eJournals motorik 42/1

motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2019
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Aktuelles / Kurz berichtet: Erste Forschungsfachtagung des Berufsverbandes Psychomotorik Schweiz

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2019
Judith Sägesser Wyss
Kristin Egloff Lehner
Am 21. September 2018 hat in Bern eine erste Forschungsfachtagung des Berufsverbandes Psychomotorik Schweiz mit dem Titel »Wirksamkeitsstudien in der Psychomotoriktherapie: Quo ­vadis?« stattgefunden. Mit Prof. Dr. O. Jenni, Dr. Ayala Borghini, Sibylle Hurschler Lichtsteiner und Prof. Dr. rer. nat. Tanja Kakebeeke konnten renommierte Rednerinnen und Redner gewonnen werden, welche mit ihren Inputs zu einer anregenden Tagung beigetragen haben. [...]
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[ 43 ] Aktuelles / Kurz berichtet 1 | 2019 Erste Forschungsfachtagung des Berufsverbandes Psychomotorik Schweiz Am 21. September 2018 hat in Bern eine erste Forschungsfachtagung des Berufsverbandes Psychomotorik Schweiz mit dem Titel »Wirksamkeitsstudien in der Psychomotoriktherapie: Quo vadis? « stattgefunden. Mit Prof. Dr. O. Jenni, Dr. Ayala Borghini, Sibylle Hurschler Lichtsteiner und Prof. Dr. rer. nat. Tanja Kakebeeke konnten renommierte Rednerinnen und Redner gewonnen werden, welche mit ihren Inputs zu einer anregenden Tagung beigetragen haben. Ausgangslage / Psychomotoriktherapie in der Schweiz Die Psychomotorik konnte sich in den vergangenen Jahren in verschiedenen Arbeitsfeldern erfolgreich etablieren und wird in unterschiedlichem Kontext als wirksam erlebt (Vetter / Sandmeier 2016). Trotzdem wird die Frage nach der quantitativ messbaren Wirksamkeit und den Wirkfaktoren der Psychomotorik lauter. Die Forschungsbedingungen haben sich in der Schweiz in den letzten Jahren, insbesondere durch Ausbildungsstätten, wie die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik in Zürich und die Haute Ecole de Travail Social in Genf, verbessert. Mit der bevorstehenden Eröffnung des Masterstudienganges (MSc) in Genf im Herbstsemester 2019 wird die Forschung einen neuen Stellenwert in der Ausbildung der Psychomotorik-Studierenden bekommen. Auch an Pädagogischen Hochschulen, wie beispielsweise Luzern, Schwyz und Bern, wird im Bereich von Psychomotorik, Grafomotorik und interdisziplinärer Zusammenarbeit geforscht. Vielschichtigkeit der Psychomotorik Psychomotorik ist kein einheitliches Konzept, sie bewegt sich zwischen verschiedenen Paradigmen und ist in Theorie und Praxis enorm vielschichtig (Kuhlenkamp 2017, 77). Um der Komplexität der Arbeitsweisen in der Psychomotorik auch in der Forschung gerecht zu werden, ist es wichtig, die Ziele unterschiedlicher Studien und Interventionen und damit verbundenen Wirkfaktoren und Wirksamkeitserwartungen zu klären. Hilfreich für die Klärung der Wirksamkeitserwartungen sind die drei Hypothesen von Eggert und Lütje-Klose (2008): ■ die triviale Förderhypothese, welche davon ausgeht, dass das direkte Üben motorischer Funktionen eine positive Auswirkung auf die motorische Entwicklung hat, ■ die Stabilisierungshypothese, welche die positive Beeinflussung der Gesamtpersönlichkeit durch psychomotorische Interventionen ins Auge fasst, und ■ die Transferhypothese, welche von der Annahme ausgeht, dass die psychomotorische Intervention auch die kognitiven Fähigkeiten und das schulische Lernen positiv beeinflussen kann. Zusammenfassung der Referate Das erste Referat, von Prof. Dr. med. Oskar Jenni, Leiter der Abteilung Entwicklungspädiatrie des Kinderspitals Zürich, bot zunächst eine Einführung in die wissenschaftliche Fachsprache (Abb. 1). Prof. Dr. Jenni zeigte die Standards auf, welche eingehalten werden müssen, damit Wirksamkeitsstudien einen hohen Evidenzlevel in der Beurteilung durch die AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V.) erreichen. Ein kontrolliertes, verblindetes und randomisiertes Studiendesign muss gewählt, Einbzw. Ausschlusskriterien bezüglich der ProbandInnen genau definiert und eine differenzierte Fragestellung sowie Definition aller Ziele der Studie formuliert werden. Es werden die üblichen Anforderungen an Messmethoden erwartet (Praxistauglichkeit, Reproduzierbarkeit, Validität, Standardisierung und Normierung). In der Unterscheidung nach Evidenzlevel stehen alle großangelegten Metaanalysen in ihrer Aussagekraft an erster Stelle (nach Universitiy of Oxford Levels of Evidence). In den nachfolgenden Referaten war der Fokus auf mögliche Studiendesigns für Wirksamkeitsstudien in der Psychomotorik gerichtet. Dr. Ayala Borghini ist Psychologin, Psychotherapeutin FSP, Verantwortliche des CAS »Sensorimotricité« an der Université de Lausanne und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studiengang Psychomotorik der HETS Genève. Sie erläuterte den Forschungsprozess in einer Studie mit quantitativen und qualitativen Elementen. Anhand eines von ihr entwickelten Interventionsmodells für Babys, beschrieb sie ein Forschungsprojekt, welches aufgrund der kleinen Größe der untersuchten Gruppe (N= 16) keine statistische Relevanz erreichte. Die Aussagen auf der qualitativen Seite der Studie waren aber sehr bedeutsam, so dass die daraus abgeleiteten Überlegungen in der Pflege dieser kleinen PatientInnen umgesetzt wurden. Sibylle Hurschler Lichtsteiner ist Psychomotoriktherapeutin, Dozentin und Projektleiterin der Forschungsgruppe »Sprachen und Schrift« an der PH Luzern, Mitentwicklerin Strega CS- Win und Lehrmittelautorin. Sie erläuterte ihre Erfahrungen beim Vorbereiten einer geplanten Wirksamkeitsstudie im Bereich Grafomotorik und formulierte Fragen und Stolpersteine: [ 44 ] 1 | 2019 Aktuelles / Kurz berichtet ■ Welches Design ist nicht nur gut, sondern auch gegenüber den betroffenen Kindern ethisch vertretbar? ■ Was genau ist der grafomotorisch therapeutische Ansatz? Sie betonte, dass es mehr fachwissenschaftliche Texte brauche und eine Theoriebildung in Bezug auf Grafomotorik dringend notwendig sei. Ebenso die Vernetzung und Kooperation mit verwandten Disziplinen und anderen Fachleuten. Prof. Dr. rer. nat. Tanja H. Kakebeeke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kinderspital Zürich und Dozentin für Physiologie an der Universität Fribourg und hat die neue Normierung des Entwicklungstest »Zürcher Neuromotorik« (ZNM-2) soeben abgeschlossen. Sie betonte in ihrem Referat die Wichtigkeit von Metastudien und bot Einblick in Forschungsprojekte zur motorischen Entwicklung des Kindes. Unter anderem zeigte sie die Ergebnisse aus einem systematischen Review auf, welches die Bedingungen einer psychomotorischen Förderung von Menschen mit ADHS beleuchtet (Neudecker et al. 2015). Fazit Die Forschung in Bezug auf Wirksamkeit der Psychomotoriktherapie ist aus berufspolitischen Gründen und für die Weiterentwicklung des Berufs notwendig. Es muss auch quantitativ geforscht werden. Der Komplexität der Psychomotorik soll auch in zukünftigen Wirksamkeitsstudien Rechnung getragen werden und eine intensive Zusammenarbeit zwischen Praxisfeld und Wissenschaft ist zentral. Literatur Eggert, D., Lütje-Klose, B. (2008): Theorie und Praxis der psychomotorischen Förderung. borgmann, Dortmund Kuhlenkamp, S. (2017): Lehrbuch der Psychomotorik. Ernst Reinhardt, München / Basel Neudecker, C., Mewes, N., Reimers, A. K., Woll, A. (2015): Exercise Interventions in Children and Adolescents With ADHD: A Systematic Review. Journal of attention disorders 1-18, https: / / doi. org/ 10.1177/ 1087054715584053 Vetter, M., Sandmeier, A. (2016): Psychomotorik: Wirkung aus der Sicht von Lehrerinnen und Lehrern. motorik 39 (2), 81-90, https: / / doi.org/ 10.2378/ mot2016.art15d Judith Sägesser Wyss, Kristin Egloff Lehner Abb. 1: Prof. Dr. med. Oskar Jenni