eJournals motorik 39/2

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2016.art14d
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2016
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Märchen in psychomotorischen Szenarien erleben

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2016
Jolanta Majewska
Andrzej Majewski
Mit diesem Praxis- und Erfahrungsbericht sollen Anregungen zur praktischen Durchführung einer Unterrichtsgestaltung mit Schülerinnen und Schülern mit sehr heterogenen Lernvoraussetzungen gegeben werden. Dieses Förderarrangement mit dem Titel »Abenteuer im Märchenland« wurde mit Kindern einer heilpäd­agogischen Tagesstätte und mit Kindern eines Regelkindergartens sowie mit Kindern einer Grundschule durchgeführt.
7_039_2016_2_0005
Zusammenfassung / Abstract Mit diesem Praxis- und Erfahrungsbericht sollen Anregungen zur praktischen Durchführung einer Unterrichtsgestaltung mit Schülerinnen und Schülern mit sehr heterogenen Lernvoraussetzungen gegeben werden. Dieses Förderarrangement mit dem Titel »Abenteuer im Märchenland« wurde mit Kindern einer heilpädagogischen Tagesstätte und mit Kindern eines Regelkindergartens sowie mit Kindern einer Grundschule durchgeführt. Schlüsselbegriffe: Entwicklungsbeobachtung, Inklusion, Märchen, Psychomotorik Experiencing fairytales through psychomotor scenarios - An example of the successful facilitation of inclusion and monitoring of individual development. Based on personal and practical experience, this article provides suggestions for the implementation of curriculum for working with students of heterogeneous learning capabilities. The practical arrangement entitled »Adventures in the land of fairytales« was carried out with children of special educational day care, children of a regular kindergarten and children of a primary school. Key words: Development, inclusion, fairy tales, psychomotricity [ 73 ] motorik, 39. Jg., 73-80, DOI 10.2378 / motorik2016.art14d © Ernst Reinhardt Verlag 2 | 2016 [ Forum Psychomotorik ] Märchen in psychomotorischen Szenarien erleben Beispiel eines Förderarrangements für eine erfolgreiche umsetzung von inklusion und zur Beobachtung einzelner Entwicklungsbereiche Jolanta majewska, Andrzej majewski Inklusion statt Auslese Mit diesem Praxisbericht wollen wir Anregungen zur praktischen Durchführung der Zusammenarbeit von pädagogischen Einrichtungen mit unterschiedlichen Förderschwerpunkten schaffen. In einem ganzheitlich orientierten Erziehungskonzept können psychomotorisch-sportpädagogische Bewegungsangebote eine zentrale Funktion erhalten. Die Kinder werden in ihren motorischen Fähigkeiten so gefördert, dass ihre noch verborgenen Stärken sichtbar und erlebbar werden. So geleitete Förderangebote wirken sich wiederum positiv auf die Lernerfolge der Kinder in den schulischen, psychischen und sozialemotionalen Bereichen aus. Anliegen der Sport- und Bewegungsangebote in Kindergarten und Schule sollte die Vermittlung von Spaß an der Bewegung sein. Kinder sollen Mut erlangen, sich mehr zu trauen sowie Entdeckungen im Bewegungs- und Wahrnehmungsbereich zu machen. Sie werden im Umgang mit ihrem eigenen Körper und mit anderen MitschülerInnen bewusster und freier. »Die Abenteuer im Märchenland« Das nachfolgend vorgestellte Förderarrangement mit dem Titel »Abenteuer im Märchenland« wurde geplant, vorbereitet und durchgeführt von Frau Manuela Nemeth-Droll und Frau Petra Ast von der heilpädagogischen Tagesstätte der Le- [ 74 ] 2 | 2016 Forum Psychomotorik benshilfe in Schwabach. Die einzelnen Stationen dienen sowohl der Förderung als auch der gleichzeitigen Beobachtung einzelner Entwicklungsbereiche. Daher werden nach der Beschreibung der jeweiligen Station potenzielle dort angesprochene Entwicklungsbereiche skizziert. Ebenfalls möglich wäre es, die Beobachtungen an den sogenannten Meilensteinen der Entwicklung auszurichten. Vorüberlegungen »Die Abenteuer im Märchenland« können mit Kindern im Vorschul- und Grundschulalter (4- 10 Jahren) durchgeführt werden. Da die Bewegungsgeschichten hinsichtlich der Gruppengröße, Gruppenzusammensetzung und des zur Verfügung stehenden Zeitraums beliebig variiert werden können (z. B. durch weniger oder mehr Stationen), ist es möglich, die individuell unterschiedlichen körperlichen und geistigen Voraussetzungen, die jedes Kind mitbringt, optimal zu berücksichtigen und einzubinden. »Die Abenteuer im Märchenland« sind als Abschluss und Vertiefung einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Märchen gedacht. Die Voraussetzung für die Durchführung dieser Einheit ist demnach, dass die Kinder die Inhalte der einzelnen Märchenstationen kennen. Die SpielleiterInnen sind in diesem Zusammenhang als »DrehbuchautorInnen« zu verstehen, die sich den inhaltlich begleitenden Rahmen ausdenken. Die Hauptakteure sind die Kinder, die auch die Regie übernehmen. Eine zentrale Voraussetzung für die Durchführung dieses Bewegungsangebotes ist, dass im psychomotorischen Sinn Spaß und Motivation im Vordergrund stehen. Didaktisch-methodische Hinweise Die teilnehmenden Kinder dieser Bewegungseinheit (und einige begleitende Mütter) wurden in kleine, gemischte Gruppen aufgeteilt, damit mehrere Abenteuer an verschiedenen Stationen und ohne Wettbewerbscharakter gemeinsam bewältigt werden konnten. Diese sind charakterisiert durch ■ eine hohe Kooperationsdichte, d. h. EinzelgängerInnen oder vermeintlich Starke können die Aufgabe nicht ohne die Mithilfe der anderen MitspielerInnen lösen. ■ einen hohen Grad an Offenheit und Veränderbarkeit, d. h. die Gruppen können die Aufgaben situativ flexibel lösen. ■ einen hohen Aufforderungscharakter. Dabei sollten alle Gruppenmitglieder zum Erreichen der Ziele beitragen können, indem sie ihre besonderen Fähigkeiten nützlich einbringen und mit ihren Schwächen klug umgehen. Das dafür erforderliche taktische Konzept sollte von der Gruppe durch Verständigung und Absprache entwickelt werden. Das Besondere des Bewegungs- und Spielparcours bestand darin, dass jedes einzelne Kind so viel Hilfe zurückgeben musste, wie es selbst von anderen benötigte, um bestimmte Aufgaben zu lösen oder auszulassen. Da jeder einmal Unterstützung brauchen wird, ist das Geben und Nehmen in der Gruppe im Spielgedanken vorprogrammiert. Zusätzlich eingeführte »Hilfe-Bons« in Form von Steinen sollten verhindern, dass die Kinder ohne Behinderung nicht voreilig den MitspielerInnen mit Behinderung die Lösung von Problemen abnahmen, die diese auch selbst lösen konnten. Dabei ging es vor allem auch um das Spannungsfeld zwischen Bevormundung und notwendiger Unterstützung. Den TeilnehmerInnen wurde erklärt, dass jede/ r Mitspielende drei Steine bekommen wird und wie diese eingesetzt werden sollen: »Das sind JOKER! Ihr braucht sie, wenn für einen von euch eine bestimmte Aufgabe zu schwierig ist. Dann darf er jemanden aus seiner Mannschaft beauftragen, dies für ihn zu tun. Dafür muss er seinem Helfer einen Stein geben. Jeder von euch soll aber dafür sorgen, dass er am Ziel alle drei Steine wieder mitbringt. Wer einen Stein abgegeben hat, darf selbst bestimmen, welche Aufgabe er später von einem anderen aus seiner Mannschaft übernehmen, oder zweimal bewältigen will, um seinen Stein zurück zu bekommen. Eure Aufgabe besteht also nicht Die Abenteuer im Märchenland sind beliebig variierbar. [ 75 ] Majewski, Majewska • Märchen in psychomotorischen Szenarien erleben 2 | 2016 nur darin, die einzelnen Stationen zu bewältigen, sondern ihr müsst auch darauf achten, am Ende wieder drei Steine mitzubringen.« Vorbereitungen: Für die geplanten Reisestationen sind entsprechend des folgenden »Drehbuches« einige Vorbereitungen zu treffen, wie zum Beispiel der Aufbau und das Basteln einzelner Materialien. Für den Ablauf der Reisestationen ist geplant, dass alle Stationen bereits im Vorfeld im Stationen-Betrieb aufgebaut sind, sodass sich Kinder voll und ganz in die einzelnen Märchen hineinbegeben können. Einstimmung: »In die Rollen schlüpfen« Zu Beginn des Förderarrangements wurden Kinder mit gezielten Fragen in das Themenfeld Märchen eingestimmt. So wurde zum Beispiel gefragt: Kennt ihr Rotkäppchen? Wer ist das? Was hat sie erlebt? Wie viele kleine Helfer hat Schneewittchen? Usw. Dann die entscheidende Frage: »Habt ihr Lust bekommen, auf eine kleine Reise ins Märchenland zu gehen? Dann steht auf und geht mit! Zuerst müssen wir bis zum Ende des Menschenlandes gehen. Wie ihr ja wisst, gehen die Menschen ganz unterschiedlich. Es gibt Kinder, die hüpfen, Menschen, die langsam gehen, Leute, die es sehr eilig haben.« »Nun betreten wir das Reich der Riesen. Damit wir dort nicht weiter auffallen, verzaubere ich euch alle in Riesen! Schlangenschwanz und Krötenkloß, Kinder, werdet riesengroß! Macht euch noch größer, streckt euch! Wer ist der größte Riese? Schaut euch mal um. Unsere Köpfe sind bestimmt über hundert Meter vom Erdboden weg. Die Riesen gehen nie weit weg. Es ist ihnen zu anstrengend, ihre großen, schweren Körper zu tragen. Sie gehen meist nur eine kleine Runde spazieren.« »Weiter geht es auf unserer Reise. Ich verwandele euch zurück in Menschenkinder: Kniese, briese Riesen weg: Kinder sind an diesem Fleck! Das Land der Riesen liegt direkt neben dem Land Lilliput. Hier sind alle Menschen klein. Ich verzaubere euch schnell in Zwerge, damit die Leute in Lilliput keine Angst vor euch haben! Akrakadabra abrarataner - seid so groß wie Liliputaner! Versucht einmal, ob ihr auch gehen könnt, wenn ihr so klein seid! Man kommt nur langsam vorwärts, oder? « In Menschen zurück verwandelt werden die Kinder mit dem Spruch: »Zwerglein, Zwerglein, wachset bloß, werdet wieder menschengroß! « Förderbereiche/ Beobachtungsmöglichkeiten: Sinnesbewusstseinsmodalitäten und Fähigkeiten: auditive Wahrnehmung, Sprache/ Sprachverständnis, Phantasie, Neugierde, Körperbewusstsein, Aufmerksamkeit, Vorstellungskraft, Kreativität, soziale Kompetenz Reise 1: Ankunft auf der Wiese im Land der Märchen Material: ein Stück Papier für jedes Kind und Stifte »Wir sind auf einer Wiese vor dem Märchenland angekommen. Damit wir in das Märchenland reinkommen, braucht jeder von euch einen Ausweis: Malt euch bitte selbst auf das Blatt Papier einen Märchenausweis. Malt euch eine Lieblingsfigur aus einem Märchen, das ihr besonders gerne mögt. Zwei ›gute Geister‹ werden unsere Expedition begleiten und mit Rat unterstützen: Die Gute Fee und ihr Helfer Zwerg Gutmann« (Abb. 1). Abb. 1: Die gute Fee und ihr Helfer Zwerg Gutmann [ 76 ] 2 | 2016 Forum Psychomotorik Förderbereiche/ Beobachtungsmöglichkeiten: auditive Wahrnehmung, visuelle Wahrnehmung, Körperbewusstsein, Ausdauer, Phantasie, Redundanz der Wahrnehmung, Hand-Fingermotorik Reise 2: Die Kraft des Zauberstabes aufnehmen Material: ein Zauberstab »Die gute Fee wartet auf euch an der Grenze zum Märchenland und kontrolliert die Ausweise der Kinder. Wenn ihr alle eure Ausweise vorgezeigt habt, verrät euch die Fee einen Trick, um euch für die anstrengende Reise durch das Märchenland starkzumachen.« Jedes Kind verfolgt nun nur mit den Augen bei unbewegtem Kopf die Bewegungen des Zauberstabes, damit seine Kraft in das Kind hinüber fließen kann. Förderbereiche/ Beobachtungsmöglichkeiten: auditive Wahrnehmung, Okulomotorik, Körperbewusstsein, Geduld, soziale und emotionale Kompetenz Reise 3: »Das Märchenland« Material: ein Zauberstab Um in das Märchenland zu gelangen, müssen zunächst alle gemeinsam in der Gruppe einzelne Puzzleteile, die zuvor an den Stationen verteilt wurden, für jedes Märchen zu jeweils einem Bild zusammensetzen. Auf diese Weise ergibt sich am Ende für jede Reisestation ein eigenes Puzzle (Abb. 2). Diese geklebten Puzzlebilder sollen nun in der Gruppe aufmerksam betrachtet werden. Ziel ist es, diese Bilder den einzelnen Stationen zuzuordnen. Förderbereiche/ Beobachtungsmöglichkeiten: auditive Wahrnehmung, visuelle Wahrnehmung, Phantasie, Konzentration, soziale Kompetenz, Vervollständigungsmechanismen der Wahrnehmung, probabilistisches Denken, Reversibilität Reise 4: »Rapunzel« Material: Sprossenwand (= »Turm«), Seil/ Tau (= »Rapunzels Haar«) Rapunzel sitzt im Turm und lässt ihr Haar herunter und der Prinz klettert zu ihr hoch (Abb. 3). Abb. 2: Die fertig gestellten Puzzles zu den Stationen werden nun in die richtige Reihenfolge gebracht Abb. 3: Die Kinder klettern Rapunzels Haar herauf Abb. 4: Die Fliegen werden »geangelt« [ 77 ] Majewski, Majewska • Märchen in psychomotorischen Szenarien erleben 2 | 2016 Förderbereiche/ Beobachtungsmöglichkeiten: visuelle Wahrnehmung, Körperbewusstsein, Transgression, soziale Kompetenz Reise 5: »Das tapfere Schneiderlein« Material: Ein kleiner Kasten / Tisch, Tonpapier, ein Stab, sieben selbstgebastelte Fliegen Die selbstgebastelten Fliegen liegen auf der mit dem kleinen Kasten erhöhten Tonpapierfläche. Nun ist der Auftrag, sieben Fliegen am Draht mit dem Stab heraus zu »angeln« (Abb. 4). Förderbereiche/ Beobachtungsmöglichkeiten: visuelle Wahrnehmung, Körperbewusstsein, Transgression, soziale Kompetenz Reise 6: »Tischlein deck dich (»Knüppel aus dem Sack«) Material: Vier Seile, vier Kegel (= »Knüppel«) Die Stoffkegel werden an die Seile befestigt. Der Auftrag ist nun, dass die Kinder sich nicht von den »Knüppeln«, die hin und her schwingen, erwischen lassen. Hinweis: Die Übung muss paarweise durchgeführt werden (ein Kind hält die Knüppeln in Bewegung, das andere läuft dazwischen (Abb. 5). Förderbereiche/ Beobachtungsmöglichkeiten: visuo-motorisches Bewusstsein, Tiefensensibilität, Ganzkörperkoordination, soziale Kompetenz, Top-down-Effekt, probabilistisches Denken, Reversibilität Reise 7: »Aschenputtel« Material: Zwei große Kästen, eine lange Bank (= »Luftbrücke«), ein großer Kochtopf, zwei kleine Schälchen, viele unterschiedlich große und farbige »Muggelsteine« (= »Körner«) Die Kinder sortieren die »Körner« nach Farben und/ oder Größen. Die Sortierstelle befindet sich auf einer »Luftbrücke«. Die Kinder nehmen die »Körner« von der Schüssel, die in der Mitte der »Luftbrücke« steht und bringen diese balancierend zu einer Schüssel, die am Ende der »Luftbrücke« steht. Dieser Bewegungsauftrag wird so lange wiederholt, bis alle »Körner« aussortiert wurden (Abb. 6). Förderbereiche/ Beobachtungsmöglichkeiten: visuo-motorisches Bewusstsein, Gleichgewicht, Tiefensensibilität, Ausdauer, Konzentration, Transgression, soziale Kompetenz, Hand-Fingermotorik Reise 8: »Bremer Stadtmuskanten« Material: Vier Bausteine (oder Verpackungskartons) in unterschiedlichen Größen Die Teilnehmer stellen mithilfe von vier unterschiedlich großen Bausteinen die Bremer Stadtmusikanten nach (Abb. 7). Förderbereiche/ Beobachtungsmöglichkeiten: visuo-motorisches Bewusstsein, Tiefensensibilität, soziale Kompetenz, Reversibilität, Vervollständigungsmechanismen der Wahrnehmung, Hand-Fingermotorik, kognitive Entwicklung Abb. 5: »Knüppel aus dem Sack« Abb. 6: »Körner« sortieren auf der »Luftbrücke« [ 78 ] 2 | 2016 Forum Psychomotorik Reise 9: »Dornröschen« Material: Zwei Reckstangen, Plastikzweige als Heckendeko, viele Seile An den Reckstangen werden Seile in unterschiedlichen Höhen befestigt. Um die Seile können Plastikzweige gebunden werden, damit eine »Dornenhecke« entsteht. Die Aufgabe besteht darin, dass die Prinzen die Dornenhecke überwinden (nach Möglichkeit, ohne die Äste zu berühren), um das schlafende Dornröschen zu wecken (Abb. 8). Förderbereiche/ Beobachtungsmöglichkeiten: visuo-motorisches Bewusstsein, Gleichgewicht, Tiefensensibilität, Transgression, Reversibilität, probabilistisches Denken, Handlungsplanung Reise 10: »Rumpelstilzchen« Material: mehrere rot und gelb beklebte Holzäste (= »Feuerstelle«), ein Holzreifen Die Kinder hüpfen um die »Feuerstelle« auf einem Bein. Dabei wird gleichzeitig die folgende Zauberformel gesprochen: »Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß! « (Abb. 9). Förderbereiche/ Beobachtungsmöglichkeiten: Gleichgewicht, Ganzkörperkoordination, Merkfähigkeit, Rücksichtnahme, Transgression, soziale Kompetenz Reise 11: »Froschkönig« Material: Eine Tonne (= »Brunnen«), drei selbst gebastelte goldene Kugeln Die Kinder versuchen, eine der drei goldenen Kugeln in den Brunnen zu werfen (Abb. 10). Förderbereiche/ Beobachtungsmöglichkeiten: visuo-motorisches Bewusstsein, Tiefensensibilität, soziale Kompetenz Reise 12: »Hänsel und Gretel« Material: Augenbinden, sechs Bauelemente (= »Steine«), ein bunt bemaltes Pappkartonhaus (= »Hexenhaus«) Jedes Kind wird von seinem Partner mit verbundenen Augen zum Hexenhaus geführt. Auf dem Weg dorthin liegen »Steine«, die nicht berührt werden dürfen. Im Hexenhaus wartet auf die Kinder die gute Fee mit ihrem Helfer Zwerg Gutmann. Den Kindern werden Fragen zum Verlauf des Abenteuers im Märchenland gestellt. Wer auf die gestellten Fragen Antworten gegeben hat, darf sich vom Dach des Hexenhauses eine Tüte mit Lebkuchen holen (Abb. 11). Abb. 7: Die Bremer Stadtmusikanten Abb. 8: Die Dornenhecke überwinden [ 79 ] Majewski, Majewska • Märchen in psychomotorischen Szenarien erleben 2 | 2016 Förderbereiche/ Beobachtungsmöglichkeiten: Rücksichtnahme, Gleichgewicht, räumliche Orientierung, Vertrauen, Transgression, soziale Kompetenz, probabilstisches Denken, Vervollständigungsmechanismen der Wahrnehmung Abschließende Gedanken zur praktischen Umsetzung Das Arrangement des hier beschriebenen Spiel- und Bewegungsangebots eröffnete die Möglichkeit, auf verschiedenen Ebenen die Kooperation und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung zu fördern und dabei gezielte Beobachtungen bezüglich der Entwicklung der einzelnen Kinder zu machen, sodass das Mitspielen aller Beteiligten ungestört möglich wurde. Beim Stationsaufbau bot sich für alle die Gelegenheit, sich »zu beschnuppern« und ggf. bestehende Hemmungen abzubauen. Die Kinder mit Behinderung waren bei sich zuhause, kannten sich aus, wussten, was zu tun ist, und wo man aufbauen soll. Sie kannten die Geräte und die Technik des Aufbauens. Die Kinder aus den Regeleinrichtungen mussten auf sie - die potenziell Schwächeren, die hier aber die zentrale Rolle spielten - hören. Die Kinder der heilpädagogischen Tagesstätte konnten erfahren, dass Nichtbehinderte sie ernst nehmen und dass sie in der Lage sind, etwas Wichtiges / Wertvolles zur Bewältigung der Aufgaben beizutragen. Die Hemmschwelle zu den »Fremden« wurde dadurch geringer. Im Laufe des Vormittags konnte immer öfters beobachtet werden, dass die Kinder miteinander lachten und ihr Umgang lockerer wurde. Die Art des Miteinander-Umgehens der Kinder veränderte sich also im Prozess der Bearbeitung der Bewegungsaufgaben. Anfangs konnten wir deutlich sehen, dass die Gäste nicht so recht wussten, was sie den MitspielerInnen mit Behinderung zutrauen konnten und was nicht. Es galt, das rechte Maß zwischen »Hilfe-Gewähren« bzw. »Selbstständigkeit -Zulassen« zu finden. Unsere Gäste wurden oftmals durch die zum Teil unerwartete Kompetenz der GastgeberInnen überrascht. Einige Aufgaben erforderten es, dass in der Gruppe die Rollen verteilt wurden. »Mitspielen können« bedeutete bei der hier beschriebenen Begegnung also nicht, bestimmte Anforderungen an Kraft, Ausdauer oder Geschicklichkeit zu erfüllen. Vielmehr ging es darum, miteinander durch den Einsatz der je individuellen Fähigkei- Abb. 11: Das »Lebkuchenhaus« Abb. 10: Versuchen, eine der drei goldenen Kugeln in den Brunnen zu werfen Abb. 9: Rumpelstilzchen [ 80 ] 2 | 2016 Forum Psychomotorik ten gemeinsame Lösungen für die Spielaufgaben zu entwickeln, zu erproben, zu präsentieren. Wir beobachteten, wie die Kinder Schwächen und Stärken bei sich selbst und bei den anderen entdeckten und sich in die anderen hineinfühlen konnten. Sie konnten den Erfolg bei anderen anerkennen und sich über den eigenen freuen. Sie ertrugen Misserfolge und teilten Freude über gelungene Aufgaben mit anderen. Dies alles und noch mehr war erforderlich, um »Die Abenteuer im Märchenland« erfolgreich durchzuführen und auch wohlauf zurückzukehren. Die Kinder waren von den gemeinsamen »Abenteuern im Märchenland« begeistert. Die AutorInnen Jolanta Majewska Dipl. Pädagogin, Systemische Therapeutin (ISIS), Fachbuchautorin. Seit 2006 Leiterin der heilpädagogische Tagesstätte und des psychologisch-therapeutischen Dienstes der Lebenshilfe in Schwabach. Dr. Andrzej Majewski Dipl. Sportlehrer, Frostig-Therapeut, Fachbuchautor. Seit 1981 tätig in verschiedenen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf. Kontakt Akademie für Motopädagogik und Psychomotorik Frankenwaldstr. 13 91126 Rednitzhembach info@majewski-akademie.de www.majewski-akademie.de