motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2017.art03d
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2017
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»Das liegt mir am Herzen«: Die Arbeit am Körperbild mit Jugendlichen in der Bewegungstherapie
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2017
Yasemin Skrezka
Vor dem Hintergrund psychischer Erkrankungen im Jugendalter, die mit Körperbildstörungen einhergehen, wurde ein bewegungstherapeutisches Behandlungskonzept entwickelt. Im Rahmen einer Einzeltherapie dient die dargestellte Methode zur Erfassung grundlegender Komponenten des Körperkonzepts, insbesondere des Körperbilds. Nach einer Körperumrisszeichnung werden die körperbildrelevanten Themen, wie Körper- und Bewegungsressourcen, mit den PatientInnen aufgeschlüsselt. Mit Beispielen aus der Praxis verdeutlicht die Darstellung die Behandlungsrelevanz und Wirksamkeit der Methode bei speziellen Indikationen und im geeigneten ambulanten oder stationären Behandlungsrahmen.
7_040_2017_1_0004
Zusammenfassung / Abstract Vor dem Hintergrund psychischer Erkrankungen im Jugendalter, die mit Körperbildstörungen einhergehen, wurde ein bewegungstherapeutisches Behandlungskonzept entwickelt. Im Rahmen einer Einzeltherapie dient die dargestellte Methode zur Erfassung grundlegender Komponenten des Körperkonzepts, insbesondere des Körperbilds. Nach einer Körperumrisszeichnung werden die körperbildrelevanten Themen, wie Körper- und Bewegungsressourcen, mit den PatientInnen aufgeschlüsselt. Mit Beispielen aus der Praxis verdeutlicht die Darstellung die Behandlungsrelevanz und Wirksamkeit der Methode bei speziellen Indikationen und im geeigneten ambulanten oder stationären Behandlungsrahmen. Schlüsselbegriffe: Bewegungstherapie, Körperpsychotherapie, Körperbildstörung, Psychomotorik, Körperschemastörungen, Jugendpsychiatrie, Motologie »That is close to my heart«: Body movement therapy with teenagers’ body image The article introduces a body psychotherapeutic approach in the treatment of adolescents with body image disorders. It enables the assessment of basic components of the body concept - especially the body image - in a therapeutic one-to-one setting. The treatment process starts with an outline of the body on a large sheet of paper. In close dialog therapist and client analyze body image issues, such as body and movement related resources. Supported by case studies the method proves to be efficient with specific indications and in the clinical inpatient or outpatient setting. Key words: dance and movement therapy, body psychotherapie, body image disorder, psychomotricity, psychosomatic disorders, adolescent psychiatry, motology [ 13 ] motorik, 40. Jg., 13-20, DOI 10.2378 / motorik2017.art03d © Ernst Reinhardt Verlag 1 | 2017 [ FORuM PSyCHOMOTORIK ] »Das liegt mir am Herzen«: Die Arbeit am Körperbild mit Jugendlichen in der Bewegungstherapie yasemin Skrezka Körperbild / Körperschemastörungen in der Jugendpsychiatrie Bei Störungsbildern in der jugendpsychiatrischen Klinik zeigen sich sehr häufig Körperbildbzw. Körperschemabeeinträchtigungen. Nicht nur Jugendliche mit Essstörungen, auch Jugendliche, welche die Achtung vor ihrem eigenen Körper verloren haben, die ihren Körper instrumentalisieren und selbst verletzen und diejenigen mit depressiven Symptomkomplexe bilden die Zielgruppe. Dysfunktionale Beziehungsmuster innerhalb der Familie, Missbrauchs- und Traumaerfahrungen, soziale Ausgrenzungen (wie Mobbing) können die Wertschätzung des Körpers, die Körperzufriedenheit und den Umgang mit dem eigenen Körper negativ prägen. Sexualität, sexuelle Neigungen, Erfahrungen mit und am eigenen Körper sind in diesen Entwicklungsjahren oftmals neu, aufregend und verwirrend, sie prägen die zukünftige Körperlichkeit und Beziehungsgestaltung. Wenn im Kindes- und Jugendalter negative seelische oder körperliche Grenzerfahrungen gemacht werden, so sind sie fast immer verwoben mit der Entwicklung einer gestörten Körperidentität. Dies stellt die bewegungstherapeutische Arbeit am Körper im Rahmen einer jugendpsychiatrischen Behandlung vor eine große Herausforderung. Die Körperbildtherapie ist demnach ein integraler Bestandteil des Gesamtbehandlungskonzepts der Arbeit mit Jugendlichen. Der Begriff Körperbild wurde bereits im Jahr 1923 von Paul Schilder beschrieben. Das Körperschema, oftmals in der Literatur auch analog dem Körperbild benannt, bildet sich sowohl aus physiologischen wie psychischen Komponenten und beinhaltet [ 14 ] 1 | 2017 Forum Psychomotorik immer vergangene Erfahrungen mit dem Körper. Alle bewussten und unbewussten Erfahrungen mit dem Körper werden immer auch emotional über das limbische System im Gehirn verarbeitet. Die gewonnen Informationen über Körpererfahrungen führen zu dem Körperkonzept, welches sich nach Bielefeld (1986) aus folgenden Komponenten zusammensetzt: ■ Körperbild (Body Image) ■ Kenntnisse über den eigenen Körper (Body Knowledge), ■ die Orientierung am und im eigenen Körper (Body Orientation) ■ Körperausdehnung (Body Size Estimation) ■ Körperausgrenzung (Body Boundary) ■ Körpereinstellung (Body Attitudes, Body Satisfaction / Body Cathexis) Das eigene Bild vom Körper ist prägend für das Gefühl zu sich selbst. In Wechselwirkung stehen die Phänomene Selbstbild und Körperbild und sie sind miteinander unweigerlich verwoben. Das Körperbild ist damit Teil der Identität. Bereits im frühen Alter konstituiert sich das Körperbild aus den körperbezogenen Erfahrungen (Weigel 2008). In der Pubertät wird insbesondere das äußere Erscheinungsbild höchst bedeutsam. Das subjektive Erleben von Körpererfahrungen, welches das Fundament für das Körperbild stellt, setzt sich aus der Wahrnehmung der drei Bereiche Körperäußeres, Körpergrenzen und Körperinneres (Lemche 1999) zusammen. Eine sorgsame Betrachtung der eigenen Geschichte mit seinem Körper im Rahmen der Körperbildarbeit schafft eine konstruktive Auseinandersetzung mit der aktuellen Krise, die zur Therapie führte und deren Entstehungsgeschichte. Es müssen in der bewegungstherapeutische Behandlung demnach konstruktive Begegnungsorte geschaffen werden, in deren Rahmen die Jugendlichen erlebnisreiche und sinnhaltige Körpererfahrungen machen können. Therapeutischer Einstieg in die Körperbildarbeit mit Jugendlichen Einen therapeutischer Einstieg zu finden und die »Begegnung auf Augenhöhe« im Kontext einer Einzelbehandlung von Jugendlichen mit emotionalen und häufig einhergehenden Körperbildstörungen, stellt sich als große Herausforderung in der klinischen jugendpsychiatrischen Arbeit dar. Jugendliche in emotionalen und spannungsgeladenen Krisenmomenten bedürfen einer speziellen Kommunikationsstruktur, um körperbezogene Themen zu besprechen. Der Dialog über psychosomatische Phänomene wie »Was liegt mir schwer im Magen? « oder »Was liegt mir am Herzen? « geben Anhaltspunkte und sind aufschlussreich für weitere Behandlungswege. Welche Wege gibt es, diesen Dialog spielerisch zu initiieren? Wie ist es möglich, innere Bilder zur eigenen Körperlichkeit wachzurufen? Wie kann es ermöglicht werden, Zusammenhänge zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem in der körper- und bewegungsbezogenen Biographie gemeinsam zu betrachten und zu verstehen? Die Entwicklung eines Instrumentes, welches diese Begegnung schafft und es erlaubt, diesen Fragen nachzugehen, wurde daher aus der eigenen Arbeit heraus initiiert. Standardisierte Instrumente in der Körperbildtherapie wurden diesem Anspruch nicht gerecht. Bereits entwickelte Instrumente in der Körperbilddiagnostik waren m. E. weniger für Jugendliche geeignet (Joraschky et al. 2009). Es bestand im Rahmen der Literaturrecherche zunächst eine gewisse Verwirrung in der Begriffsbestimmung. Welche Dimensionen (z. B. emotionale, kognitive, perzeptive) werden in dem Körperbild eigentlich erfasst? Ein Fragebogen über Körperzufriedenheit (wie z.B »Dresdner Fragebogen zum eigenen Körperbild«; DKB-35), eine Checkliste zur Körperwahrnehmung (wie z. B. in dem »Kurzer Fragebogen zur Eigenwahrnehmung des Körpers«; KEKS) oder explorative Verfahren können nur flankierende Informationen zur eigenen Einschätzung und Wahrnehmung vom Körper geben. Die Grundidee eines Körperbildes, welches dem Körper des Jugendlichen tatsächlich »entspringt«, wurde als Basisbaustein für die Arbeit Bereits im frühen Alter konstituiert sich das Körperbild aus den körperbezogenen Erfahrungen. [ 15 ] Skrezka • »Das liegt mir am Herzen«: Die Arbeit am Körperbild mit Jugendlichen 1 | 2017 verwendet. Die klassische Körperumrisszeichnung, worin der Körper auf ein Blatt liegend aufgezeichnet wird, bildet das Fundament für den Dialog. Von dieser Körperumrisszeichnung ausgehend werden dann Dimensionen, Aspekte und Fragen zur eigenen Körperlichkeit erörtert und stellen damit den Rahmen für eine reflektierende, verstehende Arbeit am eigenen Körper. Zusammenhänge zwischen Erlebtem und Erfahrenem werden betrachtet und ein Prozess zur Annäherung an ein positives Bündnis mit dem eigenen Körper wird therapeutisch angebahnt. Vorgehen und Fallbeispiele Methodische Anmerkungen In der ersten Stunde wird erklärt, wie das Vorgehen beim Erstellen des Körperbildes konkret aussieht. Der Jugendliche sollte darüber Bescheid wissen, um sich für den Prozess entscheiden zu können. Zur Erklärung gehört auch, die therapeutischen Intentionen (z. B. das Überprüfen der eigenen Einstellung zum Körper, Entwicklung von realistischen Zielen in der eigenen Körperlichkeit und das Wachrufen der eigenen Ressourcen als Kraftquellen für den Körper) zu benennen, die mit dieser Arbeit am Körperbild angestrebt werden. Der/ die Jugendliche soll über die Zielsetzung der bevorstehenden Arbeit aufgeklärt werden und verstehen, dass das Körperbild erstellt wird, um einen Ist-Zustand aufzuschlüsseln. Biographische Elemente werden dennoch hinzugenommen, um Gegenwärtiges besser zu verstehen. Das tatsächliche Körperbild bleibt Eigentum des/ der Jugendlichen. Die Wahrnehmung des Körperäußeren Der Körperumriss Die Körperumrisszeichnung legt zunächst eine grobe Körperlandkarte an, um die Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit dem Körperäußeren hervorzurufen. Zunächst wird der Jugendliche umzeichnet (Abb. 1). Er liegt auf einem großen Papierbogen, der Umriss wird körpergetreu vom Therapeuten / von der Therapeutin abgezeichnet. Hier empfiehlt es sich, einen breiten Stift zu verwenden, denn der Umriss bildet die Betrachtungs- und Bearbeitungsgrundlage für die weitere Arbeit. 1. Überraschungen: Anschließend werden die Merkmale des Körperbildes erläutert. Welche positiven Überraschungen werden sichtbar? »Ich dachte meine Beine sind viel fetter! Echt, so lang sind meine Beine? ! « (Jessica*, 15 Jahre alt) »Welche negativen Überraschungen werden sichtbar? »Ich bin so klein, ich glaube deswegen werde ich für so jung geschätzt, das nervt mich total! « (Sophie, 17 Jahre alt) 2. Der Vergleich mit dem Spiegelbild: Hierbei hält der Therapeut die Umrisszeichnung neben den Patienten vor den Spiegel und die Körpermerkmale und Proportionen werden gemeinsam besprochen. 3. Realistische / unrealistische Veränderungswünsche: Der Patient zeichnet eine »Wunschfigur« mit einer anderen Farbe auf seinen Körperumriss. Eine gemeinsame Überprüfung findet anschließend statt um festzulegen, welche Körperteile sich tatsächlich verändern lassen (durch z. B. Muskelaufbautraining, figur-modellierende Übungen) und welche Körperteile unveränderbar bleiben. Dabei wird die Körperanatomie anhand von Beschreibun- * alle Namen geändert Abb. 1: Körperumrisszeichnung und Besprechung des Körperäußeren ( Jessica, 15 Jahre alt) [ 16 ] 1 | 2017 Forum Psychomotorik gen, Bilddarstellungen, Tasten am eigenen Körper und ggf. an einem Skelett besprochen. Die Wahrnehmung des Körperinneren Die Kraftquellen Ein Herz wird auf der Stelle des Herzens auf das Körperbild gemalt. Mein Auftrag: »Schreibe jetzt alles in deinem Leben da rein, was dir »am Herzen liegt« (Abb. 2). In das Herz können dann beispielsweise Menschen, Tiere, Natur, Sport, Freizeitaktivitäten, Lieblingsessen, Handy, Musik hören oder spielen sowie »Lebens«-Aspekte (wie z. B. Freiheit, das Alleinsein oder in der Clique sein) geschrieben werden. Bei dieser Bearbeitung werden verschiedene »Lebensquellen« für den Jugendlichen sichtbar. Durchaus als Ressourcen für den weiteren therapeutischen Weg dienlich, wird gemeinsam überlegt, inwiefern diese »Herzensangelegenheiten« in dem Alltag präsenter und für die eigene Stabilisierung nutzbar werden können. Kann die Familie z. B. einen gemeinsamen Ausflug in den beliebten Kletterpark unternehmen? Auch im Rahmen der Weiterbehandlung können Ressourcen wirksam abgerufen werden. Über diesen Weg erfährt der Jugendliche, dass die Dinge und Personen, die ihm wichtig sind, nicht verblassen oder verschwinden, weil er sich in einer emotionalen Krise befindet. Auch können diese Herzenssachen ihn in der Genesung essenziell unterstützen. Aber manchmal sind es auch Gefühle der Leere, die zum Ausdruck gebracht werden. Das Aussprechen dieser Leere und darüber reden kann entlastend wirken. Die Schwere wird durch das Mitteilen etwas aufgehoben, der Patient ist nicht mehr alleine damit. »Ich fühle nichts … Nichts ist mir wirklich wichtig …« (Steven, 16 Jahre alt). Körperorte, die ich fühle, wenn meine Stimmung fällt In diesem Schritt wird der Körper in der Selbstwahrnehmung betrachtet, wenn die Stimmung sinkt, wenn der Druck steigt oder wenn das Leben sich nicht lebenswert anfühlt. Häufig erlebt der Jugendliche einen Ort im Körper, der negative Gefühle beherbergt. Genau dort beginnt es zu rühren oder zu rumoren, ein Spannungsgefühl entsteht, steigt, zieht in andere Körperregionen, erfasst, hält fest, donnert im Kopf, lässt den Jugendlichen nicht atmen. Es gibt eine Vielzahl an Körperschauplätzen, die sich bei Stimmungsabfällen zeigen (Abb. 3). Das Phänomen kann sich auf einen primären Ort beschränken oder es kann weiter wandern, z. B. beginnt es im Magen und dann …(kaskadenartiges Erleben): »Zuerst habe ich ein ungutes Kribbeln im Magen, oftmals in Verbindung mit schlimmen Schuldgefühlen, dann kriege ich einen Kloß im Hals, dann spüre ich die Tränen in meinen Augen und ich möchte weinen« (Magda, 16 Jahre alt; Abb. 3). Es geht hierbei um ein genaueres Wahrnehmen, die somatischen Botschaften zu entschlüsseln und verstehen zu lernen. Dabei kann das Verorten und Beschreiben von Körpererleben in Verbindung mit negativen Emotionszuständen zu einer Entlastung führen. Oftmals können in der Therapie Verhaltensstrategien erarbeitet werden, die helfen können, aus diesem negativen Gefühlsstrudel herauszukommen. Jedoch ist die Früherkennung der Körpersignale maßgeblich, um sich »auf den Weg zu machen«. Insbesondere das Zugehen auf Andere und Reden sind wirksam, auch Sich- Ablenken mit Aktivitäten, Sport und in die Natur gehen und/ oder Skills anwenden sind effektive Strategien. Hierbei werden die Ressourcen, die in der »Herzarbeit« betrachtet wurden, entscheidend für das Überwinden von Schwierigkeiten. Eine aktualisierte Nähe zu diesen eigenen Kraftquellen beschleunigt das Abrufen dieser »Wohltaten« und der Jugendliche kann sich besser selbstwirksam stabilisieren. Zudem kann eine Abspaltung oder Verfrem- Abb. 2: Was liegt mir am Herzen? (Helena, 14 Jahre alt) [ 17 ] Skrezka • »Das liegt mir am Herzen«: Die Arbeit am Körperbild mit Jugendlichen 1 | 2017 dung des eigenen Körpers einen stabilen Weg verhindern. Weigel (2008) beschreibt das »Aufgeben« oder sogar »Streichen« von Körperempfindungen, um die Beziehungsintensität zu anderen Menschen und zu sich selbst zu regulieren. Dabei spielt sich das Leben hauptsächlich im Kopf ab, weniger im Körper. Das führt dazu, dass emotionale und körperliche Bedürfnisse und Signale ignoriert werden. Indem ein Fokus auf den Kontakt mit sich und zu eigenen Körpersignalen herausgearbeitet wird, kann der Jugendliche wichtige Schritte zur Körperintegration und zur Eigenfürsorge gehen. Die Wahrnehmung von Körpergrenzen Körperberührungsgrenzen: Wer darf mich wo anfassen …? Die Betrachtung der eigenen Körperlichkeit, insbesondere in Verbindung zu Körperkontakt wird bei dem nächsten Schritt am Körperbild erarbeitet. Der Jugendliche stellt sich Fragen zur Selbsterforschung. Von wem z. B. will ich wo am Körper berührt werden? Wo nicht? Wann kommt ein Mensch mir zu nahe? Wie reagiert mein Körper in einer solchen Situation? Denn unser Körpergefühl umfasst auch Erlebnisse, die sich außerhalb unserer Haut abspielen. Weigel (2008, 24) spricht von einer Armlänge um den Körper herum. Horowitz et al. (1964) bezeichnen das Phänomen im Rahmen seiner Untersuchungen zu Nähe und Distanz als »Body-Buffer-Zone«. Große Sorgfalt ist geboten bei der Frage: Wie habe ich in Vergangenheit auf »Grenzverletzungen« reagiert? »Als symbolisches DarstellungsvehikeldesSelbstist der Körper identitätsstiftend und -verbürgend und damit auch Kristallisationspunkt wesentlicher Persönlichkeitskriterien - vor allem geschlechtsspezifischer […] Im Körper kumuliert zum einen Individualität und Subjektivität - die Haut ist unzweifelhaft die Grenze vom ›Ich‹ zur Umwelt. Als Grenze ist sie aber zugleich der Berührungspunkt: über die symbolischen Identitätsentwürfe des Körpers und seine Ausdrucksformen werden Beziehungen zu anderen Menschen hergestellt und aufrechterhalten. Der Körper ist so andererseits bis in die feinsten und sensibelsten Bereiche der Bewegung, der Körperreaktionen, der Sensumotorik, der Gesundheit und Krankheit gesellschaftlich bestimmt und geprägt« (Klein 1991, 185 f ). Das Thema Körperkontakt, verbunden mit Vorerfahrungen und Wünschen, ist sehr komplex. Durchaus können sich bei der Arbeit positive und negative Erlebnisse oder Erfahrungen mit Körpergrenzen und -kontakt zeigen. Lohnenswert ist es, genau diese Ereignisse aus der Vergangenheit gemeinsam zu vergegenwärtigen, um ein sicheres und transparentes Handeln für die Zukunft zu erarbeiten. Die Transparenz wirkt demnach auch in direkter Weise auf die Körperbehandlung, die sich der Körperbildarbeit anschließt. Um die Kernfragestellung zu erörtern, welche Personen aus dem nahen und fernen sozialen Umfeld den Jugendlichen an welchen Körperstellen berühren dürfen, hat sich ein Ampelsystem gut bewährt (Abb. 4). Demnach werden Schritt für Schritt die Körperorte differenziert betrachtet. Die grün gemalten Regionen im Körperbild sind Orte, die fast jeder berühren darf, die gelb gemalten Stellen sind für Freunde und Familie offen, die roten Regionen sind Intimbereiche bzw. »Nogo-Regionen« oder wo »keiner was zu suchen hat! «. Die Farbe Orange kann eine Zwischenstufe bilden und kennzeichnet »unangenehme« Körperzonen. Körperstellen, die sich nicht eindeu- Abb. 3: Körperorte, die ich fühle, wenn meine Stimmung fällt (Magda, 16 Jahre alt) [ 18 ] 1 | 2017 Forum Psychomotorik tig zuordnen lassen, kommen auch vor. So ist die direkte Berührung (per Hand) an manchen Stellen vielleicht unerwünscht, aber bei einer anderen Form von Körperkontakt (z. B. auf dem Schoß sitzen) unproblematisch. Hiernach ergeben sich gestreifte Körperflächen (Abb. 4, Bild 3). Wie in den Abbildungen zu sehen ist, entstehen in dieser Phase sehr bunte Körperlandkarten. Die spielerische Begegnung mit einem sehr ernsten Thema erlaubt oftmals eine Klärung von vergangenen Erlebnissen. Die Art und Weise, wie der Jugendliche die Körperberührungsgrenzen bestimmt, kann wichtige Hinweise auf den Eigenumgang geben. Ein sehr forsches und klares Bestimmen von Körpergrenzen im Körperbild lässt einen transparenten Umgang mit Körperkontakt vermuten. Hier sind einige Beispiele für ein unsicheres Vorgehen mit eigenen Grenzen: »Es ist nicht so wichtig, wie ich mich fühle, wenn …« (Tim, 14 Jahre alt), »Um des Friedens willen lasse ich es zu, dass …« (Klara, 13 Jahre alt), »Ich mag es nicht, wenn mein Onkel mich umarmt, aber was soll ich dann machen? « (Magda, 16 Jahre alt). Manche Jugendliche verwenden sogar Körperkontakt als ein »Glätten«, als ein Instrument zur Wiedergutmachung bei Konflikten, trotz ihres inneren und sehr spürbaren Unwillens in Bezug auf Körperkontakt. Ambivalenzen und dysfunktionale Handlungsstrategien im Umgang mit dem eigenen Körper kommen hier zum Tragen, werden sichtbar und können ggf. mit der Erarbeitung von neuen Handlungsmustern bereinigt werden. Die Körpergeschichte Die Körper- und Bewegungsbiographie In Anlehnung an das Vorgehen von Bielefeld (1986) wird ein anamnestischer Dialog mit dem Jugendlichen geführt. Körpererfahrungen und soziale Erfahrungen mit Bewegung finden dabei zentrale Beachtung. Ich teile die Lebensabschnitte in Kindergartenbzw. Schulabschnitte ein. Erfahrungen im Sportunterricht, auf dem Schulhof und im Rahmen von Bewegungssituationen im sozialen Umfeld (z. B. Verein, freies Spielen auf der Straße) und beim Großwerden werden hierbei besprochen. Oftmals sind Ereignisse in der eigenen Geschichte einschneidend und prägend für die zukünftige Bewegungsbereitschaft. Zum Beispiel: Als ein Mädchen ihre Rope Skipping-Karriere im Alter von 13 Jahren plötzlich beendete, konnte sie begründen: »Ich konnte die Bewegung meiner Brüste beim Hüpfen nicht ausstehen, das war mir so peinlich! « (Anna, 15 Jahre alt). Abb. 4: Berührungsgrenzen und Körperregionen (Bild 1: Anna, 15 Jahre alt; Bild 2: Klara, 13 Jahre alt; Bild 3: Johanna, 15 Jahre alt) [ 19 ] Skrezka • »Das liegt mir am Herzen«: Die Arbeit am Körperbild mit Jugendlichen 1 | 2017 Es sind solche Beschämungsgeschichten mit dem Körper, die häufig zu Veränderungen des Erlebens führen. Insbesondere die Pubertät und der steigende Druck in der Peergruppe, gesellschaftliche Körpernormen zu erfüllen, kann eine krisenhafte Zeit der Verfremdung und Angst um die eigene Entwicklung bewirken. Was setzt mich in Bewegung? In diesem Schritt der Körperbildarbeit werden tatsächlich sport- und bewegungsorientierte Schwerpunkte der eigenen Körperlichkeit deutlicher (Abb. 5). Motivationale Wege und Perspektiven für die Zukunft werden transparent gemacht (z. B. Eintritt in einen Verein, Tanzschule, u. a.): »Als ich mein Pferd noch hatte, hatte ich immer zu tun, war immer draußen … Es ging mir damals so gut …« (Amelie, 16 Jahre alt). »Das Garde-Training war klasse, dadurch war ich immer mit Freunden regelmäßig zusammen und es hat mir Spaß gemacht auf Turniere zu gehen! « (Lisa, 17 Jahre alt). Farbschutzdecke In dem letzten Schritt in der Körperbildarbeit wird eine Farbmeditation durchgeführt. Anknüpfend an die Vielzahl von Untersuchungen zur Farbpsychologie werden bei dieser Meditation Gefühle in und mit dem Körper positiv unterstützt. Der Jugendliche wird in eine warmen Wolldecke eingewickelt. Danach wird eine gelenkte Phantasiereise vorgetragen, die den Jugendlichen dazu anleitet, sich in seiner vertrauten und sicheren Farbe »einzudecken«. Wie eine Schutzdecke geht es in diesem imaginativen Schritt um das Stärken und Stabilisieren der eigenen Körperlichkeit. Der Jugendliche stellt sich seine ganz persönliche Schutzfarbe vor und hüllt sich Schritt für Schritt von den Füßen bis zum Kopf ein (Abb. 6). Eine Patientin erzählte danach: »Die orangene Farbe war so wohltuend und ich habe das meinen Eltern erzählt. Sie brachten mir beim nächsten Besuch eine orangene Wolldecke mit, die ich zum Schlafen und Ausruhen benutze. Sogar brachten sie mir eine Kette mit orangenem Anhänger mit.« (Anna, 15 Jahre alt). Zusammenfassung und Fazit Die psychomotorischen Störungsbilder, die im und durch den Körper zum Ausdruck kommen, wie bei psychosomatischen Störungen, psychogenen Schmerzzuständen, Lähmungen, Konversionsstörungen und bei verschiedenen Formen Abb. 5: Welche Bewegungsangebote machen mir Spaß? (Mara, 13 Jahre alt) Abb. 6: meine Farbschutzdecke (Helena, 14 Jahre alt) [ 20 ] 1 | 2017 Forum Psychomotorik der Essstörungen, bilden die klassische Zielgruppe für diese Methodik in der Körperbildarbeit. Zweifelsohne zeigen sich Bedingungen bzw. Störungen des Jugendlichen auf dem Behandlungsweg, die die Körperbildarbeit oder Teile davon kritisch einschränken. Kontraindikationen, wie z. B. Suizidalität, schwere Bindungsunfähigkeit mit Tendenz zur Spaltungsabwehr (z. B. emotional instabile Persönlichkeitsstörung Borderline-Typ), Dissoziationsstörungen, ein niedriges Strukturniveau (Rudolf / Grande 2006), wobei der Patient deutlich vermindert von der Außenwelt abgegrenzt ist, Schizophrenien und Psychosen sollten berücksichtigt werden. Diese Methode stellt eine wichtige Säule für die Behandlung von Körperbildstörungen dar. Seine Entstehung mit Hinweisen aus der Körperbiographie wird in enger Betrachtung der aktuellen Lebensphase besprochen. Die Klärung von Körpergrenzen und die eigenen Vorstellungen vom Körper erlauben ein sensibles Vorgehen in der weiteren Körperbehandlung. Denn ein Übungsfeld wird im Anschluss für das differenzierte Wahrnehmen, für ehrliche und offene Beziehungssituationen, die mit Körperkontakt einhergehen, geschaffen. Das »Nein« in dem Kontaktverhalten bekommt einen wichtigen Raum. Respektvoller Umgang und Wertschätzung können manche negativen Vorerfahrungen mildern und Handlungsstrategien für die Zukunft anbahnen. Der Jugendliche kann sich als selbstwirksam und stabil in seiner Körperlichkeit erleben. Perspektivenentwicklung aufbauend auf Ressourcen und Selbsterkenntnis stellen den Rahmen. Bei Peter Koch bedanke ich mich für die Bereitstellung der Fotos zur Veranschaulichung des Arbeitsprozesses. Literatur Bielefeld, J. (1986): Zur Begrifflichkeit und Strukturierung der Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper. In: Bielefeld, J. (Hrsg.): Körpererfahrung, Grundlagen menschlichen Bindungsverhaltens. Hogrefe, Göttingen Horowitz, M., Duff, D., Stratton, L. (1964): Body Buffer Zone. Archives of General Psychiatry Vol 11 (6), 651- 656, http: / / dx.doi.org/ 10.1001/ archpsyc.1964.017 20300081010 Joraschky, P., Loew, T., Röhricht, F. (2009); Körpererleben und Körperbild. Ein Handbuch zur Diagnostik. Schattauer, Stuttgart Joraschky, P., Lausberg, H., Pöhlmann, K. (Hrsg.) (2008): Körperorientierte Diagnostik und Psychotherapie bei Essstörungen. Psychosozial-Verlag, Gießen Klein, M. (1991): Von der Seele des Körpers. Band 1. Oldenburg: Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg Lemche, E. (1999): Das Körperbild in der psychoanalytischen Entwicklungspsychologie. Klotz, Eschborn Pöhlmann, K., Joraschky, P.(2005): Die Identifikation relevanter Dimensionen des Körperbildes durch operationale Definition. Psychotherapie, Psychosomatik Medizinische Psychologie 55 (145), http: / / dx.doi.org/ 10.1055/ s-2005-863536 Rudolf, G., Grande, T. (2006): Fokusbezogene psychodynamische Psychotherapie. Ein OPD-basierter Leitfaden. Psychotherapeut 55 (4), 276-289, http: / / dx.doi.org/ 10.1007/ s00278-005-0463-9 Weigel, E. (2008): Körperschemastörungen erkennen und behandeln. Klett-Cotta, Stuttgart Die Autorin Yasemin Skrezka Diplom-Motologin seit 1990, seit 1983 BSc. Medical Rehabilitation (Physical Therapy), University of Manitoba, Winnipeg, Kanada, Lehrtätigkeit in der Fachschule und im Bachelor und Masters Studiengang der Physiotherapie an der Philipps-Universität in Marburg. Arbeitet seit über sechs Jahren als Motologin in der KJP, Vitos Klinik Lahnhöhe in Marburg. Anschrift Yasemin Skrezka Am Schubstein 31 35091 Cölbe art@skrezka.de
