motorik
7
0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
11
2019
421
Aktuelles / Kurz berichtet: Therapeutisches Klettern mit Kindern mit Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörungen
11
2019
Laura König
Mone Welsche
Im Rahmen einer Bachelorarbeit wurde aus Sicht der Eltern der Einfluss des Therapeutischen Kletterns auf das Verhalten von Kindern mit Auffälligkeiten oder Störungen im Bereich der Aufmerksamkeit und Aktivität mittels qualitativer Interviews (n=7) untersucht. Kinder mit Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörungen, wie der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS), fallen durch ihren übermäßig hohen Bewegungsdrang (Myschker / Stein 2014, 475 f), eine hohe Ablenkbarkeit und / oder kurze Konzentrationsspanne (Döpfner et al. 2013, 1) häufig negativ auf. [...]
7_042_2019_001_0045
[ 45 ] Aktuelles / Kurz berichtet 1 | 2019 Qualifikationsarbeit Therapeutisches Klettern mit Kindern mit Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörungen Leitfadengestützte Interviews mit Eltern zum Einfluss des Therapeutischen Kletterns auf das Verhalten ihrer Kinder Im Rahmen einer Bachelorarbeit wurde aus Sicht der Eltern der Einfluss des Therapeutischen Kletterns auf das Verhalten von Kindern mit Auffälligkeiten oder Störungen im Bereich der Aufmerksamkeit und Aktivität mittels qualitativer Interviews (n=7) untersucht. Kinder mit Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörungen, wie der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS), fallen durch ihren übermäßig hohen Bewegungsdrang (Myschker / Stein 2014, 475 f ), eine hohe Ablenkbarkeit und / oder kurze Konzentrationsspanne (Döpfner et al. 2013, 1) häufig negativ auf. Die daraus resultierende negative Rückmeldung aus dem sozialen Umfeld stellt neben den Symptomen eine zusätzliche Belastung für die Kinder dar und kann sich auf ihr Selbstbewusstsein auswirken (Ellinger 2007, 136). Das Therapeutische Klettern ist eine Interventionsform, welche sich nach Kowald und Zajetz (2015) für Kinder mit Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörungen besonders eignet. Ein Beispiel soll dies näher erläutern. Mit der Auswahl einer leichten Kletterroute wird das Ziel verfolgt, an der Konzentrationsfähigkeit des Kindes sowie an seinen Erfolgserlebnissen zu arbeiten. Zum Klettern benötigt das Kind seine ganze Aufmerksamkeit und Konzentration. Es muss die Struktur der Wand wahrnehmen und Tritte und Griffe finden. Ein Mangel an Aufmerksamkeit und Konzentration hat häufig eine direkte Konsequenz: das Fallen ins Seil (Kowald / Zajetz 2015, 24). Meistert das Kind die Kletterroute erfolgreich, so hat es ein Erfolgserlebnis. Dieses kann zum Aufbau seines positiven Selbstwertgefühles beitragen und dazu führen, dass es sich in einer ähnlichen Situation mehr zutraut und somit sein Verhalten an die gemachte Erfahrung anpasst (Kowald / Zajetz 2015, 37 f ). Methodik Das Angebot des Vereines »Eingebunden e. V.« richtet sich explizit an Kinder und Jugendliche, die Aufmerksamkeitsdefizite zeigen. Das Therapeutische Klettern soll, als pädagogisch-therapeutisches Mittel, in den Bereichen Motorik, Kognition und sozial-emotionales Verhalten Entwicklungskonzepte anbieten und die Kinder in ihrer psychosozialen Entwicklung unterstützen (Kraft o. J.). Es wurden Leitfadeninterviews mit Eltern (n=7) zur Frage »Bewirkt das Therapeutische Klettern eine Veränderung im Verhalten Ihrer Kinder mit Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung? « geführt. Die Kinder der Befragten waren zwischen sieben und zehn Jahre alt und männlich. Fünf der sieben Kinder haben eine AD(H)S Diagnose, die beiden anderen zeigten Symptome aus dem AD(H)S Spektrum. Sie besuchten das Kletterangebot des Vereines zum Zeitpunkt der Befragung seit mindestens fünf Monaten und maximal eineinhalb Jahren regelmäßig wöchentlich oder alle zwei Wochen. Die Analyse des Datenmaterials wurde mittels deduktiver wie induktiver Kategorienbildung anhand der zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) durchgeführt. Darstellung und Diskussion der Ergebnisse Auf die Eingangsfrage im Interview, weshalb die Kinder das Therapeutische Klettern besuchten, benannten alle Befragten Schwierigkeiten in verschiedenen Lebensbereichen und problematische Verhaltensweisen ihrer Kinder. Symptomspezifische Problematiken, Leistungsprobleme in der Schule, soziale Auffälligkeiten, ein geringes Selbstbewusstsein der Kinder und häufige negative Rückmeldungen aus dem sozialen Umfeld wurden benannt. Bei der Auswertung der Daten zeigte sich deutlich, dass die Eltern den Eindruck haben, dass sich das Therapeutische Klettern positiv auf ihre Kinder auswirkt. Als positiv wurde vor allem das Erfolgserleben der Kinder als selbstbewusstseinsstärkender Aspekt, die Freude am Klettern sowie die Akzeptanz der Kinder in einer Gruppe benannt. Sechs von sieben Befragten hatten den Eindruck, dass das Therapeutische Klettern gut für das Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein ihrer Kinder sei. Sie beschrieben, dass ihre Kinder stolz darauf waren, sich etwas getraut, eine Kletterroute geschafft oder eine andere Person gesichert zu haben oder wie eine Mutter im Interview berichtete: »Er hat auch einfach mal Erfolg«. Die Eltern erzählten von Erfolgserlebnissen ihrer Kinder, die diese auch als solche wahrnehmen konnten. Die Akzeptanz der Kinder in einer Gruppe ist ein Aspekt, welcher ebenfalls auffallend häufig in den Interviews angesprochen wurde. Fast alle (sechs von sieben) Eltern berichteten, dass sich ihre Kinder in der [ 46 ] 1 | 2019 Aktuelles / Kurz berichtet Klettergruppe wohlfühlten, akzeptiert wurden, das Miteinander genossen, der Kontakt zu den anderen Kindern gut war oder sich sogar Freundschaften entwickelten. Im Vergleich mit den von den Eltern beschriebenen Schwierigkeiten der Kinder im sozialen Bereich und der Ablehnung, die sie häufig zu erfahren scheinen, sind diese Aussagen auffallend. Die Kinder konnten im Therapeutischen Klettern offenbar Erfahrungen machen, welche von ihren Erfahrungen in Schule, Freizeit und zu Hause stark abweichen. Die von den Eltern beschriebenen problematischen Verhaltensweisen und Schwierigkeiten der Kinder schienen im Rahmen des Therapeutischen Kletterns kaum eine Rolle zu spielen. Alle Befragten benannten außerdem, dass die Kinder große Motivation für das Angebot zeigten. Die Aussagen der Eltern weisen darauf hin, dass das untersuchte Angebot zum Therapeutischen Klettern einen Rahmen bietet, in welchem sich Kinder mit Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörungen trotz ihrer Symptome gut bewegen und besonders im sozialen Bereich positive Erfahrungen machen können. An die Ergebnisse dieser Untersuchung anknüpfend stellen sich nun verschiedene Fragen: Wie schätzen die teilnehmenden Kinder die Situation ein, teilen sie die Einschätzungen ihrer Eltern? Zeigen sich diese Effekte auch bei der Untersuchung weiterer Gruppen? Lassen sich die Effekte auch z. B. mittels Einsatz von Beobachtungsinstrumenten abbilden? Vor allem aber stellt sich die Frage, welche Aspekte im Therapeutischen Klettern zu einem Zugewinn an Selbstvertrauen und der Möglichkeit zur Teilhabe an einem positiv erlebten Gruppengeschehen für Kinder mit Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörungen führen. Während sich die möglichen Erfolgserlebnisse direkt auf die Aktivitäten des Kletterns zurückführen lassen (bei passender Zielsetzung und Gestaltung des Angebotes), ist anzunehmen, dass der zweite Punkt primär im Zusammenhang zur didaktischen Gestaltung des Angebotes sowie in der Haltung der PädagogInnen zu sehen ist. Bei der aktuell noch sehr dünnen Studienlage zum Ansatz des Therapeutischen Kletterns wäre eine weiterführende Auseinandersetzung mit den Effekten und Wirkmechanismen nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig, um sich den Forderungen aus Theorie und Praxis nach Qualitätssicherung und evidenzbasierten Erkenntnissen zu stellen. Literatur Döpfner, M., Frölich, J., Lehmkuhl, G. (2013): Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS). 2. Aufl. Hogrefe, Göttingen Ellinger, S. (2007): Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität (ADS / ADHS). In: Ellinger, S., Koch, K., Schroeder, J. (Hrsg.): Risikokinder in der Ganztagsschule. Ein Praxishandbuch. Kohlhammer, Stuttgart, 116-148 Kowald, A., Zajetz, A. (2015): Therapeutisches Klettern. Anwendungsfelder in Psychotherapie und Pädagogik. Schattauer GmbH, Stuttgart Kraft, M. (o. J.): Eingebunden e. V. In: http: / / www.eingebundenev.de / verein / verein_frames.html, 24.02.2017 Mayring, P. (2015): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 12. Aufl. Beltz, Weinheim / Basel Myschker, S., Stein, R. (2014): Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Erscheinungsformen - Ursachen - Hilfreiche Maßnahmen. 7.-Aufl. Kohlhammer, Stuttgart Kontakt Laura König Heilpädagogin B. A., Erlebnispädagogin laura.koenig@gmx.de Prof. Dr. Mone Welsche Professorin für Entwicklungsförderung im Kindes- und Jugendalter an der Katholischen Hochschule Freiburg
