motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2019.art32d
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2019
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Forum Psychomotorik: Muster in der Grundschule
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2019
Francesca Cristina Emmi
Melanie Lietz
Erste Ergebnisse der Forschungsarbeit zum Thema »Das kindliche Musterverständnis im Übergang von der Kita in die Grundschule – Perspektiven für die Gestaltung ästhetischer Lernprozesse von Grundschulkindern« verweisen auf Verbindungen zwischen dem kindlichen Musterverständnis, ästhetischen Lernprozessen und den fördernden Auswirkungen von Bewegung. Ästhetische Erfahrungen beeinflussen die kindliche Entwicklung nachhaltig und fördern die Kompetenzen, die Kinder für ein erfolgreiches schulisches Lernen benötigen. In Form von individuell angepassten, fachübergreifenden Inhalten können ästhetische Lernangebote einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des Musterverständnisses von Kindern leisten.
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Zusammenfassung / Abstract Erste Ergebnisse der Forschungsarbeit zum Thema »Das kindliche Musterverständnis im Übergang von der Kita in die Grundschule-- Perspektiven für die Gestaltung ästhetischer Lernprozesse von Grundschulkindern« verweisen auf Verbindungen zwischen dem kindlichen Musterverständnis, ästhetischen Lernprozessen und den fördernden Auswirkungen von Bewegung. Ästhetische Erfahrungen beeinflussen die kindliche Entwicklung nachhaltig und fördern die Kompetenzen, die Kinder für ein erfolgreiches schulisches Lernen benötigen. In Form von individuell angepassten, fachübergreifenden Inhalten können ästhetische Lernangebote einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des Musterverständnisses von Kindern leisten. Schlüsselbegriffe: Ästhetische Lernprozesse, Bewegung, Musterverständnis, Musterwahrnehmung, schulisches Lernen Patterns in primary school-- Potentials of aesthetic learning (education) in terms of supporting children’s pattern recognition First results of a science study have established connections between children’s the pattern recognition, aesthetic learning processes and supporting effects of movement experiences. During this development children create their perception and first ideas of patterns which establish a basis for their world view. Aesthetic experiences support a sustainable development and promote competences for a successful learning at school. Aesthetic learning opportunities in form of personalised and interdisciplinary contents, contribute to children’s development of pattern recognition considerably. Key words: aesthetic learning processes, (physical) movement, pattern recognition, pattern comprehension process, learning at school 4| 2019 motorik, 42. Jg., 172-178, DOI 10.2378 / mot2019.art32d © Ernst Reinhardt Verlag [ 172 ] [ FORUM PSYCHOMOTORIK ] Die Wahrnehmung von Mustern und das Verständnis für Muster bestimmen unser Denken und Handeln (Goldstein 2015, 6) und haben damit Einfluss auf alle Lebensbereiche. Dieser ausgeprägte Einfluss der Musterwahrnehmung wird besonders in der frühkindlichen Entwicklung deutlich (Schäfer 2014, 140) und zieht sich bis hin zum schulischen Lernen fort (Emmi 2017, 75). Innerhalb verschiedenster schulischer Lern- und Fachbereiche wird das Musterverständnis implizit als grundlegender Baustein vorausgesetzt. Als wichtigste Faktoren für den schulischen Lernerfolg werden pränumerische Kompetenzen (Hasemann / Gasteiger 2014, 43; de Vries 2010, 13) sowie graphomotorische Fähigkeiten (Schäfer 2001, 11) und die damit verbundenen Erfahrungen genannt. Diese pränumerischen sowie graphomotorischen Fähigkeiten entwickeln sich bereits innerhalb frühkindlicher und vorschulischer Lernprozesse und werden vorwiegend durch körperliche Sinneserfahrungen erworben (Hasemann / Gasteiger 2014, 47; de Vries 2010, 37 ff, 46 ff; Schäfer 2001, 14 f ). Der vorliegende Artikel zeigt auf, wie das Musterverständnis durch ästhetische Lernangebote erweitert werden kann und fokussiert sich auf das schulische Lernen von Kindern. Obwohl zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen die Bedeutung von Mustern und Strukturen innerhalb ihres Fachbereichs bereits ausgiebig erforscht haben, liegen zurzeit keine Ergebnisse vor, die das Musterverständnis und dessen Auswirkungen auf das schulische Lernen interdisziplinär untersuchen. Wohlmöglich Muster in der Grundschule Potentiale ästhetischer Lernangebote im Hinblick auf die Förderung des Musterverständnisses von Kindern Francesca Cristina Emmi, Melanie Lietz [ 173 ] Emmi, Lietz • Muster in der Grundschule 4| 2019 resultiert daraus die bisher fehlende, einheitliche und fachbereichsübergreifende Definition des Musterverständnisses (Lüken 2012, 14). Im weiteren Verlauf des Artikels wird das Musterverständnis wie folgt definiert: Das Musterverständnis umfasst die bewusste und unbewusste Wahrnehmung von Mustern, den aktiven und passiven Umgang mit Mustern, das Wissen um Muster und deren Strukturen sowie deren Vorkommen in der individuellen Lebensumwelt. Hinzu kommt die Fähigkeit, selbstständig Muster zu bilden, sich mit ihnen aktiv auseinanderzusetzen und sie in andere Bereiche zu transformieren (Emmi 2017, 28). Ästhetische Wahrnehmung bedingt das Lernen Der Begriff »ästhetisch« wird im allgemeinen Sprachverständnis häufig bezeichnend für etwas »Schönes« »Stilvolles« oder auch »Geschmackvolles« eingesetzt (Duden Online). In der Ästhetischen Wahrnehmung geht es jedoch nicht darum, sich auf »das Schöne« zu fokussieren, sondern (in Anlehnung an die begriffliche Herkunft des Wortes »aisthesis«, gr.) das »Sinnliche« in den Vordergrund der Wahrnehmung zu rücken (Dietrich et al. 2013, 16; Schäfer 2014, 135). Ausgehend von diesen Eindrücken werden Gefühle und Erfahrungen angeregt, die kein bestimmtes Ziel verfolgen, sondern ihren »Zweck in sich selbst tragen« (Dietrich et al. 2013, 16). Laut Dietrich und Kollegen (2013) wird basierend auf diesen Erlebnissen Lernen auf einer weiteren Ebene, zusätzlich zur kognitiven Ebene, ermöglicht. Daher kann ästhetisches Erleben und Erkennen als »wesentlicher Bestandteil von Lernen« (Dietrich et al. 2013, 9) verstanden werden. Aspekte der Musterwahrnehmung im Alltag Kinder entwickeln bereits vor Eintritt in die Schule »ein intuitives Gespür für Muster und Regelmäßigkeiten« (MFKJKS / MSW 2016, 144). Dies begründet sich in der Präsenz von Mustern im alltäglichen Lebensumfeld. Angefangen von Gegenständen über Strukturen in der äußeren Umgebung sowie der Natur bis in die Bereiche Kommunikation, Verhalten sowie Bewegung, erstreckt sich deren Präsenz (Kraft 2008, 57). Lässt man die rein visuellen Eindrücke außer Acht, können Muster über verschiedene Sinneskanäle (z. B. das Gehör oder den Tastsinn) wahrgenommen und auch innerhalb von Ritualen und rhythmisierten Abläufen ermittelt werden. Musterbildung dient laut Kraft (2008, 57) dazu, Kategorien zu bilden, diese zu ordnen und komplexe Vorgänge auf diese Weise zu reduzieren. Die Gestaltpsychologie widmet sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts diesen ordnenden Wahrnehmungsprozessen und fasst ihre Erkenntnisse unter anderem in Gestaltprinzipien (auch Gestaltgesetze) zusammen (Goldstein 2015, 100). Beispielhaft für diese Prinzipien wird im Folgenden das »Prinzip der Ähnlichkeit« und das »Prinzip der Symmetrie« vorgestellt. Letzteres besagt, dass wir symmetrische Anordnungen und Reize in der Umgebung eher wahrnehmen als asymmetrische Anordnungen. Dabei nehmen wir bevorzugt Aneinanderreihungen von Gegenständen wahr, die horizontal positioniert, von links nach rechts verlaufen (Abb. 1) (Emmi 2017, 20). Dieses Ordnungsprinzip kommt u. a. innerhalb der Pränumerik in der Erfahrungsbzw. Erkenntnisstufe »Reihen bilden« zum Ausdruck (de Vries 2010, 19). Abb. 1: Das »Prinzip der Symmetrie« wird im oberen Feld deutlich. Im unteren Feld kommt das »Prinzip der Ähnlichkeit« hinzu und der wahrgenommene Verlauf der Punkte verändert sich von der Horizontalen in die Vertikale. Muster können über verschiedene Sinneskanäle wahrgenommen werden. [ 174 ] 4| 2019 Forum Psychomotorik Kommen andere Gestaltprinzipien ergänzend hinzu, wie das »Prinzip der Ähnlichkeit« (Abb. 1), verändert sich die visuelle Ordnung innerhalb der Wahrnehmung, sodass aufgrund der farblichen Markierung ein vertikaler Verlauf suggeriert wird (Emmi 2017, 20). Dies entspricht dann der pränumerischen Erkenntnisstufe der »Gruppenbildung aufgrund von ähnlichen Merkmalen« (de Vries 2010, 19). Musterwahrnehmung in Mathematik und Sprache Muster und Strukturen haben einen festen Platz innerhalb der Didaktik des mathematischen Anfangsunterrichts (Lüken 2012, 80). Dies wird nicht nur innerhalb der pränumerischen Kompetenzen deutlich, sondern auch im Lehrplan an Grundschulen in NRW konkretisiert: Anhand dieses Zitats und der oben genannten Beispiele zur Gestaltwahrnehmung werden die Auswirkungen des Musterverständnisses auf das (vor-)schulische Lernen im mathematischen Bereich deutlich. Der Einfluss von Mustern innerhalb der Kommunikation ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Sprechen, Lesen und Schreiben stehen in enger Verbindung mit der Fähigkeit, Strukturen wahrzunehmen, Muster zu erkennen und ein Verständnis für diese zu entwickeln (Emmi 2017, 25). Sobald wir sprechen, schreiben oder lesen, folgen wir erlernten, grammatischen Grundmustern (Verspoor et al. 2003, 93 f ). Bereits in den ersten Lebensmonaten wird die Sprachentwicklung durch Musterwahrnehmung und -verarbeitung sowie das daraus resultierende Verständnis für Muster beeinflusst (Nolte 2000, 45). Das anfängliche Lautieren der Säuglinge, das »kanonische[s] Babbeln« (Höhle 2005, 16), orientiert sich an den sprachlichen Einflüssen innerhalb der Umgebung des Säuglings (Höhle 2005, 16). Der Säugling beginnt schrittweise, die gehörten Betonungsmuster, Satzmelodien, den Sprachrhythmus und die Silbenstruktur nachzuahmen (Höhle 2005, 17 f; Sallat 2014, 342). Innerhalb des Spracherwerbs muss das Kind die Wort-, Satz-, Text- und Gesprächsstrukturen seiner Muttersprache durchdringen und lernen, diese zielgerichtet einzusetzen (Emmi 2017, 26). Innerhalb der logographischen Phase benennen Kinder geschriebene Worte oder Buchstaben aufgrund ihrer Form oder ihrer Darstellungsart bereits bevor sie lesen können. Die Kinder ordnen ihnen bekannte (geschriebene) Muster einer Bedeutung zu. Diese Vorgehensweise lässt sich häufig in der Begegnung mit Werbeschildern oder Symbolen aus der alltäglichen Lebenswelt der Kinder beobachten (Schneider 2017, 18). Mit Eintritt in die Schule nutzen die ErstklässlerInnen diese Fähigkeiten der Mustererkennung und -zuordnung, indem sie innerhalb der Graphem-Phonem-Verknüpfung graphische Muster (Grapheme) mit den dazugehörigen Lauten (Phonem) in Verbindung bringen (Schneider 2017, 17 f ). Daraufhin können die Kinder mit dem Lese- und Rechtschreiberwerb beginnen. Zuvor sollten die SchülerInnen innerhalb graphomotorischer Lernprozesse die dafür benötigten rhythmisierten Bewegungen mit einem Schreibwerkzeug erlernt haben (von Niederhäusern 2014, 3). Abschließend ist festzustellen, dass wir beim Schreiben automatisierte Bewegungsmuster einsetzen, die sich innerhalb des Schrifterwerbs gefestigt und im Laufe der Zeit weiterentwickelt haben. Merkmale ästhetischer Lernprozesse Nun stellt sich die Frage, welche Verbindung zwischen ästhetischen Wahrnehmungs- und Lernprozessen und dem Verständnis für Muster besteht. Schäfer (2014, 140) verweist darauf, »dass Kinder nichts denken können, was sie nicht vorher über ihren Körper, ihre Sinne und »Dem Erkennen und Nutzen von Mustern und Strukturen kommt eine wesentliche Rolle im Mathematikunterricht zu. Muster und Strukturen […] können zur Verdeutlichung zentraler mathematischer Grundideen genutzt werden. Von daher […] sind [sie] integraler Bestandteil aller Bereiche« (Qua-LiS-NRW 2019). [ 175 ] Emmi, Lietz • Muster in der Grundschule 4| 2019 Erlebnismöglichkeiten-- also mit aisthetischen Mitteln-- erfahren haben«. Ayres (2016, 18 f ) erklärt dazu, dass bereits im Säuglingsalter jede sinnliche Erfahrung aufgenommen und geordnet wird. Auf diese Weise werden bereits bekannte Muster miteinander verknüpft und neue neuronale Verbindungen angelegt (Ayres 2016, 18 f ). Folglich beeinflusst die ästhetische Wahrnehmung von Mustern die Entwicklung von Beginn an und nimmt damit Einfluss auf das schulische Lernen. Betrachtet man die begriffliche Vielfalt »Ästhetische Lernprozesse«, »Ästhetische Bildung« oder auch »Ästhetische Erziehung« ist allen eines gemeinsam: sie stehen in direkter Verbindung mit den Sinneseindrücken und der (individuellen) Wahrnehmung eines Menschen. Die Ästhetische Wahrnehmung ist ein Teil des Alltags, mit der Kinder innerhalb alltäglicher Situationen, im Spiel, beim Bewegen, Malen, Tanzen, Musikhören oder Erzählen ästhetische Erfahrungen sammeln (MFKJKS / MSW 2016, 103; Scheunpflug / Prenzel 2013, 1). Die Besonderheiten ästhetischer Wahrnehmungs- und Erfahrungsprozesse liegen darin, dass sie keinerlei Handlungen oder Reaktionen erfordern, sondern um ihrer selbst willen existieren (Dietrich et al. 2013, 16; Limper 2013, 35). Erst innerhalb der Ästhetischen Bildung oder der Ästhetischen Erziehung wird mit diesen Prozessen aktiv gearbeitet, sodass Erfahrungen, die über die Sinne wahrgenommen werden, bewusst gemacht und auf einer Metaebene reflektiert werden können (Limper 2013, 31). Das bedeutet, dass ästhetisches Lernen dort ansetzt, wo Wahrnehmung im Alltag ursprünglich (k)eine Reaktion erfordern würde. Das Individuum betrachtet durch die »ästhetische Brille« die ausgelöste (sinnliche) Reaktion genauer und geht auf die darin beinhalteten Facetten ein (Emmi 2017, 60). Außerdem wird die eigene Beteiligung innerhalb des Prozesses bewusst gemacht und versucht, das Erlebte und die damit verbundene Erfahrung in eigene Worte zu fassen, auf eine andere (künstlerische) Weise auszudrücken und somit ins Außen zu bringen (MFKJKS / MSW 2016, 102 ff ). Diese kognitiven Vorgänge anzubahnen und inspirierende Handlungsmöglichkeiten anzubieten, sind Hauptbestandteile der Ästhetischen Bildung (Limper 2013, 31) und könnten zukünftig im Schulfach »Ästhetische Erziehung« vermittelt werden. Schulisches Lernen und ästhetische Erziehung Schäfer (2014) spricht von der Ästhetischen Erziehung als eine »Grundform des Erkennens« (Schäfer 2014, 145) und betont, dass eine differenzierte Auseinandersetzung mit aisthetischen Erfahrungen das Weltverständnis der Kinder begründet. Jüdt (2014, 2) bekräftigt diese Aussage und schreibt »Bildung [ist] sowohl in einem ganz elementaren Sinne wie auch in höheren kulturellen Ausdifferenzierungen nicht anders zu denken als ästhetisch.« Sobald Kinder an die bewusste Auseinandersetzung mit ästhetischen Erfahrungen herangeführt werden, haben sie die Möglichkeit, diese Erfahrungen und die angewandten Methoden auf einen anderen Kontext zu übertragen. Basierend auf der sinnlichen Wahrnehmung können sich die SchülerInnen mit vielfältigen (Fach-)Inhalten auseinandersetzen und diese unabhängig von Lehrwerken erschließen (Emmi 2017, 59 f ). Neben den Fachinhalten bilden die SchülerInnen ihre persönlichen Fertigkeiten weiter aus. Sie werden dazu angeregt, die eigenen Gefühle, Erfahrungen oder ihre persönlichen Gedanken auszudrücken, ohne dabei den Fokus auf sprachliche oder schriftliche Ausdrucksmittel festzulegen. In der Unterrichtspraxis können innerhalb eines Lernangebotes, einer Unterrichtsreihe oder eines Projektes verschiedene Techniken, wie Bewegungsabläufe / Choreographien, Video- oder Fotodokumentationen, Klangfolgen, Zeichnungen, Skizzen, Poesie, Portfolios uvm., eingesetzt werden. Die Vielfalt dieser Ausdrucksformen ist nicht einzugrenzen und kann vollkommen an die Altersgruppe, den jeweiligen Entwicklungsstand sowie die verschiedenen entwicklungsbezogenen Kompetenzen der SchülerInnen angepasst werden. Zudem kann innerhalb einer Klasse ein Inhalt in zahlreichen Darstellungs- und Auseinandersetzungsformen erarbeitet werden. Zum Abschluss einer Unterrichtsreihe oder eines Projektes können die gewählten Darstellungsfor- [ 176 ] 4| 2019 Forum Psychomotorik men in der Gruppe präsentiert oder in Form von Ausstellungen / Aufführungen für weitere Gruppen zugänglich gemacht werden. Ästhetische Lernangebote zur Förderung des Musterverständnisses-- Praxisbeispiel »Veedelforscher« Als Beispiel für die Vielfalt ästhetischer Lernangebote in Verbindung mit der Thematik »Muster und Strukturen« wird auf das Projekt »Unterwegs als Veedelforscher« Bezug genommen (»Veedel« = Stadtviertel). Dieses Projekt führt Melanie Lietz regelmäßig mit StudentInnen des Masterstudiengangs Ästhetische Erziehung an der Universität zu Köln an Kölner Grundschulen durch. Nach einer reflektierten Selbsterfahrungsphase der Studierenden zur Erkundung verschiedener Stadtviertel planen sie verschiedene Projekte mit dem Ziel, die GrundschülerInnen mit ihrem Stadtviertel und ihrer alltäglichen Lebenswelt vertraut zu machen (ZfL 2017). Diese Projekte führen die Kinder durch die Straßen ihres Wohnviertels, in denen sie (je nach Projektgruppe) verschiedenen, die Aufmerksamkeit leitenden, Arbeitsaufträgen oder Fragebögen folgen. Eine Projektgruppe thematisierte die Sinne und erkundete den Stadtteil als SinnesforscherInnen (ZfL 2017). Die Erkundungsroute und die erlebten Sinneseindrücke werden mit Kameras dokumentiert (Abb. 2). Die sinnliche Wahrnehmung von Mustern wurde hier vorwiegend durch den Seh- und Tastsinn realisiert. Beendet wurden die Projekte mit einer Ausstellung der jeweiligen Ergebnisse und einer Dokumentation der einzelnen Arbeitsschritte durch Fotos. Diese Ausstellung war für alle SchülerInnen, deren Eltern und das Lehrkollegium geöffnet. Das »Veedelforscher Projekt« wurde inhaltlich auf verschiedene Schwerpunkte ausgerichtet. Dabei konnte auch das Thema »Muster und Strukturen im Lebensumfeld« einen Zugang zur Erkundung des Stadtviertels ermöglichen. Zur Verdeutlichung der offenen Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb ästhetischer Lernangebote werden nun Beispiele für die Umsetzung eines möglichen Projektes, mit dem Thema »Muster in meinem Veedel«, vorgestellt. Betrachtet man die Haustüren in Abbildung-2, sticht die Vielfalt der vorhandenen geometrischen Formen und Strukturen besonders hervor. Im Projekt »Muster in meinem Veedel« könnten die folgenden Arbeitsaufträge als Impulsgeber für die Auseinandersetzung mit Mustern und Strukturen im Lebensumfeld der Kinder dienen: »Fotografiere Türen, auf denen du Rechtecke, Quadrate, Kreise oder Dreiecke siehst.« Oder offen formuliert: »Fotografiere Rechtecke, Quadrate, Kreise oder Dreiecke.« Vorstellbar wären auch ExpertInnengruppen für einzelne geometrische Figuren. Am Ende der Erkundungstour hätten die Kinder dann anhand der Fotos die Vielfalt der jeweiligen Figur innerhalb ihrer Lebensumwelt dokumentiert. Im Weiteren können die vorhandenen Bilder nach Kategorien (rund, lang, glatt, aus der Natur etc.) geordnet und auf einem Plakat präsentiert oder als vollkommen neue Gestalt kreativ zusammengefügt und neu installiert werden. Ein weiteres, bewegungsorientiertes Angebot im Projekt »Muster in meinem Veedel« könnte wie folgt verlaufen: Anhand der Fotos, deren Ab- Abb. 2: Vielfalt von Mustern und Strukturen im Lebensalltag [ 177 ] Emmi, Lietz • Muster in der Grundschule 4| 2019 bildungen sehr einfache Formen (Kreis, Quadrat, Rechteck) und wenig Strukturen zeigen, könnten die SchülerInnen aufgefordert werden, die abgebildete Figur in Kleingruppen nachzustellen. Innerhalb dieser Gruppen würden sich die Kinder in Form eines Rechtecks, im Kreis und im Dreieck positionieren. Sobald den Kindern diese abstrakte Übertragung des Zweidimensionalen (das Foto) in die dritte Dimension (Darstellung mit den eigenen Körpern) gelingt, könnten abstraktere Aufgaben folgen. Für diese würden Fotos gewählt, deren Inhalte verschiedene Muster und Strukturen aufzeigen (z. B. das Foto eines Haselnussblattes), sodass die SchülerInnen aufgefordert werden, diese Abbildungen innerhalb der Gruppen körperlich ggf. mit Bewegungen darzustellen. Die Kinder sammeln dabei vielfältige Körper- und Raumerfahrungen, u. a. die Bedeutung der Präpositionen unter, neben, auf etc. (MFKJKS / MSW 2016, 96), welche wiederum die Entwicklung der Raumvorstellung und damit die Musterwahrnehmung wesentlich beeinflussen. Zusammenfassung und weitere Forschungsperspektiven Anhand des benannten Projektes im vorliegenden Beitrag und der daran anknüpfenden Beispiele ästhetischen Lernens werden die Vorteile und die Vielfalt der Ästhetischen Erziehung, deren kreative Spielräume, Anpassungsfähigkeit an die Lerngruppe und deren Potentiale, Inhalt/ Thematik und die Entscheidungsfreiheiten innerhalb der Planung, auch in Bezug auf die Schulung der Musterwahrnehmung, deutlich. Besonders die Vielfalt der Lernangebote und die völlig individuelle Anpassung der Planung und Durchführung an die Fähigkeiten der SchülerInnen eröffnen Lehrkräften Möglichkeiten, ästhetisches Lernen in ihrem schulischen Rahmen anzubieten. Der Bezug zum Thema Muster und Strukturen sollte auf verschiedenen Wegen erschlossen werden, da die SchülerInnen auf diese Weise die Chance haben, noch nicht gefestigte Erfahrungen oder Erlebnisse nachzuholen. Somit können die grundlegenden Bausteine für erfolgreiches, schulisches Lernen u. a. aus den Bereichen Graphomotorik und Pränumerik gefestigt werden. Schließlich liegt der Fokus ästhetischen Lernens auf der Ausbildung der sinnlichen Wahrnehmung, welche wiederum unser Denken und Handeln von Beginn an bis ins Erwachsenenalter prägt. In Zukunft sollten die Auswirkungen ästhetischer Lernangebote auf das schulische Lernen in weiteren Forschungsarbeiten stärker empirisch betrachtet werden (detaillierte Darstellung der oben benannten Forschungsarbeit zu finden unter Emmi 2017). Ein geplantes Forschungsanliegen der Autorinnen ist in diesem Zusammenhang die Untersuchung der Auswirkungen ästhetischer Lernangebote auf das Musterverständnis im Rahmen einer Langzeiterhebung. Hier stellt unter anderem die Korrelation zwischen ästhetischen Lernangeboten und dem schulischen Lernerfolg (z. B. in Mathematik und Deutsch) eine forschungsrelevante, bisher wenig erforschte aber erkenntnisgeleitete und vielsprechende Thematik dar. Literatur Ayres, J. (2016): Bausteine der kindlichen Entwicklung. Sensorische Integration verstehen und anwenden. 6. Aufl. Springer, Berlin / Heidelberg, https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-662-52891-4 de Vries, C. (2010): Mathematik an der Schule für Geistigbehinderte. 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In: https: / / www.youtube.com/ watch? v=0Kbg5lUSqu4 &feature=youtu.be, 13.02.2019 Die Autorinnen Francesca Cristina Emmi Sonderschullehrerin (in der-2.-Ausbildungsphase) Vertr. Prof.in Dr. Melanie Lietz Lehrstuhl für Bewegungserziehung und Bewegungstherapie in der Heilpädagogik (Universität zu Köln) Anschrift Veedelforscherinnen-Team »Emmi-Lietz« Universität zu Köln Lehrstuhl für Bewegungserziehung und Bewegungstherapie Gronewalstrasse 2a D-50931 Köln info@veedelforscher.de
