motorik
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0170-5792
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2021
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Traumasensible psychomotorische Begleitung von Kindern
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Amara Renate Eckert
Traumasensible Psychomotorik, wie im folgenden Beitrag beschrieben, basiert auf drei Grundpfeilern: Erstens das Wissen um Grundlagen von Trauma, Traumafolgestörungen und Bewältigungsstrategien, zweitens eine traumasensible verstehende Haltung und drittens ein flexibles Repertoire von lebensthemenorientierten Spiel- und Bewegungsangeboten. Anhand eines Beispiels werden diese drei Bereiche beschrieben. Schlüsselbegriffe: Trauma, Phasen der Traumaarbeit, traumasensible Haltung, Containing, Gegenübertragung, Safe Place, Symbolisieren, Spiel
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Zusammenfassung / Abstract Traumasensible Psychomotorik, wie im folgenden Beitrag beschrieben, basiert auf drei Grundpfeilern: Erstens das Wissen um Grundlagen von Trauma, Traumafolgestörungen und Bewältigungsstrategien, zweitens eine traumasensible verstehende Haltung und drittens ein flexibles Repertoire von lebensthemenorientierten Spiel- und Bewegungsangeboten. Anhand eines Beispiels werden diese drei Bereiche beschrieben. Schlüsselbegriffe: Trauma, Phasen der Traumaarbeit, traumasensible Haltung, Containing, Gegenübertragung, Safe Place, Symbolisieren, Spiel Trauma-sensitive psychomotor support for children Trauma-sensitive psychomotor activity, as described in the following article, is based on three basic pillars. The first is knowledge of the basics of trauma, trauma consequences and trauma coping strategies, the second is a trauma-sensitive and reflecting attitude, and the third is a flexible repertoire of development topic orientated play and movement offers. These three topics are described by using an example. Key words: trauma, phases of trauma work, trauma-sensitive attitude, containment, countertransference, safe place, symbolisation, play [ 62 ] 2 | 2021 motorik, 44. Jg., 62-68, DOI 10.2378 / mot2021.art12d © Ernst Reinhardt Verlag [ FORUM PSYCHOMOTORIK ] Traumasensible psychomotorische Begleitung von Kindern Amara R. Eckert meist die eigene Verunsicherung nicht (an)erkannt, leiblich reflektiert, zugeordnet und gehalten werden kann. Folgendes Beispiel aus einem psychomotorischen Projekt mit begleitender Supervision soll dies verdeutlichen und gleichzeitig die Schnittstellen traumasensibler Professionalität aufzeigen: Weil die Bewegungshallen der Förderschule belegt sind, spielt die Psychomotorik-Gruppe, bestehend aus sechs Kindern mit erhöhtem psychosozialem Förderbedarf, am Schulvormittag mit ihren Übungsleiterinnen im Freien. Es werden Regeln für den Beginn und das Ende der Stunde eingeführt und die ersten drei Stunden mit großräumigen Bewegungsspielen verbracht. Die Kinder genießen es, draußen zu sein, fühlen sich aber auch benachteiligt, da es im Spätherbst kälter geworden und die Halle anderen Kindern vorbehalten ist. Den Anleiterinnen geht es ebenso. In der Supervision wird über Konzentrationsschwierigkeiten, schnelle körperliche Übergriffe im Spiel und Hyperaktivität bei den Kindern berichtet. In der Psychotraumatologie des Kindesalters wird dieses Verhalten den »komplexen Traumafolgestörungen« zugeordnet oder auch »Entwicklungstrauma-Störung« genannt (van der Kolk 2009; Landolt 2012). Auch das Erleben bzgl. des Settings wird deutlich: Es gibt keinen sicheren Platz für die schwierigeren Kinder und deren Anleiterinnen in der Immer wieder lesen oder hören wir von kindlichen Inszenierungen im psychomotorischen Raum, die die begleitenden Psychomotoriker- Innen verängstigen, verunsichern oder verärgern und damit ein angemessenes professionelles Verhalten beeinträchtigen (Eckert 2016). Die Suche nach anderen Spiel- und Bewegungsangeboten oder nach einer klaren grenzsetzenden Haltung führt hier oftmals nicht weiter, da [ 63 ] Eckert • Traumasensible psychomotorische Begleitung von Kindern 2 | 2021 Schule. Die implizite Botschaft: »Es gibt euch, aber die Teilhabe wird euch verweigert«, wird als ambivalent und abwertend wahrgenommen und von den Anleiterinnen als Teil von struktureller Gewalt verbucht. Die konkordante Identifizierung mit den Kindern wird an dieser Stelle in Betracht gezogen. Ab der vierten Stunde beginnt die Gruppe, kreativ zu bauen und Naturmaterialien zu sammeln. Bewegungsaufgaben werden erfunden und Rollenspiele beginnen. Es gibt Räuber, Gendarmen und gefährliche Tiere. Die Anleiterinnen spielen die zunehmend emotionalen und aktiven Spiele mit und übernehmen die ihnen von den Kindern zugewiesenen Rollen. Die Spiele werden wilder und die Kinder haben zunehmend Mühe, sich selbst zu regulieren. Als der spielerische Kampf droht, real zu werden, brechen die Anleiterinnen verärgert das Spiel ab. Die Kinder reagieren auf diese Verärgerung mit Desorientierung, verschwinden im Wald und lassen sich nur mühsam wieder zur Rückkehr bewegen. In der Supervision beginnen die Anleiterinnen, über ihre Enttäuschung und ihren Ärger zu sprechen. Sie empfinden die Kinder als undankbar und fühlen sich von ihnen entwertet und missachtet. Wir ordnen diese Empfindungen als Resonanzen, als leiblich gefühlte Gegenübertragungen ein und versuchen somit, die Gefühle der Kinder zu verstehen. Aber erst mit der Einbeziehung traumabezogenen Fachwissens wird Verstehen möglich: Gefühle und Zustände von Übererregung, Wiedererleben und Vermeidung können in Rollenspielen zusammenkommen und das Spiel kann plötzlich zur Realität werden. Wird diese Traumadynamik nicht als solche erkannt und gestoppt, können Traumawiederholungen die Folge sein (Weinberg / Hensel 2012). Die Kinder erleben wiederholt, dass sie nicht sicher vor ihren eigenen überflutenden und überwältigenden Gefühlen sind, da ihre Gefühle nicht gehalten und contained werden. Stattdessen erleben sie Ablehnung in Form von Ärger als mögliche Traumawiederholung, die ihre Übererregung und Desorientierung unterstützt. Van der Kolk (2009, 583) beschreibt solche Vorgänge mit folgenden Worten: »Da diese Kinder anfällig dafür sind, alles Neue, einschließlich Regeln und andere schützende Interventionen als Bestrafungen anzusehen, neigen sie dazu, ihre Lehrer und Therapeuten, die Sicherheit herzustellen versuchen, als Täter wahrzunehmen«. Der Ausweg, im Wald zu verschwinden, kann als sinnvolle Bewältigungsstrategie der Kinder angesehen werden, die ihnen half, sich wieder einigermaßen selbst zu regulieren. Nach einem schmerzlichen inneren Lernprozess gehen die Anleiterinnen in die folgenden Stunden mit einer neuen Haltung. Diese ermöglicht es ihnen, die Gefühle von Ohnmacht, Ärger und Wertlosigkeit bei sich selbst und den Kindern leiblich zu verstehen. Sie sprechen die Missverständnisse der vergangenen Stunden an, äußern ihr Bedauern darüber und erklären neue Regeln, die allen mehr Sicherheit geben sollen: 1. Die Stopp-Regel, die für alle gilt, soll bei gefühltem Unbehagen sofort umgesetzt werden. 2. Jede Person kann jederzeit aus einer Spielrolle aussteigen. Damit soll Übergriffen und emotionalen Überflutungen rechtzeitig vorgebeugt werden. Die nachfolgenden Stunden verlaufen nun anders. Die Anleiterinnen geben den Kindern durch ihre Haltung mehr innere Sicherheit und nehmen auch deren äußere Sicherheitsbedürfnisse wahr. Die Bewegungs- und Rollenspiele werden nun zu Spielen der Stabilisierung von Vertrauen und Selbstwirksamkeit, da der Unterschied von Spiel- und Realitätsebene bewusst wird. Dabei erweist sich die Stopp-Regel als wirksame Regulationsmöglichkeit und wird von den Kindern auf ihren Alltag übertragen. Die Anleiterinnen haben gelernt, ihre eigenen sowie die Gefühle der Kinder zu containen, d. h. sie »vorzuverdauen«, um sie dann in »entgifteter« und gemilderter Form wieder zurückzugeben (Crepaldi 2018; Eckert 2020). Die Arbeit wird durch die weitere regelmäßige Reflexion sowie durch traumapädagogisches Wissen handhabbarer und verstehbarer. Bewegungs- und Rollenspiele werden zu Spielen der Stabilisierung von Vertrauen und Selbstwirksamkeit. [ 64 ] 2 | 2021 Forum Psychomotorik Zum Ende des Schuljahres betonen alle, dass ihnen der Abschied schwerfällt und sie gerne noch mehr Zeit miteinander gehabt hätten. Diese Erkenntnis weist auf eine besonders sensible Phase hin. Mit dem Ende einer Psychomotorik-Gruppe steht die Arbeit mit dem Abschied an, ein heikles Thema bei erlebter Traumatisierung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Abschied, im Sinne eines Übergangs, existenzielle Ängste (z. B. Verlassenheit, Ohnmacht, Tod) und damit auch wieder die Dynamik von Übererregung, Wiedererleben und Vermeiden aktivieren kann. In einer traumasensiblen Psychomotorik wird somit in den verbleibenden Stunden integrierend gearbeitet. Das bedeutet, dass die Kinder über die letzten Termine informiert sind und regelmäßig an das zeitliche Ende erinnert werden. Bei Rollenspielen und bewegten Inszenierungen stehen nun bewusst Sicherheit und Selbstregulation im Vordergrund. In Gesprächen kann die Übertragung der gewonnenen Stabilität in den Alltag thematisiert werden. Übergangsobjekte in Form von Erinnerungen an die gemeinsame Psychomotorik (z. B. gemalte Bilder, Fotos, Naturmaterialien, Gegenstände, die die eigene Stärke symbolisieren) sind oft hilfreich, um den Abschied in der letzten Stunde zu erleichtern. Fachwissen: Trauma und Traumafolgestörungen Die nun folgenden traumatheoretischen Aspekte sollen helfen, das o. g. Beispiel besser einzuordnen. Psychische Traumatisierung (Trauma: griech. Wunde) ist die »vitale Diskrepanz zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, die mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt« (Fischer / Riedesser 2003, 82). Ein Trauma ist also eine seelische Wunde, eine Verletzung mit dauerhaften Folgen wie Hilflosigkeit, Desorganisiertheit und körperlicher Fragmentierung. Ein Psychotrauma ist im menschlichen Nervensystem verankert und zeigt sich stets verkörpert und abhängig von individuellen Entwicklungs- und Erfahrungsvoraussetzungen, wie z. B. individueller Resilienz. In Pädagogik und Therapie haben Fachkräfte in der Regel mit Menschen mit Typ II-Trauma, also traumatisierenden Lebensumständen zu tun, wobei auch häufig ein Typ-I- Trauma, ein einmaliges Schocktrauma dazu kommt. Das bedeutet, dass sie mit komplexen Traumafolgestörungen und Bewältigungsstrategien bei Kindern arbeiten, zumeist ohne deren Trauma-Geschichte und die aktuellen Trigger zu kennen (Fischer / Riedesser 2003). Mit traumatisierten Menschen zu arbeiten, kann implizite Erinnerungen an eigene traumatische Erfahrungen bei den begleitenden Fachkräften triggern. Betroffenheit, diffuse Unwohlgefühle und Traurigkeit, Ärger, Wut oder ein Gefühl der Wertlosigkeit sind häufige Resonanzen und können auch Folgen einer Reinszenierung des Traumas im begleitenden Kontakt sein. Professionelle, die das »Minenfeld« der Traumatisierung nicht kennen, sind leichter zu irritieren, agieren häufiger ihre unbewussten Gegenübertragungsgefühle und greifen aus Unwissenheit nicht selten zu Mitteln der Disziplinierung. Ein solches Verhalten ist der direkte Weg, zur Eskalation schwieriger Situationen beizutragen und kann bei Betroffenen zu Retraumatisierungen führen, wie es im oben beschriebenen Beispiel geschah. Die Gefahr liegt in der Abspaltung von überwältigend erscheinendem Schmerz, was wiederum unreflektierte »transgenerationale Gewalt« zur Folge haben kann (Gruen 2001). Nur so ist es zu verstehen, dass personale und strukturelle Gewalt in pädagogischen Einrichtungen nicht nur in der Nachkriegszeit an der Tagesordnung war, sondern auch heute noch möglich ist (TAZ 2013). Die traumasensible verstehende Haltung Die psychomotorische Begleitung von Kindern mit komplexen Traumafolgestörungen muss im Safe Place-Setting stattfinden, dem inneren sicheren Platz der BegleiterIn, der mit den klaren Grenzen zwischen Eigenem und Fremden vertraut ist und die eigenen und die kindlichen Gefühle auf achtsame Weise halten und containen [ 65 ] Eckert • Traumasensible psychomotorische Begleitung von Kindern 2 | 2021 [ 65 ] Eckert • Traumasensible psychomotorische Begleitung von Kindern 2 | 2021 kann (Eckert 2020). Gleichzeitig ist ein symbolischer Platz im Außen gemeint, der neben der leiblich spürbaren Sicherheit des Gehaltenwerdens die materielle, körperlich erfahrbare Sicherheit im Außen symbolisiert. Dies kann eine selbst gebaute Hütte sein oder auch eine Decke, ein Übergangsobjekt, ein bevorzugtes Bewegungsgerät oder Spielzeug, aber auch ein Platz im Raum wie die Wand, der Boden oder die höchste Sprosse der Sprossenwand. Die Arbeit im Safe Place soll durch die Erfahrung der Sicherheit im Innen und Außen dem Kind helfen, seinen eigenen inneren Safe Place zu entwickeln und mit klaren Grenzen zwischen Eigenem und Fremden vertraut zu werden. In Anlehnung an den potentiellen Raum von Winnicott (1973) werden im Konzept des Safe Place Kinder als aktive, schöpferisch-kreative Wesen verstanden (Gahleitner et al. 2013). Zum Safe Place gehört unbedingt die Abwesenheit potenzieller und erlebter Gefährdung, also Schutz vor Gewalt, dem Täter und lebensgefährdenden Ereignissen wie Krieg und Flucht. Während dieser Schutz für den Beginn und Verlauf einer Traumatherapie gilt, kann er in niederschwelligen psychomotorischen Angeboten nicht vorausgesetzt werden. Der Versuch, Informationen über erlebte Traumatisierungen eines Kindes zu bekommen, kann zum Abbruch der Maßnahme führen, vor allem, wenn diese Fragen bei Bezugspersonen Schuld oder Scham auslösen. Dies gilt es, in der traumasensiblen Arbeit zu berücksichtigen und ggf. auch in der Elternberatung mit dem Safe Place-Konzept zu arbeiten. Zur achtsamen Wahrnehmung und Differenzierung von eigenem und fremdem Erleben gehört das Verstehen und Einordnen eigener leiblicher Resonanzen. Dies kann als Voraussetzung gelten, um gefühlte Gegenübertragungen als solche zu erkennen (Wolf 2020). Psychomotorisches Spiel in Bewegung Die Arbeit mit traumatisierten Kindern sollte in den folgenden drei aufeinanderfolgenden Phasen geschehen (Abb. 1), die nicht immer trennscharf sind und sich im Laufe einer traumapädagogischen oder -therapeutischen Maßnahme spiralförmig wiederholen (Landolt 2012; Weinberg / Hensel 2012; Volmer 2013; Eckert 2016): 1. Stabilisierung durch Herstellen von Sicherheit und den Aufbau von Ressourcen 2. Arbeit am Trauma 3. Trauma-Integration und Umgang mit dem Trauma im Alltag Da sich diese Einteilung gut als Orientierung für eine traumasensible psychomotorische Begleitung eignet, werde ich mich im Folgenden auf sie beziehen. Stabilisierung durch Herstellen von Sicherheit und den Aufbau von Ressourcen Die Psychomotorik verfügt über eine breite Angebotspalette im Spiel-, Bewegungs- und Beziehungsbereich, die geeignet ist, Selbstwert aufzubauen und Ressourcen zu stärken. Die bisherigen Arbeiten zu Psychomotorik und Trauma beziehen sich auf die Bedeutung psychomotorischer Angebote für die Phase der Stabilisierung. Dabei wird über die psychomotorische Praxis nach Aucouturier (Schüürmann 2013; Adler / Schickhaus 2020), kompentenzorientierte (Volmer 2013) und sinnverstehende Psychomotorik (Eckert 2008; 2016), sowie eine traumasensible Haltung (Blessing / Vetter 2020) berichtet und die Frage nach der Eignung der jeweiligen Perspektive für die Arbeit mit traumatisierten Kindern gestellt. Abb. 1: Phasen in der Trauma-Arbeit Abb. 2: Traumasensible Psychomotorik mit Kindern Arbeit am Trauma Integration in den Alltag Stabilisierung Fachwissen: Trauma und Traumafolgen Psychomotorisches Spiel in Bewegung Traumasensible verstehende Haltung Abb. 1: Phasen in der Trauma-Arbeit [ 66 ] 2 | 2021 Forum Psychomotorik Volmer (2013) empfiehlt für die Gruppenstunden mit misshandelten und missbrauchten Jungen eine klare und Sicherheit gebende Struktur für die Entwicklung der Fähigkeit zur Selbststabilisierung. »Die eigenen Gefühle steuern zu können und damit erneuten ›Überflutungen‹ vorzubeugen, bedeutet eine Rückgewinnung von Kontrolle und Sicherheit« (Volmer 2013, 36f ). Die Möglichkeiten einer traumasensiblen Psychomotorik nach Aucouturier liegen in der haltgebenden Struktur (Safe Place-Setting) und der Arbeit mit dem freien Spiel, insbesondere den Spielen der tiefgreifenden Rückversicherung wie Fallenlassen, Schaukeln, Drehen, Springen, Laufen, Umhüllen, Verstecken und Fangen (Adler / Schickhaus 2020). In der sinnverstehenden traumasensiblen Arbeit gestaltet sich der Übergang zur zweiten Phase, der Arbeit am Trauma, fließend. Wenn Kinder ihre Themen inszenieren, werden diese entsprechend aufgegriffen und im Spiel mit den Methoden des verstehenden Ansatzes bearbeitet (Eckert 2016). Van der Kolk empfiehlt aus der Sicht der Traumatherapie für Kinder Hilfen, damit diese anders als mit ihren habituellen Kampf- / Flucht- / Erstarrungsreaktionen reagieren. »Komplex traumatisierte Kinder müssen darin unterstützt werden, ihre Aufmerksamkeit auf Beschäftigungen zu lenken die sie 1) nicht an traumabezogene Trigger erinnern und 2) ihnen ein Gefühl von Freude und Beherrschung geben. Sicherheit, Vorhersehbarkeit und ›Spaß‹ sind essenziell für die Entwicklung der Fähigkeit zu beobachten, was vor sich geht, dies in einen größeren Kontext einzubetten und physiologische und motorische Selbstregulation zu initiieren« (van der Kolk 2009, 583). Der Körper kann zum Bezugspunkt der Selbstvergewisserung, aber auch zum Ort von Retraumatisierung werden. In der Psychomotorik kann ein guter Kontakt zum eigenen Körper durch lustvoll erlebte Bewegung im geschützten Raum langsam wiederaufgebaut werden. Wenn dabei die körperliche und emotionale Anästhesie nachlässt, ist auch immer damit zu rechnen, dass das Kind heftige Emotionen zeigt, also die abgespaltenen Gefühle lebendig werden und einen achtsamen »Container« brauchen. Arbeit am Trauma Die Arbeit am Trauma erfolgt in der Psychomotorik im bewegten Spiel. Wichtige Merkmale des kindlichen Spiels sind Zweckfreiheit, Selbstbestimmung, der Wechsel des Realitätsbezugs, Wiederholungen und Rituale, Emotionen sowie Körper- und Biografiebezug. Im Spiel wird das Leben verarbeitet und eingeübt (Hammer 2004; Zimmer 2004; Eckert 2016). Zentrale Spiel- und Lebensthemen wie Schutz (Häuser und Höhlen bauen, einhüllen, umhüllen), Übergang, Leben und Sterben (Verfolgungsjagden, Fangen / Befreien, Erschießen / Töten und wieder Lebendig-Werden), Autonomie und Selbstregulation (Macht und Ohnmacht, Nähe und Distanz, Bauen und Gestalten), Kontakt, gesehen und genährt werden (Provokationen, Körperkontakt und Zusammenspielen) werden von Kindern aller Industrienationen gespielt (Fichtner 2000). Das Spiel als Sprache und Medium von Kindern reicht in der Regel aus, um traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Auch ohne auswertende oder integrierende Gespräche zeigen sich die erwünschten Erfolge (Winnicott 1973; Weinberg / Hensel 2012). Wenn Kinder mit emotionaler Anästhesie (oder anderen dissoziativen Bewältigungsformen) ohne Emotionen spielen, ist es Aufgabe der Fachkraft, diese mit ins Spiel zu bringen, um die Wiederholung des Traumas zu vermeiden. Ein Spiel, in dem die körperlichen, emotionalen und kognitiven Aspekte integrativ präsent sind, kann als heilsames Spiel bezeichnet werden (Kaul 2016). »Ein Trauma wird transformiert, indem unerträgliche Gefühle und Empfindungen von erträglichen abgelöst werden. Diese Umwandlung kann nur bei einem Grad an Aktivierung geschehen, dessen Intensität mit derjenigen vergleichbar ist, die die traumatische Reaktion auslöste« (Levine / Kline 2005, 170). Kinder spielen ihre Ängste, wenn sie sich sicher und gehalten fühlen. [ 67 ] Eckert • Traumasensible psychomotorische Begleitung von Kindern 2 | 2021 [ 67 ] Eckert • Traumasensible psychomotorische Begleitung von Kindern 2 | 2021 Ein sinnvolles Setting für diese Phase ist nicht nur die Einzelarbeit, sondern auch die Gruppenarbeit mit zwei oder mehreren erwachsenen Fachkräften, die eine entsprechende traumapädagogische oder -therapeutische Weiterbildung durchlaufen haben und in regelmäßigen Supervisionssitzungen ihre Praxis reflektieren. Während eine dieser beiden Person den Rahmen hält und sich um die äußere Sicherheit und Struktur sorgt, kann die andere Person ins symbolische Spiel mit den Kindern eintauchen und für die Kinder deren Ängste verkörpern. Dabei sind sowohl Kleingruppenspiele als auch Rollenspiele mit einem einzelnen Kind möglich. Von der haltenden Person können mögliche Trigger durch schnelle Interventionen entschärft und bei Eskalationen die Selbstregulation eingeübt werden, z. B. durch eine Auszeit-Ruhe-Ecke oder Höhle. Auch in der 2. Phase traumasensibler Psychomotorik findet keine Trauma-Konfrontation von Seiten der Fachkraft statt. Vielmehr konfrontieren hier die Kinder die Erwachsenen. Kinder spielen ihre Ängste, wenn sie sich sicher und gehalten fühlen. Es liegt in der Kompetenz der Fachkraft, damit professionell umzugehen (siehe Beispiel oben). Trauma-Integration und Umgang mit dem-Trauma im Alltag Die Integration der gewonnenen Stabilität in den Alltag erfolgt schrittweise und parallel zur ersten und zweiten Phase. Dies geschieht als Ergebnis der erlebten Stärkung des Kindes in der Psychomotorik. Nachhaltige Trauma-Integration erfordert den Blick auf das gesamte Umfeld des Kindes. Hier gilt es abzuschätzen, ob eine professionelle Kontaktaufnahme und Beratung mit dem Umfeld wie Familie, Sozialer Dienst und den entsprechenden Bildungseinrichtungen erfolgen muss. Es kann die Aufgabe integrativer sozialpädagogischer Trauma-Arbeit sein, das Kind vor weiteren Überforderungen aus dem Umfeld zu schützen. Je nach Bedarf sind auch ressourcenstärkende Hilfen für das weitere soziale Umfeld erforderlich. Im psychomotorischen Bereich können Angebote als begleitende und stabilisierende Maßnahmen bestehen bleiben. Fazit und Ausblick Traumasensible psychomotorische Begleitung von Kindern wird in Abbildung 2 zusammenfassend graphisch dargestellt. Ohne Fachwissen zum Trauma ist eine traumasensible Psychomotorik nicht denkbar. Dieses Fachwissen führt direkt zur traumasensiblen Haltung, die diese Arbeit trägt und hält. Psychomotorik als Medium für Kinder kann deutlich mehr als das, was bisher konzeptualisiert wurde. Traumaorientierte Bewegung für Kinder ist als Kinderyoga (TSY 2020), achtsame Bewegung (Lang 2016) oder als Traumazentrierte Spieltherapie (Weinberg / Hensel 2012) mittlerweile bekannt und zum Teil untersucht. Die Psychomotorik sollte sich auch im Trauma-Bereich aus ihrer Nische heraus bewegen, z. B. durch Wirkungsstudien und eigene Konzepte. Psychomotorik entzieht sich jedoch wie die Spieltherapie der Manualisierung, da sich Erfolge nur im individuellen und kreativen Spiel sowie in der Zusammenarbeit mit Bezugspersonen zeigen (Weinberg / Hensel 2012). Literatur Adler, A. E., Schickhaus, K. (2020): Psychomotorik nach Aucouturier- - eine Stabilisierungsmöglichkeit für traumatisierte Kinder? Praxis der Psychomotorik 45 (2), 116-124 Blessing, F., Vetter, M. (2020): Bewegungsgetragene Traumaarbeit in Kindergarten und Schule. motorik 43 (1), 26-34, https: / / doi.org/ 10.2378/ mot2020. art05d Crepaldi, G. (2018): Containing. Psychosozial, Gießen, https: / / doi.org/ 10.30820/ 9783837974096 Abb. 2: Traumasensible Psychomotorik mit Kindern Abb. 1: Phasen in der Trauma-Arbeit Abb. 2: Traumasensible Psychomotorik mit Kindern Arbeit am Trauma Integration in den Alltag Stabilisierung Fachwissen: Trauma und Traumafolgen Psychomotorisches Spiel in Bewegung Traumasensible verstehende Haltung [ 68 ] 2 | 2021 Forum Psychomotorik Eckert, A. R. (2020): Wissen kompakt: Containing. motorik 43 (4), 202-204, https: / / doi.org/ 10.2378/ mot2020.art35d Eckert, A. R. (2016): Psychomotorische Traumaarbeit-- Professioneller Umgang mit dem Unbekannten. In: Krus, A., Jessel, H. (Hrsg.): Sich bewegen kann doch jeder. Aktionskreis Psychomotorik, Lemgo, 23-35 Eckert, A. R. (2008). Trauma- - Gewalt- - Autonomie. motorik 31 (1), 18-24 Fichtner, G. (2000): Vom Leistungssport zum Doppelmord. In: Wendler, M., Irmischer, T., Hammer, R. (Hrsg.): Psychomotorik im Wandel. Aktionskreis Psychomotorik, Lemgo, 65-76 Fischer, G., Riedesser, P. (2003): Lehrbuch der Psychotraumatologie. Ernst Reinhardt, München / Basel Gahleitner, S. B., Katz-Bernstein, N., Pröll-List, U. (2013): Das Konzept des »Safe Place« in Theorie und Praxis der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Resonanzen. E-Journal für biopsychosoziale Dialoge in Psychotherapie, Supervision und Beratung, 165-185 Gruen, A. (2001): Der Verlust des Mitgefühls. Über die Politik der Gleichgültigkeit. dtv, München Hammer, R. (2004): »Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt«. In: Irmischer, T., Hammer, R., Wendler, M., Hoffmann, S. (Hrsg.): Spielen in der Psychomotorik. Aktionskreis Psychomotorik, Lemgo, 41-49 Kaul, E. (2016): Integrationsmodell menschlichen Erlebens. In: Kaul, E., Fischer, M. (Hrsg.): Einführung in die Integrative Körperpsychotherapie IBP. Hogrefe, Bern, 26-35 Landolt, M. (2012): Psychotraumatologie des Kindesalters. Grundlagen, Diagnostik und Interventionen. Hogrefe, Göttingen Lang, T. (2016): Trauma und Körper. In: Weiß, W., Kessler, T., Gahleitner, S. B. (Hrsg.): Handbuch Traumapädagogik, 394-405, Beltz, Weinheim / Basel Levine, P., Kline, M. (2005): Verwundete Kinderseelen heilen. Kösel, München Schüürmann, L. (2013): Aus dem Trauma bewegen- - Psychomotorische Interventionsmöglichkeiten in der Arbeit mit traumatisierten Kindern. Praxis der Psychomotorik 38 (2), 64-71 TAZ (2013): Horror am Waldrand. In: https: / / taz.de/ Kin derheim-in-Brandenburg/ ! 5065310/ , 09.09.2020 TSY (2020): https: / / www.traumasensiblesyoga.de/ er gaenzungsmodul-kinder-jugendliche/ , 10.09.2020 van der Kolk, B. (2009): Entwicklungstrauma-Störung: Auf dem Weg zu einer sinnvollen Diagnostik für chronisch traumatisierte Kinder. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 58 (8), 572- 586, https: / / doi.org/ 10.13109/ prkk.2009.58.8.572 Volmer, J. (2013): Bewegt ins Gleichgewicht. Ernst Reinhardt, München / Basel Weinberg, D., Hensel, T. (2012): Traumabezogene Spieltherapie. In: Landolt, M., Hensel, T. (Hrsg.): Traumatherapie bei Kindern und Jugendlichen. Hogrefe, Göttingen, 150-174 Winnicott, D. W. (1973): Vom Spiel zur Kreativität. Klett-Cotta, Stuttgart Wolf, B. (2020): Die therapeutische Beziehung. Praxis der Psychomotorik 45 (1), 36-41 Zimmer, R. (2004): Das Spiel in der psychomotorischen Therapie. In: Irmischer, T., Hammer, R., Wendler, M., Hoffmann, S. (Hrsg.): Spielen in der Psychomotorik. Aktionskreis Psychomotorik, Lemgo, 9-19 Die Autorin Prof.in Dr. Amara R. Eckert Dipl. Pädagogin; Arbeitsschwerpunkte: Psychomotorik, Soziale Arbeit, Körperpsychotherapie, Pränatale Psychologie, Supervision Anschrift Auf dem Leihen 21 D-72534 Hayingen amara.eckert@h-da.de
