eJournals motorik 40/2

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2017.art12d
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2017
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Räumliche Wahrnehmung sowie zeitliche Strukturen in der psychomotorischen Förderung - eine empirische interkulturelle Vergleichsstudie in Deutschland und Südkorea

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2017
Hee Young Kim
Die vorliegende Arbeit stellt Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der deutschen und koreanischen Psychomotorik heraus. Im Fokus steht dabei insbesondere der Vergleich der räumlichen Wahrnehmung und der zeitlichen Struktur. Die Ergebnisse zeigen, dass kulturelle Eigenschaften in Raum und Zeit in der deutschen und koreanischen Psychomotorik hervortreten.
7_040_2017_2_0005
Zusammenfassung / Abstract Die vorliegende Arbeit stellt Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der deutschen und koreanischen Psychomotorik heraus. Im Fokus steht dabei insbesondere der Vergleich der räumlichen Wahrnehmung und der zeitlichen Struktur. Die Ergebnisse zeigen, dass kulturelle Eigenschaften in Raum und Zeit in der deutschen und koreanischen Psychomotorik hervortreten. Schlüsselbegriffe: Psychomotorik, Interkulturelle Perspektive, Raumwahrnehmung, Zeitstruktur Spatial perception and temporal structures in psychomotoricity - an empirical cross-cultural comparative study in Germany and Korea This cross-cultural study analyses commonalities and differences in the psychomotricity of Germany and Korea. The comparison of spatial perception and temporal structure during psychomotoric-session are at the center of the research question. Findings show cultural properties in space and time in Korean and German psychomotricity. Key words: psychomotricity, intercultural perspective, spatial perception, temporal structures [ 67 ] [ FORuM PSyCHOMOTORIK ] motorik, 40. Jg., 67-73, DOI 10.2378 / motorik2017.art12d © Ernst Reinhardt Verlag 2 | 2017 Räumliche Wahrnehmung sowie zeitliche Strukturen in der psychomotorischen Förderung - eine empirische interkulturelle Vergleichsstudie in Deutschland und Südkorea Hee young Kim In Korea entwickelte sich die Psychomotorik seit dem Besuch von Kiphard im Jahr 2000 stetig weiter. Die Materialien und Konzepte der Psychomotorik boten zum einen koreanischen MitarbeiterInnen neue pädagogische Möglichkeiten und zum anderen den Kindern bedeutsame Erfahrungen. Allerdings zeigten sich in koreanischen Psychomotorikstunden Phänomene, die von den Förderprinzipien der Psychomotorik abwichen, die von DozentInnen der Deutschen Akademie für Psychomotorik in Weiterbildungskursen für koreanische PädagogInnen gelehrt wurden. Um die unterschiedlichen Perspektiven in der psychomotorischen Förderung in Deutschland und Korea zu klären, erscheinen daher vergleichende Untersuchungen im kulturellen Kontext erforderlich. In der vorliegenden Studie wurden exemplarisch die Kriterien Raum und Zeit zum interkulturellen Vergleich der psychomotorischen Förderung in Deutschland und Korea herangezogen. Zeit und Raum sind zum einen bedeutsame Faktoren in einem Kulturgebiet, zum anderen spielen sie eine wichtige Rolle in der psychomotorischen Förderung (Eggert/ Bertrand 2002, 46). Ausgewählte theoretische Grundlagen zur räumlichen und zeitlichen Wahrnehmung in Deutschland und Korea Der Begriff »Kultur« ist nicht eindeutig bestimmbar. Der Anthropologe Hall (1990, 92) definiert [ 68 ] 2 | 2017 Forum Psychomotorik Kultur als ein Kommunikationssystem der biologisch gegebenen Handlungsformen im eigenen Lebensraum. Diese grundsätzlichen Handlungsformen haben Vorfahren im Laufe der Interaktion entwickelt, um sich an bestimmte örtliche und zeitgeschichtliche Gegebenheiten anzupassen. Grundsätzliche Handlungsformen sind »Territoriality« (in Bezug auf Räumlichkeit) und »Temporality« (in Bezug auf zeitlichen Sinn). Diese sind wichtige Besonderheiten zum Unterscheiden von Kulturen (Hall 1990, 92). Die räumlichen und zeitlichen Wahrnehmungen bilden daher den theoretischen Rahmen für nachfolgenden kulturellen Vergleich zwischen Deutschland und Korea. Interkulturelle Perspektiven der räumlichen Wahrnehmung Anhand der ostasiatischen und abendländischen Darstellungsweise von Landschaftsbildern soll eine Idee der kulturell vermittelten räumlichen Wahrnehmung skizziert werden. So haben Masuda et al. (2008, 1264 ff ) die Position des Horizonts und die Perspektive des Betrachters auf Landschaftsbildern erforscht und daraus kulturspezifische Charaktereigenschaften abgeleitet. Der Horizont ist auf asiatischen Landschaftsbildern jeweils höher angeordnet und auf asiatischen Gemälden befindet sich eine größere Hintergrundfläche. Exemplarisch für diese Theorie können in Abb. 1 und 2 Landschaftsbilder von Kim (Korea) und von Friedrich (Deutschland) verglichen werden. Anhand der unterschiedlichen Positionierung des Horizontes bei asiatischen und westlichen Gemälden werden kulturelle, visuelle Wahrnehmungsbesonderheiten deutlich. Die höhere Stellung des Horizontes auf asiatischen Bildern hat zur Folge, dass der Betrachter eine Vogelperspektive einnimmt und von oben auf die Szenerie blickt. Auf diese Weise hat er einen größeren Überblick und kann mehrere Informationen zusammenhängend verstehen. Im Gegensatz dazu ist der Horizont auf westlichen Landschaftsbildern häufig niedriger angeordnet, was der natürlichen Perspektive des Betrachters (Frontalansicht) entspricht. Diese Frontalansicht führt dazu, dass der Betrachter sich auf die wesentlichen Aspekte der Objekte konzentrieren kann (Masuda et al., 1262 ff ). Diese kulturellen Besonderheiten von Gemälden zeigen sich auch auf Zeichnungen von koreanischen und deutschen Kindern (Row 1988). Interkulturelle Perspektiven der zeitlichen Struktur Die Zeit ist eigentlich unwahrnehmbar, dennoch ist sie durch Veränderungen und Bewegungen der Objekte zu spüren. Vor allem kann der Mensch die Zeitwahrnehmung nutzen, um eine gemeinsame Struktur und Ordnung in den menschlichen Tätigkeiten und Gruppierungen zu erhalten. Im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung wurden innerhalb der Kulturen und Institutionen eigene innere Systemzeiten übermittelt, die von der Lebenszeit und dem Zeitbewusstsein einzelner Menschen unabhängig sind (Grözinger 2007, 32). Aus der interkulturellen Sicht lassen sich monochrone und polychrone Verhaltensmuster in Bezug auf die zeitlichen Verhaltensweisen unterscheiden (Hall/ Hall 2003, 15; Tab. 1). Bei der monochronen Zeiteinteilung und Arbeitsweise erfolgt eine Orientierung vorwiegend Abb. 1: »Bogenschießplatz« (H.-D. Kim 1795) Abb. 2: »Mondaufgang über dem Meer« (Caspar David Friedrich 1822) Tab. 1: Differenzierung von monochronem und polychronem Verhaltensmuster (Hall / Hall 2003, 15) [ 69 ] Kim • Räumliche Wahrnehmung sowie zeitliche Strukturen 2 | 2017 am zeitlichen Ablauf. Um die Zeit möglichst auszunutzen und zu kontrollieren, werden Termine deshalb nacheinander fest geplant und auch eingehalten. Zu verrichtende Aufgaben werden immer einzeln und aufeinanderfolgend ausgeführt. Die Erfüllung der Aufgabe an sich steht hier im Vordergrund und weniger der persönliche Kontakt. Dahingegen stehen bei der polychronen Zeiteinteilung persönliche Kontakte im Vordergrund. Hall/ Hall (2003, 35 ff ) betont, dass die Zeiteinteilung in Deutschland monochron sei. Pünktlichkeit sowie kontinuierliche Planung und Organisation der Arbeit seien hier ein hoher Wert. Deutsche planen ihre Aufgaben gemäß eines entsprechenden Zeitplans und kontrollieren ihre Aktivitäten nach diesem. Außerdem trennen sie meist strikt zwischen beruflichen und privaten Beschäftigungen (Hall/ Hall 2003, 35 ff ). Im Gegensatz dazu ist das koreanische Zeitempfinden polychron. Die koreanische metaphysische Vorstellung des zeitlichen Raums gibt entsprechend vor, wie sich das Individuum innerhalb einer bestimmten Zeit oder in einer bestimmten Situation, beispielsweise gegenüber Mitmenschen, verhalten sollte. Deshalb wird immer reflektiert, was man gegenwärtig tun muss, um sein angestrebtes Ziel zukünftig möglichst schnell zu erreichen. Die Strategie hierbei ist, dass das gegenseitige Vertrauen innerhalb der sozialen Kontakte als ein Mittel zur Zielerreichung angesehen wird und eine Zusammenarbeit mit anderen daher schneller zum Ziel führen kann. Aus diesem Grund ist es für Koreaner besonders wichtig, zuverlässige Beziehungen und Kontakte zu haben. Raum und Zeit in der psychomotorischen Förderung Unter den Begriff »Raum« fallen nicht nur physische Gegenstände oder Umgebungen, sondern auch soziale Felder und menschliches Erleben. Kessl und Reutlinger definieren Raum »als territoriale Bedingung oder Umgebung sozialer Zusammenhänge« (Kessl/ Reutlinger 2007, 7). Das weist darauf hin, dass der Raum mit der Interaktion zwischen Menschen (z. B. Macht in der Beziehung bzw. Dynamik im sozialen Netzwerk) verknüpft ist. Diese menschliche Interaktion in einem Raumgebiet (Lebensort) konstruiert eigene Erfahrungen. Gemeinsame Erfahrungen können wiederum in einem sozialen Raum zu einer eigenen kulturellen Eigenschaft einer menschlichen Gruppe führen. Daher hat Kultur eine räumliche Bedeutung, die nicht nur von dem Lebensort, sondern auch von kollektiven Handlungsweisen sowie Gedanken durch Raumerle- Monochronic Verhaltensmuster Polychronic Verhaltensmuster ■ Eine Aufgabe auf einmal ■ Verschiedene Tätigkeiten auf einmal ■ Konzentration auf die Arbeit ■ Leicht ablenkbar und vorbehaltliche Unterbrechungen ■ Zeit wird streng planmäßig genutzt ■ Zeit nehmen, um ein Ziel zu erreichen ■ Low-Kontext und Bedarf an Information ■ High-Kontext und bereits Information vorhanden ■ Verantwortung für Tätigkeit bzw. Arbeit ■ Verantwortung für Menschen und menschliche Beziehung ■ Andere Beteiligte nicht stören, Regeln der Privatsphäre befolgen und berücksichtigen ■ Häufiger und leichter Wechsel des Plans ■ Hochschätzung des privaten Besitzes ■ Kurzfristige Beziehung ■ Hochschätzung der lebenslangen zwischenmenschlichen Beziehung lung des Horizontes auf asiatischen Bildern hat zur Folge, dass der Betrachter eine Vogelperspektive einnimmt und von oben auf die Szenerie blickt. Auf diese Weise hat er einen größeren Überblick und kann mehrere Informationen zusammenhängend verstehen. Im Gegensatz dazu ist der Horizont auf westlichen Landschaftsbildern häufig niedriger angeordnet, was der natürlichen Perspektive des Betrachters (Frontalansicht) entspricht. Diese Frontalansicht führt dazu, dass der Betrachter sich auf die wesentlichen Aspekte der Objekte konzentrieren kann (Masuda et al., 1262 ff ). Diese kulturellen Besonderheiten von Gemälden zeigen sich auch auf Zeichnungen von koreanischen und deutschen Kindern (Row 1988). Interkulturelle Perspektiven der zeitlichen Struktur Die Zeit ist eigentlich unwahrnehmbar, dennoch ist sie durch Veränderungen und Bewegungen der Objekte zu spüren. Vor allem kann der Mensch die Zeitwahrnehmung nutzen, um eine gemeinsame Struktur und Ordnung in den menschlichen Tätigkeiten und Gruppierungen zu erhalten. Im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung wurden innerhalb der Kulturen und Institutionen eigene innere Systemzeiten übermittelt, die von der Lebenszeit und dem Zeitbewusstsein einzelner Menschen unabhängig sind (Grözinger 2007, 32). Aus der interkulturellen Sicht lassen sich monochrone und polychrone Verhaltensmuster in Bezug auf die zeitlichen Verhaltensweisen unterscheiden (Hall/ Hall 2003, 15; Tab. 1). Bei der monochronen Zeiteinteilung und Arbeitsweise erfolgt eine Orientierung vorwiegend Tab. 1: Differenzierung von monochronem und polychronem Verhaltensmuster (Hall / Hall 2003, 15) [ 70 ] 2 | 2017 Forum Psychomotorik ben ausgeht. Dieser Raumbegriff ist im psychomotorischen Praxisfeld zu verwenden. Denn ein psychomotorischer Raum soll sinnvolle Erfahrungen sowie vor allem Raum für die jeweiligen inneren Themen der Kinder bieten. Die Kinder dürfen Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen aussprechen werden, die auch berücksichtigt werden. Diese Erfahrungen im psychomotorischen Raum, die die Kinder durch Bewegen sowie Wahrnehmen erleben, führen zu eigenen Handlungsweisen und Weltanschauungen in der realen Lebenswelt. In diesem Zusammenhang könnte sich - aus interkultureller Sicht - die kindliche räumliche Wahrnehmung je nach kultureller Zugehörigkeit daher unterschiedlich entwickeln. Die Strukturierung der psychomotorischen Förderstunde, bezogen auf den zeitlichen Aspekt, orientiert sich an Rhythmen. Eine Anfangsrunde und eine Reflexion am Ende der Förderung werden als Rituale eingeführt. Mithilfe dieser Rituale sind die Kinder in der Lage, Erfahrungen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft besser zu erfassen. Empirische Untersuchung Setting In der Untersuchung wurden jeweils zwei Psychomotorik-Gruppen in Seoul (Korea) und Nordrhein-Westfalen (Deutschland) beobachtet und analysiert. Jede Förderstunde umfasst ca. 60 Minuten. Die UntersuchungsteilnehmerInnen sind deutsche und koreanische PsychomotorikerInnen sowie Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren, die psychomotorisch gefördert werden. Methodik Nach Passolt / Pinter-Theiss (2003, 76) können die Phasen in der psychomotorischen Stunde zeitlich durch die in Tab. 2 dargestellten Aktivitäten eingeteilt werden. Anhand dieses Modells werden die deutschen und koreanischen Förderstunden zeitlich miteinander verglichen (Abb. 3). Vergleichspunkte sind z. B., von wem eine Phase eingeleitet wird, wie viele Phasen inner- Tab. 2: Psychomotorische Praxisstundenentwicklung (Passolt / Pinter-Theiss 2003, 76) Zeitablauf der psychomotorischen Förderung Anfang ______________Mitte___________________________________Ende Ankommen Begrüßung (Erstes Spiel) Extensives Spiel oder Intensives Spiel Einführung ■ Kreative Arbeit ■ Wertschätzung ■ (Rollen)Spiel Ruhe Entspannung Reflexion Nachklang Abb. 3: Phasen und Aktivitäten in der psychomotorischen Stunde 125 0% 20% 40% 60% 80% 100% Gruppe 2 Korea Gruppe 1 Korea Gruppe 2 Deutschland Gruppe 1 Deutschland Ankommen Begrüßung/ Diskussion Erstes Spiel Zweites Spiel Pause/ Zwischengespräch Drittes Spiel Reflexion/ Abschied [ 71 ] Kim • Räumliche Wahrnehmung sowie zeitliche Strukturen 2 | 2017 halb einer psychomotorischen Stunde durchlaufen werden, ob alle Mitglieder gleichzeitig zusammen oder alleine während einer Phase spielen und wie lange jeweils eine Phase in der Förderstunde dauert. Des Weiteren werden Kinderzeichnungen von Bewegungslandschaften miteinander verglichen, denn wie oben skizziert kann die räumliche Wahrnehmung in der psychomotorischen Förderung von kulturellem Erleben abhängig sein. Hierzu malen Kinder Bewegungslandschaft auf ein weißes DIN-A4-Papier, welches innerhalb des psychomotorischen Settings zur Verfügung gestellt wurde. Zum Vergleich der Bewegungslandschaftsbilder werden drei Kriterien verwendet: Perspektive der BetrachterInnen, durchschnittliche Höhe des Horizontes und Zahl der gemalten Objekte. Ergebnisse Die Auswertung der gezeichneten Bewegungslandschaften zeigt bzgl. der räumlichen Wahrnehmung Folgendes: Die durchschnittliche Position der Horizonte bei den Bildern der deutschen Kinder liegt bei einer Höhe von 3,37 cm. In den meisten Fällen wurde die Bewegungslandschaft von den deutschen Kindern aus der frontalen Perspektive wahrgenommen. Sie malten Objekte, die sie von ihrem Gesicht aus hoch im Raum bemerkten. Dagegen ist die durchschnittliche Stellung der Horizonte auf den koreanischen Bildern in 5,74 cm Höhe des Blattes. Im Durchschnitt sind 5,7 Objekte auf den Bildern der koreanischen Kinder abgebildet. Von fünf koreanischen Kindern wird die Bewegungslandschaft aus der Vogel-Multiperspektive dargestellt. Um besser zu vergleichen, werden zwei Zeichnungen der deutschen Kinder als Exemplar zum Thema Bewegungslandschaft in Abb. 3 gezeigt. Abb. 4 zeigt die niedrige Stellung des Horizontes. Die Objekte befinden sich auf beiden Bildern im unteren Teil des Blattes. Auf Bild D1 war der Horizonte der Objekte bei Null (ganz unten) angesiedelt. Auf Bild D2 ist die Bewegungslandschaft im unteren Teil des Blattes angeordnet, obwohl die Bewegungslandschaft aus der Vogelansicht dargestellt wurde. Die zwei Bewegungslandschaftsbilder der koreanischen Kinder sind beispielhaft in Abb. 5 dargestellt. Die Objekte der Bewegungslandschaften werden dezentral auf dem Blatt dargestellt. Die meisten koreanischen Kinder malten die Sachen nicht nur im unteren Teil, sondern auch vermehrt Abb. 4: Die Bewegungslandschaftszeichnungen der deutschen Kinder (D1 und D2) Abb. 5: Die Bewegungslandschaftszeichnungen koreanischer Kinder (K1 und K2) [ 72 ] 2 | 2017 Forum Psychomotorik in der Mitte bzw. im oberen Teil des Blattes. Vor allem auf Bild K2 wäre die Form des Matte-Bergs in der Realität unmöglich. Hier werden die frontale Sicht und die Vogelperspektive, bezogen auf die visuelle Wahrnehmung des Objektes, gemischt. Die Kinder mit der Vogelperspektive (wie K2) malten den Raum nicht so, wie sie ihn sahen, sondern sie schätzten die Positionen der Objekte durch den Überblick von oben ein. Der Nutzungsgrad des ganzen Blattes bildet einen eindeutigen Unterschied zwischen den Bildern von deutschen und koreanischen Kindern. Die meisten koreanischen Kinder haben den oberen und unteren Teil, aber auch die Mitte des Blattes zum Malen verwendet. Dagegen haben die deutschen Kinder den oberen Teil des Blattes kaum zum Malen genutzt. Auf einigen Bildern ist die große Landschaft zwar auf dem ganzen Papier gemalt (D2), im oberen Teil des Bildes wurden jedoch kaum Objekte platziert. Weiterhin zeichneten die meisten koreanischen Kinder mehrere Objekte, Teile der Bewegungslandschaft und auch Mitglieder der Gruppe. Auch solche Gegenstände, die eigentlich keinen direkten Bezug zur Bewegungslandschaft haben (z. B. Lampe, Fenster, Türen, stehende Matten an der Wand). Dies deutet darauf hin, dass die koreanischen Kinder, gemäß der koreanischen Kultur, auch auf den kontextbezogenen Hintergrund achten. Im Vergleich dazu malten die deutschen Kinder nur ein Teil bzw. einige wenige Teile, die sie für sich als sinnvoll erachteten. Die Ergebnisse bezüglich der zeitlichen Strukturen der psychomotorischen Förderungen lassen sich wie folgt darstellen: Die deutschen Gruppen 1 und 2 weisen einige Unterschiede in den zeitlichen Strukturen der psychomotorischen Förderung auf. Die deutsche Gruppe 2 hat drei Phasen zum Spielen, im Vergleich dazu hat die deutsche Gruppe 1 zwei Spielphasen. Außerdem beginnen die Kinder aus Gruppe 2 mit einem gemeinsam ausgewählten und durchgeführten Aufwärmspiel. Die Kinder aus Gruppe 1 können sich hingegen entscheiden, wer mit wem (oder allein) was spielen möchte. Die koreanischen Gruppen 1 und 2 haben beide drei Spielphasen. Als eine Besonderheit kam bei Gruppe 2 eine ruhige Aktivität (Massage) in der dritten Spielphase anstatt einer Pause vor. Die Kinder der koreanischen Gruppe 1 konnten sich entweder für Entspannung oder ein ruhiges Spiel in der dritten Spielphase entscheiden. Es hat sich gezeigt, dass die grundlegenden Strukturen (Gesprächsrunde, zwei bis drei Spielphasen, Reflexionen, kleine Pause zwischendurch, Entspannungseinheiten) in deutschen und koreanischen psychomotorischen Förderstunden ähnlich sind. Der größte zeitliche Unterschied liegt darin, dass sich in Korea weniger Zeit genommen wird, um sich innerhalb von Gesprächen über Spielideen und -angebote auszutauschen. Vielmehr werden das Thema und die damit verbundenen Regeln von PsychomotorikerInnen vorgegeben, wobei die Kinder eigene Spielideen einbringen und anknüpfen können. In vielen Fällen bekommen die Kinder genaue Anweisungen, wie sie welche Spielzüge auszuführen haben, oder bekommen dies sogar aktiv vorgemacht. Insgesamt beinhalten die koreanischen Förderstunden mehr Spielzeit als die deutschen Fördereinheiten. Im Gegenzug dazu gibt es in deutschen Fördergruppen mehr Diskussionszeit: bei der Begrüßung, nach der Pause und innerhalb der Reflexionsrunde, in der die Kinder den Spielplan absprechen, Anweisungen erklären, Gruppen bilden und Regeln bestimmen. Um Zeitbegrenzungen und Regeln zu sichern, bringen sich die PsychomotorikerInnen teilweise in das Gespräch ein, wobei die meisten Ideen für die Förderstunde aber von den Kindern selbst stammen. In Bezug auf die Gruppenaufteilung bei Mannschaftsspielen verwenden die Kinder in Deutschland und Korea unterschiedliche Vorgehensweisen. In der deutschen Gruppe haben die Kinder ihre Teams untereinander abgesprochen, wohingegen die koreanischen Kinder unter Eingriff der PsychomotorikerInnen in zwei Teams geteilt werden, die gleich stark sein sollten. Während bei den koreanischen Kindern gemeinsame Spiele viel häufiger gefordert wurden, Beim Malen achten die koreanischen Kinder auf den kontextbezogenen Hintergrund. [ 73 ] Kim • Räumliche Wahrnehmung sowie zeitliche Strukturen 2 | 2017 wollten die deutschen Kinder gemeinsam spielen, aber nur unter der Bedingung, dass sie entweder selbst einverstanden sind oder die Mehrheit entscheidet. Darüber hinaus durften die deutschen Kinder individuellen Aktivitäten im Vergleich häufiger nachgehen als die koreanischen Kinder. Bezüglich der oben genannten kulturellen Aspekte können folgende Punkte abschließend diskutiert werden: Eine deutsche kulturelle Eigenschaft ist nach Hall (1990) die »monochronic-Zeitempfindung«. Diese wurde auch in einigen Fällen in den deutschen psychomotorischen Förderstunden sichtbar: Die Stunden und die Spielaktivitäten fanden planmäßig und mit mehr individuellen Aufgaben statt. Dagegen herrscht in den koreanischen Gruppen keine große Absprache, allerdings muss dabei betont werden, dass alle Kinder zu einem vorgegebenen Thema gemeinsam spielen können. Nach Hall (1990) zeigt sich hier, dass die kooperative Arbeit im Sinne der »polychronic-Zeitempfindung« für die koreanische Gesellschaft bedeutsamer ist. Fazit Im Mittelpunkt des Beitrags stand die Idee, aufzuzeigen, dass sich die Psychomotorik je nach kulturellem Kontext verändert und weiterentwickelt. Skizziert werden sollten kulturelle Einflüsse, die in den theoretischen Grundlagen und der darauf basierenden empirischen Untersuchung sichtbar werden. So bestehen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Differenzen bei den zeitlichen Strukturen und der räumlichen Wahrnehmung von Bewegungslandschaften bei deutschen und koreanischen Kindern in der psychomotorischen Förderung. Trotz der Untersuchungsgrenzen (z. B. geringer Anzahl an Stichproben, unterschiedliche Entwicklungsstände der Psychomotorik in Deutschland und Korea) können Hinweise darauf gegeben werden, dass sich pädagogische Methoden und Konzepte auf kulturelle Erfahrungen der Menschen beziehen, da nicht nur die individuelle Persönlichkeit, sondern auch die soziale Identität durch die Erziehung / Pädagogik weiter entwickelt werden. Daher wäre es für die Psychomotorik bedeutsam, eine Kompromissbereitschaft zwischen den eigenen kulturherkömmlichen und den gesellschaftlich geforderten Bedeutungen im Rahmen der Pädagogik zu finden. Literatur Eggert, D., Bertrand, L. (2002): RZI - Raum-Zeit-Inventar. Borgmann, Dortmund Grözinger, H. (2007): Körpererfahrung, Bewegungs- und Bewusstseinsentwicklung. Diss. TU München Hall, E. T. (1990): The silent Language. Anchor books, New York Hall, E. T., Hall, M. (2003): Understanding cultural differences. Key to success in West Germany, France and the United States. Intercultural Press, Yarmouth Kessl, F., Reutlinger, C. (2007): Sozialraum - Eine Einführung. VS Verlag, Wiesbaden Masuda, T., Gonzalez, R., Kwan, L., Nisbett, R. E. (2008): Culture and Aesthetic Preference: Comparing the Attention to Context of East Asians and European Americans. The Personality and Social Psychology, Vol. 34, 1260-1275 Passolt, M., Pinter-Theiss, V. (2003): »Ich hab eine Idee …«. modernes lernen, Dortmund Row, Y. (1988): Grundmerkmale der Kinderzeichnung. Eine vergleichende Untersuchung von Kinderzeichnungen koreanischer und deutscher Kinder bis zum 12. Lebensjahr. Dissertation, Universität Gießen Die Autorin Dr. phil. Hee-Young Kim Psychologin, langjährige Tätigkeit in einem Rehabilitationszentrum in Seoul (Korea) sowie in einem Integrationskindergarten in Herten. Zurzeit in Elternzeit. Anschrift Dr. phil. Hee-Young Kim Bahnhofstr. 179 B D-59759 Arnsberg growth19@naver.com