eJournals motorik 41/2

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2018.art12d
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2018
412

Bewegung, Sprache und Resilienz in der frühen Kindheit

41
2018
Thorsten Späker
Janna Horn
Kim Lipinski
Tina Ried
Frank Francesco Birk
Das Forschungsprojekt »Bewegung, Sprache und Resilienz in der frühen Kindheit« am Lehrstuhl Motologie der Philipps-Universität Marburg untersuchte in einer vergleichenden Querschnittsstudie mit Hilfe von standardisierten Testverfahren die motorischen, sprachlichen und sozial-emotionalen Fähigkeiten von 5- und 6-jährigen Kindern aus Regel-, Wald- und Bewegungskindergärten. Es zeigte sich, dass die Kinder aus dem Waldkindergarten in fast allen Bereichen überlegen waren. Neben der möglicherweise unterschiedlichen Klientel im Waldkindergarten, könnten die besseren Ergebnisse mit der entwicklungsfördernden Umgebung des Waldes zusammenhängen.
7_041_2018_2_0004
Zusammenfassung / Abstract Das Forschungsprojekt »Bewegung, Sprache und Resilienz in der frühen Kindheit« am Lehrstuhl Motologie der Philipps-Universität Marburg untersuchte in einer vergleichenden Querschnittsstudie mit Hilfe von standardisierten Testverfahren die motorischen, sprachlichen und sozial-emotionalen Fähigkeiten von 5- und 6-jährigen Kindern aus Regel-, Wald- und Bewegungskindergärten. Es zeigte sich, dass die Kinder aus dem Waldkindergarten in fast allen Bereichen überlegen waren. Neben der möglicherweise unterschiedlichen Klientel im Waldkindergarten, könnten die besseren Ergebnisse mit der entwicklungsfördernden Umgebung des Waldes zusammenhängen. Schlüsselbegriffe: motorische Fähigkeiten, Sprachentwicklung, Resilienz, Querschnittsstudie, Waldkindergarten, Bewegungskindergarten Movement, language and resilience in early childhood - a-comparative study between mainstream nurseries, forest nursery schools and nurseries promoting physical activity The research project »movement, language and resilience in early childhood« at the department of »Motologie« at Philipps-University of Marburg examined the motor, linguistic and social-emotional abilities of children aged 5 and 6 years in a comparative cross-sectional study between mainstream nurseries, forest nursery schools and nurseries promoting physical activities using standardised test methods. The results show that children attending a forest nursery school were superior in almost all development areas. Besides the possibility that children attending a forest nursery school are from a different milieu, the better results could indicate that the environment of a forest promotes the child development. Key words: motor skills, language development, resilience, crosssectional study, forest nursery school, nursery promoting physical activity [ 61 ] motorik, 41. Jg., 61-69, DOI 10.2378 / motorik2018.art12d © Ernst Reinhardt Verlag 2| 2018 [ FORuM PSyCHOMOTORIK ] Bewegung, Sprache und Resilienz sind drei wesentliche Entwicklungsbereiche in der frühen Kindheit. Die damit verbundenen Kompetenzen sind ausschlaggebend für die Reifung der Persönlichkeit und wegweisend für den schulischen und weiteren Werdegang. Neben dem Elternhaus haben insbesondere die Kindergärten einen großen Einfluss auf die Entwicklung dieser Kompetenzbereiche. Dabei weisen die Einrichtungen in Deutschland mittlerweile eine Vielzahl von inhaltlichen Ausrichtungen auf. In Deutschland gibt es ca. 52.000 Kindertageseinrichtungen, wovon ca. ein Drittel von öffentlichen Trägern betrieben wird und der überwiegende Anteil von 67 % in freier Trägerschaft liegt, insbesondere von kirchlichen-konfessionellen Anbietern (Statistisches Bundesamt 2012, 19). Mittlerweile gibt es ca. 1000 eigenständige Natur- und Waldkindergärten in freier Trägerschaft (meist Elterninitiativen), die ihren pädagogischen Alltag ohne feste Räumlichkeiten überwiegend in freier Natur ausführen (BvNW 2017). Daneben haben sich bundesweit ebenfalls ca. 1.000 Kindergärten zu zertifizierten Bewegungskindergärten anerkennen lassen (Schwarz 2013a, 115). Bewegung, Sprache und Resilienz in der frühen Kindheit Eine vergleichende untersuchung in Regel-, Wald- und Bewegungskindergärten Thorsten Späker, Janna Horn, Kim Lipinski, Tina Ried, Frank Francesco Birk [ 62 ] 2| 2018 Forum Psychomotorik Fragestellung Die Fragestellung, die hier fokussiert wird, zielt demnach darauf, inwieweit die konzeptionellen Ausrichtungen von Regel-, Wald- und Bewegungskindergärten die Entwicklungsbereiche Motorik, Sprache und sozial-emotionale Kompetenzen in der frühen Kindheit bestimmen. Es gibt hierzu einige wenige vergleichende Studien von Wald- und Regelkindergärten, die den Kindern aus den Waldkindergärten u. a. mehr Kreativität, ein positiveres Sozialverhalten, bessere grobmotorische Fähigkeiten, mehr Konzentrationsfähigkeit, weniger Stress, eine größere Risikokompetenz und in der Tendenz eine schlechtere Feinmotorik zusprechen (Grahn et al. 1997; Häfner 2002; Gorges 2002; Kiener 2004; Scholz / Krombholz 2007). Im Einbezug des Bewegungskindergartens zeigte sich hingegen, dass die Kinder dieser Kindergartenform die besten motorischen Fähigkeiten aufwiesen, signifikant höher als die Kinder aus dem Waldkindergarten (Schwarz 2013a, 116). Diese Ergebnisse sollten mithilfe standardisierter Testverfahren überprüft werden. Gleichzeitig war ein gänzlich neuer Untersuchungsgegenstand der Vergleich der sprachlichen Fertigkeiten in den drei Kindergartentypen. Methode Um die drei Entwicklungsbereiche Bewegung, Sprache und Resilienz vergleichen zu können, wurden folgende Verfahren im Querschnittsdesign eingesetzt: Die motorische Entwicklung wurde mit der Kurzform des Bewegungstests BOT-2 erfasst (Bruininks / Bruininks 2014). Hier werden die Feinmotorische Steuerung (z. B. Formen ausmalen, Papier falten, Stern abzeichnen), die Handkoordination (z. B. Münzen transportieren, Karten sortieren, Ball fangen), die Körperkoordination (z. B. Hüpfen auf der Stelle, Gehen auf einer Linie, Stehen auf einem Balken) sowie die Kraft und Geschicklichkeit (z. B. Nachstellschritt über einen Balken, Hocksitz an der Wand) gemessen. Die Sprachentwicklung wurde mit dem ETS 4-8 überprüft (Angermaier 2007). Dieser besteht aus den Untertests Sprachverständnis, Grammatikentwicklung, Silben erkennen und Farbnamen (Gedächtnis). Der Entwicklungsbereich Resilienz wurde mit dem Beobachtungsbogen PERIK erfasst (Mayr / Ulrich 2006). Dieser misst die sozialemotionalen Kompetenzen in den Bereichen Kontaktfähigkeit, Selbststeuerung / Rücksichtnahme, Selbstbehauptung, Stressregulierung, Aufgabenorientierung und Explorationsfreude. Ergänzend zu den Testverfahren wurde ein modifizierter Elternfragebogen von Krombholz (2005) eingesetzt, der Informationen, z. B. zu Freizeitaktivitäten, Wohnumfeld, Migrationshintergrund, Berufstätigkeit und Bildungsabschluss der Eltern etc., erfasst. Zur statistischen Auswertung wurde das Computerprogramm SPSS Version 21 verwendet. Das Signifikanzniveau wurde auf p <.05 festgelegt, Tendenzen werden berichtet (p <.10). Vorgehen und Stichprobe An der Untersuchung nahmen insgesamt 16 Kindertagesstätten aus dem mittelhessischen Raum teil, darunter sieben Regelkindergärten, drei Bewegungskindergärten und sechs Waldkindergärten. Insgesamt wurden die Daten von 150 5bis 6-jährigen Kindern (Ø-Alter: 72 Monate,SD = 5,78) verwertet, die seit mindestens einem Jahr in ihrer Einrichtung waren. Von den 150 untersuchten Kindern besuchten 57 Kinder einen Regelkindergarten (Ø-Alter: 73,26 Monate, SD = 5,20), 46 Kinder einen Waldkindergarten (Ø-Alter: 71,33 Monate, SD = 6,46) und 47 Kinder einen Bewegungskindergarten (Ø-Alter: 71,87 Monate, SD = 5,66). Die Stichprobe bestand aus 68 Jungen (45,4 %) und 82 Mädchen (54,6 %) in etwa gleicher Verteilung auf die Kindergartentypen. Zu Beginn der Untersuchung wurden neben dem Anschreiben der Eltern auch persönlich adressierte Briefe an die Kinder entsandt, in denen sie auf eine altersangemessene Weise über den Die drei Entwicklungsbereiche wurden mit speziellen Verfahren im Querschnittsdesign verglichen. [ 63 ] Späker, Horn, Lipinski, Ried, Birk • Bewegung, Sprache und Resilienz in der frühen Kindheit 2| 2018 bevorstehenden Besuch aufgeklärt wurden. Um eine mögliche Überforderung auszuschließen, haben die Kinder an einem Tag jeweils nur an einem Test teilgenommen. Für die einzelnen Untersuchungsbereiche variiert die Stichprobengröße, da z. B. in Einzelfällen aus Krankheitsgründen nicht alle Testverfahren durchgeführt werden konnten oder eine inhaltliche Auswahl notwendig erschien, z. B. im Sprachvergleich, wenn »deutsch« nicht als Muttersprache angegeben wurde. Ergebnisse Die Mittelwerte und Standardabweichung aller übergeordneten Skalen der verschiedenen Entwicklungsbereiche sind für die unterschiedlichen Kindergartentypen in Tabelle 1 aufgeführt. Entwicklungsbereich Bewegung Im Entwicklungsbereich Bewegung zeigte sich ein signifikanter Unterschied in den Mittelwerten der ersten Skala Kraft und Geschicklichkeit (F(2,142)=3,346; p=.038). Im Vergleich erzielten die Kinder aus dem Waldkindergarten hier signifikant bessere Werte als die Kinder aus dem Bewegungskindergarten, was insbesondere auf die Unteraufgaben der Sit-ups (F(2,142)=3,033; p=.051) und des Hüpfens zur Seite auf einem Bein (F(2,142)=3,649; p=.028) zurückzuführen ist (Abb. 1). Regelkindergarten M (SD) Bewegungskindergarten M (SD) Waldkindergarten M (SD) Entwicklungsbereich Bewegung Kraft und Geschicklichkeit 14,95 (3,28) 13,93 (3,11) 15,69 (3,18)* Körperkoordination 11,00 (3,02) 11,14 (3,19) 12,36 (3,00)+ Feinmotorische Steuerung 22,11 (6,29) 19,05 (8,16) 19,69 (6,19) Handkoordination 11,68 (3,30) 12,47 (4,12) 11,51 (4,60) Entwicklungsbereich Sprache Sprachverständnis 23,26 (5,84) 23,17 (5,71) 26,36 (3,16)* Grammatikentwicklung 35,10 (5,09) 35,10 (3,98) 37,45 (3,24)* Farbnamen (Gedächtnis) 12,57 (3,15) 12,14 (2,42) 12,64 (2,26) Silben erkennen 28,10 (7,01) 26,64 (6,53) 30,77 (6,99)* Entwicklungsbereich Resilienz Kontaktfähigkeit 22,56 (4,22) 22,11 (4,85) 24,37 (4,35)* Selbststeuerung / Rücksichtnahme 22,80 (4,52) 23,42 (4,03) 24,43 (4,45) Selbstbehauptung 23,00 (4,59) 22,93 (4,37) 23,89 (4,64) Stressregulierung 21,42 (4,69) 21,24 (4,13) 21,07 (4,76) Aufgabenorientierung 23,31 (4,74) 22,53 (5,17) 24,61 (3,72) Explorationsfreude 23,02 (4,25) 21,56 (4,71) 24,02 (4,26)* Tab. 1: Mittelwerte der Entwicklungsbereiche Bewegung (vgl. auch Birk 2016, 52), Sprache und Resilienz in den verschiedenen Kindergartenformen (+ p <.10, * p-<.05, ** p <.01) [ 64 ] 2| 2018 Forum Psychomotorik Abb. 1: »Kraft und Geschicklichkeit« - Mittelwerte nach Kindergartentyp (vgl. auch Birk 2016, 43) 14,95 13,93 15,69* 8 10 12 14 16 18 20 Regelkindergarten Bewegungskindergarten Waldkindergarten Kraft und Geschicklichkeit Abb. 2: »Körperkoordination« - Mittelwerte nach Kindergartentyp (vgl. auch Birk 2016, 38) Abb. 3: »Feinmotorische Genauigkeit« - Mittelwerte nach Kindergartentyp 11 11,14 12,36+ 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 Regelkindergarten Bewegungskindergarten Waldkindergarten Körperkoordination 10,23+ 8,84 8,93 0 2 4 6 8 10 12 14 Regelkindergarten Bewegungskindergarten Waldkindergarten Feinmotorische Genauigkeit Daneben zeigte sich eine Tendenz, dass die Kinder aus dem Waldkindergarten im Vergleich zu den Regelkindergartenkindern bessere Werte auf der zweiten Skala Körperkoordination (F(2,142)=2,795; p=.064) erreichten (Abb. 2). Dies begründet sich vor allem durch den signifikanten Unterschied in den Unteraufgaben Einbeinstand (F(2,142)=3,903; p=.022) und Hüpfen auf der Stelle (mit Koordination der Arme und Beine) (F(2,142)=3,707; p=.027). In der dritten Skala Feinmotorische Steuerung findet sich in der Unterskala Feinmotori- [ 65 ] Späker, Horn, Lipinski, Ried, Birk • Bewegung, Sprache und Resilienz in der frühen Kindheit 2| 2018 sche Genauigkeit demgegenüber eine Tendenz, dass die Kinder aus dem Regelkindergarten besser abschneiden als die Wald- und Bewegungskindergartenkinder (F(2,142)=2,581; p=.079) (Abb. 3). Dies liegt vor allem am signifikanten Unterschied in der Unteraufgabe Spur nachzeichnen (F(2,142)=3,231; p=.042) und an der besseren Tendenz in der Unteraufgabe Papier falten (F(2,142)=2,743; p=.068). Ergänzend zeigt sich in der vierten und letzten Bewegungsskala Handkoordination eine Tendenz, dass die Kinder des Bewegungskinder- Abb. 4: »Sprachverständnis« - Mittelwerte nach Kindergartentyp Abb. 5: »Grammatikentwicklung« - Mittelwerte nach Kindergartentyp Abb. 6: »Phonologische Bewusstheit« - Mittelwerte nach Kindergartentyp 23,26 23,17 26,36** 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 Regelkindergarten Bewegungskindergarten Waldkindergarten Sprachverständnis 35,1 35,1 37,45* 26 28 30 32 34 36 38 40 42 Regelkindergarten Bewegungskindergarten Waldkindergarten Grammatikentwicklung 28,1 26,64 30,77* 14 19 24 29 34 39 Regelkindergarten Bewegungskindergarten Waldkindergarten Silben erkennen - Phonologische Bewusstheit [ 66 ] 2| 2018 Forum Psychomotorik gartens im Vergleich zu den Kindern des Waldkindergartens bessere Ergebnisse in der Unteraufgabe Ball fangen aufweisen (F(2,142)=2,420; p=.093). Entwicklungsbereich Sprache Im Entwicklungsbereich Sprache erreichten die Kinder aus dem Waldkindergarten im Vergleich zu den beiden anderen Kindergartenformen hoch signifikant bessere Werte auf der Skala Sprachverständnis (F(2,125)=5,664; p=.004) (Abb. 4). Zudem schnitten sie signifikant am besten auf der Skala Grammatikentwicklungab(F(2,125)=4,646; p=.011) (Abb. 5). Auch auf der Skala Silben erkennen (Phonologische Bewusstheit) hatten die Waldkindergartenkinder signifikant bessere Ergebnisse (F(2,125)=4,041; p=.020) (Abb. 6). Auf der Skala Farbnamen (Gedächtnis) gab es keine nennenswerten Unterschiede. Entwicklungsbereich Resilienz Im Entwicklungsbereich Resilienz zeigte sich, dass die Kinder aus dem Waldkindergarten im Vergleich zum Bewegungskindergarten signifikant höhere Werte in der Skala Kontaktfähigkeit erzielten (F(2,140)=3,310; p=.039) (Abb. 7). Dies traf ebenfalls auf die Skala Explorationsfreude zu (F(2,138)=3,576; p=.031) (Abb. 8). In den anderen Skalen Selbststeuerung / Rücksichtnahme, Selbstbehauptung, Stressregulierung und Aufgabenorientierung traten keine Mittelwertunterschiede auf. Diskussion Für den Entwicklungsbereich Bewegung zeigte sich, dass die Waldkindergartenkinder signifikant und in der Tendenz die besseren Ergebnisse in den Skalen »Kraft und Geschicklich- Abb. 7: »Kontaktfähigkeit« - Mittelwerte nach Kindergartentyp Abb. 8: »Explorationsfreude« - Mittelwerte nach Kindergartentyp 22,56 22,11 24,37* 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 Regelkindergarten Bewegungskindergarten Waldkindergarten Kontaktfähigkeit 23,02 21,56 24,02* 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 Regelkindergarten Bewegungskindergarten Waldkindergarten Explorationsfreude [ 67 ] Späker, Horn, Lipinski, Ried, Birk • Bewegung, Sprache und Resilienz in der frühen Kindheit 2| 2018 keit« sowie »Körperkoordination« aufwiesen. Dies könnte auf die besonderen naturbezogenen und bewegungsfreundlichen Raumbedingungen des Waldkindergartens zurückzuführen sein. Schwarz (2013b) stellte in der BeBi-Studie in Baden Württemberg heraus, dass im Regelkindergarten (inkl. Bewegungskindergärten) innerhalb des Gebäudes im Durchschnitt 7,1- m² Fläche pro Kind zur Verfügung stehen, bei 29,8- m² im Außengelände. Die Waldkindergärten hatten im Vergleich pro Kind 3,2- m² in der Schutzhütte bzw. im Bauwagen und 109,2-m² im Außenwaldgelände zur Verfügung. Da die Waldkinder ganzjährig draußen sind, ergibt sich dadurch, je nach Jahreszeit und Nutzung des Außengeländes der Hauseinrichtungen, ein bis zu ca. zehnmal größerer Bewegungsraum im Waldkindergarten. Das häufige Unterwegssein, die vielfältigen Klettergelegenheiten und insbesondere das permanente Gleichgewichtstraining auf unebenem Waldboden sind hier einige Faktoren, welche die nachgewiesenen Effekte hervorrufen könnten. Bestätigt werden konnte ebenfalls, dass die Waldkindergartenkinder eine tendenziell schlechtere Feinmotorik aufweisen. Hier wird deutlich, dass das vielfältige Basteln, Schneiden, Kleben etc. im Regelkindergarten sich sehr positiv auf diesen Entwicklungsbereich auswirkt. Die Kinder aus dem Bewegungskindergarten zeigten demgegenüber die besten Fähigkeiten im Umgang mit dem Ball, was ebenfalls auf höhere Übungseffekte in den Einrichtungen zurückzuführen sein könnte. Der Vergleich der Sprachtestergebnisse deutet auf einen sprachförderlichen Charakter der Waldkindergärten hin. In drei von vier Unterskalen wurden signifikant bessere Ergebnisse als in den anderen Institutionen erzielt. Nach Godau (2009) bietet die Natur immer wieder neue, wechselnde lebendige und damit dynamisch reizvolle Sprachbzw. Gesprächsanlässe mit einer großen Themenvielfalt, z. B. durch Absprachen beim Bauen, Entdecken von Tieren, Hilfestellungen beim Klettern etc. Mit intensiven Wahrnehmungs- und Bewegungserfahrungen verbunden und damit emotional im erlebten Handeln bedeutsam verknüpft, bleiben neue Wörter besser im Gedächtnis, wird Grammatik besser aufgenommen und eine bessere Prosodie ausgebildet (Godau 2009, 21 ff ). Dazu kommt sicher, dass in der Natur meist eine entspanntere, d. h. vor allem ruhigere Kommunikationsatmosphäre vorzufinden ist. Die »Attention Restoration Theory« von Kaplan (1995, 169 ff ) nimmt hierzu an, dass Naturräume eine anstrengungslose Aufmerksamkeit fördern, was zu einer Kontrollentspannung, einer Regeneration der Konzentrationskapazitäten und damit letztendlich zu einer entspannteren Stimmung führt. Auch wenn sie in den Berechnungen nicht berücksichtigt worden sind, ist darauf hinzuweisen, dass von 15 Kindern der Studie, zu denen angegeben wurde, dass Deutsch nicht die Muttersprache war, 13 Kinder auf die Regelkindergärten fielen und lediglich je eins aus einem Waldbzw. Bewegungskindergarten kam. Dies scheint ein Hinweis darauf zu sein, dass weniger Kinder aus den Wald- und Bewegungskindergärten einen Migrationshintergrund aufweisen und die Regelkindergärten möglicherweise mit mehr heterogener Vielfalt konfrontiert sind. Im Entwicklungsbereich Resilienz konnte aufgezeigt werden, dass die Kinder aus dem Waldkindergarten im Durchschnitt eine größere Kontaktfähigkeit als die Kinder der anderen Kindergartenformen attestiert bekamen. Die Kinder finden also leichter und schneller einen positiven Kontakt zu anderen Kindern, spielen öfter gemeinsam, kommunizieren mehr und haben eine tiefergehende Beziehung zu anderen Kindern. Dazu ist zu sagen, dass die Waldkindergärten meist nur aus ein bis max. zwei Gruppen bestehen und tendenziell einen höheren Betreuungsschlüssel aufweisen (Späker / Ulrich 2015, 149). Die intensivere Betreuung in kleineren Gruppen, verbunden mit den entspannteren Umgebungsbedingungen und den vielfältigen Kommunikations- und Interaktionsanregungen, scheinen sich positiv auf die Kontaktfreude und Beziehungsfähigkeit auszuwirken. Ebenso zeigte sich im Vergleich auch eine signifikant höhere Explorationsfreude bei den Waldkinder- Die Testergebnisse deuten auf eine sprachförderliche Umgebung im Waldkindergarten hin. [ 68 ] 2| 2018 Forum Psychomotorik gartenkindern. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass die Kinder Spaß haben, etwas Neues kennen zu lernen, dass sie optimistisch und zuversichtlich sind, wenn sie etwas Neues anfangen, dass sie selbständig neue Dinge erkunden und sich auch schwierige Aufgaben zutrauen. Das zentrale Argument für eine höhere Explorationsfreude in Naturräumen lautet hier, dass sie eine ansprechende Vielfältigkeit aufweisen, welche einen Neugierde-Sog erzeugen könnte. Der Abwechslungsreichtum begründet sich durch die besondere Dynamik von Lebensprozessen in naturnahen Räumen, die sich durch ständige Veränderung und Bewegung auszeichnen. Durch den ständigen Wandel werden immer wieder neue Entdeckungsreize gesetzt. In Naturerfahrungsräumen finden sich dazu oft klar strukturierte, einfache Handlungsanforderungen, wie z. B. den Berg hochzukommen, den Baum zu erklettern, den Brennnesseln auszuweichen, warm und trocken zu bleiben, eine Hütte zu bauen oder eine bestimmte Wegstrecke zurückzulegen. Dabei entscheidet nicht die soziale Umwelt, sondern die dingliche Umwelt in einer klaren Rückmeldung unmittelbar über Erfolg oder Misserfolg der Bemühungen (Späker 2017, 243 ff ). Zu den besseren Resilienz-Werten der Kinder aus dem Waldkindergarten passt auch, dass im Elternfragebogen die Waldkindergarteneltern ihre Kinder hoch signifikant gesünder einschätzen als die Eltern aus dem Regel- oder Bewegungskindergarten (F(2,147)=6,119; p=.003). Zu guter Letzt muss noch kritisch angemerkt werden, dass die gewonnenen Ergebnisse im Querschnittdesign nicht gänzlich auf die zu Grunde liegenden Rahmenbedingungen und Konzeptionen der Kindergartentypen zurückgeführt werden können, da die Spezifik der Klientel (Milieu, Bildungshintergrund etc.) berücksichtigt werden muss (Kohorteneffekt). So zeigt sich, dass die Betreuungszeiten im Ganztagsbereich in Regelkindergärten hochsignifikant länger sind im Vergleich zum Bewegungs- oder Waldkindergarten (F(2,144)=13,290; p=.000). Damit ist die kindliche Entwicklung der Wald- und Bewegungskindergartenkinder insbesondere im Nachmittagsbereich - zumindest vom Zeitvolumen - vermehrt durch ihre Eltern und ihre privaten Sozialkontakte geprägt. Eltern, deren Kinder einen Waldkindergarten besuchen, besitzen dabei einen signifikant höheren Bildungsabschluss (Abitur, Fachhochschulreife, abgeschlossenes Studium) (Mütter (F(2,144)=9,255; p=.000) und Väter (F(2,136)=4,044; p=.020)). Dennoch zeigen sich insgesamt einige heuristische Anhaltspunkte für die entwicklungsbezogene Bedeutung der unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Kindergartentypen. Die exogenen räumlichen Bedingungen des Erfahrungsraums Natur scheinen einen großen Anteil an der Förderung der Entwicklungsbereiche Bewegung, Sprache und Resilienz zu haben. Der Einbezug natürlicher Umgebungen als entwicklungsfördernder Parameter sollte daher in der frühpädagogischen Praxis vermehrt Berücksichtigung finden. Um darüber hinaus differenziertere Aussagen zur Wirkung der verschiedenen Kindergartentypen treffen zu können, wäre zudem eine längsschnittorientierte Untersuchung mit integrierten qualitativen Erhebungsverfahren und Einzelfallstudien sinnvoll. Literatur Angermaier, M. J. W. (2007): Entwicklungstest Sprache für Kinder von 4 bis 8 Jahren (ETS 4-8). Pearson Assessment, Frankfurt Birk, F. F. (2016): Die hessische Kindergartenstudie. Eine vergleichende Studie zum Bildungsbereich Bewegung in Regel-, Wald- und Bewegungskindergärten bei 5bis 6-jährigen. Akademiker Verlag, Saarbrücken Bruininks, R. H., Bruininks, B. D. (2014): BOT-2. Bruininks-Oseretzky Test der motorischen Fähigkeiten. 2. Aufl. Deutsche Bearbeiter und Herausgeber: Blank, R., Jenetzky, E., Vinçon, S., Pearson Assessment, Frankfurt BvNW (Bundesverband der Natur- und Waldkindergärten in Deutschland e. V.) (2017): Natur- und Waldkindergärten Deutschland - Bundesländer. In: http: / / bvnw.de/ ? page_id=578, 05.10.2017 Godau, M. (2009): Der Wald ist voller Wörter. Ganzheitliche Sprachförderung in der Natur. Verlag an der Ruhr, Mülheim an der Ruhr Der Einbezug natürlicher Umgebungen sollte zur Entwicklungsförderung vermehrt Berücksichtigung finden. [ 69 ] Späker, Horn, Lipinski, Ried, Birk • Bewegung, Sprache und Resilienz in der frühen Kindheit 2| 2018 Gorges, R. (2002): Waldkindergartenkinder im ersten Schuljahr. Eine empirische Untersuchung. Zeitschrift für Erlebnispädagogik 7/ 8, 10-18 Grahn, P., Maartensson, F., Lindblad, B., Nilsson, P., Ekman, A. (1997): Ute pa dagis. Hur använder barn daghemsgarden? Utformningen av daghemsgarden och dess betydelse för lek, motorik och koncentrationsförmaga. Stad & Land, 145 Häfner, P. (2002): Natur- und Waldkindergärten in Deutschland - eine Alternative zum Regelkindergarten in der vorschulischen Erziehung. Inauguraldissertation. Universität Heidelberg Kaplan, S. (1995): The restorative benefits of Nature: Towards an integrative framework. Journal of Environmental Psychology 15 (3), 169-182, https: / / doi. org/ 10.1016/ 0272-4944(95)90001-2 Kiener, S. (2004): Kindergärten in der Natur - Kindergärten in die Natur? Fördert das Spielen in der Natur die Entwicklung der Motorik und Kreativität von Kindergartenkindern? Lizentiatsarbeit, Psychologisches Institut der Universität Fribourg Krombholz, H. (2005): Bewegungsförderung im Kindergarten. Ein Modellversuch. Hofmann, Schorndorf Mayr, T., Ulrich, M. (2006): PERIK. Positive Entwicklung und Resilienz im Kindergartenalltag. Begleitheft zum Beobachtungsbogen. Herder, Freiburg Scholz, U., Krombholz, H. (2007): Untersuchung zur körperlichen Leistungsfähigkeit von Kindern aus Waldkindergärten und Regelkindergärten. motorik 30 (1), 17-22 Schwarz, R. (2013a): Projektbericht: BeBi-Studie - Bewegung und Bildung im Vergleich unterschiedlicher Kindergartentypen. motorik 36 (2), 115-116 Schwarz, R. (2013b): Waldkindergärten aus bewegungswissenschaftlicher Sicht. Teil II - Kinder im Wald: soziale, kognitive und motorische Entwicklungen. Draußenkinder 5 (3), 22-24 Späker, T. (2017): Natur - Entwicklung und Gesundheit. Handbuch für Naturerfahrungen in pädagogischen und therapeutischen Handlungsfeldern. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler Späker, T., Ulrich, C. (2015): Spielen im Regel- und Waldkindergarten. Eine vergleichende Befragung zu Rahmen und Themen des Spielverhaltens von Vorschulkindern. Praxis der Psychomotorik 40 (3), 148-154 Statistisches Bundesamt (2012): Kindertagesbetreuung in Deutschland 2012. Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 6. November 2012 in Berlin. Eigenverlag, Wiesbaden Die AutorInnen Dr. Thorsten Späker Dipl.-Sportlehrer, Motopäde, M.A. Motologe; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportwissenschaft und Motologie, Universität Marburg Janna Horn B.A. Rehabilitationspädagogin, M.A. Motologin; Bewegungstherapeutin in der Vitos Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Marburg Kim Lipinski B.A. Rehabilitationspädagogin, M.A. Motologin; Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Sportwissenschaft, Universität Bochum Tina Ried B.A. Erziehungswissenschaft/ Germanistik, M.A. Motologin; Bewegungstherapeutin im integrativen Kindergarten Heiligenland, Suhl Frank Francesco Birk Erzieher, Motopäde, B.A. Pädagoge, M.A. Motologe; Doktorand und Dozent an der Universität zu Köln Anschrift Dr. Thorsten Späker Institut für Sportwissenschaft und Motologie Philipps-Universität Marburg Barfüßerstr. 1 D-35032 Marburg spaekert@staff.uni-marburg.de