motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2019
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Aktuelles / Kurz berichtet: Wenn die Bewegung einfriert und die Stimme verschwindet
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2019
Ursina Degen
Erika Hunziker
Es klingelt an der Türe. Herr Sommer will aufstehen und die Türe öffnen, aber es dauert eine ganze Weile, denn er braucht mehrere Anläufe, bis er steht. Dann trippelt er langsam, in kleinen Schritten zur Türe und öffnet sie mit zitternden Händen. Bei der Begrüßung ist seine Stimme schwach und sein Sprechen schwer verständlich. Herr Sommer leidet seit einigen Jahren an Parkinson. [...]
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[ 41 ] Aktuelles / Kurz berichtet 1 | 2019 Berichte Wenn die Bewegung einfriert und die Stimme verschwindet Interdisziplinäres Forschungsprojekt Psychomotorik und Logopädie / Sprachtherapie zum subjektiven Wohlbefinden von Menschen mit Morbus Parkinson (ParBEST) Es klingelt an der Türe. Herr Sommer will aufstehen und die Türe öffnen, aber es dauert eine ganze Weile, denn er braucht mehrere Anläufe, bis er steht. Dann trippelt er langsam, in kleinen Schritten zur Türe und öffnet sie mit zitternden Händen. Bei der Begrüßung ist seine Stimme schwach und sein Sprechen schwer verständlich. Herr Sommer leidet seit einigen Jahren an Parkinson. Ausgangslage Morbus Parkinson ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Ausgelöst werden die Symptome durch einen Dopaminmangel im Gehirn, dessen genaue Ursache noch nicht bekannt ist. Daher wird vom ideopathischen Parkinson-Syndrom (IPS) gesprochen. Die Symptome zeigen sich auf motorischer und sprachlicher Ebene: Menschen mit IPS haben Probleme, willkürliche Bewegungen zu starten. Ihr Gehen ist kleinschrittig, verlangsamt und die Mitbewegungen der Arme sind reduziert. Es besteht eine Tonuserhöhung, die als Versteifung empfunden wird und längerfristig zu Schmerzen führt. Die Gestik ist vermindert, wirkt starr. Typisch sind Tremor und eine nach vorne gebeugte Haltung. Diese führt zu einer Haltungsinstabilität. Auffallend in der sprachlichen Kommunikation sind eine leise Stimme und eine monotone Sprechmelodie. Die Artikulation ist verwaschen und die Verständlichkeit reduziert. Das Sprechtempo ist i. d. R. beschleunigt (Baronti et al. 2014; Ludwig / Annecke 2007; Manor et al. 2005). Die Auswirkungen von IPS im Alltag sind vielfältig: Einschränkungen der Beweglichkeit und die Instabilität führen zu einer allgemeinen Verunsicherung. Veränderungen der Stimme und der Artikulation führen zu Missverständnissen und zu einer reduzierten Kommunikationsbereitschaft. Die Symptomatik mit ihren Folgen für den Alltag sowie die Reaktionen der Umwelt belasten die Betroffenen stark. Es ist anzunehmen, dass die Symptome das subjektive Wohlbefinden von Menschen mit Morbus Parkinson einschränken. Interdisziplinäres Kurskonzept Ausgehend von der Annahme, dass therapeutische Maßnahmen stabilisierend auf den progressiven Verlauf wirken, haben die Autorinnen das interdisziplinäre Kurskonzept »Bewegung und Stimme« ausgearbeitet. Ziel dieser Gruppenintervention ist, durch Bewegungsunterstützung die Stimme zu kräftigen und das Selbstvertrauen zu stärken. Schwerpunkte bilden neue Bewegungserfahrungen, Erlebnisse mit verschiedenen Materialien, das Verbinden von Bewegung und Stimme sowie das Experimentieren mit der Stimme. Die Kursinhalte orientieren sich an den Ressourcen der Teilnehmenden. Die Kursleitung wurde von Studierenden der Psychomotorik und Logopädie der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich unterstützt. Evaluationen der bisherigen Kurse, jeweils am Kursende (Ratingskala von 1-10), zeigten eine positive Einschätzung. Die Kursteilnehmenden (TN) erwähnten zudem die angenehme Atmosphäre, die positive Wirkung des Gruppensettings und die Beteiligung der Studierenden. Diese Aussagen führten zur Hypothese, dass die Gruppenintervention »Bewegung und Stimme« das subjektive Wohlbefinden steigert. Fragestellung Ausgehend von den bisherigen, positiven Erfahrungen entstand die Idee, eine empirische Studie unter dem Akronym ParBEST (Parkinson-Bewegung- Stimme) durchzuführen. Ziel war, herauszufinden, inwieweit der interdisziplinäre Kurs »Bewegung und Stimme« Einfluss auf das subjektive Wohlbefinden der Kursteilnehmenden hat. Dabei wurde ein Vergleich mit einer Kontrollgruppe hergestellt, die keinen entsprechenden Kurs besuchte. Ausgang der Studie bildete folgende Fragestellung: Inwieweit hat die Verbindung von Bewegung und Stimme, in einem zeitlich begrenzten ressourcenorientierten Gruppenangebot, Einfluss auf das subjektive Wohlbefinden von Menschen mit Morbus Parkinson? Im Rahmen einer qualitativen und quantitativen Untersuchung (Bortz / Döring 2016; Flick 2016) fanden zu verschiedenen Zeitpunkten Befragungen statt. Die Untersuchung beinhaltete Fragebögen und ein Leitfadeninterview zum subjektiven Wohlbefinden und zum Krankheitsbild. Folgende Instrumente wurden verwendet: [ 42 ] 1 | 2019 Aktuelles / Kurz berichtet ■ WHO-5-Fragebogen zum Wohlbefinden (Schneider / Niebling 2008), ■ Kurzfragebogen zum allgemeinen habituellen Wohlbefinden FAHW-12 (Wydra 2014), ■ Fragen aus Parkinson’s Disease Quality of Life Questionnaire PDQ- 39 (Peto et al. 1995; Jenkinson et al. 1997; Berger et al. 1999). Um Störvariablen zu kontrollieren, führten die Autorinnen neben Gruppenauswertungen eine Multiple Fallstudie durch (Yin 2013). Der zeitliche Ablauf und die eingesetzten Untersuchungsverfahren werden in Abbildung 1 vorgestellt. Zurzeit werden die erhobenen Daten ausgewertet. Mögliche Ergebnisse Es wird angenommen, dass der Kurs »Bewegung und Stimme« das subjektive Wohlbefinden der Kursteilnehmenden steigert. Wird die Fragestellung positiv beantwortet, weist das interdisziplinäre Kurskonzept auf eine zusätzliche Behandlungsmöglichkeit von Morbus Parkinson hin. Literatur Baronti, F., Conti, F., Hägele-Link, S., Kägi, G., Lisitchkina, H., Ludin, H. P., Oechsner, M., Sturzenegger, M. (2014): Leben mit Parkinson. Symptomatik und Therapie. Parkinson Schweiz, Egg Berger, K., Broll, S., Winkelmann, J., Heberlein, I., Müller, T., Ries, V. (1999): Untersuchung zur Reliabilität der deutschen Version des PDQ-39: Ein krankheitsspezifischer Fragebogen zur Erfassung der Lebensqualität von Parkinson-Patienten. Aktuelle Neurologie 26 (4), 180-184, https: / / doi. org/ 10.1055/ s-2007-1017628 Bortz, J., Döring, N. (2016): Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. 5. Aufl. Springer, Heidelberg Flick, U. (2016): Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 7. Aufl. Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek bei Hamburg Jenkinson, C., Fitzpatrick, R., Peto, V., Greenhall, R., Hyman, N. (1997): The Parkinson’s Disease Questionnaire (PDQ-39). Development and validation of a Parkinson’s disease summary index score. Age Ageing 26 (5), 353-357, https: / / doi.org/ 10.1093/ ageing/ 26.5.353 Ludwig, E., Annecke, R. (2007): Der große Trias-Ratgeber. Parkinson-Krankheit. 2. Aufl. Trias, Stuttgart Manor, Y., Posen, J., Amir, O., Nechama, D., Galiadi, N. (2005): A Group Intervention Model for Speech and Communication Skills in Patients with Parkinson’s Disease: Initial Observation. Communication Disorders Quarterly 26 (2), 94-101, https: / / doi.org/ 1 0.1177/ 15257401050260020801 Peto, V., Jenkinson, C., Fitzpatrick, R., Greenhall, R. (1995): The development and validation of a short measure of functioning and well being for individuals with Parkinson’s diseae. Quality of Live Research 4 (2), 241-248, https: / / doi.org/ 10.1007/ BF02260863 Schneider, F., Niebling, W. (2008): Psychische Erkrankungen in der Hausarztpraxis. Springer Medizin Verlag, Heidelberg, https: / / doi. org/ 10.1007/ 978-3-540-71145-2 Wydra, G. (2014): Kurzfragebogen zum Allgemeinen Habituellen Wohlbefinden (FAHW-12). Copyright Georg Wydra. In: http: / / www.sportpädagogiksb.de/ pdf/ FAHW12.pdf, 12.01.2017 Yin, R. K. (2013): Case Study Research. Design and Methods. 5. Aufl. Sage, London Kontakt Lic. phil. Ursina Degen Dr. phil. Erika Hunziker Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Schaffhauserstrasse 239 CH-8050 Zürich udegen@bluewin.ch erika.hunziker@hfh.ch Abb. 1: Übersicht Forschungsprojekt
