motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2019
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Forum Psychomotorik: Spielräume der Entwicklung
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2019
Astrid Krus
Lebensweltgebundene Spiel- und Bewegungsräume, zu denen Kinder selbständig Zugang haben und in denen sie eigenständig explorieren können, sind eine elementare Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung. Der Beitrag zeigt das Potenzial dieser Erfahrungsräume auf und leitet erforderliche Konsequenzen für einen uneingeschränkten Zugang aller Kinder zu diesen Räumen ab.
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Zusammenfassung / Abstract Lebensweltgebundene Spiel- und Bewegungsräume, zu denen Kinder selbständig Zugang haben und in denen sie eigenständig explorieren können, sind eine elementare Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung. Der Beitrag zeigt das Potenzial dieser Erfahrungsräume auf und leitet erforderliche Konsequenzen für einen uneingeschränkten Zugang aller Kinder zu diesen Räumen ab. Schlüsselbegriffe: Spielräume, Bewegung, Psychomotorik, Alltagsbildung, Kinderalltag, Entwicklung Spaces for development Play areas to which children have independent access and in which they can explore independently are an elementary requirement for healthy development. This article shows the development promoting potential of these experiential spaces and introduces the necessary consequences for an unrestricted access of all children to these spaces. Key words: play space, movement, psychomotricity, everyday childhood life, development [ TITELRUBRIK ] [ FORUM PSYCHOMOTORIK ] Forum Psychomotorik Spielräume der Entwicklung Das Potenzial lebensweltgebundener Spiel- und Bewegungsräume Astrid Krus »Wir sind durch das ganze Neubaugebiet gegangen und an der Schule vorbei und in den Ort und an der Hauptstraße entlang. […] ›Gleich sind wir am Ziel‹, hat Vincent gesagt. ›Haltet durch, Männer, haltet durch! Nur noch wenige Tagesmärsche, dann sind wir da.‹ Und gerade als ich gedacht hab, dass ich bestimmt keinen einzigen Tagesmarsch mehr durchhalte, ist Vincent hinter dem neuen Feuerwehrgerätehaus in eine kleine Seitenstraße eingebogen. ›Hier wird ab jetzt unsere Heimat sein‹, hat er feierlich gesagt. […] Und da hab ich gewusst, dass der weite Weg sich gelohnt hatte. Hinter dem Gerätehaus ist nämlich eine Wiese mit Büschen und ein paar Bäumen drauf. Und in der Mitte liegt der Feuerwehrteich. ›Geil! ‹, hat Petja geschrien. ›Wildnis! ‹ Eine richtig wilde Wildnis war es natürlich nicht, nur fast. […] und Petja hat gesagt, es wird Zeit, dass wir uns eine Hütte bauen. Sonst haben wir nachher in der Nacht kein Dach über dem Kopf. […] Eine ganz richtige Hütte war es vielleicht nicht, aber Petja hat gesagt, fürs Erste reicht es. […] Da habe ich mir vorgestellt, wie es dunkel wird und wir alle zusammen in der Hütte sitzen, und das war so ein glückliches Gefühl. […] ›Auf, auf, nach Hause! ‹, hat Petja gerufen. […] ›Ich denk wir bleiben hier für immer und ewig? ‹, habe ich gefragt. […] Ja, logisch, aber erst beim nächsten Mal, hat Petja gesagt. […] Aber als wir wieder auf der Hauptstraße waren, hab ich plötzlich angefangen, mich richtig ein bisschen auf zu Hause zu freuen. Ich hab mir vorgestellt, dass Mama und Papa gemerkt haben, dass wir verschwunden waren. […] Als wir in den Möwenweg eingebogen sind, war ich ein bisschen überrascht, dass vor unserer Reihe kein Polizeiauto geparkt hat. […] Da hab ich gemerkt, dass sie mich noch nicht mal vermisst hatten. Man stelle sich vor, sie hatten alle noch nicht mal gemerkt, dass wir ausgerissen waren! Da hat es sich ja gar nicht gelohnt« (Boie 2002, 54ff ). 3| 2019 motorik, 42. Jg., 112-117, DOI 10.2378 / mot2019.art19d © Ernst Reinhardt Verlag [ 112 ] [ 112 ] [ 113 ] Krus • Spielräume der Entwicklung 3| 2019 Kirsten Boie beschreibt in ihrem Buch »Sommer im Möwenweg« (2002) einen Kinderalltag, der von zeitlichen Freiräumen, der selbständigen Erkundung des sozialen Nahraumes, spielerischen Herausforderungen, eigenständigen Problemlösungen, der Interaktion innerhalb der Peergroup sowie einem Freiraum ohne elterliche Kontrolle geprägt ist. Ein Aufwachsen in einer Lebenswelt, wie sie für vergangene Generationen typisch zu sein schien und die aktuell nicht nur in Fachpublikationen (Richard-Elsner 2017) thematisiert wird, sondern auch in Aktivitäten wie beim Weltspieltag 2018 »Lasst uns draußen spielen« gezielt initiiert wird. Anlass für die Auseinandersetzung mit den kindlichen Lebenswelten sind Studien und Publikationen von Kränzl- Nagl/ Mierendorff (2007), Blinkert et- al. (2015) und Voss (in diesem Heft), die einen Rückgang dieser Spielräume durch städtebauliche Veränderungen, eine frühzeitige und umfassende Institutionalisierung, Pädagogisierung sowie Mediatisierung der Kindheit konstatieren. Damit rückt die sozial ökologische Perspektive, welche die Bedeutung des Lebenskontextes auf die kindliche Entwicklung berücksichtigt, wieder vermehrt in den Vordergrund. Im Folgenden soll den Fragen nachgegangen werden, was diese Spielräume kennzeichnet, warum sie für die Entwicklung von Kindern von großer Bedeutung sind und wie fehlende Spielräume kompensiert werden können. Spiel und Spielräume Spiel gilt als die zentrale Auseinandersetzungsform des Kindes mit seiner Umwelt, in der es sich diese erschließt, auf sie einwirkt und sich zugleich darin selber erfährt. »Wo sonst eigentlich hat das Kind so stark erweiterte Möglichkeiten der persönlichen, selbst initiierten Realitätsgestaltung wie im freien Spiel« (Mogel 2008, 231). Das freie, kindliche Spiel ist unmittelbar an Bewegung gebunden und braucht Raum, nicht nur als physikalischen Raum, sondern auch in seiner zeitlichen Dimension und als Beziehungsraum. Kindern Spielräume zu bieten bedeutet, die freie Gestaltung des Spiels zuzulassen und nicht durch von außen gesetzte Ziele und Themen zu beeinflussen. In der Beziehungsgestaltung heißt es, einen Rahmen zu schaffen, der Freiheit für Exploration und zugleich Begrenzung als Sicherheit und Orientierung bietet. Nicht zuletzt implizieren Spielräume das Angebots- und Erfahrungsspektrum, das Kindern in ihrem Lebensumfeld zur Verfügung steht und das sie sich nach ihren Vorstellungen und Möglichkeiten gestalten. Entwicklungsförderndes Potenzial von Spiel und Bewegung im Lebensraum Der von Kirsten Boie skizzierte Kinderalltag entspricht in weiten Teilen dem von Richard-Elsner beschriebenen Draußenspiel, das sie als »freies Kinderspiel im Freien, ohne Anleitung durch Erwachsene« (Richard-Elsner 2017, 13) definiert. Die Merkmale dieses Spiels fasst sie aus narrativen Berichten von Erwachsenen zusammen, »für die das Draußenspiel selbstverständlicher Bestandteil der Kindheit war« (Richard-Elsner 2017, 20f ). Das Draußenspiel findet zumeist in einer (altersgemischten) Gruppe von Kindern statt, wobei das soziale Miteinander und der »Einsatz des ganzen Körpers, einschließlich aller Sinne« (Richard-Elsner 2017, 22) im Vordergrund stehen. Die Kinder erobern sich in von Eltern gesetzten Freiräumen eigenständig den nahen Sozialraum (Streifraum) und wählen die Spielorte (Spielraum) selbsttätig aus. Diese Spielorte sind oftmals sehr naturverbunden und bieten eine Vielzahl von Materialien, die vielfältig einsetzbar sind und kreatives Gestalten und Umdeuten ermöglichen. Bewegung als »tragendes Element spielerischer Erkundungstätigkeit« (Fischer- 2015, 122), ohne die kein Spiel stattfinden kann, bildet auch beim Draußenspiel das zentrale Medium, bei dem sich aktive Phasen mit ruhigeren Phasen abwechseln. Die tragende Funktion von Bewegung im Spiel ermöglicht es, die im Rahmen des BiK Projektes herausgearbeiteten Bedeutungsdimensionen von Kinder brauchen Spielraum zur Exploration und Begrenzung als Sicherheit und Orientierung. [ 114 ] 3| 2019 Forum Psychomotorik Bewegung (Fischer et al. 2016; Krus 2018) zu nutzen, um aufzuzeigen, welche Bedeutung dem an die Bewegung gebundenen Draußenspiel für die (kindliche) Entwicklung zukommt. Es muss allerdings darauf hingewiesen- werden, dass bei den auf einer Analyse interdisziplinärer Fachbeiträge basierenden- Bedeutungsdimensionen,- die- zugrundeliegenden- Angebotsstrukturen nicht explizit betrachtet wurden. Schwarz (2014) hat sich in einem umfassenden Review mit den Fragen nach der Interventionsart/ den Angebotsstrukturen und den Effekten von Bewegungsprogrammen auseinandergesetzt. Effekte konnten für den Bereich der motorischen Entwicklung nachgewiesen werden, während dies für alle anderen Entwicklungsbereiche entweder nicht erfasst wurde oder nicht durchgängig nachzuweisen war, was u. a. in den unterschiedlichen Konzepten von z. B. sozialem Verhalten und den verwendeten Messinstrumenten begründet liegt. Stodden / Hofelder (2013) verweisen auf eine Studie von Logan et al. (2012), die eine signifikante Verbesserung motorischer Fähigkeiten nur nach Interventionen in organisierter Form nachweisen konnten, während Kinder, die »einfach nur frei spielten und keine spezifische Anleitung erhielten, keine signifikanten Verbesserungen der motorischen Fertigkeiten erzielten« (Stodden / Hofelder 2013, 12). In Bezug auf die anderen Entwicklungsdimensionen geben Fachpublikationen Hinweise darauf, dass psychomotorisch orientierte Bewegungsinterventionen, die individuelle, selbstbestimmte Aufgabenbewältigung ermöglichen, sich positiv auf die Entwicklung des Selbstkonzeptes und der Widerstandsfähigkeit auswirken (Ruploh et al. 2013). Ein positiver Einfluss von körperlichen Aktivitäten konnte auf die Leistung der exekutiven Funktionen nachgewiesen werden (Kubesch / Walk 2009; Kehne 2011; Deffner 2017), welche die wechselseitigen Bezüge zwischen Bewegung, exekutiven Funktionen, Kognition und Sozialverhalten aufzeigen, ohne dass die Richtung der kausalen Wirkung bislang eindeutig festzulegen ist. Hier haben insbesondere Konstruktionsspiele und freie Bewegungsaktivitäten einen positiven Effekt auf die exekutiven Funktionen (Jansen 2014). Die freie Spielgestaltung, das Aushandeln des Spielverlaufs und der verschiedenen Rollen unterstützen zudem die soziale Entwicklung durch den Aufbau eines kommunikativen Dialogs mit anderen SozialpartnerInnen, in dem die Wahrnehmung und der Ausdruck der persönlichen Befindlichkeit mittels Mimik und Gestik erfahren werden (Amft et al. 2013). Die Verfügbarkeit und der selbständige Zugang zu diesen frei zu gestaltenden Spiel- und Bewegungsaktivitäten entscheiden über die Quantität an subjektiven Lernwelten. Neben den Spielaktivitäten selbst wirkt sich auch die selbständige Erschließung des Streif- und Spielraumes im Wohnumfeld des Kindes positiv auf die Entwicklung aus (Abb. 1). Abb. 1: Kinder in der freien Natureroberung Das eigenverantwortliche Erreichen des Spielgeländes erfordert von den Kindern visuellräumliche Fähigkeiten (Jansen / Heil 2010), welche den Erwerb von Kompetenzen unterstützen, die als Voraussetzung für den Aufbau kognitiver Landkarten gelten. Kognitive Landkarten erleichtern die Orientierung im Raum, die Problemlösefähigkeit und das mathematische Denken und stehen damit in unmittelbarem Zusammenhang mit der kognitiven Entwicklung. Die zunehmende Ausdehnung des Lebensraumes, von der häuslichen Wohnung über die Nachbarschaft hin [ 115 ] Krus • Spielräume der Entwicklung 3| 2019 zu außerhalb der elterlichen Kontrolle liegenden Plätzen, geht mit einer Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten, sozialen Rollen und Verhaltensmuster einher. Innerhalb der verschiedenen Räume (Elternhaus, Nachbarschaft, Kindergarten, Schule, Verein u. a.) werden unterschiedliche soziale Rollen, Kompetenzen und Beziehungen erfahren, welche die eigene Identität und die Ortsidentität (Prohansky / Fabian 1987) prägen, die im späteren Leben als Linsen fungieren, durch die Menschen ihre Orte erkennen, bewerten, gestalten und manipulieren. Das »In-die-Welt-gehen« ist Bestandteil des wichtigen Ablöseprozesses vom Elternhaus und Basis der Entfaltung der eigenen Identität. Dabei bietet der von den Eltern gesetzte Rahmen zugleich die Rückversicherung des sicheren Hafens: »Da hab ich gemerkt, dass sie mich noch nicht mal vermisst hatte. Man stelle sich vor, sie hatten alle noch nicht mal gemerkt, dass wir ausgerissen waren! Da hat es sich ja gar nicht gelohnt« (Boie 2002, 66). Auch wenn die Forschungslage zu den Effekten spezifischer Interventionsformen/ Angebotsstrukturen auf die kindliche Entwicklung noch Lücken aufweist, verdichten sich die Belege auf die entwicklungsfördernde Bedeutung des freien, unbeobachteten und ungelenkten Bewegungsspiels, das mitunter der »Straßenkindheit« gleichgesetzt wird. Das diesen Aktivitäten innewohnende Potenzial wurde von Rauschenbach (2009) unter Bildungsaspekten differenzierter betrachtet und als relevanter Teil der Bildung --als Alltagsbildung - bezeichnet. Alltagsbildung beschreibt unterschiedliche Formen des nur schwach oder nicht organisierten Erfahrungslernens in den Lebenswelten des Individuums (Familie, Peers, Vereine usw.) und umfasst Basisfähigkeiten und -fertigkeiten, wie Ausdauer, Konzentration, Problemlösung und soziales Miteinander, die als grundlegende Voraussetzung für die nachfolgende schulische Bildung gelten. Aufgrund der fehlenden curricularen Verortung und sehr heterogenen Gelegenheitsstrukturen birgt fehlende Alltagsbildung die Gefahr des Entstehens und der Unterstützung einer sozialen Kluft, die sich im zur Verfügung stehenden Erfahrungsspektrum niederschlägt. Blinkert et al. (2015) konnten in ihrer regional durchgeführten Studie aufzeigen, dass die Aktionsraumqualität vieler Wohnquartiere, die sich durch Gefahrlosigkeit des Zugangs, eigenständige Zugänglichkeit, Gestaltbarkeit bzw. eigenständige Veränderbarkeit und selbstgeschaffene Konstruktionen auszeichnet, für Kinder aus prekären Wohnsituationen nicht mehr gegeben ist. Neue Spielräume schaffen Aktuelle Studien (siehe auch Beitrag Voss in diesem Heft) verweisen auf einen Rückgang von Spielräumen, die dieses freie, unbeaufsichtigte Kinderspiel ermöglichen. Dies führt nicht nur zu einer Minimierung lernförderlicher Settings, sondern zu einer Verstärkung sozialer Disparitäten, die sich negativ auf die Bildungsbiografie von Kindern auswirken. Demzufolge wird Veränderungsbedarf auf gesellschafts- und bildungspolitischer sowie städtebaulicher Ebene deutlich, um entwicklungsrelevanteSettingsbzw.kompensatorische Angebote für Kinder bereitzustellen. Auf politischer Ebene ist die Einwirkung auf städtebauliche Maßnahmen ein erster Schritt, wieder Spielflächen zu schaffen, die Kinder gefahrlos erreichen können und ihnen Möglichkeiten der eigenen Gestaltung und Veränderung sowie Rückzug anbieten. Die Stiftung Naturschutz Berlin hat im Frühjahr 2018 eine Resolution für die Schaffung von Naturerfahrungsräumen in der Stadt (Stiftung Naturschutz Berlin 2018) verfasst, in der nicht nur die Bereitstellung solcher Räume in jeder Stadt angestrebt, sondern eine rechtlich verbindliche Verankerung im Baugesetzbuch gefordert wird. Bestehende Spielplätze bieten zwar ein Spektrum an Bewegungsaktivitäten, decken durch ihre normierten Geräte allerdings nur einen Teil der erforderlichen Spielraumqualität ab (Abb.-2). Abb. 2: Normierte Spielgeräte [ 116 ] 3| 2019 Forum Psychomotorik Unter dem Aspekt der Reduktion sozialer Disparitäten gewinnen Sportvereine und Jugendfreizeiteinrichtungen an Bedeutung, deren Spiel- und Bewegungsangebote fehlende wohnortnahe Aktionsräume ausgleichen können. Allerdings zeichnen sich auch hier zwei Problemlagen ab, die es konstruktiv anzugehen gilt. Zum einen sind nur 36 % von Kindern mit Armutserfahrungen Mitglied eines Sportvereins, während 63 % von Kindern ohne Armutserfahrungen einem Verein angehören (Andresen et al. 2018, 6). Kinder aus prekären Wohnlagen mit geringer Aktionsraumqualität finden weitaus weniger den Zugang zu den Sportvereinen, was die soziale Schere noch größer werden lässt. Zum anderen erfordert die Sicherung und Umsetzung von Spielräumen der Alltagsbildung auch entsprechende Inhalte in der Qualifikation der ÜbungsleiterInnen. Die Deutsche Sportjugend (DSJ) und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) setzen sich seit längerem kritisch mit den pädagogischen Herausforderungen der Vereinsarbeit auseinander. In einer Pressemitteilung vom November 2018 heißt es »Bewegung, Spiel und Sport können die sensorische, motorische, kognitive, emotionale und soziale Kompetenz fördern und haben damit Auswirkungen auf die gesamte Persönlichkeitsentwicklung von jungen Menschen. Die Realität sieht in den unterschiedlichen Sportarten allerdings sehr differenziert und heterogen aus. Möglichkeiten zur Entfaltung der Persönlichkeit und Beteiligung am Trainingsplan werden nicht selbstverständlich gegeben« (DOSB 2018,- 3). Die bislang nichts als ausreichend bewerteten pädagogischen Kompetenzen der ÜbungsleiterInnen münden in der Entwicklung eines Strategiepapiers zur Neuausrichtung der Qualifikation. Döltgen (siehe Beitrag in diesem Heft) hat auf der Basis des Qualifikationsprofils Bewegung für Fachkräfte (Schneider et al. 2015) einen Vergleich zu den Kompetenzformulierungen der ÜbungsleiterInnenausbildung gezogen und die Annahme bestätigen können, dass insbesondere im Bereich der Partizipation bzw. dem Verständnis von Bewegung als Träger von Bildungs- und Entwicklungsprozessen noch Handlungsbedarf besteht. Zur Diskussion steht allerdings nicht nur die ÜbungsleiterInnenausbildung, sondern auch, dass insbesondere kleinere Vereine mit nicht qualifizierten ÜbungsleiterInnen arbeiten, wobei finanzielle Ressourcen der Vereine eine leitende Rolle spielen. In Bezug auf eine umfassende institutionelle Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten und schulischen Ganztageseinrichtungen sind multifaktorielle Veränderungsbedarfe angezeigt. Erste Ansätze, welche die Erweiterung und Veränderung der räumlichen Rahmenbedingungen, z. B. im Außenbereich, betrachten, liegen bereits vor (Späker / Brand und Derecik/ Brandes in diesem Heft). Die Innen- und Außenraumgestaltung bietet einen ersten wertvollen Ansatz, die Nutzung wird jedoch durch die Haltung der Fachkräfte bestimmt. Sie brauchen Fachkenntnisse über die Gestaltung von Räumen zum informellen Lernen sowie über psychomotorische Angebotsstrukturen, die Aspekte der Eigenständigkeit, Handlungs- und Prozessorientierung (Keßel 2014) berücksichtigen. Zugleich befinden sich die Fachkräfte oftmals im Spannungsfeld zwischen Entwicklungsförderung und der Angst vor Aufsichtspflichtverletzungen und Unfällen. Fachkompetenz, wie die bewusste Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld, die biografisch reflektierte Anteile umfasst, muss umfassend in der Aus- und Fortbildung von Fach- und Lehrkräften (Krus 2018) thematisiert werden. Gemäß dem Auftrag der Erziehungspartnerschaft bedarf es auch der entsprechenden Begleitung und Schulung der Eltern, die mit Elterntaxis und Helikopter-Erziehung ebenfalls kindliche Frei- und Spielräume einschränken. Die Vielfalt der Herausforderungen für mehr Spielräume der Entwicklung kann und darf nicht von einer Institution alleine bewältigt werden, sondern erst die Vernetzung der Beteiligten kann Ressourcen bündeln und Wirksamkeit entfalten. Spiel- und Bewegungsräume bieten Entwicklungs- und Bildungspotenziale. [ 117 ] Krus • Spielräume der Entwicklung 3| 2019 Literatur Amft, S., Boveland, B., Hensler Häberlin, K., Uehli Staufer, B. (2013): Kann Psychomotoriktherapie zur Förderung sozio-emotionaler Kompetenzen beitragen? Praxis der Psychomotorik 38 (3), 134-135 Andresen, S., Neumann, S., Public, K. (2018): Zusammenfassung der 4. World-Vision Kinderstudie. 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Review längsschnittlicher Evaluationsstudien zu Bewegungsinterventionen in der frühen Kindheit. motorik 37 (2), 52-63, https: / / doi.org/ 10.2378/ mot 2014.art11d Stiftung Naturschutz Berlin (2018): Kinder brauchen Natur - Kinder brauchen Freiraum. Resolution zur Schaffung von Naturerfahrungsräumen in der Stadt. In: https: / / www.stiftung-naturschutz.de/ presse/ pm-0518/ , 12.12.2018 Stodden, D., Holfelder, B. (2013): Kein Kind bleibt zurück. Zeitschrift für Sportpsychologie 20 (1), 10-17, https: / / doi.org/ 10.1026/ 1612-5010/ a000088 Die Autorin Prof.in Dr. Astrid Krus Diplom Motologin, Professorin für das Lehrgebiet Kindheitspädagogik an der Hochschule Niederrhein (HSNR), Leiterin des Kompetenzzentrums Kindheitspädagogik in Bewegung (HSNR), stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Akademie - Aktionskreis Psychomotorik e.V. Anschrift Prof. Dr. Astrid Krus Fachbereich Sozialwesen Hochschule Niederrhein Richard-Wagner-Str. 101 D-41065 Mönchengladbach astrid.krus@hs-niederrhein.de
