motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mot2020.art06d
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2020
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Praxistipp: Unterrichten im mobilen Klassenzimmer
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2020
Fabian Muhsal
Die nachfolgenden Praxisanregungen zur Körper- und Haltungsschulung orientieren sich an einer von Hildebrandt-Stramann (1999) entwickelten Einheit zur »Bewegten Schulkultur« und wurden von Kim Ellmerich und Fabian Muhsal im Rahmen eines Projektes im Masterstudium für Lehramt an Grundschulen an der Technischen Universität Braunschweig durchgeführt. [...]
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[ 35 ] Praxistipps 1 | 2020 [ PRAXISTIPPS ] Unterrichten im mobilen Klassenzimmer Praxisbeispiel zur Körper- und Haltungsschulung in der Grundschule Die nachfolgenden Praxisanregungen zur Körper- und Haltungsschulung orientieren sich an einer von Hildebrandt-Stramann (1999) entwickelten Einheit zur »Bewegten Schulkultur« und wurden von Kim Ellmerich und Fabian Muhsal im Rahmen eines Projektes im Masterstudium für Lehramt an Grundschulen an der Technischen Universität Braunschweig durchgeführt. Erste Stunde Die Schüler und Schülerinnen (SuS) sollen: ■ die neuen Sitzmöbel kennenlernen und deren Eigenschaften erproben (Abb.-1), ■ selbstständig Regeln für den Umgang mit diesen erarbeiten. Abb.-1: Mit Halbwalzen ausgestatteter Klassenraum Die Stühle im Klassenzimmer werden durch Halbwalzen ersetzt. Die Kinder können erste Erfahrungen sammeln, indem sie die neuen Sitze in Bewegung erkunden. Wichtig ist hier, dass die Kinder frei in der Exploration sind, da der Aufforderungscharakter anfangs noch zu hoch ist, als dass Kinder sich auf bestimmte Bewegungsaufgaben konzentrieren könnten. Im nachfolgenden Klassengespräch werden gemeinsam mit den Kindern Regeln für den Umgang mit den Halbwalzen erarbeitet. Gemeint sind Regeln, wie z.B. keine Schuhe zu tragen, wenn man sich auf die Halbwalze stellt, oder, dass das Klebeband nicht gelöst wird. Dies sollte möglichst früh geschehen, damit sich die Kinder schon zu Beginn an den richtigen Umgang gewöhnen. Zweite Stunde Die SuS sollen: ■ die Unterschiede ihres alten und neuen Stuhls in einem Klassengespräch herausarbeiten, ■ leiblich-sinnlich erfahren, dass ihr Rücken als Lehne verstanden werden kann, ■ herausfinden, welche Muskeln beim aufrechten Sitzen beansprucht werden. Im Klassengespräch wird der Fokus auf den Unterschied der neuen Sitze im Vergleich zu den herkömmlichen Stühlen gelegt. Die Ergebnisse sammelt die Lehrkraft an der Tafel. Um den Aspekt der fehlenden Lehne, der in dieser Stunde thematisiert werden soll, hervorzuheben, wird diese markiert. Die Lehrkraft fragt nun, was die neue Lehne sein kann. Wenn den Kindern bewusst ist, dass die Wirbelsäule zum Teil dafür verantwortlich ist, dass Menschen aufrecht sitzen können, wird ihnen die Aufgabe der Muskulatur verdeutlicht. Um es anschaulich zu gestalten, wird eine Puppe (mit einem Stab als Wirbelsäule) zunächst auf einen Stuhl gesetzt, wo sie sich anlehnen kann. Danach wird sie auf eine Halbwalze gesetzt. Auf dem Stuhl wird die Puppe sitzen können, auf der Halbwalze nicht. Anhand der Frage nach dem Grund werden die Kinder auf die Muskulatur zu sprechen kommen. Als nächstes sollen die Kinder Positionen auf den Halbwalzen ausprobieren, die es ihnen ermöglichen, die für das gerade Sitzen notwendige Muskulatur zu spüren. 1. »Käfer auf dem Rücken« Legt euch wie ein »auf dem Rücken liegender Käfer« auf die Halbwalze und haltet die Arme und Beine hoch in der Luft. 2. »Die Fallschirmspringer« Legt euch mit dem Bauch auf eure Halbwalzen und lasst euch ganz schlaff hängen. Versucht mal: ■ eure Arme hochzuhalten, ■ eure Beine hochzuhalten, ■ eure Arme und Beine gleichzeitig hochzuhalten. [ 36 ] 1 | 2020 Praxistipps Dritte Stunde Die SuS sollen: ■ leiblich-sinnlich erfahren, dass sie ihre Muskeln anspannen müssen, um sich im Liegen auf zwei Elementen halten zu können, ■ erfahren, dass man die Spannung ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr halten kann, ■ sich im Unterrichtsgespräch dieser Erfahrungen bewusst werden und zu der Erkenntnis gelangen, dass man Muskeln auch mal entspannen muss. Die Lehrkraft beginnt mit einer Demonstration zum Thema: »Steif wie ein Brett«. Dazu legt sich ein Kind auf drei Sitzelemente und wird von der Lehrperson zu einem Brett »verzaubert«: Es muss sich ganz steif machen und alle Muskeln anspannen. Nun nimmt die Lehrkraft das mittlere Element weg und das Kind liegt wie ein Brett auf den beiden anderen Elementen. Im Anschluss werden die Kinder aufgefordert, dies in Partnerarbeit selbst auszuprobieren. Um die Zeit, die die Kinder in dieser Haltung verharren, zu steigern, wird versucht, einen Tunnel mit allen Kindern zu bauen, sodass im Anschluss ein Ball hindurch gespielt werden kann. Bei der abschließenden Reflexion soll den Kindern bewusst werden, dass es immer Phasen der Spannung und Entspannung geben muss. Vierte Stunde Die SuS sollen: ■ leiblich-sinnlich erproben, wie sie das Gleichgewicht auf der Halbwalze halten können, ■ gemeinsam einen Balancierparcours bauen. Die Kinder sollen verschiedene Positionen auf der Halbwalze ausprobieren, die das Gleichgewicht fordern: Schneidersitz, Liegen (auf dem Bauch und Rücken), Fersensitz, Stehen. Im Klassengespräch wird besprochen, was das Gleichgewicht mit dem Unterricht zu tun hat: Nur wenn die Kinder ausbalanciert sitzen, fallen sie nicht von den Halbwalzen. Als letzte Aufgabe wird ein Gleichgewichtsparcours gebaut. Die Klasse wird in zwei Gruppen geteilt, sodass zwei Parcours entstehen, die dann jeweils von allen Kindern durchlaufen werden. Fünfte Stunde Die SuS sollen: ■ verschiedene Sitzpositionen bewusst wahrnehmen, ■ diese Positionen dann hinsichtlich ihrer Anstrengung bewerten, ■ bemerken, dass unterschiedliche Positionen für unterschiedliche Kinder geeignet sind. Die Kinder bekommen ein Arbeitsblatt, auf dem viele Sitzpositionen dargestellt sind. Nun sollen sie zunächst die Positionen ankreuzen, die sie im Unterricht einnehmen und im Anschluss auch die anderen Positionen ausprobieren. Daraufhin folgt ein Sitzkreis, bei dem die Kinder Sitzpositionen zeigen können, die nicht auf dem Arbeitsblatt genannt sind. Für diese Positionen werden Namen gesucht, damit im weiteren Gespräch darauf verwiesen werden kann. Nach dem Sitzkreis sollen die Kinder die Positionen hinsichtlich der damit verbundenen Anstrengung bewerten. Ein rotes Kreuz bedeutet dabei »anstrengend« und ein grünes »nicht anstrengend«. In einem abschließenden Gespräch präsentieren die Kinder ihre Ergebnisse und stellen die jeweiligen Lieblingspositionen vor. Die Beobachtungen zeigen, dass die Kinder die Positionen als unterschiedlich schwer einschätzen und nicht alle Kinder die gleiche Lieblingsposition haben. Fazit Die vorgeschlagenen Einheiten machen deutlich, dass die Halbwalzen ein Medium zur Vermittlung von Körper- und Haltungsthemen darstellen. Nur wenn die Kinder am eigenen Leib spüren, wie sich bestimmte Spannungszustände im Körper anfühlen, können sie darüber reflektieren und so zu einem bewussteren Umgang mit Sitzpositionen angeregt werden. Sicherlich ersetzen die Halbwalzen nicht in allen Situationen die herkömmlichen Stühle. Allerdings wird den SuS mit diesen anderen Sitzgelegenheiten die Möglichkeit geboten, selbstbestimmt die Haltung zu verändern, wenn sie merken, dass die aktuelle Haltung oder Position nicht mehr angenehm ist. Ist der Mensch es nicht gewohnt, ohne Lehne aufrecht zu sitzen, fällt es ihm zunächst schwer, die Position lange aufrecht zu halten. Aber mit der Zeit verbessert sich das Gleichgewicht und die Rumpfmuskulatur baut sich so auf, dass die Position auch längere Zeit angenehm bleibt. Die Halbwalzen lassen sich zudem leicht verstauen und können als Requisiten im Unterricht benutzt werden. Literatur Hildebrandt-Stramann, R. (1999): Bewegte Schulkultur. Afra, Butzbach- Griedel DOI 10.2378 / mot2020.art06d Kontakt Fabian Muhsal f.muhsal@tu-bs.de
