eJournals motorik 41/4

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
101
2018
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Handeln - Sprechen - Schreiben als konzeptionelle Grundlagen für den Schriftspracherwerb von Kindern

101
2018
Michael Wendler
Der Beitrag führt aktuelle Erkenntnisse des Schriftspracherwerbs und gegenwärtige Vorstellungen über das Vorgehen und die Inhalte grafomotorischer Förderung im Übergang vom Kindergarten zur Grundschule zusammen. Das Konzept Handeln - Sprechen - Schreiben dient hierbei als Leitlinie grafomotorischer Förderung und kennzeichnet einen mehrdimensionalen Prozess, der die Komplexität der Entwicklung ebenso einbezieht wie die Lernausgangslage des Kindes. Innerhalb dieser Darstellung wird der Sprache mehr Bedeutung für Einsichten in den Schriftspracherwerb beigemessen als das bisher in grafomotorischen Konzepten der Fall war.
7_041_2018_004_0190
Zusammenfassung / Abstract Der Beitrag führt aktuelle Erkenntnisse des Schriftspracherwerbs und gegenwärtige Vorstellungen über das Vorgehen und die Inhalte grafomotorischer Förderung im Übergang vom Kindergarten zur Grundschule zusammen. Das Konzept Handeln - Sprechen - Schreiben dient hierbei als Leitlinie grafomotorischer Förderung und kennzeichnet einen mehrdimensionalen Prozess, der die Komplexität der Entwicklung ebenso einbezieht wie die Lernausgangslage des Kindes. Innerhalb dieser Darstellung wird der Sprache mehr Bedeutung für Einsichten in den Schriftspracherwerb beigemessen als das bisher in grafomotorischen Konzepten der Fall war. Schlüsselbegriffe: Grafomotorik, Schriftspracherwerb, phonologische Bewusstheit, Symbolbewusstheit, grafomotorische Förderung Acting-Speaking-Writing as a conceptual basis for children’s acquisition of literary language The article combines current results of developing literacy with present ideas about methods and contents of promoting graphomotor skills during the transition period from kindergarten to primary school. The concept acting-speaking-writing is used as a guideline of promoting graphomotor skills and defines a multidimensional process that involves the complexity in developing as well as individual learning capabilities of the child. Within this article, the significance of language for insights in the acquisition of literacy has gained more importance in graphomotor concepts than ever before. Key words: Graphomotor skills, learning literary language, phonological awareness, symbolic awareness, promotion of graphomotor development [ TITELRUBRIK ] 4| 2018 motorik, 41. Jg., 190-199, DOI 10.2378 / mot2018.art29d © Ernst Reinhardt Verlag [ 190 ] [ FACHBEITRAG ] Handeln - Sprechen - Schreiben als konzeptionelle Grundlagen für den Schriftspracherwerb von Kindern Leitlinien einer anregungs- und sprachbezogenen grafomotorischen Förderung Michael Wendler Sprache und Schriftsprache sind wichtige Schlüsselkompetenzen, die eng mit der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes verknüpft sind und die Grundlage für eine aktive Teilhabe an unserer Gesellschaft und die Bildungschancen von Kindern legen. Es steht außer Frage, dass kaum ein Lernbereich derart weitreichenden Einfluss auf die weitere schulische und berufliche Entwicklung hat, wie das Beherrschen der Schriftsprache (Schneider 2017, 15). Alle Kinder frühzeitig in ihrer Entwicklung von Schriftspracherwerbskompetenzen zu unterstützen, kann zu einer Chancengerechtigkeit beitragen. So ist die Unterstützung und Förderung kindlicher Sprachkompetenzen als Teil des Schriftspracherwerbs in den Mittelpunkt des pädagogischen Alltags gerückt und stellt in allen deutschen Bundesländern einen zentralen Bildungs- und Erziehungsbereich dar. In diesem Bildungsverständnis wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sich Kinder Schriftsprache nicht nur im Rahmen der Schule aneignen - für die meisten Kinder ist sie schon vor Schuleintritt bedeutsam. Kinder entdecken bereits im Elementarbereich die Bedeutsamkeit von Schrift in ihren Alltagserfahrungen. Kindern wird regelmäßig vorgelesen und sie können »schriftkundige« Menschen in ihrer Umgebung bei Schrifttätigkeiten (z. B. beim Zeitungslesen oder beim Anfertigen eines Merkzettels) [ 191 ] Wendler • Handeln - Sprechen - Schreiben 4| 2018 beobachten. Oft werden in diesem Umfeld Kinder in schriftbezogene Handlungen, wie etwa bei der Erstellung eines Einkaufszettels, einbezogen und erkennen dadurch auf vielfältige Weise die Bedeutung von Schrift - sie begreifen Lesen und Schreiben als wichtige Tätigkeiten (Füssenich 2012, 8) und können bei Eintritt in die Kindertageseinrichtung, und später in der Schule, an diese handlungsgebundenen und bedeutsamen Einsichten anknüpfen. Ein mehrdimensionales Konzept zum Schriftspracherwerb, welches die alltäglichen Begegnungen mit Sprache und Schrift aufgreift und fortführt, bildet demnach eine zentrale Querschnittsaufgabe von Kindertagesstätten und Schulen (Bildungsserver Rheinland-Pfalz o. J.). Bedeutung des Schriftspracherwerbs Um sich auf Schrift einlassen zu können, benötigen Kinder einerseits grundlegende Fähigkeiten der gesprochenen Sprache. Andererseits verändert und erweitert die Schrift Fähigkeiten der mündlichen Sprache (Füssenich / Geisel 2008, 4). Sprache wird als wesentliche Komponente hervorgehoben, weil ihre Entwicklung in enger Beziehung zum Denken steht. Im Begriff Schriftsprache kommt die Umsetzung von der Lautsprache zum Ausdruck. Der Terminus Schriftspracherwerb, als Erweiterung des Spracherwerbs, drückt im Besonderen das Verständnis von Aktivität und Aneignung im Prozess des Lesens und Schreibens der Lernenden aus (Schründer-Lenzen 2013, 12). Als zentrale Leitidee gilt, dass der Schriftspracherwerb als Entwicklungsprozess zu betrachten ist, der die Anforderungen und interaktiven Aspekte im Spracherwerb auch hinsichtlich kognitiver Vorgänge betrachtet (Schründer- Lenzen 2013, 12). Wesentlich dabei ist, dass möglichst an den individuellen Erfahrungen der Kinder mit (Schrift-)Sprache angeknüpft wird (Schneider 2017, 112 f ). Lesen und Schreiben sollen als soziale Handlungen möglichst viele Aktivitäten bestimmen und die Kinder sollen dazu aufgefordert werden, gleich zu Beginn des Schriftspracherwerbs schreibend ihre Erfahrungen aus ihrer eigenen Lebenswelt festzuhalten (Günther / Fritsch 2015, 161). Dabei spielt es anfangs keine Rolle, ob die Verschriftungen der Wörter korrekt ausfallen (Schneider 2017, 113). Demnach brauchen Kinder keine Belehrung, sondern können ihr Wissen selbst entdecken und sich aneignen, indem sie mit Schriftsprache auf unterschiedliche Weise umgehen. Grafomotorik als Teil des Schriftspracherwerbs In der psychomotorischen Fachliteratur hat der Terminus Grafomotorik in den letzten Jahrzehnten einen inhaltlichen Wandel erfahren, so dass sich zwei Grundströmungen unterteilen lassen. Für die vorwiegend aus den Anfängen der Auseinandersetzung mit dem Erwerb des Lesens und Schreibens entwickelte Ausrichtung gilt, dass die Schrift als Produkt von (Schreib-)Bewegung entsteht (Schilling 1990; Naville 1991; Rix 2000). Grafomotorik wird somit als Entwicklung der motorischen Befähigung zum Schreiben in Verbindung mit Wahrnehmungsleistungen verstanden. In der damaligen vorherrschenden eher medizinisch ausgerichteten Ereignisfolge der Entwicklung des Kindes (Neuro-, Senso-, Psycho- und Soziomotorik) ist die Fortführung des Bereichs Grafomotorik folgerichtig und konsequent. Gleichwohl fokussiert diese Sichtweise den Schwerpunkt auf die gelungene Darstellung von Grundformen der Schrift (Punkte, Kreise, Striche etc.) und einer angemessenen Stifthaltung. Obwohl dieser Ansatz ständig weitere Aspekte, wie beispielsweise Handgeschicklichkeit, Auge- Hand-Koordination, visuomotorische Kontrolle, Bewegungsplanung und -vorstellung u. a., in die Überlegungen aufnahm, so bleibt das Verständnis von Grafomotorik doch auf die Funktionalität motorischer Vorgänge (Koordination, Kraft, Ausdauer u. a.) bei der Schreibhandlung beschränkt. Innerhalb der zweiten Strömung wird Grafomotorik als menschliche Fähigkeit beschrieben, die aus einem Gefüge von psychischen und physischen Funktionen in Abhängigkeit von sozialen Einflüssen entsteht, die den Schriftspracherwerb ermöglichen (Schäfer 2006; Wendler 2007; Vetter et al. 2009). Grafomotorik und der Erwerb des Lesens und Schreibens wird hier unter indi- [ 192 ] 4| 2018 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis viduellen Ausgangslagen und im gesellschaftlichen Kontext gesehen. Die grafomotorischen Fähigkeiten bieten hier die Möglichkeit zum Ausdruck, zur grafischen Darstellung und Kommunikation. In der aktuellen Diskussion wird daher Grafomotorik als komplexes Phänomen gesehen, das die Voraussetzungen für den Schriftspracherwerb bildet. Grafomotorik umfasst demnach die Entwicklung der dem Schriftspracherwerb zugrundeliegenden psychomotorischen Fertigkeiten und Wahrnehmungsfunktionen, die manuelle Funktionsspezialisierung (Händigkeit) in der Ontogenese sowie kognitive, sprachliche und psychische Fertigkeiten, die sich im Umgang mit gesprochener und geschriebener Sprache konkretisieren. Innerhalb dieser Überlegungen wird der Schlüsselfunktion der Feinmotorik sowohl für die Artikulation des Sprechens als auch für die Umsetzung der Gedanken in Schrift nicht widersprochen, aber in der komplementären Verflechtung mit anderen essentiellen Komponenten des Schriftspracherwerbs betrachtet. Entsprechend der Bildungspläne von Elementar- und Primarbereich ist es auch aus psychomotorischer Perspektive erforderlich, den kindlichen Zugang zur Schrift zu erfassen und Kindern die Funktion von Sprache und Schrift auf körper- und bewegungsorientierter Weise aufzuzeigen (hierzu Fischer in diesem Heft). Dies betrifft ihre Zugriffsweisen, ihre Vorstellungen von Schrift und ihr individuelles Lernverhalten sowie ihre Entwicklung. Um die wesentlichen theoretischen Bezugspunkte grafomotorischer Förderung zu verdeutlichen, werden zunächst einzelne Entwicklungsbereiche im Funktionsgeschehen des Schriftspracherwerbs dargestellt und in der Modellvorstellung »Handeln - Sprechen - Schreiben« eingebunden. Kernstückeiner vertiefenden Begründung bilden die verschiedenen Zugangsebenen der Abstraktion nach Bruner (1974; 2002). Hierbei wird zwischen drei Repräsentationsebenen (enaktiv, ikonisch und symbolisch) zum Erschließen von Sachverhalten unterschieden. Innerhalb dieser Diskussion soll deutlich werden, dass Repräsentationen prinzipiell in eine andere Repräsentationsform übersetzt werden können und erst die Verknüpfung der drei Modi zu einem umfassenden Verständnis eines komplexen Sachverhaltes führt. Handeln - Sprechen - Schreiben als entwicklungsorientiertes Konzept Innerhalb des hier abgesteckten Entwicklungsrahmens berücksichtigt das grafomotorische Förderkonzept die Anteile der Psychomotorik eines Menschen, deren Zusammenspiel innerhalb der Person-Umwelt-Interaktion den Schriftspracherwerb ermöglicht. In diesem Sinne gibt das Schema in Abbildung 1 einen guten Überblick, weil es sowohl das komplexe Funktionsgeschehen der Grundleistungen und grundlegenden Operationen von Bewegung und Wahrnehmung mit ihren peripheren und zentralen Komponenten des Sprechens und der Schriftsprachentwicklung darstellt als auch die Abfolge der Entwicklungsschritte verdeutlicht. Die einzelnen Funktionssysteme sind nicht hierarchisch zu verstehen, sondern als gleichwertig. Eine Rangfolge sieht der Autor in den drei Kodierungsvorgängen, die den Erwerb der Schriftsprache ermöglichen: Auf unterster Ebene steht die Handlungsebene mit den unterschiedlichen Funktionssystemen der Wahrnehmung, die als eine allgemeine und umfassende Bezeichnung für den Informationsgewinn aus den Umweltsignalen bewertet wird und somit in Verbindung mit dem Bewegungshandeln den Ausgangspunkt aller kognitiven Prozesse darstellt. Die zweite Kodierungsebene ist die der Lautsprache, auf der sich die Schriftsprache als dritte Transformationsebene aufbaut. Weitgehend Einigkeit herrscht darin, dass Schriftspracherwerb aus einer kindzentrierten Perspektive zu betrachten ist und eine Könnens- Didaktik hervorbringt, in der sich die pädagogische Fachkraft drei Fragen zu stellen hat (Schründer-Lenzen 2013, 71): 1. Was kann das Kind schon? 2. Was muss es noch lernen? 3. Was kann es als Nächstes lernen? Das praxiserprobte Drei-Stufen-Modell von Bruner (1974, 16 ff; 2002) eröffnet der pädagogischen Fachkraft drei geeignete Zugriffsweisen für die praktische Arbeit im Elementarbereich und Erstsprachunterricht, die je nach Entwicklungsstand des Kindes zu variieren sind: Abb. 1: Polyfunktionales Modell des Schriftspracherwerbs (angelehnt an Günther 1994, 35) Verbo-sensorisches System Auditives System Emotionales System Taktil-kinästhetisches System Kognitives System Soziales System Visuelles System Biologische und neurophysiologische Voraussetzungen Soziokulturelle Voraussetzungen Kommunikation im weitesten Sinne Lautsprache Schriftsprache [ 193 ] Wendler • Handeln - Sprechen - Schreiben 4| 2018 Handeln - Sprechen - Schreiben als entwicklungsorientiertes Konzept Innerhalb des hier abgesteckten Entwicklungsrahmens berücksichtigt das grafomotorische Förderkonzept die Anteile der Psychomotorik eines Menschen, deren Zusammenspiel innerhalb der Person-Umwelt-Interaktion den Schriftspracherwerb ermöglicht. In diesem Sinne gibt das Schema in Abbildung 1 einen guten Überblick, weil es sowohl das komplexe Funktionsgeschehen der Grundleistungen und grundlegenden Operationen von Bewegung und Wahrnehmung mit ihren peripheren und zentralen Komponenten des Sprechens und der Schriftsprachentwicklung darstellt als auch die Abfolge der Entwicklungsschritte verdeutlicht. Die einzelnen Funktionssysteme sind nicht hierarchisch zu verstehen, sondern als gleichwertig. Eine Rangfolge sieht der Autor in den drei Kodierungsvorgängen, die den Erwerb der Schriftsprache ermöglichen: Auf unterster Ebene steht die Handlungsebene mit den unterschiedlichen Funktionssystemen der Wahrnehmung, die als eine allgemeine und umfassende Bezeichnung für den Informationsgewinn aus den Umweltsignalen bewertet wird und somit in Verbindung mit dem Bewegungshandeln den Ausgangspunkt aller kognitiven Prozesse darstellt. Die zweite Kodierungsebene ist die der Lautsprache, auf der sich die Schriftsprache als dritte Transformationsebene aufbaut. Weitgehend Einigkeit herrscht darin, dass Schriftspracherwerb aus einer kindzentrierten Perspektive zu betrachten ist und eine Könnens- Didaktik hervorbringt, in der sich die pädagogische Fachkraft drei Fragen zu stellen hat (Schründer-Lenzen 2013, 71): 1. Was kann das Kind schon? 2. Was muss es noch lernen? 3. Was kann es als Nächstes lernen? Das praxiserprobte Drei-Stufen-Modell von Bruner (1974, 16 ff; 2002) eröffnet der pädagogischen Fachkraft drei geeignete Zugriffsweisen für die praktische Arbeit im Elementarbereich und Erstsprachunterricht, die je nach Entwicklungsstand des Kindes zu variieren sind: Abb. 1: Polyfunktionales Modell des Schriftspracherwerbs (angelehnt an Günther 1994, 35) Verbo-sensorisches System Auditives System Emotionales System Taktil-kinästhetisches System Kognitives System Soziales System Visuelles System Biologische und neurophysiologische Voraussetzungen Soziokulturelle Voraussetzungen Kommunikation im weitesten Sinne Lautsprache Schriftsprache 1. Die handelnde (enaktive) Stufe Auf dieser ersten und untersten Stufe beschäftigen sich die Kinder ganz konkret im Spiel mit den sie direkt umgebenden Gegenständen, den greifbaren Materialien, den sichtbaren Personen und den erkennbaren Vorgängen aus ihrer unmittelbaren Lebenswelt der Familie, Kita oder Schule. Sie nehmen z. B. einen Ball in die Hand, werfen ihn der Mutter oder dem Vater zu. Die Kinder entwickeln hier räumliche Vorstellungen, weil alles dreidimensional und greifbar ist. Das handlungsbegleitende Sprechen schafft erste Bezüge zum Symbolbewusstsein. 2. Die bildhafte (ikonische) Stufe Auf dieser zweiten Stufe erfolgen das Lernen und die Weltaneignung des Kindes jetzt zweidimensional, d. h. hier arbeitet die pädagogische Fachkraft mit selbst gemalten Bildern, Fotografien, selbst erstellten Zeichnungen, Skizzen oder einer Power-Point-Präsentation. Bei der ikonischen Weltaneignung können auch die (Neuen) Medien wie Fernsehen und Computer eine bedeutsame Rolle spielen. Bei Kindern, die mit der Sprache, den Begriffen und den Vorstellungen noch Probleme haben, muss aber immer wieder auf die erste Stufe zurückgegangen werden. 3. Die sprachliche (symbolische) Stufe Auf dieser obersten und dritten Stufe arbeitet das Kind auf einem sehr abstrakten Niveau und lernt zunehmend, mit abstrakten Zeichen und Symbolen, mit Logos und Piktogrammen mit Lauten, Zahlen und Buchstaben umzugehen. Hier kommt es jetzt stetig zu Überlagerungen und zum Vermischen zwischen der gesprochenen Sprache und den ersten Aneignungsprozessen der Schrift, dem Lesen und Schreiben. Auf dieser obersten Stufe ist der Rückgriff insbesondere auf die zweite Stufe der Bilder zur besseren Verständigung und sprachlichen Darstellung notwendig. Günther / Frisch (2015, 132) betonen einen Paradigmenwechsel (von der Orientierung an Methoden hin zum Kind) und dass die Aneignung der Wirklichkeit und Lebenswelt der Kinder in ihrer symbolischen Form bereits vor der Schule gefördert und gefordert werden sollte. Der Schriftspracherwerb - in seinen primären Stufen - ist in diesem Sinne bereits ein wichtiges Thema für die Arbeit im Elementarbereich. Bewegungshandeln ist Erfahrungslernen Bewegungshandlungen bilden den Ausgangspunkt der Weltaneignung und werden verstanden [ 194 ] 4| 2018 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis als weitgehend selbstmotivierte spielerische, experimentierende, explorierende Handlungen des Kindes mit sich selbst und der dinglichen wie sozialen Umwelt. In diesen Handlungen sind immer Wahrnehmung und Empfindung, Fühlen und Denken gleichermaßen beteiligt (Beudels 2016, 51). Lernen in der Kindheit bedeutet damit in erster Linie Erfahrungslernen, so dass Fischer (2016, 66) in diesem Sinne Handeln als Erkundungsaktivität versteht und Wahrnehmungslernen zum aktiven Suchen nach sinnvollen Angeboten in der Umgebung dient. Erkundungsaktivitäten des Kindes werden somit zum Medium, über die das Kind seine Handlungsziele verwirklicht. Vor dem Hintergrund heterogener Gruppen im Schriftspracherwerb (Bildungsserver Rheinland- Pfalz weist zwei bis drei Jahre Unterschied aus) und unter Bezugnahme auf Gudjons (2003, 34 ff ) wird Projektarbeit als umfassendes und vielversprechendes Konzept für handlungsorientiertes Lehren und Lernen gesehen, weil sie neben der Möglichkeit der Differenzierung Eigenaktivität und (methodische) Selbstständigkeit, Kreativität und Teamfähigkeit in besonderem Maße fördert (Paradies / Linser 2005, 15). Folgende Projektideen haben sich in grafomotorischen Fördergruppen bewährt, in denen einerseits die unterschiedlichen kindlichen Interessen und andererseits die verschiedenen Förderansprüche in der Entwicklung der Kinder berücksichtigt werden können: ■ Indianer ■ Spielplatz / Zirkus ■ Tierpark/ Zoo ■ Umzug ■ Luxushotel ■ Schiffe und Hafenlandschaft ■ Urwald ■ Eskimos ■ Flughafen und Flugzeuge Abbildung 2 zeigt die inhaltliche Vielfalt eines Projektthemas am Beispiel »Indianer«, wobei nicht von einer einseitigen Themenbearbeitung ausgegangen wird, sondern von einem wechselseitigen Wirkungsverhältnis. Bedeutungen als Zentrum des Spracherwerbs Zimmer (2013, 14) betont, dass Bewegungshandeln als Ausgangspunkt für sprachliche Prozesse zu sehen istund dassSprache eng mitdiesem (Bewegungs-)Handeln verbunden ist. Bewegungsaktivitäten regen zur Exploration an und in die- Abb. 2: Handlungsanregungen für verschiedene Förderansprüche im Projektthema »Indianer« Handlungsmöglichkeiten innerhalb der Projek�dee „ Indianer “ Kle�ern und Jagd-Tipi bauen Sich in Höhlen verstecken Nach Spuren auf Tiere schließen Wich�ge Verstecke Wiedernden Körper-Raum- Erfahrungen Eine Strategie zur Jagd aufnehmen Eine Reihenfolge einhalten Einen Plan aufstellen und abarbeiten Planungsfähigkeiten entwickeln Fährten suchen, Schluchten ausmessen Fährten erkennen und vergleichen Rauchzeichen und Geheimzeichen wahrnehmen Visuelle Wahrnehmung Unterschiedliche Laute differenzieren Tiere erkennen (Wölfe) Akus�sche Zeichen interpre�eren Geheimzeichen erkennen Akus sche Wahrnehmung Indianische Stammeszeichen ernden und auf Wigwam und Waffen drucken Phantasiezeichen und Kriegsbemalung Geheimschri� entwickeln Freude am graschen Gestalten Geheimsprache und mimische Zeichen Signale und Geräusche Geschichten am Lagerfeuer erzählen Verbale Zuordnungen von Handlungen Sprachlicher Ausdruck Trommeln mit linker und rechter Hand Indianertänze (Kriegs- und Freudentänze) Situa�onen, die beide Hände fordern, meistern Rhythmus mit ganzem Körper Förderung der Lateralität Messer und Speere schnitzen oder Pfeil und Bogen anfer�gen Kopfschmuck herstellen (Federn und Ke�en) Kleine Fallen aufstellen Trommeln bauen und damit trommeln Feinmotorik - Handgeschicklichkeit Schleichpfad über Berge und Flüsse (verschiedene Gerätearrangements) Unterschiedliche Untergründe überqueren Mit unterschiedlichen Naturmaterialien werkeln Tak l-kinästhe sche Erfahrungen Koordina ve Fähigkeiten Verschiedene Kle�ermöglichkeiten mit konstruk�ven Aufgabenstellungen (z.B. Adlernest beschützen) Indianerspiele (Werfen, Fangen etc.) Mutproben bestehen [ 195 ] Wendler • Handeln - Sprechen - Schreiben 4| 2018 sem handelnden Umgang mit Gegenständen und Objekten entdeckt das Kleinkind Sprache als Medium und Werkzeug (Zimmer 2013, 14). Das Kind führt Gespräche, erzählt, gibt und / oder nimmt, verarbeitet Informationen und gestaltet sein Sprechen zunehmend bewusster, weil die durch das Handeln gewonnenen Erfahrungen in Verbindung mit der Sprache zu Begriffen werden. Diese Begriffe ermöglichen es dem Kind, eine innere Abbildung der Welt aufzubauen. Auf diese Weise erfährt das Kind in Bewegungshandlungen, z. B. zeitliche Begriffe, wie langsam oder schnell, und räumliche Begriffe, wie hoch oder tief, indem es Raum und Zeit in seinen Spielhandlungen variiert und damit seinen Wortschatz kontinuierlich erweitert (Zimmer 2013, 15). Als Folge dieser frühkindlichen Bildungsprozesse entwickeln Kinder Vorstellungen davon, wie und was sie in ihrer Umwelt wahrnehmen, wie sie darüber berichten und das Erlebte und Erfahrene gedanklich einordnen können. »Vorschulisch erarbeiten sich Kinder so ein Gespür für die Möglichkeiten der Kommunikation, die sie in Körper- und Verbalsprache oder später in bildnerische und schriftsprachliche Aufzeichnungen ständig erweitern und weiter ausbilden. Kinder erkennen Sprache in ihren Varianten als Möglichkeit: ■ der Mitteilung, sich verständlich zu machen, etwas wiederzugeben (z. B. etwas Erlebtes oder eine Begebenheit von Zuhause zu erzählen, sich mit jemanden auszutauschen), ■ der Betonung und Erklärung (z. B. Regeln besprechen, einen Ablauf zu klären, seine eigene Position zu vertreten), ■ und zunehmend auch über Malen und Schreiben als Möglichkeiten des Festhaltens und Bewahrens (z. B. eines Ereignisses, eines Spiels u. a.) (Meiners 2006, 150)« (Wendler 2008, 201). Im Sinne der interaktionistischen Theorie von Bruner (2002) ist der Spracherwerb nicht die alleinige Leistung von Kindern, sondern ein dialogischer Prozess, an dem Kinder und Bezugspersonen gleichermaßen beteiligt sind. Interaktionen zwischen beiden haben ihren Anfang in der Befriedigung lebenswichtiger Grundbedürfnisse (z. B. Schreien bei Hunger), während im Kindergarten und Elternhaus durch das gemeinsame Handeln in Routinetätigkeiten beim An- und Ausziehen, Essen und Begrüßungsritualen die Sprech- und Zuhörbereitschaft angeregt und sichergestellt wird. Mit der fortschreitenden Beteiligung an sprachlichen Interaktionen und mit der Ausweitung eigener Handlungsräume beginnt die Zeit der Begriffsbildung, also der geistigen Ordnung von Ereignissen, Lebewesen und Gegenständen in Klassen nach ihrer Ähnlichkeit in der äußeren Erscheinung oder in ihren Eigenschaften und schließlich nach ihrer Übereinstimmung darin, wie sie dem Handeln dienen (List 2014, 9). Begriffe helfen dazu, erfolgreich erlebtes Handeln erneut planvoll einzusetzen. Die Sprache der Kinder in gemeinsamen Spiel- und Handlungssituationen herauszufordern, dient demnach nicht nur der Sprachbildung und dem Verstehen der Welt, sondern zugleich dem Erinnern und dem Vorstellungsvermögen. Die enge Verbindung zwischen sprachlicher und kognitiver Entwicklung betonen Füssenich und Geisel (2008, 13 f ) mit Bezug auf Wygotskij (2002), der der Sprache zwei Hauptfunktionen zuordnet: Sie dient der Kommunikation sowie der Regelung des sozialen Verhaltens und vermittelt gleichsam Bedeutungen, die in Form von Begriffen als mentale Repräsentationen verfügbar werden. Diese begrifflichen Repräsentationen über das, was ein Kind mit Dingen in verschiedenen Situationen tun kann, entstehen im Handeln und werden für zukünftige Vorplanungen (Abstraktionen) gebraucht (List 2014, 9). Aktivierung von kognitiven Denkprozessen für die Sprachentwicklung Im Spiel- und Bewegungshandeln entsteht Stoff zum Reden über Vorkommnisse, Pläne und Überraschendes, sogar über die Sprache selbst. Durch diese Gespräche werden Kinder dabei unterstützt, ihre Erfahrungen als zeitlich und räumlich organisiertes Weltwissen dem Gedächtnis und den mnestischen Funktionen der Entwicklung zuzuführen. Pädagogische Fachkräfte sollten daher nicht innerhalb der Reflexionsphasen [ 196 ] 4| 2018 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis von Förderstunden nach dem Spaßfaktor (»Was hat dir heute gut gefallen? «) fragen, sondern danach, was die Kinder wie gemacht haben und was dabei besonders bedeutsam für das Gelingen war, um Sprache als Werkzeug des Denkens für mentale Repräsentationen oder zukünftige Planungen zu entdecken und zu gebrauchen. Befunde der umfassenden Evaluationsstudien zur Sprachförderung im Kindergarten aus Baden-Württemberg (»Sag mal was! « 2002- 2010) und der Evaluationsstudie kompensatorischer Sprachförderung »EkoS« aus Brandenburg (Wolf et al. 2012) machen insgesamt deutlich, dass im Bereich der Sprachförderung noch ein erheblicher Bedarf an Qualitätssicherung besteht, weil die erhofften Erfolge nicht registriert werden konnten, obwohl das Engagement der Bundesländer in der frühen diagnosebasierten Sprachförderung als beachtlich eingestuft werden kann (Schneider 2017, 63 ff ). Wesentliches Ergebnis eines Forschungsprojektes im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von Kammermeyer und Roux (2015) ist, dass sich der Pyramide-Ansatz, als richtungsweisendes sozialpädagogisches Konzept für Kitas aus den Niederlanden, nicht sonderlich von den anderen bereichsspezifischen Förderkonzepten abhebt. Die vorliegenden Ergebnisse verdeutlichen aber aufgrund der nachgewiesenen Effekte im Vergleich zur Kontrollgruppe gleichsam, dass sich jedwede Förderung im letzten Kindergartenjahr lohnt (Kammermeyer / Roux 2015, 87 f ). Zudem zeigte sich in den Auswertungen von Videoanalysen und Fördertagebücher der PädagogInnen zu ihrer Anregungsqualität, dass sie sich zwar an der Erfahrungswelt der Kinder orientieren (50 %) und zusätzliche Erläuterungen und Erklärungen für das Erfassen der Themen (12,7 %) geben. Ein Erweitern (3,8 %) und Vertiefen der Wissensbestände (1 %) findet aber selten statt. Die Form der Anregung und kognitiver Aktivierung im Beziehungsgeschehen zwischen PädagogIn und Kindern ist zur Beurteilung der Qualität von Lernprozessen in der Hattie-Meta- Studie demgegenüber aber als besonders wirkungsmächtig identifiziert (Hattie 2013, 27 ff ). Auch in der Early-Excellence-Forschung geht es darum, mit dem Interaktionsansatz (Sustained Shared Thinking) anspruchsvolle, das Denken anregende Fragen zwischen Kindern und PädagogInnen für eine exzellente Praxis zu stellen (Siraj-Blatschford 2007, 97 f ). Innerhalb dieser Bildungsförderung wird ein Dreiklang vorgeschlagen, der Kinder 1. Anregungen zum Explorieren und Erforschen durch das Zurverfügungstellen von Materialien und Gegenständen gibt, 2. durch das Modellieren von Denkprozessen seitens der PädagogIn (»Ich frage mich, ob …«; »Ich glaube, dass …«) weiter und tiefgründiger ins Nachdenken bringt und 3. durch die Ermunterung zum (lauten) Denken (»Was wird passieren, wenn …? «) das Denken des Kindes hinsichtlich möglicher Problemlösungen gefördert werden soll (Siraj-Blatschford 2007, 97 ff ). Unter Bezugnahme des Ansatzes Sustained Shared Thinking und anderer denk- und sprachunterstützender Methoden (aktives Zuhören, emotionales Spiegeln, etc.) ist zu erwarten, dass mehr Kinder ihre sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten optimal entwickeln können. Für den Elementarbereich ist die Bedeutung kognitiv anregender Dialoge für eine exzellente Praxis in der frühen Bildung durch breit angelegte Studien in englischen Vorschulen nachgewiesen (Sylva et al. 2004). Eine intensive sprachliche Begleitung des selbstentdeckenden Lernens zeigt sicherlich an Grundschulen die gleiche Wirkung, jedoch stehen vergleichende Studien über die Wirksamkeit sprachlich-kognitiver Anregungsqualität in deutschen Grundschulen noch aus. Einsichten in die gesprochene und geschriebene Sprache Sprache wird von Kindergarten- und Schulkindern besonders dann erworben und verarbeitet, wenn den sprachlichen Äußerungen erkennbare Relevanz zum eigenen Erleben zukommt. Daher erzeugen Sprechanlässe über die körper-, bewegungs-underlebnisorientiertenSpielhandlungen eine hohe Motivation der Versprachlichung und gedankliche Formulierung des Erlebten. In diesem Prozess entwickeln Kinder die Einsicht, dass [ 197 ] Wendler • Handeln - Sprechen - Schreiben 4| 2018 sie die durch ihr Handeln hervorgerufenen Erlebnisse und Erkenntnisse (hier dargestellt als Intention) sowohl in gesprochener und als auch in eigens angefertigter Bildsprache (Kinderzeichnung) und geschriebener Schriftsprache wiedergeben können (Abb. 3). Abb. 3: Transformation in gesprochener und geschriebener Sprache (Wendler 2008, 202) Das Erkennen der Funktion von Schrift beginnt mit der Erfahrung, dass Sprache aus einzelnen Wörtern aufgebaut ist, die wiederum mit Sätzen zusammengefasst werden können. Ebenso notwendig ist es zu verstehen, dass Schrift nur eine Darstellungsform des gesprochenen Wortes ist. Kinder müssen die Schrift als etwas begreifen, das der mündlichen Unterhaltung, die sie ja bereits beherrschen, verwandt ist, genauer gesagt, dass Schriftsprache eine mögliche Darstellungsform des Gesprochenen ist (Schneider 2017, 16). Im Umgang mit gesprochener Sprache umfasst der Begriff phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne, dass junge Kinder größere Einheiten in der gesprochenen Sprache unterscheiden können, d. h. in der Lage sind, Reime zu erkennen, vollständige von nicht vollständigen Sätzen zu unterscheiden, Wörter in Sätzen zu erkennen oder auch Wörter in Silben zu untergliedern. Diese Form der phonologischen Bewusstheit ist bei jüngeren Kindern oft erst teilweise vorhanden. Werden sie beispielsweise nach der unterschiedlichen Länge von Wörtern gefragt, wie etwa welches der beiden Wörter »Bus« oder »Kinderwagen« länger ist, so wird man häufig die Antwort »Bus« erhalten, weil sich jüngere Kinder bei Aufgaben dieser Art noch bevorzugt auf die Bedeutung der Wörter beziehen. Sie haben sicherlich recht damit, dass ein Bus in der Realität länger ist als ein Kinderwagen (Schneider 2017, 36). Phonologische Bewusstheit im engeren Sinne bezieht sich nach Schneider (2017, 36) auf die Kompetenz, einzelne Laute innerhalb von Wörtern zu erkennen. Fast alle Kinder haben noch vor Schulbeginn Einsichten in die Lautsprache im weiteren Sinn, während sich die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne in der Regel erst im Zusammenhang mit dem Leselehrgang der ersten Klasse entwickelt. Die Verinnerlichung (Symbolbewusstsein) bildet eine wesentliche Voraussetzung des Schriftspracherwerbs: die Umsetzung von gehörter Sprache in grafische Zeichen. Da Sprache in der Entwicklung des Kindes bereits die abstrakte Form konkret erfahrener (Handlungs-)Ereignisse darstellt, spricht Fischer (2006, 95) bei der Schrift von einer doppelt abstrahierten Kommunikationsform und von der Abhängigkeit kognitiver Prozesse. Das Erkennen der Funktion von Schrift beginnt mit der Erfahrung, dass Sprache aus einzelnen Wörtern aufgebaut ist, die wiederum zu Sätzen zusammengefasst werden können. Vom Sprechen zum Bild und »Schriftzeichen« Schon in der Einführung über die Bedeutung des Schriftspracherwerbs ist deutlich geworden, dass viele Kinder schon lange vor Schulbeginn mit Zeichen und Symbolen in Kontakt kommen. Ebenso haben Kinder den inneren Drang, Erlebtes nach außen zu transportieren und anderen zu zeigen. Sie wollen das Erlebte, das Gehörte oder das Gesehene mit ihren Möglichkeiten zum Ausdruck bringen (Günther / Fritsch 2015, 161). Spuren zu hinterlassen und bleibende Zeichen setzen, sind Bedürfnisse, die seit dem Beginn der Menschheit zu finden sind, um etwas darzustellen oder mitzuteilen (Gernhard o. J., 7). Während die Konzepte zur Schriftsprachentwicklung (zusammengefasst in Schründer-Lenzen 2013, 73 ff ) nachahmende und kommunikative Aspekte der Kritzelphase herausstellen, wird diese Phase in den psychologischen Untersuchungen von Kritzelzeichnungen als Element der sprachlichen und kognitiven Entwicklung dargestellt. Mit Eintritt in das vierte / fünfte Lebensjahr gelingt dem Kind das bewusste Bilden Intention Rekodieren Umkodierungsvorgang Schreiben „Das Gemeinte“ Sprechen Lautlicher Code Schriftlicher Code H ö re n S e h e n [ 198 ] 4| 2018 Fachbeiträge aus Theorie und Praxis von Formen beim Zeichnen. War das Kind beim Kritzeln (Krickelkrakel) als kinästhetische Aktivität vor allem in situativ-spontane und emotionale Kommunikationsvorgänge eingebunden, beschäftigt es sich nun mit dem Aufbau einer grafischen Beziehung zu dem, was es darstellen will. Der Fundus an Motiven erhöht sich (Menschen, Tiere, Häuser, Schiffe etc.) und so entwickelt sich zunehmend eine nachweisbare Handlungs- und Erzählstruktur des Bildes. Zu Beginn sind die dargestellten Motive noch oft additiv organisiert, später bestehen sie aus einem komplexen Netz von syntaktischen und semantischen Beziehungen (Richter 1987, 43 f ). Dem Kind ist jetzt seine Fähigkeit bewusst, auf einer zweidimensionalen Fläche einen Ausschnitt seiner Konzeption der visuellen und gefühlten Welt darstellen zu können. Diese Tätigkeit muss als eine bewusst geführte, formal gesteuerte Bewegungshandlung angesehen werden, die in enger Verbindung zur Entwicklung der Zeichen- und Symbolwelt steht. Dabei können Darstellungen in verinnerlichten Bewegungserfahrungen wurzeln, z. B. des Kreisens und Drehens, Gleitens und Rutschens, wie sie in vielen Spielen zu gewinnen sind. Auftretende Kreise, Kreuze, Vierecke und andere Urformen (Punkte, Striche und Linien) werden kritzelnd entdeckt und weiterentwickelt. Dieser Entwicklungsprozess vollzieht sich jedoch nicht ausschließlich in Wechselwirkung von Bewegung und Malen. Entscheidend für die Handlung und ihre Weiterentwicklung sind stets die emotionalen und kognitiven Umsetzungsprozesse unter Berücksichtigung des Bedeutungsgehaltes. Hinführen zur Schrift Beim gestalterischen Malen oder Zeichnen verwenden Kinder die Grundformen oft frei, intuitiv und oftmals alle gleichzeitig - je nachdem, was die Kinder auf ihrem Bild ausdrücken wollen. In Verbindung mit den Anregungen über Elemente der Schrift (z. B. im eigenen Namen) entdecken viele Kinder Gemeinsamkeiten und lernen, wie einzelne Buchstaben heißen bzw. wie sie klingen und beginnen, lautgetreu zu verschriften. Haben die Kinder die symbolische Stufe nach Bruner (2002) erreicht, liegt es an der Anregungsqualität der PädagogInnen, die Literacy-Entwicklung der Kinder durch Bilderbuchbetrachtungen, Vorlesen und Nacherzählen, freies Erzählen erlebter Handlungen sowie das Anfertigen eigener Bildgeschichten und Texte zu unterstützen. Abschließende Bewertung Der Beitrag führt neuere Ergebnisse der Early-Excellence- und Literacy-Forschung mitder aktuellen Diskussion über den Schriftspracherwerb zusammen und charakterisiert eine erweiterte Sicht für grafomotorische Förderprozesse: Schriftspracherwerb ist als Entwicklungs- und Lernprozess zu verstehen, der lange vor der Einschulung beginnt und der in zeitlich und qualitativ unterschiedlichen Stufen verläuft. Sich dabei nur auf einzelne Voraussetzungen, wie etwa die Handgeschicklichkeit, zu konzentrieren, reicht nicht aus, um Kinder auf den Schriftspracherwerb vorzubereiten. Die Sprache der Kinder in gemeinsamen Spiel- und Handlungssituationen herauszufordern und intensiv zu begleiten, ist dabei ein wesentlicher Gelingensfaktor für das Verstehen der Welt und unserer Kulturtechniken. Als konzeptionelle Grundlagen müssen das Denken anregende Fragen und die Abfolge »Handeln - Sprechen - Schreiben« in grafomotorischen Förderkonzepten zum Schriftspracherwerb stärker berücksichtigt werden. Das dadurch entstehende Operationsverständnis im Brunerschen Sinne macht deutlich, dass sämtliche Transformationsmöglichkeiten zwischen konkreten Handlungssituationen, sprachlich-bildlichen Darstellungen und symbolischen Repräsentationen zum Erschließen komplexer Sachverhalte genutzt werden müssen. Den erkenntnisleitenden Gedanken bildet die Vorstellung über die besondere Bedeutung des kindlichen Erfahrungslernens in konkreten Handlungssituationen und der Transfer in andere Repräsentationsebenen, so dass den zunehmenden Bestrebungen über Digitalisierungsvorhaben im Schriftspracherwerb (Tabletklassen) und Überlegungen, die Schreibschrift abzuschaffen, widersprochen werden muss (hierzu ausführlicher Fischer in diesem Heft). Dieser Beitrag durchlief das Peer Review. [ 199 ] Wendler • Handeln - Sprechen - Schreiben 4| 2018 Literatur Baden-Württemberg-Stiftung (2014): Sag mal was! - Sprachliche Bildung für Kleinkinder. Francke, Tübingen Beudels, W. (2016): Bewegung als Medium des Lernens. In: Fischer, K., Hölter, G., Beudels, W., Jasmund, C., Krus, A., Kuhlenkamp, S. (Hrsg.): Bewegung in der frühen Kindheit. Springer VS, Wiesbaden, 47-60, https: / / doi.org/ 10.1007/ 978- 3-658-05116-7_5 Bildungsserver Rheinland-Pfalz (o. J.): Schriftspracherwerb. 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