zu denen im Sinne des § 34 VSG (Kantonsrat des Kantons Zürich 2005) Logopädie, Psychomotoriktherapie und Psychotherapie zählen, über ein gemeinsames Höchstangebot gesteuert (§ 11 VSM). Die Verteilung der Ressourcen, welche einer Therapiestelle zur Verfügung stehen, richtet sich nach den Schülerzahlen der zugeteilten Schulen. Die Gemeinden dürfen dabei pro 100 Schülerinnen und Schüler für alle Therapien insgesamt auf der Kindergartenstufe maximal 0,6 »Vollzeiteinheiten« (kurz VZE, 1 VZE entspricht einer vollen Stelle) einsetzen, auf der Primarstufe maximal 0,4 VZE und auf der Sekundarstufe max. 0,1 VZE (Regierungsrat des Kantons Zürich 2007; Bildungsdirektion Kanton Zürich 2010a; 2010b). Verfahren »Schulisches Standortgespräch« Im Zuge der beschriebenen Veränderungen entstand im Kanton Zürich u. a. auch das obligatorische Verfahren »Schulisches Standortgespräch« (kurz SSG, Hollenweger / Lienhard 2008). Es stellt nicht lediglich ein Gespräch dar, sondern ist eine einheitliche Struktur für die Erfassung von Problemen und Ressourcen von Schülerinnen und Schülern sowie für den Prozess ihrer Begleitung und Überprüfung der Maßnahmen. Das SSG enthält Dokumente und Handreichungen, die den Prozess vom Beginn des Auftretens einer Schwierigkeit bis zum Abschluss von gegebenenfalls ergriffenen Unterstützungsmaßnahmen begleiten. Die Anwendung des SSG ist Voraussetzung für die Zuweisung zu einer sonderpädagogischen Maßnahme (Bildungsdirektion Kanton Zürich 2012). Am Verfahren SSG nehmen auch die Psychomotoriktherapeutinnen und -therapeuten teil. Das Verfahren und seine Dokumentationsbögen orientieren dabei sich an den phänomenologisch zu verstehenden Dimensionen Aktivitäten und Partizipation und der International Classification of Functioning and Disability, kurz ICF (WHO 2001). Die psychomotorische Therapiedokumentation nutzt die Klassifikation der ICF. [ 22 ] 1 | 2016 Forum Psychomotorik Kind- und fachbezogene Angebote Eine weitere Besonderheit der kantonalen Konzepte in Zürich, wie sie in der Broschüre zur Umsetzung des Volksschulgesetzes (Kanton Zürich, 2007, 3 f ) beschrieben werden, ist die formale Differenzierung zwischen »kindbzw. fallbezogenen« und »fachbezogenen Interventionen« die in der Stadt Zürich ebenfalls übernommen wurde. Ebenso einzigartig ist die Unterscheidung der Arbeits- und Therapieformen innerhalb der kindbzw. fallbezogenen Intervention in »Ambulante Einzel- oder Gruppentherapie« (oft auch kurz umgangssprachlich im Zürcher Kontext als Psychomotoriktherapie bezeichnet) und »Integrative psychomotorische Förderung«. Während ambulante Einzel- oder Gruppentherapie Angebote in Einzel- oder Kleinstgruppensettings im eigens dafür hergerichteten Therapieraum der Therapeutin meint bezeichnet die ebenfalls zur kindbzw. fallbezogenen Intervention gehörende »integrative psychomotorische Förderung« die Unterstützung durch die Therapeutin durch »Einzelförderung im Klassenverband, Förderung in Kindergruppen der Klasse, Arbeit mit der ganzen Klasse«. Besonderer Fokus ist hier dann die »Fähigkeit des Kindes oder des Jugendlichen, am Unterrichtsgeschehen zu partizipieren« (Bildungsdirektion Kanton Zürich 2007, 4). Der Fokus bei der integrativen psychomotorischen Förderung liegt in der Unterstützung des Kindes mit ausgewiesenem Förderbedarf. Diese Form der Förderung bedingt vorgängig sowohl eine Fachabklärung, wie auch ein SSG. Unterstützungsformen wie Teamteaching, Demonstrationslektionen oder Beratung der Lehrpersonen gehören demnach zu fachbezogenen Interventionen, die präventiven Charakter haben. Die zentrale Interventionsform ist traditionell die ambulante Einzel- und Gruppentherapie (Kleingruppen von 2-4 Kindern) im psychomotorischen Therapieraum in einer Zeiteinheit von ca. 45 Minuten. Die oben beschriebenen präventiven Angebote sind in den meisten Fällen erst seit dem Jahr 2007, ausgelöst auch durch die beschriebenen Veränderungen im Bildungssystem, hinzugekommen. Psychomotoriktherapie in der Stadt Zürich Die Fachstelle Psychomotorik gehört zum Schulamt der Stadt Zürich und ist verantwortlich für die Qualitätssicherung, die Verteilung, Einrichtung und personelle Besetzung der Therapiestellen innerhalb des Stadtgebietes. Jede der Psychomotorik-Therapiestellen ist für mehrere Schulen in ihrem Einzugsgebiet zuständig. Derzeit arbeiten mehr als 40 festangestellte Therapeutinnen und Therapeuten an den 27 städtischen Psychomotorik-Therapiestellen. Die Vereinbarung einer ersten psychomotorischen Abklärung und Diagnostik erfolgt über eine Anmeldung durch Lehrerinnen und Lehrer an die zuständige Therapiestelle. Voraussetzung hierfür ist ein Gespräch mit den Eltern, deren Einwilligung zur psychomotorischen Abklärung sowie die Zustimmung der Schulleitung. Nach einer psychomotorischen Fachabklärung erfolgt dann das oben beschriebene SSG, bei welchem die Einschätzungen über das Kind von allen zusammengetragen werden. Dazu bereiten sich alle Beteiligten für das Gespräch vor, teilweise werden die Gespräche sogar von den Psychomotoriktherapeutinnen und -therapeuten geleitet. Bei Bedarf kann anschließend und nach Zustimmung der Schulleitung das Kind in die Psychomotoriktherapie aufgenommen oder mit einer psychomotorischen integrativen Förderung begonnen werden. Die Psychomotoriktherapeutin/ der Psychomotoriktherapeutverfassteinen Abklärungsbericht, in welchem die fachliche Einschätzung dokumentiert wird und die Ziele der psychomotorischen Unterstützung beschrieben werden. Diesen Bericht erhalten die Eltern, mit deren Zustimmung auch die Lehrpersonen. Ebenso ist die Handhabung mit dem Abschlussbericht nach beendeter Therapie. Während der Therapie werden mindestens einmal jährlich Schulische Standortgespräche zur Überprüfung der Maßnahmen mit allen Beteiligten durchgeführt. Derzeit arbeiten mehr als 40 festangestellte Therapeutinnen und Therapeuten an den 27 städtischen Psychomotorik-Therapiestellen. [ 23 ] Vetter • Bildungspolitische Entwicklungen in der Schweiz 1 | 2016 Ist dieser Prozess nachahmenswert? Zugegebenermaßen hören sich diese beschriebenen Abläufe sehr technisch an. Was hier nur begrenzt vermittelt werden kann, ist ein Blick in den psychomotorischen Therapieraum und auf die Arbeit der Therapeutinnen und Therapeuten. Es kann mit Sicherheit gesagt werden, dass diese Arbeit gar nichts Technisches hat, sondern so gestaltet ist, wie man es in der Psychomotorik erwartet: Sehr ansprechend gestaltete Räume bilden eine gute Voraussetzung für individualisiertes Arbeiten. Die Psychomotoriktherapeutinnen und -therapeuten arbeiten nach aktuellen Ansätzen der Psychomotorik, bilden sich regelmäßig weiter und verwenden aktuelle Diagnostiktools. Sind diese bildungspolitischen Entwicklungen und ihre positiven Folgen für die Einbindung der Psychomotorik nun nachahmenswert, wie eingangs gefragt? Letztlich kann eine solche Frage natürlich nur datenbasiert beantwortet werden. Ein Vorteil einer strukturierten Organisation und der klar geregelten Interventionsformen wie der hier beschriebenen ist allerdings auch gerade, dass Daten, sei es für Forschungs- oder Evaluationszwecke, in einem so gerahmten Feld sehr gut erhoben werden können und bereits wurden (Vetter / Amann 2013; Vetter 2014). Diesbezüglich kann hier auch auf eine Veröffentlichung in einer der folgenden Ausgaben in dieser Zeitschrift verwiesen werden. Soviel kann hier bereits gesagt werden: Nachweisbar wissen Lehrerinnen und Lehrer in Zürich recht gut, bei welchen Problemstellungen sie sich an die Psychomotoriktherapie wenden. Dies ist, wie viele wissen, nicht unbedingt die Regel und sicherlich nicht zuletzt in den klar geregelten Zuständigkeiten begründet. Ebenso sind sie sehr zufrieden mit dem Angebot der Psychomotoriktherapie. Daten, ob diese Entwicklungen nachahmenswert ist, liefert auch ein anderer Befund: Nachteilig auf das Selbstverständnis der Psychomotoriktherapeutinnen und -therapeuten kann sich ggf. der Umstand auswirken, dass eine solch eng gerahmte Tätigkeit im Rahmen der Psychomotorik auch die wahrgenommenen, individuellen Freiheitsgrade und die Motivation einschränken kann. Es fanden sich Hinweise darauf, dass manche Therapeutinnen psychomotorische Zugänge, von deren Richtigkeit sie eigentlich überzeugt sind, nicht mehr beschreiten: Dahinter steckt die Sorge, ihr Vorgehen vor anderen Beteiligten im Schulischen Standortgespräch vor anderen Fachleuten nicht angemessen begründen zu können. Daher nutzen sie in der Arbeit mit den Kindern eher Zugänge, die sich anschließend anderen besser vermitteln lassen. Konkret: Fußballspielen in der Psychomotorik wird eher unterlassen, obwohl es aus Sicht der Therapeutin/ des Therapeuten für genau dieses Kind der richtige Zugang zu seiner Problemstellung gewesen wäre (Vetter 2015). Somit finden sich hier auch durchaus Hinweise auf Gefahren einer De-Professionalisierung, wenn bestimmte, vielleicht unübliche Interventionsformen im Rahmen eines hohen Organisations- und Strukturierungsgrades des Arbeitsumfeldes vonseiten der Psychomotoriktherapie unterlassen werden. Die gute Organisation und die verbindliche Einbindung der Psychomotorik in das Bildungssystem der Schweiz und, wie hier exemplarisch am Beispiel Zürich aufgezeigt, das lokale Engagement von Fachstellen, hat jedoch sicher in den letzten Jahren dazu geführt, dass sich Psychomotoriktherapeutinnen und -therapeuten einen spannenden, von Lehrerinnen und Lehrern sowie von Eltern und nicht zuletzt teilnehmenden Kindern sehr geschätzten Arbeitsplatz geschaffen haben. Hervorzuheben ist dabei nicht zuletzt auch das starke Engagement des Schweizerischen Berufsverbandes »psychomotorik schweiz« (www.psychomotorik-schweiz.ch), der durch seine kontinuierliche Arbeit die Mitglieder auf (bildungs-)politischer Ebene vertritt. Insgesamt also, so kann man resümieren, gibt es am »Schweizer Prozess« vieles, was zumindest für Entwicklungen anderswo anregend sein kann. Sehr ansprechend gestaltete Räume bilden eine gute Voraussetzung für individualisiertes Arbeiten. [ 24 ] 1 | 2016 Forum Psychomotorik Literatur Bildungsdirektion Kanton Zürich (2007): Umsetzung Volksschulgesetz. Rechtliche Anpassungen Sonderpädagogik. In: http: / / edudoc.ch/ record/ 29784/ files/ ZH_Brosch_Umsetzung_VSG_ Sonderpaed.pdf, 18.09.2015 Bildungsdirektion Kanton Zürich (Hrsg.) (2010a): Medienmitteilung. In: http: / / peterlienhard.ch/ download/ 100611_medienmitteilung.pdf, 18.09.2015 Bildungsdirektion Kanton Zürich (Hrsg.) (2010b). Information betreffend sonderpädagogische Massnahmen gemäss VSG und VSM. In: www.bkz.ch/ beitrag/ 487_PDF3_BDInfoVorgehenohne%20Konzept.pdf, 18.09.2015 Bildungsdirektion Kanton Zürich (Hrsg.) (2011): Angebote für Schülerinnen und Schüler mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen - Psychomotorische Therapie. In: www.vsa.zh.ch/ dam/ bildungsdirektion/ vsa/ schulbetrieb/ sopaed/ publikatione/ Ordner%203/ 07_Psychomotorik_Therapie.pdf, 18.09.2015 Bildungsdirektion Kanton Zürich (Hrsg.) (2012): Zuweisungen zu sonderpädagogischen Massnahmen der Regelschule. In: www.vsa.zh.ch/ internet/ bildungsdirektion/ vsa/ de/ schulbetrieb_und_unterricht/ sonderpaedagogisches0/ zuweisungsverfahren.html, 18.09.2015 Eidgenössisches Finanzdepartement (2007): Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen - NFA. In: www.efv.admin.ch/ d/ downloads/ publikationen/ broschueren/ NFA-Broschuere_d.pdf, 18.09.2015 Fachstelle Psychomotorik-Therapie des Schul- und Sportdepartements der Stadt Zürich (2011). Fach- Förderkonzept Psychomotorik-Therapie. Verfasst von Hösli König, S., Lenz Müller, M. Eigendruck, Zürich Hollenweger J., Lienhard, P. (2008): Schulische Standortgespräche. Bildungsdirektion des Kantons Zürich. Zürich Kantonsrat des Kantons Zürich (2005): Volksschulgesetz (VSG). In: www2.zhlex.zh.ch/ appl/ zhlex_r. nsf/ 0/ B6DFC1347AA5482FC12575C1003D4B7F/ $f ile/ 412.100_7.2.05_65.pdf, 18.09.2015 Regierungsrat des Kantons Zürich (2007): Verordnung über die sonderpädagogischen Massnahmen (VSM). In: www2.zhlex.zh.ch/ appl/ zhlex_r. nsf/ 0/ 3C541AF5F0D9F8E4C1257A3D002A391A/ $f ile/ 412.103_11.7.07_78.pdf, 18.09.2015 Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) (2007): Interkantonale Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der Sonderpädagogik. In: http: / / edudoc.ch/ record/ 87689/ files/ Sonderpaed_d.pdf, 18.09.2015 Vetter, M., Amann, C. (2013): Das psychomotorische Angebot aus der Sicht von Lehrpersonen. Eine Befragung von Zürcher Lehrerinnen und Lehrern zu Wirksamkeit, Zusammenarbeit und Angeboten der Psychomotoriktherapie. Eigendruck, Zürich / Goldau Vetter, M. (2015): Schulnahe Therapien und inklusive Bildung: im Spannungsfeld von institutionell definierter Zuständigkeit und subjektivem Problem- und Wirksamkeitserleben mit Folgen für die Interventionen. Forum: Qualitative Sozialforschung 16 (3), Art. 14, September 2015. In: www.qualitativeresearch.net/ index.php/ fqs/ article/ view/ 2277, 18.09.2015 Vetter, M (2014): Das psychomotorische Angebot aus der Sicht von Psychomotoriktherapeutinnen und Psychomotoriktherapeuten. Eine Befragung zu Wirksamkeit, Zusammenarbeit und Angeboten. Eigendruck, Zürich / Goldau WHO (2001): Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Verfügbar unter: www.dimdi.de, 18.09.2015 Der Autor Prof. Dr. Martin Vetter arbeitete viele Jahre in der psychomotorischen Praxis. Seit 2011 Professur und Dozent mit Forschungsauftrag an der Pädagogischen Hochschule Schwyz / CH. Arbeitsschwerpunkte Psychomotorik, Gesundheitsbildung und Entwicklungsförderung. Anschrift Prof. Dr. Martin Vetter Pädagogische Hochschule Schwyz Zaystrasse 42 CH-6410 Goldau martin.vetter@phsz.ch
