motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2018.art03d
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2018
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Sportorientierte Angebote in der teil- und vollstationären Jugendhilfe
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Mone Welsche
In diesem Beitrag werden Überlegungen angestellt, wie sportorientierte Angebote in teil- und vollstationären Einrichtungen der Jugendhilfe durchgeführt werden können. Aus den spezifischen Bedingungen des Handlungsfeldes lassen sich Anforderungen an die Durchführung und handlungsleitende Prinzipien ableiten. Diese Überlegungen sollen eine erste Orientierung bieten und die theoriegeleitete Auseinandersetzung mit dem »wie« des sportorientierten Zugangs im Handlungsfeld der teil- oder vollstationären Hilfen anregen.
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Zusammenfassung / Abstract In diesem Beitrag werden Überlegungen angestellt, wie sportorientierte Angebote in teil- und vollstationären Einrichtungen der Jugendhilfe durchgeführt werden können. Aus den spezifischen Bedingungen des Handlungsfeldes lassen sich Anforderungen an die Durchführung und handlungsleitende Prinzipien ableiten. Diese Überlegungen sollen eine erste Orientierung bieten und die theoriegeleitete Auseinandersetzung mit dem »wie« des sportorientierten Zugangs im Handlungsfeld der teil- oder vollstationären Hilfen anregen. Schlüsselbegriffe: Sportorientierte Angebote, Jugendhilfe, Soziale Arbeit, teil- und vollstationäre Maßnahmen, Hilfen zu Erziehung Sports-orientated activities in youth welfare - Thoughts about fundamental principles of implementation This article discusses how sports-orientated activities can be organized in semi-residential and residential youth welfare institutions. Requirements and principles for implementation can be derived from specific conditions of this field of work. These should give an initial orientation for practitioners in the field and initiate a theory guided debate on how to arrange sports-orientated youth welfare activities. Key words: Sports-orientated activities, youth welfare, social work, semi-residential and residential treatments, early intervention [ 11 ] motorik, 41. Jg., 11-17, DOI 10.2378 / motorik2018.art03d © Ernst Reinhardt Verlag 1| 2018 [ FORuM PSyCHOMOTORik ] Sport- und bewegungsorientierte Angebote haben eine lange Tradition in den teil- und vollstationären Maßnahmen der Jugendhilfe, die im SGB VIII den Hilfen zur Erziehung (HzE) zugeordnet sind. Schon früh wurde das Potential von Bewegung, Spiel und Sport erkannt, um kindgerechte Entwicklung zu unterstützen und pädagogische Ziele umzusetzen (Hammer 2007). Die Relevanz dieses Zugangs bildet sich besonders deutlich in der Zeit der großen Heimeinrichtungen ab, in welchen SportpädagogInnen als Fachkräfte die gruppenpädagogischen Teams vieler Einrichtungen ergänzten (Dräbing 2006). Mit der Reform des SGBVIII 1990 änderten sich die Rahmenbedingungen für die Durchführung solcher Angebote deutlich. Dräbing (2006, 58) spricht von der »Misere im Heimsport«, die in Folge der Reform durch den Abbau von Stellen für SportpädagogInnen, die Integration von Sportfachkräften in den Gruppendienst und die Dezentralisierung von Wohngruppen, die gleichzeitig den Wegfall von eigenen Sportstätten bedeutete, entstand. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass nach wie vor sport- und bewegungsorientierte Angebote in den Tages- und Wohngruppen stattfinden, sei es als spontane Aktivität, wie z. B. das Kicken auf der Wiese an einem freien Nachmittag, oder als fest in den Wochenplan integrierte Gruppenaktivität, wie z. B. ein Box- oder Tanzangebot. Bei Durchsicht der vorhandenen Literatur wird deutlich, dass sich mit diesem Zugang so- Sportorientierte Angebote in der teil- und vollstationären Jugendhilfe Überlegungen zu grundlegenden Prinzipien der Durchführung Mone Welsche wohl in der Fachwissenschaft der Sozialen Arbeit (SA) als auch der Sportwissenschaft vergleichsweise wenig befasst wurde (Derecik/ Züchner 2015; Welsche / Schillinger 2015). Es existiert keine Forschung und auch konzeptionell-methodische Entwicklungen zur Frage, wie sport- und bewegungsorientierte Angebote zur Umsetzung sozialpädagogischer Zielsetzungen in diesem Handlungsfeld eingesetzt werden können, sind [ 12 ] 1| 2018 Forum Psychomotorik über einzelne Projektbeschreibungen hinaus (s.- zusammenfassend z. B. in Welsche / Schillinger 2015; Dräbing 2006) nicht zu finden. Ausnahmen bilden die Marburger Konzeption einer körper- und bewegungsorientierten SA (Becker 2000) mit einem Schwerpunkt im erlebnispädagogischen Bereich, das Konzept des Spielsports nach Flosdorf und Rieder mit einer therapeutischen Ausrichtung (Flosdorf 1988) sowie psychomotorische Interventionen (z. B. Hammer 2015 mit spieltherapeutischem Schwerpunkt, allgemeiner Fischer / Knab 2014). Diese Methoden und Konzepte lassen sich aufgrund ihrer spezifischen Ausrichtung und theoretischen Fundierung allerdings nicht ohne weiteres auf sportorientierte Angebote im engsten Sinne - also sozialpädagogische Angebote, welche bestimmte Sportarten oder Bewegungsformen (z. B. Tanzen, Fußball, Boxen, Laufen, Klettern) zum Inhalt haben - übertragen. Auch sportpädagogische und trainingswissenschaftliche Ansätze, die durchaus für sportorientierte Angebote in der SA relevante Ziele verfolgen, wie z. B. Soziales Lernen, sachgerechtes Sporttreiben oder Leistungsverbesserung, sind nur ergänzend hilfreich, da sie an anderen Zielgruppen (Sportpädagogik: SchülerInnen; Trainingswissenschaft: SportlerInnen) orientiert sind und die spezifischen Bedingungen des Handlungsfeldes und vor allem der Adressaten nicht berücksichtigen. Der vorliegende Text konzentriert sich auf diese sportorientierten Angebote. Manchen mag die Betonung und Isolierung der sportlichen Inhalte als künstliche und nicht notwendige Zergliederung des Dreiklangs »Bewegung, Spiel und Sport«, der häufig in der Literatur verwendet wird (z. B. Hammer 2007), erscheinen. Auf Grundlage eigener Erfahrungen / Beobachtungen meine ich jedoch, dass im Gruppenalltag vieler Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen sehr häufig sportorientierte Angebote als Bestandteil des pädagogischen Alltags stattfinden. Sie werden von MitarbeiterInnen im Gruppendienst angeboten, ohne dass diese auf eine für das Handlungsfeld entwickelte Methodik zurückgreifen können. Im Hilfeplan werden für jeden Klienten individuelle Ziele festgeschrieben und auch Methoden ausgewählt, die die Zielerreichung ermöglichen und unterstützen sollen. Im optimalen Fall ist die Teilnahme eines Klienten an einem sportorientierten Angebot durch die formulierten Ziele und nicht nur durch eine Sportaffinität des jungen Menschen begründet. Das ausgewählte Angebot greift dann die besonderen Bedingungen des Klienten auf und unterstützt die formulierten Ziele durch passende Inhalte und methodische Herangehensweisen. Bislang gibt es in der SA allerdings keine übergeordnete Auseinandersetzung mit der Frage, wie und mit welchen Inhalten sportorientierte Angebote durchgeführt werden sollten, um sozialpädagogische Zielsetzungen erreichen zu können. Dies ist erstaunlich, da die Tatsache, dass die sportliche Betätigung als solche nicht ausreicht, um (sozial-) pädagogische Ziele zu erreichen, hinreichend bekannt sein sollte - wenngleich möglicherweise nicht in allen Köpfen präsent. Michels (2007, 13) spricht beispielsweise von der Notwendigkeit einer »qualitätsvollen Gestaltung des Programms«, Seibel (2013, 34) von einem »pädagogischen Arrangement«. Ohne methodisches Handwerkszeug besteht die potentielle Gefahr, dass pädagogische Fachkräfte Erfahrungen und Trainingspraktiken aus der eigenen sportlichen Sozialisation, die nicht zwangsläufig »pädagogisch wertvoll« gewesen sein müssen, unreflektiert weitergeben oder die Anleitung solcher Aktivitäten aus Unsicherheit eher vermeiden. Woran können sich nun pädagogische Fachkräfte in der voll- und teilstationären Jugendhilfe orientieren? Was müssen sie wissen, um ihre Angebote so zu gestalten, dass sie dem pädagogischen Anspruch gerecht werden? Wie können diese Angebote die Erreichung spezifischer Ziele für den einzelnen jungen Menschen unterstützen und nicht nur als »Instrumente der Betreuung und Verwahrung« (Becker 2000, 472) für alle Kinder und Jugendlichen, die Spaß an Sport und Bewegung haben, eingesetzt werden? Wie können auch diejenigen erreicht werden, die wegen eines negativen Körperbildes oder Selbstvertrauens diese Aktivitäten meiden aber beson- Im Gruppenalltag finden sehr häufig sportorientierte Angebote statt. [ 13 ] Welsche • Sportorientierte Angebote in der teil- und vollstationären Jugendhilfe 1| 2018 ders profitieren könnten (Wagner / Alfermann 2006)? Dieser Beitrag beschränkt sich auf Überlegungen, welche Prinzipien zur Planung und Durchführung von sportorientierten Angeboten in teil- und vollstationären Maßnahmen der HzE formuliert werden können, wie sie auch in der Psychomotorik und Sportpädagogik als allgemeine Handlungsregeln formuliert werden (z. B. Krus 2015; Funke-Wieneke 1999; Prohl 2010). Für die Psychomotorik listet Krus (2015, 62 f ) folgende Prinzipien auf: Individuumszentrierung, offene Handlungssituationen, Freiwilligkeit, Phantasie und Kreativität, Selbsttätigkeit, Selbstwerterhöhung, kognitive und affektive Reflexion. Für die schulisch orientierte Sportpädagogik benennt Funke-Wieneke (1999, 17) die Prinzipien der Reflexion, Verständigung, Erfahrungs- und Handlungsorientierung, Mehrperspektivität und Wertorientierung, während Prohl (2010, 172) die Prinzipien der absichtlichen Unabsichtlichkeit, Einheit von Lehren und Erziehen, Gleichrangigkeit von Weg und Ziel formuliert. Die in diesem Text abgeleiteten Prinzipien für sportorientierte Angebote sollen für jede Zielsetzung - von Freizeitgestaltung bis zur Förderung emotional-sozialer Kompetenzen - und inhaltsunabhängig gelten. Die Klärung grundlegender Prinzipien stellt für mich den ersten Schritt dar, um darauf aufbauend die Diskussion aufzunehmen, ob und wenn ja welche Zusammenhänge zwischen einzelnen Basiszielen zum Einsatz sportlicher Aktivitäten in den HzE und spezifischen Inhalten (Sportarten, Bewegungsformen) bestehen und inwiefern eine zielspezifische methodische Umsetzung sinnvoll und erforderlich ist. Prinzipien lassen sich m. E. aus: 1. Informationen über die Zielsetzungen der teil- und vollstationären Maßnahmen der HzE, 2. den spezifischen Bedingungen der Adressaten, 3. den formulierten Potentialen und Zielen, welche mit sportorientierten Angeboten in der Jugendhilfe verknüpft werden und 4. einer vom humanistischen Menschenbild geprägten Grundhaltung im Umgang mit der Zielgruppe ableiten (Abb. 1). Bedingungen des Handlungsfeldes In den folgenden Abschnitten werden zunächst die o. g. Bedingungen erläutert, um daran anschließend eine Reihe von Prinzipien vorzustellen, welche PädagogInnen im Feld eine Orien- Allgemeine Ziele der Hilfen zur Erziehung (SGB VIII) Entwicklung fördern - Benachteiligung abbauen Bedingungen der Kinder und Jugendlichen in den HzE Potentiale von sportlicher Aktivität als Medium in der Arbeit mit benachteiligten jungen Menschen Basisziele sportorientierter Angebote in den HzE Differenzielle Zielsetzung für den einzelnen jungen Menschen (Hilfeplanung) Allgemeine handlungsleitende Prinzipien Wahl der Inhalte (z.B. Sportart oder Sportarten übergreifend) und des Settings (z.B. feste Gruppe) Berücksichtigung spezifischer methodischer Aspekte abhängig von Inhalt, Zielsetzung und Setting A n g e b o t Hunanistisches Menschenbild Abb. 1: Einflussfaktoren auf die Planung und Durchführung sportorientierter Angebote in teil- und vollstationären Maßnahmen der HzE [ 14 ] 1| 2018 Forum Psychomotorik tierung zur Durchführung von sportorientierten Angeboten geben sollen. Zu 1) Zielsetzungen der teil- und vollstationären Maßnahmen Sportorientierte Angebote in teil- und vollstationären Maßnahmen finden im Kontext der HzE statt, die Wiedereingliederungshilfe nach § 35a (SGB VIII) zähle ich hierzu, da sehr viele junge Menschen nach diesem Paragraphen in den Wohngruppen begleitet werden. Im § 1(1) des SGB VIII ist festgeschrieben, dass »jeder junge Mensch (…) ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit« hat. Als übergeordnetes Ziel aller Maßnahmen der Jugendhilfe wird im Absatz 3 u. a. formuliert, dass Kinder und Jugendliche in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung gefördert werden sollen. Weiterhin sollen die verschiedenen Hilfeleistungen dazu beitragen, Benachteiligung zu vermeiden oder abzubauen. In den Gesetzestexten zu den verschiedenen Maßnahmen der HzE werden diese Ziele z. T. wiederholt und in Ansätzen konkretisiert. So wird im § 34 des SGB VIII (Heimerziehung, sonstige betreute Wohnformen) die allgemeine Entwicklungsförderung der Kinder und Jugendlichen durch pädagogische und therapeutische Angebote betont. Das soziale Lernen in der Gruppe wird als spezifisches Ziel der Tagesgruppe formuliert (§ 32 SGB VIII). Zu 2) spezifische Bedingungen der Adressaten Kinder und Jugendliche, die in Wohn- oder Tagesgruppen betreut werden, leiden häufig unter besonders hohen individuellen Belastungen bis hin zu psychischen Erkrankungen (Macsenaere / Schemenau 2008). Die Ulmer Heimkinderstudie zeigte, dass bis zu 60 % der jungen Menschen in stationären Maßnahmen unter einer psychischen Erkrankung leiden. Nahezu die Hälfte erfüllt die Kriterien von mehr als einer Diagnose (Schmid et al. 2008). Auch die EVAs Studie kam zu dem Ergebnis, dass Kinder in stationären Maßnahmen, gefolgt von den Tagesgruppenkindern, besonders schwer belastet sind. »Sie zeigen häufiger psychische Störungen mit größerem Schweregrad, ein geringeres Funktionsniveau innerhalb und außerhalb der Familie (…), sind meist schon früh in ihrer Entwicklung auffällig oder auch behandelt worden und ihre Auffälligkeit besitzt eine große Persistenz« (Schmid et al. 2008, 449). Zu 3) Potentiale und Ziele sportorientierter Angebote in der Jugendhilfe Die Potentiale sportorientierter Angebote im allgemeinen und insbesondere für sozial benachteiligte junge Menschen, wie sie auch in den HzE betreut werden, bildet ein breites Spektrum an möglichen sozialpädagogischen Zielsetzungen ab, die durch den Einsatz solcher Angebote erreicht werden können. Unterschiedliche Fachleute haben sich mit einzelnen Aspekten oder dem breiten Feld bewegungs- und sportorientierter Angebote im Kontext der SA befasst und Potentiale abgeleitet (u. a. Gräfe / Witte 2014; Welsche et al. 2013; Kammerer / Klinkhammer 2007; Dräbing 2006; Koch et al. 2003). Die benannten Potentiale lassen sich in drei große Blöcke zusammenfassen, welche das breite Spektrum von möglichen Zielsetzungen abbilden: ■ Förderung gesundheitlicher Ressourcen (körperlich, psychisch und sozial), ■ Förderung von Teilhabe und Partizipation, ■ Förderung der Persönlichkeitsentwicklung (emotional, sozial, kognitiv, motorisch). Eine Analyse der Ziele, die in Publikationen über sport- und bewegungsorientierte Angebote für sozial-benachteiligte Kinder und Jugendliche benannt wurden (Welsche / Schillinger 2015), bildet ab, dass insbesondere soziale und emotionale Aspekte im Vordergrund zu stehen scheinen. Zu 4) humanistische Grundhaltung Grundlegend für die Frage, wie pädagogische Angebote durchgeführt werden, ist die Haltung der PädagogInnen, die sich aus dem Menschenbild ergibt. Für die Arbeit mit der beschriebenen Zielgruppe bildet das Menschenbild, welches sich aus der humanistischen Psychologie [ 15 ] Welsche • Sportorientierte Angebote in der teil- und vollstationären Jugendhilfe 1| 2018 (Rauthmann 2017) ergibt, einen handlungsleitenden Rahmen. Die Erfahrung von Sicherheit, Wertschätzung, Anerkennung und Kompetenzerleben in Beziehung ist maßgeblich für einen gelingenden Entwicklungsprozess der Kinder und Jugendlichen in diesen Maßnahmen, die häufig schwierige Beziehungserfahrungen und ein eher an Defiziten orientiertes Selbstbild haben. Ein förderliches Beziehungsgeschehen und das Erleben von sozialer Unterstützung sind in der pädagogischen Arbeit mit dieser Zielgruppe von besonderer Bedeutung (Gahleitner 2016). Zwischenfazit Aus den vorangegangenen Absätzen lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen, aus welchen übergeordnete Prinzipien zur Durchführung sportorientierter Angebote abgeleitet werden können: ■ Es bestehen ein weit formulierter Entwicklungsförderungsauftrag sowie die Vorgabe, Teilhabe im weitesten Sinne zu ermöglichen. ■ Kinder und Jugendliche sind häufig schwer belastet. Es besteht ein besonderer Unterstützungsbedarf im emotional-sozialen Bereich. ■ Unter der Bedingung einer angemessenen pädagogischen Gestaltung bieten sportorientierte Angebote einen - gerade für Kinder und Jugendliche - geeigneten Zugang, um sowohl entwicklungsförderliche Prozesse anzustoßen als auch Teilhabe vorzubereiten oder zu ermöglichen. ■ Die Durchführung sollte am humanistischen Menschenbild orientiert sein. Ableitung allgemeiner Prinzipien Aus den skizzierten Bedingungen lassen sich nun folgende Prinzipien ableiten: Prinzip der Beziehungsorientierung und der emotionalen Sicherheit Junge Menschen in den teil- und vollstationären Hilfen, in welchen sportorientierte Angebote zum Alltag gehören und gehören sollten, werden als besonders belastet beschrieben. Emotional-soziale Probleme, die mit psychischen Erkrankungen einhergehen, stehen im Vordergrund. Positive Beziehungserfahrungen werden für diese Zielgruppe in besonderem Maße als Voraussetzungen für Entwicklungsprozesse gesehen. Durch die Erfahrung einer wertschätzenden und verlässlichen Beziehung können Entwicklungsprozesse, die immer auch mit Unsicherheit einhergehen, unterstützt werden. Die Erfahrung einer positiven Beziehung zur pädagogischen Fachkraft und zur Gruppe unterstützt Aktivität und Engagement. Sportorientierte Angebote müssen demnach ein Augenmerk auf die Beziehungsqualität legen, d. h. dass Beziehung angeboten, Beziehungsgestaltung in der Gruppe unterstützt und auf einen wertschätzenden Umgang miteinander geachtet werden sollte. Damit einher geht die Vermittlung emotionaler Sicherheit durch Vermeidung von Beschämung. In sportorientierten Angeboten ist die Gefahr besonders groß, dass TeilnehmerInnen unter Leistungsdruck geraten und sich durch die Offenbarung eins »Nicht-gut-Könnens« vor anderen beschämt fühlen. Selbstgewählte Mannschaften oder Aktivitäten, bei welchen alle zuschauen und Misserfolg eines Teilnehmenden zu erwarten ist, sollten deshalb vermieden werden. Prinzip der positiven Erfahrung und des Kompetenzerlebens Viele der Kinder und Jugendlichen haben aufgrund ihrer Lebensgeschichte und Belastungen ein niedriges Selbstwertgefühl und Selbstkonzept. Positive Erfahrungen und das Erleben eigener Fähigkeiten und Fertigkeiten können bei positiver Attribuierung beides stärken. Die Vergewisserung der eigenen Kompetenz und der Möglichkeiten, Erfolg zu haben, ist für diese jungen Menschen oft die Voraussetzung, um sich Herausforderungen stellen zu können. Demnach Ein besonderer Unterstützungsbedarf besteht im emotional-sozialen Bereich. [ 16 ] 1| 2018 Forum Psychomotorik sollten in einem ersten Schritt Aktivitäten angeboten werden, durch welche ressourcenorientiert Erfolg und Kompetenz erlebt werden können, um darauf aufbauend Herausforderungen wagen und auch mögliche Frustrationserfahrungen verarbeiten zu können. Prinzip der Partizipation und des Engagements Die Kinder und Jugendlichen sollen sich im Rahmen der sportlichen Aktivität engagieren und an der Gestaltung dieser partizipieren können. Dies unterstützt die Beziehungsgestaltung und das Erleben eigener Kompetenzen. In einem Angebot, in welchem sie aufgefordert werden, mitzugestalten (im Rahmen der Möglichkeiten) und sich mit Ideen, Wünschen, Meinungen aber auch Verantwortungsübernahme einzubringen, können sie Wertschätzung und Anerkennung erleben. Auch kann das Selbstvertrauen aufgebaut oder stabilisiert werden, was sich wiederum auf das Engagement auswirken kann. Prinzip der Personenzentrierung Das Angebot sollte so gestaltet sein, dass jeder junge Mensch die Möglichkeit hat, positive Erfahrungen zu machen, die eigene Kompetenz zu erleben und Herausforderungen bewältigen zu können, unabhängig von seiner körperlichen Leistungsfähigkeit oder seinen sportlichen Fähigkeiten. Wenn ein Leistungsvergleich sinnvoll ist, dann intraindividuell und nicht im Vergleich zu den anderen TeilnehmerInnen. Jeder junge Mensch sollte sich im Rahmen des Angebotes gesehen fühlen (s.-Prinzip der Beziehungsorientierung). Prinzip der Reflexion Das Angebot sollte Möglichkeiten zur Reflexion geben, um die Erlebnisse bewusst werden zu lassen, einzuordnen, Erkenntnisse abzuleiten und gemachte Erfahrungen zu internalisieren. Durch diesen Prozess werden Lernprozesse unterstützt und Entwicklungsspielräume eröffnet, welche im günstigen Fall Transfereffekte über den Rahmen der sportorientierten Aktivität hinaus ermöglichen. Ausblick Der vorliegende Artikel soll dazu beitragen, den pädagogischen Rahmen sportorientierter Angebote zu klären. Die Ableitung der hier vorgestellten übergeordneten Prinzipien orientiert sich an den spezifischen Anforderungen des Handlungsfeldes. Auch wenn sie unabhängig von bereits bestehenden Prinzipien entwickelt wurden, so zeigen sich doch deutliche Ähnlichkeiten zum psychomotorischen Denken und Handeln (Krus 2015), die auf den gemeinsamen bewegungsorientierten Zugang, das humanistische Menschenbild als Grundlage und die Zielsetzung der Entwicklungsförderung zurückgeführt werden können. Für psychomotorische Angebote im Handlungsfeld der HzE ergibt sich durch die Handlungsorientierung der hier formulierten Prinzipien eine mögliche Erweiterung für Förderungen, die im Kontext der teil- und vollstationären Hilfen durchgeführt werden. Für die HzE stellt dieser Beitrag einen ersten Schritt in der Auseinandersetzung mit der Frage dar, »wie« sportorientierte Angebote als Medium zur Umsetzung sozialpädagogischer Zielsetzungen mit Kindern und Jugendlichen in den teil- und vollstationären Maßnahmen der HzE eingesetzt werden können. Der Text soll darüber hinaus Anregung zur Diskussion und zur Weiterentwicklung bieten, um qualitätsvolles sport- und bewegungsorientiertes Arbeiten auch über den psychomotorischen Kontext hinaus zu gewährleisten. Literatur Becker, P. (2000): Offenheit der Erfahrung, Bewährung im Abenteuer und Selbsttätigkeit im praktischen Tun. neue praxis 30, 472-485 Derecik, A., Züchner, I. (2015): Kinder- und Jugendhilfe. In: Brandl-Bredenbeck, H.P., Breuer, C., Neuber, N., Rauschenbach, T., Schmidt, W., Süßenbach, J. (Hrsg.): Dritter Deutscher Kinder- und Jugendsportbericht: Kinder- und Jugendsport im Umbruch. Hofmann, Schorndorf, 217-236 Dräbing, R. (2006): Kinder brauchen Bewegung! Bewegung in der Jugendhilfe? Meyer & Meyer Sport, Aachen Fischer, K., Knab, E. (2014): Psychomotorik in der stationären Erziehungshilfe. In: Macsenaere, M., [ 17 ] Welsche • Sportorientierte Angebote in der teil- und vollstationären Jugendhilfe 1| 2018 Esser, K., Knab, E., Hiller, S. (Hrsg.): Handbuch der Hilfen zur Erziehung. Lambertus, Freiburg, 391-397 Flosdorf, P. (1988): Spielsport - ein heilpädagogisches Konzept zur gezielten psychomotorischen Behandlung verhaltensauffälliger Kinder und Jugendlicher. In: Flosdorf, P. (Hrsg.): Theorie und Praxis stationärer Erziehungshilfe, Bd. 2. Lambertus, Freiburg, 223-236 Funke-Wieneke, J. (1999): Erziehen im Sportunterricht. sportpädagogik 23 (4), 13-21 Gahleitner, S. B. (2016): Professionelle Beziehungsarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe. Jugendhilfe 54 (1), 6-13 Gräfe, R., Witte, M. D. (Hrsg.) (2014): Körper und Bewegung in der Sozialen Arbeit (Schwerpunktheft). Sozialmagazin 39 (1 / 2) Hammer, R. (2015): Psychomotorik in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Krus, A., Jasmund, C. (Hrsg.): Psychomotorik in sozialpädagogischen Arbeitsfeldern. Kohlhammer, Stuttgart, 133-145 Hammer, R. (2007): Bewegung, Spiel und Sport als bewährte Maßnahme in der Kinder- und Jugendhilfe. motorik 30 (2), 58-62 Kammerer, B., Klinkhammer, M. (Hrsg.) (2007): Sport und Jugendhilfe. Emwe, Nürnberg Koch, J., Lotte, R., Schirp, J., Vieth, J. (Hrsg.) (2003): Bewegungs- und körperorientierte Ansätze in der sozialen Arbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3- 322-91387-6 Krus, A. (2015): Methodisch-didaktische Prinzipien professionellen psychomotorischen Handelns. In: Krus, A., Jasmund, C. (Hrsg.): Psychomotorik in sozialpädagogischen Arbeitsfeldern. Kohlhammer, Stuttgart, 57-64 Macsenaere, M., Schemenau, G. (2008): Erfolg und Misserfolg in der Heimerziehung. Unsere Jugend 60 (1), 26-33 Michels, H. (2007): Hauptsache Sport. Sozial Extra 31 (9 / 10), 13-16, https: / / doi.org/ 10.1007/ s12054- 007-0096-z Prohl, R. (2010): Fachdidaktische Konzepte des Sportunterrichts. In: Fessler, N., Hummel, A., Stibbe, G. (Hrsg.): Handbuch Schulsport. Hofmann, Schorndorf, 169-179 Rauthmann, J.F. (2017): Persönlichkeitspsychologie: Paradigmen - Strömungen - Theorie. 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(2015): »Bewegung und Sport« als Thema in ausgewählten Fachzeitschriften der Sozialen Arbeit: Stand der Dinge und Implikationen für Fachwissenschaft wie Praxis. neue praxis 45 (4), 435-443 Welsche, M., Seibel, B., Nickolai, W. (Hrsg.) (2013): Sport und Soziale Arbeit in der Zivilgesellschaft. Feldhaus, Hamburg Die Autorin Prof. Dr. sportwiss. Mone Welsche Professorin für Entwicklungsförderung im Kindes- und Jugendalter, KH Freiburg Schwerpunkt Bewegungs- und Sportpädagogik in den Studiengängen Soziale Arbeit und Heilpädagogik, Leitung des Zusatzlehrprogramms »Sportbezogene lebensweltorientierte Soziale Arbeit mit sozial benachteiligten jungen Menschen« (SPOSA) Anschrift Prof. Dr. Mone Welsche Katholische Hochschule Freiburg Karlstrasse 63 D-79104 Freiburg mone.welsche@kh-freiburg.de
